Volltext Seite (XML)
lanLsitten 6er Ver§an§enkeit Von L»iru»e von LeotLkoHV Als zum erstenmal »ach dem Untergang der alten Welt sich in der Hochblüte des Mittelalters eine Gesell- schaftskultur herausgebildet hatte, ist der Tanz zum not wendigen Bestandteil der Unterhaltung geworden. Zwei Grundformen lasten sich deutlich erkennen: ein langsam und gemessen geschrittener Reigen und daneben lebhaftere, ge sprungene und gehüpfte Tänze. Die Teilnehmer hielten sich paarweise an den Händen oder reichten sich dieselben in einem großen Kreis. Das Tanzlied war damals vom Tanz ebenso untrennbar wie die Begleitung durch Instrumente: es wurde von einem Vortänzer gesungen, indes die Tanzen den den Refrain wiederholten. So tanzte man um 1200 in den Zentren höfischen Lebens, im Wie» der Babenberger und in Thüringen auf der Wartburg, und ebenso tanzte auch das Volk unter der Dorflnrde. Spätere Darstellungen zeigen stets dasselbe Bild: Man sieht die Herren und Da men auf den Wandmalereien des Runkelstein bei Bozen aus dem 14. Jahrhundert in einer Art Polonaise dahin- fchreiten und ganz ebenso tanzen die Teilnehmer bei einem Hofball in München in der Tracht der Dürerzeit oder bei einem französischen Fest von 1580. Je beliebter der Tanz wurde, um so gröber die Schar feiner Gegner. Es gibt viele Predigten gegen das Tanzen und ebenso viele Verbote der Behörden. Die Entrüstung richtete sich teils gegen die Zeit, in der getanzt wurde, an Sonn- und Festtagen, teils gegen den Ort, z. B. liebten es die Bauern, ihre wilden Reigen um die Kirche und auf dem Kirchhof auszuführen. Bei den ruhigen Eehtänzen ver urteilte man die „schandbaren Lieder", die dazu gesungen wurden oder die Kußtouren, die in Frankreich und Deutsch land besonders beliebt waren. Deutsche Stadtbehörden be legen um 1450 das Umhalsen, Drehen und Küsten der Paare beim Tanz mit Geldstrafen. Italien, das in der Gesellschaftskultur von 1400 ab die Führung Europas übernimmt, hat neue Anregungen für Tanztouren gegeben, die anscheinend in einer Häufung von Reverenzen, Verbeugungen und Komplimenten bestanden haben, wie überhaupt auf gute Haltung, Beherrschung jeder Bewegung und vornehme Manieren in Italien besonderer Wert gelegt wurde. Italienische Tanzmcister spielten bald im Ausland die Rolle, die später die Franzosen übernah men und schon 1490 klagt ei» alter Florentiner darüber, daß man jetzt sogar schon den Kindern Tanzlehrer hält, da mit sie ihre Schritte nach der Musik setzen lernen. Ans der gleichen Zeit ist auch ein italienisches Bild erhalten, das als einziges einen Begriff von den Touren eines damali gen Tanzes gibt: umgeben von einer Schar zuschauender Gäste hält sich ein Paar an der hocherhobencn Hand und scheint sich lebhaft zu umkreisen, während eine Tänzerin und zwei Tänzer verschiedene Reverenzen ausführen, die viel Beweglichkeit voraussetzen. Die italienischen Tanzanregun gen gingen nach Frankreich, wurden mit dort beliebten Volkstänzen zusammengetan und traten dann meist unter französischem -Namen ihren Zug durch Deutschland an. Springtänze aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die Eagliarde und die Gigue, vor allem aber die Balte, bei der so hoch wie möglich gesprungen wurde. Bei diesen Sprüngen mußten dann noch in der Luft Drehungen vollführt werden, eine schmierige Aufgabe in der steifen spanischen Tracht. Kein Wunder, daß geistliche und welt liche Behörden gegen die Unsittlichkeit der „modernen" Tänze zu Felde zogen. Ein deutscher Aufsatz von einem Obervogt in Pforzheim 1594 verfaßt, besagt, daß die Tän zerin zunächst mit Umarmung und Kuß aufgcfordert wurde: der Vortanz ging noch mit ziemlicher Gravität vor ch und gab Gelegenheit zur Unterhaltung des Paares, m Nachtanz dagegen war „des Laufens, Handdrückcns, eimlichen Anstoßens, bäuerischen Rufens und ungebühr licher Dinge kein Ende. Sollte eine Tänzerin ohne ernst lichen Grund einen Tanz verweigern, so „schämt sich der Tänzer auch nicht, die Jungfer wider alle Billigkeit, Red lichkeit und Recht auf das Maul zu schlagen". Dabei han delt es sich bei dieser Schilderung nicht etwa um einen Bauerntanz, sondern um gute süddeutsche Gesellschaft. Charakteristisch gegenüber diesen deutschen Sitten ist, daß im gleichzeitigen Italien der Herr eine Dame dadurch zum Tanze aufforderte, daß er eine Blume küßt« und sie ihr dann überreichte. Neben der Volte wird die Pavane viel genannt, die einen sehr majestätischen und stolzen Charakter hatte, die Courante, di« geschleift wurde und der Branle, der die französischen Hofbälle eröffnet«, ein in die Runde geschrit tener Reigen mrt Eesangsbegleitung, noch ganz so wie irjr Mittelalter. Aber alle diese Tänze wurden vergessen, als im 17. Jahrhundert der erste weltbeherrschende Tanz, das Me nuett von Versailles aus seinen Siegeslauf antrat. 100 Jahre lang komponierten die berühmtesten Musiker, Bach, Haydn, Mozart Menuetts. 100 Jahre lang feierten die graziösen Maler des Rokoko die Bewegungen des Menuetts. Die letzten Feinheiten dieses vornehmen Tanzes waren so schwer zu erlernen, daß z. B. Ludwig der Vierzehnte zwan zig Jahre lang täglich Tanzstunde nahm, um es zur Voll kommenheit zu bringen. Schon um die Mitte des 18. Jahr hunderts hatten sich, aus England kommend, die Contre- tränz« eingebürgert, ans denen Frankreich dann die Qua drille und Fran<?aife bildete, und die gleich der ebenfalls neuen Allemande mit ihrem beweglichen Rhythmus und Ihrer leichten Ausführbarkeit den Vertretern der alten Tanzkunst ein« gefährliche Neuerung erschienen. Das Me nuett ganz zu entthronen jedoch gelang erst dem Walzer. Vielleicht sind dessen Vorfahren schon in mittelalterlichen Drehern und Schleifern zu suchen. Zum erstenmal wurde er 1765 im Bereich von Würzburg verboten. Im Mode roman der Zeit, im Weither, werden auf jenem ländlichen Ball, auf dem Weither seine Lotte zuerst bewundern darf, Menuett, Contre und Walzer abwechselnd getanzt. Aber „letzteren konnten nur die wenigsten, so daß es ein bißchen bunt durcheinander ging". Die Gefährlichkeit dieses neuen Tanzes läßt Werther ausrufen „Ein Mädchen, das ich liebe, auf das ich Anspruch hätte, sollte mir nie mit einem anderen walzen als mit mir!" In höfischen Kreisen wurde der Walzer sehr unpassend gefunden und am preußischen Hof erfolgte ein Verbot, nach dem die Kronprinzessin Luise und ihre Schwester auf einem Hofball der 90er Jahre zur Entrüstung der Königin ge walzt hatten. Noch 1816 protestierten die englischen „Times" gegen den Walzer, der auf einem Ball des Prinz regenten getanzt worden war. Aber sein Triumphzug war unaufhaltsam, die Tanzwut, die die großen Erschütterun gen der französischen Revolution und der napoleonischcn Osrelionkenkatrrt Diese Geschichte habe ich gehört. Der sie mir erzählte, war ein alter Kapitän; nichts Abenteuerliches war an ihm, nichts Seltsames. „Wir kamen von Saigon herunter und wollten nach Ba tavia, Sörup, der Holländer, der die Dschonke gechartert hatte, und ich, der sie steuerte. Ein Bengel war mit an Bord, so einer in dem glücklichen Alter, wo man durch die Welt zu kutschieren vermag und meinen darf, das Leben ginge immer so weiter. Und zwei Chinesen: der eine kochte. Acht Tage lang kochte er. Einmal Huhn mit Reis, dann Reis mit Huhn. — Und noch zwei Menschen waren an Bord. Der eine lag still und tot in einer schwarzen Truhe, die man für einen Sarg ansprechen konnte. Der andere Mensch war eine Malaiin, des Toten Frau. Sie war schön. Der Bengel, wir nannten ihn Joe, verliebte sich in sie. Die Frau fuhr mit uns, ihren toten Gatten in Batavia an Land zu bringen; nur in der Heimat erde findet der Malaii die letzte Ruhe. Sörup meinte, daß wir am übernächsten Tag Batavia haben würden, aber es ging nicht so glatt. In der zweiten Nacht kamen zwei Dschonken in Sicht. Die eine blieb Backbord, die andere näherte sich. Sörup und ich holten unsere Revolver. Sie müssen wissen, daß auch heute noch Ueberfälle in der Sunda- see Vorkommen. „Joe!", ries ich, wir drei Weißen wollten doch wohl zusammcnstehen. Aber Joe war verschwunden. Meine Ahnung wies mich zu der Kabine der Maleiin. Ich klopfte, es blieb still. Aber Menschen waren darin. Ich wandte mich ab. Die Verfolger kamen bordseits; sie enterten; dann standen ein paar wohlgeklcidete Chinesen vor uns. Der vorderste machte den Dolmetscher. Sie seien keine Räuber, sondern Rächer! Sie wollten nichts, als einen schwarzen Kasten, in dem eine Leiche sei. Wir waren starr. Gibt es nicht, erklärte Sörup. Dieser Sarg ist unsere Fracht. Wir sind bezahlt worden, wir liefern ihn ab! Der Chinese lächelte dünn. Ihr werdet Fracht nicht ab liefern, sagte er, werdet eher sterben. Er lispelte das „Ster ben" wie eine sanfte Schmeichelei. Sörup mies seine» Revolver, aber der Chinese sagte ruhig: Gut, Herr, du töten drei, vier von uns, aber wir sind zwanzig! Was tun? Sörup ging hinüber zur Tür der Malaiin. Er brauchte nicht zu klopfen. Sie stand plötzlich dort. Ihr Gesicht war merkwürdig verzerrt. Sie winkte den fremden Chinesen und wies sie in ihre Kammer. Drei der Kerle sprangen hinzu; es ging alles sehr rasch. Ein schwarzer, uns wohlbekannter Sarg, torkelte auf mageren Schultern über Deck, wurde drüben in Empfang genommen und verschwand. Mit ihm die Eindringlinge. Ehe wir uns recht besannen, waren die Fahrzeuge schon auseinander getrieben. Die Malaiin und der Junge blieben in der Kabine. Der Wind frischte auf, wir fuhren eine flotte Nacht, am Mittag kam Batavia in Sicht. Wir machten bet den Chinesen fest und warteten auf die Hafenpolizei. Aber die kleinen Boote der Eingeborenen waren schon heran. Sie bemerkten Weiße an Bord und vermuteten Passagiere. Da kamen sie mit ihren An- Deutsche 8aat1)rällel»e In der unübersehbaren Zahl deutscher Sitten und Bräuche stehen die bei der Aussaat üblichen an erster Stelle. An Mannigfaltigkeit und Tiefe iibertresfen sie alle, die- sonst im Jahreslaufe gepflogen werden. Das hat seinen guten Grund. Die Saat und ihr Schicksal ist Schicksal des Landmannes für ein ganzes Wirtschaftsjahr. Hoffen und Bangen in seltener Stärke vereint fallen mit dem Samenkorn auf den Acker, und was immer in seinen Kräften steht, sucht der Landmann als wirk starken Segen mitzugeben. — Schon in ältester Zeit, mit dem heidnischen Glauben verbunden, blühten Saatbräuche und -sitten üppig, durch das Christentum wurden sie zum großen Teil umgedeutet und ergänzt, und heute haben wir auf dem natur verbundenen, geistig konservativen Land« ein« Mischung von Inhalt Liane von Eentzkow: Tanzsitten der Vcrganyenchekd. Frank F. Braun: Dschonkensahrt. G. Nowottnick: Deutsch« Saatbräuch«. Elisabeth Thommen: Bagatellen. Gottfried Kapp: Isolde. Kriege begleitete, trilg mit dazu bei. Ueberall wurde gleich leidenschaftlich getanzt. In Braunschweig mußte zur Zeit der französischen Besatzung das Entree zu den Masken bällen verdoppelt werden, weil der Andrang ein so unge heurer war, und in Königsberg jagten sich im Ungliicksjahr 1807 die Bälle. Nach dem Wiener Kongreß war die Herr schaft des Walzers entschieden; weder die Polka noch der ungarische Galopp, die sich ihm im Lauf des 19. Jahrhun derts zugesellten, vermochten ihn zu verdrängen. Vor» krank k. krau» denken, Schmucksachen, Affen und Papageien. Ich mies sie nicht von Bord, mochten sie sich überzeugen, daß hier keine Geschäst« zu machen seien. Aber ich sah, wie unsere Malaiin mit einem dieser Händler verhandelte, und mir schien, daß es gar nicht um den bunten Umhang ging, den der ihr anbot. Der Mann ver schwand bald sehr eilig. Die Sanitätswache ließ auf sich warte». Sörup fluchte; ich rauchte; Joe hielt sich nach wie vor versteckt. Nach einer knappen halben Stunde hielt ein Fahrzeug auf uns zu, es war nicht groß, aber es trug eine Last, der die an deren Boote auswichen. Ein schwarzer Kasten, wie wir ihn an Bord gut kannten, kam an Deck. Ich erschrak, aber noch begriff ich nichts. „He!" rief Sörup, „wohin?" — Da stand die Malaiin vor uns, unhörbar angetreten. Zu mir sagte sie sonst nichts. Wir standen stumm, wichen uns im Blick aus, bis die Leute den Sarg wieder über die Planken trugen. Schwer war die Last» das war an den gebeugten Rücken zu merken. Woher kam dieser zweite Sarg, und wen barg er? — Das wartende Boot fuhr davon. Da erst sahen wir, daß sich unsere Passagier,» im Boot befand, sie hockte zu Häupten des Sarges. Unsere Dschonke wurde in Ordnung befunden. In der gleichen Stunde fuhr ich an Land. Ich kannte Batavia, ich wußte nicht, daß es dort ein Leichenhaus gab. Ich wollte nicht hineinge !en, aber ein holländischer Soldat grüßte mich. „Kapitän der Weiße ist noch immer nicht erkannt!" sagte er. „Welcher Weiße? Er sagte: „Oh, Sie sind heute erst gekommen?" und als ich nickte: „Man fand hier gestern vor der Tür in einen schwarzen Kasten gelegnt die Leiche eines Matrosen." Ich ging nicht sehr dicht heran. Ich brauchte es nicht, denn auf den ersten Blick erkannte ich in dem Toten unfern Joe. Ich meldete seinen Namen und gab den Ueberfall auf See zu Pro tokoll. Die Polizei forschte nach der Malaiin, aber man fand sie nicht. — Drei Tage später hatten wir Stückgut für Bangkok eingenommen und verließen Batavia. In Saigon sprach mich nach Monaten ein Chinese an: „Herr, hat man damals die Frau gesunden?" Ich fragte und erfuhr, der Mann war der Dolmetscher der Bande gewesen, dis uns damals überfallen hatte. Sie arbeiteten im Austrage eines reichen Malaien in Batavia, der sich in den Besitz der Leiche bringen wollte. „Warum?" fragte ich. „Herr, er war im Leben sein Feind gewesen, es ist der Glaube, Herr. Warum betrogt ihr uns? In dem Sarg, den wir holten, lag ein Weißer. Wir waren vor euch in Batavia, aber unser Auftraggeber befahl uns. den Sarg vor das Totenhaus zu setzen; wir bekamen kein Geld." Hier ist die Geschichte zu Ende. Ich weiß nicht, wie der Junge, unser Joe, in den Sarg kam, den die Chinesen uns ab- nahmen. Die Malaiin mußte ihn in ihrer Kabine erwürgt haben. Sie erreichte ihr Ziel, behielt den toten Gatten bei sich und ließ ihn in Batavia von Bord holen. Was ging sie dieser Weiße an, wo es galt, dem geliebten Toten zur ewigen Ruh« zu verhelfen. Ich bin gewiß, sie weiß nicht einmal, daß sie schuldig wurde. Denn das Leben ist bunt und wirr, und Gut und Böse wechseln sich ab wie Tag und Nacht." reizvollster Buntheit und größtem Interesse. Nur langsam gewinnt demgegenüber moderne Nüchternheit Boden. Der Landmann lebt mit der Natur, fühlt den ewig erneuten Kreislauf, der Saat und Ernte und neue Saat umschließt. In Mecklenburg ließ man einstmals für Wode unter Absingung eines feierlichen Spruches, heute ohne innere Beziehung, die letzten Garben der Ernte stehen, damit der Gott durch dies Opfer der nächsten Saat günstig gesinnt sei. In ähnlicher Weise hängt man noch jetzt in Ostpreußen ein Aehrenbüschel in der Stube auf, läßt es überwintern, mischt es im Frühling mit frischen Brotkrumen und streut diese Körner als ersten Samen. So wird ohne Unterbrechung Anfang an Ende geknüpft. Die Aussaat muß auf da» sorgfältigste vorbereitet sein. Der Sam« darf nicht in da« Wohnhaus gebracht werden, da sonst sein Zusammenhang mit d«r großen fruchttreibenden Natur unter brochen wird. „Der Menfch mit s«in«r Qual" bringt Verwirrung