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Onter^altuns ur»<^ V^i88en 26-31 Zanunr 1674 '-ii< lixi^cbie VolstsLeilunE Kultur äes Krieses Es geht abwärts mit der Kultur des Briesschreibens. I trotz allen Briefstellern und gelegentlichen Schulungs- verfuchen durch Kurse und Vorträge Die Zeit ist dieser Kunst nicht günstig. Cie bietet zuviel Ersatzmittel im Fernsprecher, Telegramm und nicht zuletzt in der Postkarte, die zwar Raum bietet für eine Mitteilung, aber keinen Platz für die höhere Kunst des Briesschreibens. Hinzu kommt: wo durch verbesserte Verkehrsmittel die Möglich keiten einer persönlichen Begegnung zunehmen, da nehmen die Anlässe zuin schriftlichen Verkehr ab. Wenn aber die Uebung fehlt, dürfen wir nicht nach Meistern suchen. Und vor allem fehlen neben diesen äusseren Voraussetzungen die innere», deren wesentlichste der Kulturgehalt der Epoche selber ist. Es kann einzelne Vriefschreiber geben von hoher Qualität, aber es kann keine Kultur des Briefstils geben, wenn es der Zeit selber an Kultur gebricht. In Deutschland war die vorläufig letzte Epoche einer verfeinerten und bedeutenden Brieflultur die Zeit der Romantik. Es scheint mitunter, als hätten diese Menschen nur gelebt, um korrespondieren zu können. Der viel beschäftigten und dennoch gar nicht so sehr produktiven Generation unserer Tage ist cs nahezu unfaßbar, wie man solchen Zeitaufwand allein für Korrespondenzen treiben konnte. Schon Goethe, allerdings ein Meister der Zeit ökonomie, brachte es fertig, einen ausgedehnten Brief wechsel durchzusühren. Freilich hatten seine Mitteilungen — für heutige Begriffe ziemlich umfangreich — im all gemeinen dennoch nicht die Länge, die im Zeitalter der Romantik üblich wurde. Wenn man aber hört, dass seine Hinterlassenschasten an Briefen die Zahl von 12 000 über steigt. ungerechnet also der vielen Briefe, die verlorcn- gcgangen und nur noch aus den Registern der Tagebücher nachweisbar sind, so must man schon diesen äußeren Umfang einer Tätigkeit, die neben mehreren größeren ausgeübt wird, bewundern. Den inneren Stil des jeweiligen Schreibens zu treffen, gelang ihm wie wenigen — das be darf der Hervorhebung, weil nämlich durchaus nicht alle Dichter von Rang zugleich auch Briefschreiber von Be deutung waren. Goethes Korrespondenz rein nach ihrer formalen Entwicklung zu verfolgen, ist übrigens von höchstem Reiz. Bald wird man hier zwei Grundformen er kennen: die eine ist der Stil der Unmittelbarkeit und Ur sprünglichkeit — er beherrscht die Korrespondenz des jugendliche» Goethe; die andere Form kennzeichnet sich durch eine Gemessenheit des Ausdrucks, eine Distanziertheit (nicht Geziertheit . . .!) des Stils, die ohne weiteres den reisenden und reifen Goethe verrät. „Ha Vehrisch", schreibt der Achtzehnjährige an seinen geliebten Freund, „das ist einer von den Augenblicken! Du bist weg. und das Papier ist nur eine kalte Zuflucht gegen deine Arme. O Cott, Gott. Laß mich nur erst wieder zu mir kommen. Vehrisch, verflucht sey die Liebe. O sähst du mich, sähst du den elenden, wie er rast, der nicht weiß, gegen wen er rasen soll, du würdest jammern. Freund, Freund! Warum Hab' ich nur einen?" Und nun, im Gegensatz hierzu, eine Stelle aus einem Brief des Vierundfünfzigjährigen an den großen Wilhelm v. Humboldt: „Wenn der Januar nicht Vorbeigehen soll, ohne daß ich einen Brief an Sie abschicke, so muß ich mich, aus dem Stegreife, einen Abend, da alles in der Komödie ist, entschließen zu diktieren, ohne daß ich eben weiß, was ich zu sagen habe. Denn was könnte ich Ihnen sagen, da Sie im Genuß alles dessen sind, über dessen Entbehren ich zeitlebens nicht zur Ruhe komme." Das Diktieren der Briefe, das Goethe hier nebenbei erwähnt, wurde ihm schon verhältnismäßig früh zur Gewohnheit. Es ist sicherlich kein Fehlschluß, wen» inan i» dieser Gewohnheit wesentlich mehr als eine Aeußerlichkeit sieht und aus ihr eine entscheidende Einwirkung auf den Briefstil folgert. Wenn fast allen Goethischen Briefen, von denen des jungen Dichters abgesehen, eine gewisse mittlere Temperatur des Briefstils eigen ist, so hängt das ohne Frage auch mit dieser Gepflogenheit des Diktierens zusammen. Daß der eben an geführte Brief an Behrisch durch die Hand eines Schreibers gegangen sein könnte, ist undenkbar; bei dem Brief an Humboldt ist es ohne weiteres verständlich. Manchem Vriefschreiber von heute wünschte man. er hätte auch einen Sekretär, dem er seine Korrespondenz diktieren könnte: sicherlich würde sich durch die so bewirkte Konzentration der Schreibweise das Niveau wesentlich heben. Die Briefe, an die hier gedacht ist, sind freilich weniger ausgezeichnet durch Unmittelbarkeit des Gefühls als vielmehr durch das ermüdende Verweilen bei Neben sächlichkeiten, für die vielleicht gerade der Schreiber, schwer lich aber der Leser Interesse ausbringt. Was mißfällt einem so häufig an den Briefen? Daß unerträglich viel von Nebendingen die Rede ist, daß Belanglosigkeiten und Augenblickseinfälle mitgeteilt werden, die selbst dann nicht interessieren, wenn zwischen Schreiber und Empfänger innerlich die engste Verbindung besteht. Ist der Brief schreiber jemals in genau der gleichen Situation wie der Vriefleser? Wohl niemals! Und so ist es unausbleiblich, daß Dinge, die für den Schreibenden vielleicht im Augen blick geräd' > i„ flüchtiges Interesse haben, den Lesenden langweile-. Persönliche Unterhaltung und brieflicher Verkehr ist eben durchaus zweierlei. Zwischenbemerkungen, Anspielungen auch auf belanglose Nebendinge können ein Gespräch beleben; einen Brief können sie ertöten, schon darum, weil sie ihn verlängern. Kürze aber ist die Höflich keit des Briesschreibers, Dieser Satz gilt nicht nur im Briefverkehr mit fernstehenden Personen — auch nahen Freunden kann es leicht langweilig werden, wenn sie um fangreiche und dennoch inhaltslose Briefe bekommen. „Nun will ich schließen, denn ich weiß nichts mehr zu schreiben", wie oft hat jeder solche Sätze lesen müssen! Und was be sagen sie? Nichts. Denn, daß der Betreffende die Absicht hatte zu schließen, würde man sogleich erkennen, wenn er tatsächlich geschloffen hat; und daß er nicht» mehr zu Von Or. >ViIke?n> Kn»»« schreiben weiß, kann man leicht daraus entnehmen, daß er nichts mehr schreibt (wofern man es nicht schon aus dem entnehmen mußte, was er geschrieben hat . . .). Im Grunde bedarf es also nur geringer Ueberlegung, um in einen Brief wenigstens die abgebrauchtesten Wendungen zu vermeiden; und solche Ueberlegungen sind meist fruchtbarer als das Studium konventioneller Brief steller. Hierdurch gelangt man bestenfalls zum Schema, auf jene Weise hingegen möglicherweise zu dem, was man Vriescultur nennen könnte. Ein bedeutsamer Helfer hier bei ist die Stimmung. Nicht jede Stunde ist der Absicht, Briese zu schreiben, günstig: was heute nur zu einem müh sam erdachten Machwerk geraten würde, wird morgen vielleicht ein Brief, an dem der Absender die gleiche Freude hat wie der Empfänger. Freilich kann es auch leicht geschehen, daß man sozusagen den ungeschriebenen Brief allzu lange bei sich trägt: dann «lem Inkalt Dr. Wilhel« Stuss«: Kultur de» Briese». S Heise: Mayer von Backbord 8. Hedwig Reiff: Die Möwe. Lotte Tiedemann: Klein« Teegäste. Vom Bllchertisch. Fünf Minuten Kopfzerbrechen. ist er eines Tages verlorengegangen, bevor er noch existiert hat. „Es ist oft so", heißt es in einem Brief Friedrich Hölderlins an seine Schwester, „daß man aus lauter Be dürfnis zu schreiben gar nicht schreibt. Ich will dann immer eine recht gelegene Stunde abwarten, wo es mir von Herze» gehen soll, und darüber versäume ich die Zeit» wo ich vielleicht nicht so ganz unzerstreut von andern Ge danken und Beschäftigungen, aber doch immer so viel ge schrieben hätte, daß Du meine unveränderliche Liebe zu Dir daran hättest erkennen mögen." Verdrossen sitzt hinter der Elasterrasse ein vollmondrotes Gesicht, das mich mit gläsernen Augen anstarrt. Ein jähes Er kennen, ein niederschmetterndes Wiedersehen: Mayer von Back bord 8, wie man diesen Zeitgenossen auf dem Schiss nannte. Der kugelrunde Parvenne, der fliegende Holländer, der mich mit seiner sprudelnden Quicklebendigkeit verfolgt hatte wie ein Ge spenst. Vor dem Kriege hatte er bescheiden ein unscheinbares Dasein geführt, unter Erweisung gelegentlicher Gefälligkeiten. Solche versprachen zum Beispiel seine geheimnisvolle» Anzeigen. „Was müssen junge Mädchen vor der Ehe von der Ehe wissen", aus Grund derer er gegen Voreinsendung des nicht unerheblichen Betrages wisscnsdurstigen Backfischen ein broschiertes Kochbuch zustellte? Seit er aber durch Deutschlands Not Geld und Gut gewann, hielt er es als Makler und Schisssreeder in Rotterdam für seine unerläßliche Pflicht überall „gewesen" zu sein. Und, wie bei sich selbst, der großen Welt gleich die Werte »inzuwerten. und im Sommer zwischen Schnee und Eis des Rordkaps im Schauer der Mitternachtssonne zu erbeben, und im Winter in der Elut Aegyptens zu schmoren, wo der Himmel Kristall scheint und die Erde Flamme, rauchlose Flamme. Ständig mar dabei dieser quirlige Tonnenbauch in Bewe gung, voller Glossen und kläglicher Grimassen, und fühlte sich nur wohl, wenn er schimpfte. Denn dieser unbändige Bildungs- drang geschah eigentlich auf Betreiben der nicht minder rund lichen Eattin, deren Fettherz ganz init Idealen angesüllt mar. Ich höre noch, wie sie beim Anblick der ersten Kamelkarawane in der Ebene von Saron in begeisterte Hymnen über diese be zaubernde „Lönslandschast" ausbrach. Am wohlsten fühlte sich indessen der Herr Gemahl bei einem guten Tropfen in seiner Skatrunde. Da sah ich ihn das erstemal, als ich, noch den Glanz des Meeresleuchtens über den gleitenden Wellen des Atlantik im Auge, in die Messe trat, wo er voller Inbrunst den Tresf- buben auf die Tischplatte hieb und diese Tat mit einem tiefen Trunk beteuerte: „Unsere braven Eltern können nun schon in den warmen Betten liegen, während wir noch den kalten Sekt trinken müssen." Seitdem verfolgte er mich, wie gesagt, wie ein Geist, trotz dem er. Reinkultur des Geistlosen, absolut nichts Geistiges an sich hatte, sondern rein körperlich, animalisch eingestellt war. In Sizilien hörte ich ihn plötzlich neben mir zu seiner besseren Hälfte klagen, daß die Führer doch gar nichts taugten: Das sei gar nicht Taormina, sondern „Uscita", wie groß und breit dort geschrieben stehe. Und einmal tauchte er wie eine Erscheinung mitten in der Nacht, nachdem er tags zuvor getreulich wie eine schwere Pflicht erfüllung auf die Akropolis mitgetrottet mar, an der Seite seiner Ehclicbsten auf der in blausilbernem Mondeslicht schimmernden Hochburg von Athen auf; es hatte ihn in seinen Grundfesten er schüttert, daß ihn die 'trcusorgende Gattin von seinem abcnd- »»»»«»> 8vckvlg Kotkk. Wie Wellcnglitzcrn ist ihr leichtbeschwingter Flug; Sie taucht und schwirrt i», weiten Lnftmccr auf und nieder, Weilt wogenwiegend still mit rastendem Gefieder — Schnellt wieder auswärts, fliehend vor dem Wassertrug. Wenn Heller Mittag sonnig auf den Wellen lacht, Ist anmutoolles Spiel ihr Auf- und Niedcrgleitcn. Doch welch' verlor'ner Flug durch unbegrenzte Weiten» Wenn wild in Lust und Wasser rast des Sturmes Macht. Der schnelle Flügelschlag setzt taumeknd sich zur Wehr — Ohnmachtsbewußtsein will die kleine Brust zersprengen . . . Es schrillt ein Schrei, als wollt' er Raum und Zeit ver drängen, So angstgequält und hilflos durch die Brandung her. Du kleiner scheuer Vogel gleichst dem Menschcnherz, Das sorglos jubelt, wenn sich frohe Tage künden, Und haltlos zitternd seinen Weg nicht weiß zu finden, Wenn alle« Lebensglanz zerwühlt der grimme Schmerz. Von II. lichen Stattlich vertrieben hatte, stand doch i» dem Bildungs-i buche der Guten als unerläßlich vermerkt, daß man auch bei Mondschein aus der Akropolis „gewesen" sein müsse. Nun schwankte er da aus seinen Stummelbcinen, ungewiß und ratlos, und trocknete, während der unnennbare Zauber der heroischen Zeit des heiteren Hellas Uber den Trümmern wob, kopfschüttelnd den spiegelblanken Schädel: „Ich weiß nicht, hier bin ich doch schon einmal gewesen!" Uebrigens bewegte nicht er allein sich parsivalistisch als reiner Tor durch die weile Welt, sonder» in holder Unbefangen heit wetteiferte mit ihm seine dildungsbesUssene Ehegenossin. Bor ihrer Abreise hatte sich diese umsichliae Haussrau in weis:» Voraussicht vou einem Papierinstilut Ansichtskarten von alle» Gegenden schicken lassen, die sie aus ihrer Programmreise zu be suchen gezwungen waren. Vorsorglich waren diese Bewris- dokumente durch Anschristen an die Rotterdamcr Bekannten, Ver wandteil und Kegelbrüdcr mit den nötigen Bcgeisteruugsgräßcu ausgestattet und versandtsertig gemacht. Da unterlief ihr be reits in Lissabon der verzeihliche Irrtum, daß sie. im Park der Quinta da Montserrate, mit den bunten Marken des revolutio nierenden Portugal die Eralsserie beklebte, die ihrer Brstim- mung gemäß eigentlich erst in Barcelona nach dem Besuch der bchren Himmelsburg des Heiligen Gral zum Versand zu kommen hatten. In der Eile der Abfahrt händigte sie die Karten mit lockenden Bittworten und einem gute» Trinkgelds einem wa!l- mützigen Efelreiter zur Besorgung ein. Zufällig hatte ich »och Gelegenheit, voller Beruhigung zu sehen, daß diese Heils-r 'e keinen Schaden anrichten würden: denn der edle Don, ehrlich, wie die Eseltreiber dieses schönen Landes sind, löste, wie er es aufmerksam einst von den lieben Eltern — Gott Hab' sie selig — gelernt hatte, die nene» frischen Centavos Freimarken mit der hübschen Republikgöttin, für diese dummen Fremden viel za schade, ab und warf die kostbaren Karlen als zu weiterer Ver wendung ungeeignet, über die Burgmauer der Eiutra. Nun sprudelte dieser laugst vergessen geglaubte Ealle der Guten wieder wie eine Erscheinung aus mich zu, griff strahlend in die Prusttasche und zeigte mir seine Bilder, die er als Dildungsbeweise und Reiseergcbnisse stets sorglich gehütet bet sich trug: Mayer von Backbord 8 in der Droschke, deren ganze Breite er ausslllite, gerade damals, als er die bisher unbekannte Stadt „Uscita" entdeckt hatte! — Mayer im Tropenbelm auf troddelbiintcm Kamel nin Fuße der Pyramiden-! — Player im Fez als Eselreiler am Karten Gethsemane! — Mir grauste. Doch- versöhnt entsann ich mich, daß die gefühlvolle Kali in, während- die Wurstelbeine des Gemahls gelangweilt um den Leib der geduldigen Eselin baumellen, derweil verbotenerwcise einige Oelbaumblälter raubte zu ihrem Schatzkästlein von sechs Selker flaschen mit Iordanwasser und dem Tabaksbeutel mit echtem Saharasand. . . Von dem lästigen Plagegeist wurde ich damals immer erst befreit, wenn eine frische Brise aufkam oder ein Sturm über da» Meer stob. Dann spielte der Beherrscher der Fluten voll täppi schen Humors den Menschenzwerglein höhnend ein Wiegenlied, ein barbarisches Schlummerlied, ein Hexenschaukellied. Das Gespenst der Seekrankheit ging um, hohlwangig, graugrün und geifernd vor Eist. Die Materie gewann selbsttätiges Dasein, di« Tücke des Objekts ward geschäftige Lebendigkeit. Das sonst bewegungslos Festgebannle geisterte selbständig durch die Nacht. Die Kajüten wurden Tummelplätze des Seelenlosen. Die Anzug« an den Kleiderhaken tanzten marionettenhasle körperlose Reigen enthaupteter Gliederpuppen, Stiesel gespensterten durch den Raum, Gläser sprangen kecken Schwungs aus ihren Holzringen. Selbst ein Schrankkoffer lustwandelte durch den Gang zu nächt lichem Rendezvous polternd durch fremde Türen. Plötzlich stob das verankerte Nachttischchen der Fran Nachbarin splitternd mit seinen sorgsamen Medikamenten, Tränklein vnd Parfümen zn Dodcn. Berauschende Düste wie ans Karlen der Semirami» entströmten den zerklirrenden Krifiallslakons. Doch der Trnum des Spezercienzaubers zerrann schnell, als bei nicht endcnwollen- der Schlingerneigung ein Wasserguß aus dem überschwingrnden Waschtank über den Kopf de» Schläfers klatschte. Anziehen »nb Umziehen erforderten dt« trainiertest« Geschicklichkeit «ine» Meisterakrobaten. Zahnbürsten. Kragenknöpf«, Schlüssel, tur>