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Der Kirchenhatz -er Linken Slv. Englert weift im Dresdner Skadtpartament unberechkigie fozialiftifche Angriffe zurück — Ratserkiürung über die Paratyphus-Fälle Dresden. 12. Oktober. In der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten wurde zunächst ein Schreiben des Rates verlesen, in dem eine kurze Ansrage der Kommunisten wegen der Paratyphus, er Kran kn ngen im Dresdner Ratskeller beant wortet wird. Darin wird gesagt, daß die Erkrankung ihrem Charakter nach als infektiöser Darmkatarrh einwandfrei fest- gestellt sei. Bisher seien 52 Erkrankungen bekannt geworden, davon hätten zivei zum Tode geführt. Die Todesfälle seien in der konstitutionellen Schwäche der Patienten, nicht in der In- sektion allein begründet. Die Erkrankten seien ausnahmslos am 2. Oktober im Ratskeller gewesen und hätten dort gegessen. Die Ermittelungen nach dem Ausgangspunkt der Infektion seien noch im Gange. — Die Bekämpfung der Krankheit werde nach den seuchenpolizeilichen Vorschriften durchgeführt. Die Ratskellerräume würden unter amtlicher Aufsicht entseucht, diese Mahnahmen erstrecken sich auch aus das Geschirr und die sonstigen Betrieüseinrichtungen. Es sei beabsichtigt, KUnstig eine laufende ärztliche Kontrolle des Personals durchzuführen. Ein zweites Schreiben des Rates besästiftigt sich mit dem Wasserhauptrohrbruch, der am 29. September am Wiener Platz stattgefunüen hat. In dem Schreiben wird sestgestellt, daß dis Schließung der in Frage kommenden Haupt rohrschieber 22 Minuten nach erfolgter Meldung durch die Feuerwehr vorgenommen worden sei. Es werde erwogen, ob man nicht die hauptsächlichen Schieber mit elektrischem Antrieb und Fernsteuerung versehen könne. Der Geschäftsbericht der städtischen Spar- Kasse wurde genehmigt. Nach dem Geschäftsbericht betrug das Vermögen der Sparkasse Ende 1927 40,9 Millionen Mark. Die Zahl der Sparer ist auf 127 986 gestiegen. Am 31. März M8 besaß jeder fünfte Einwohner Dresdens ein Sparbuch. Das Durchschnittsguthaben beträgt 288 gegen 418 Mark im Jahre 1913. Ter Entwurf einer Bekanntmachung über Licht spiel- Vorführungen wurde mit geringen Aenderungen angenom- men. — Vom Rat der Stadt wurde «ine Vorlage gefordert, durch die an Stelle des jetzigen Heims für Lungen kranke im Fiedlerhause eine günstigere Unterkunft geschaffen werden soll. Der tägliche Verpflegsatz soll von 1,50 Mark auf 2 Mark erhöht werden. Das D u ck w i tz h e i m - Grundstück an der Friedrichstraße soll unter Aushebung des Beschlusses der Stadtverordneten vom 14. Oktober weiter als Altersheim verwendet werden. — Eine Vorlage des Verwaltungsausschusses über Sch lensen bauten im Stadtteil Kaitz wurde genehmigt. Ein Antrag der Deutschen Volkspartei, die Stadtverord neten. die gemäß Z 70 der Geschäftsordnung zu einer Veranstal tung abgeordnet worden seien, auch zu verpflichten, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, wurde abgelehnt. Die Vorlage des Rates, die für das Volksbegehren „Pan zerkreuzerverbot" ein Berechnungsgeld von 45000 Mark vorsieht, verursacht eine längere Aussprache. Stadtv. Schneider (Komm.) verteidigte dieses Volksbegehren, während Stadt». Fischer II lDBP.) und Stadtv. Franke (Soz.) sich gegen diese Agitation wandten. Das Berechnungsgeld wurde bewilligt. Tann folgte noch ein kurzes Nachspiel zu dem bekannten Fall H ick mann. Vom Rat der Stadt wurde mitgeteilt, daß er beschlossen habe, die Dresdner Fllrsorgezöglinge aus den Hennen des Magdalencnhilfsvereines, bei dem Pfarrer Hick- manu bekanntlich tätig gewesen ist, zu entfernen. Die Links parteien beantragten, dem Jugendamt schärfste Mißbilligung darüber auszusprechen, daß die Berufung gegen das Urteil von seiten des Jugendamtes, das in den Prozeß Hickmann als Nebenkläger aufgetreten war. zurückgezogen worden ist. Stadt- mt Richter erklärte demgegenüber, daß vom Jugendamt alles getan worden sei. was nach Lage der Verhältnisse getan werden konnte. Es wurde aber entsprechend den Anträgen der Links parteien beschlossen. Der Rat wurde ersucht, den AiiÄmu des Maricnhofes zu einer umfassenden, den Dresdner Bedürfnissen entsprechenden Erziehungsanstalt vorzunehmen. * Die Linksparteien benutzten auch die gestrige Sitzung, um ihrer kirchenseindlichen Gesinnung Ausdruck zu geben Der Stadtv. Franke (Soz.) begründete einen Antrag. nach dem der Rat ersucht werden soll, unverzüglich dahin vor stellig zu werden, daß die Verordnungen des sächsischen evan gelisch-lutherischen Landeskonsistoriums Uber die Beerdigung von Selbstmördern dahin abgeändert würden, daß es allen er möglicht werde, auch die Beerdigung von Selbstmördern nach ihrem Willen in angemessener Form auszugestalten bezw. daß die betr. Verordnungen aufgehoben würden. — Bei der Begrün dung dieses Entwurfes polemisierte Stadtv. Franke in bekann ter freidenkerischer Manier gegen die angeblich)« Unduldsamkeit der Kirche. Stadtv. Englert (Zentrum) erwiderte sofort auf diese Ausführungen. Die Kirche sei keines wegs so unduldsam, wie das von sozialistischer Seite behauptet werde. Sie prüfe jeden Fall mit Sorgfalt. Wenn durch ärzt liches Zeugnis noä-gewiesen werde, daß der Selbstmord in geistiger Verwirrung erfolgt sei oder daß geistige Zerrüttung als sicher angenommen werden könne, so werde sie niemals das kirchliche Begräbnis verweigern. Dagegen lehne sie die kirchliche Beerdigung von Selbstmördern ab, die offensichtlich mit klarer Ueberlegung gehandelt hätten. Wenn die Sozialisten Beerdigungen von solchen Personen nach ihrer Art vornehmen wollten, dann werde niemand dagegen etwas einzuwenden haben. Stadtverordneter Englert warf dann die Frage auf, wie es denn überhaupt komme, daß der Selbstmord in der Gegenwart zu einem so großen sozialen Problem geworden sei. Die Selbstmordepldemle lasse sich nur erklären aus der Verbreitung der materialistischen Weltanschau ung. In Zeiten, in denen die Religion das gesamte Privat- und öffentliche Leben durchdrang, sei Selbstmord überhaupt etwas undenkbares gewesen. — Auf Zwischenrufe, die behaup teten, die Kirche habe kein Verständnis für das soziale Elend, wies der Redner daraus hin, daß die Kirche mit ihrer gewaltigen karitativen Arbeit täglich das Gegenteil beweise. Die Kirche sei jahrhundertelang der alleinige Träger der sozialen Fürsorge überhaupt gewesen und auch gegenwärtig sei die kirchliche Liebestätigkeit ein bedeutsamer Faktor, der von allen Seiten anerkannt werde. Es sei sonderbar, daß die Sozialisten aus der einen Seite Aufhebung der freien Liebes tätigkeit forderten und auf der anderen Seite sich über Mangel an sozialer Tätigkeit seitens der Kirche beschwerten. Der einzige Zweck des sozialistischen Antrages sei, die Kirchenaus trittsbewegung zu fördern. Er bitte deshalb um Ablehnung des Antrages. Stadtv. Leydel, der bekanntlich aus der Aufwerlungs- partei ausgeschlossen worden ist, fühlte sich bemüßigt, die all gemeinen Angriffe dos sozialistischen Redners gegen die christ lichen Kirchen auf die katholische Kirche insbesondere auszu dehnen. Er forderte, daß der Antrag Franke auch aus das Bis tum Meißen ausgedehnt werde. Bei dieser Gelegenheit kann darauf hingewiesen werden, daß Herr Leydel, von dem man annehmen könnte, daß er auf Grund seiner persönlichen Ver hältnisse Verständnis für christliche Weltanschauung besitzt, bei jeder Gelegenheit wo es um kirchliche Dinge geht, in den Reihen der Sozialisten und Kommunisten zu finden ist. Die Anregung des Herrn Leydel wurde natürlich von den Linksparteien gern ausgenommen. Stadtv. Franke polemi sierte in seinem Schlußwort gegen den Stadtv. Englert und holte dabei die ältesten Ladenhüter aus der Rüstkammer der proletarischen Freidenker hervor. Wenn es im Mittelalter keine Selbstmord« gegeben habe, dann habe die Inquisition wenigstens dafür gesorgt, daß genügend Menschen umgebracht würden IN. die Minderwertigkeit der Kirche sei schon durch di« große Zahl von schlechten Päpsten erwiesen usf. — Stadtv. Englert erwiderte, daß nach den Feststellungen der histori schen Forschung durch Sprüche kirchlicher Inquisitions-Gericht« höchstens 20 Todesurteile gefällt worden seien. In der großen Reihe der Päpste finde man höchstens zwei oder drei Unwürdige. Alles andere sei Phantasie. Der Antrag Franke wurde mit dem Zusatz Leydel an genommen. Selbstverständlich ist dieser Beschluß nur ein« schöne Geste, denn nach der Verfassung gibt es keine Mög- jichkeit für die Behörden, in die inneren Verhältnisse der Nelt- gionsgesellschaften einzugreifen, soweit sich die Neligionsgesell- schaften im Rahmen der Staatsgesetze halten. — Dieser Beschluß wird also ein Schlag ins Wasser sein, ebenso wie der Beschluß vom 19. Januar, die Sparte „Religionsbekenntnis" auf allen amtlichen Vordrucken der Stadt Dresden zu beseitigen. Zu diesem Antrag wurde mitgeteilt, daß diese Sparte beibehalten werden muß. daß diese Sparte auf Grund einer Verordnung des sächsischen Ministeriums beibehalteu werden muß. — Die Sitzung wurde V.40 Uhr geschloffen. Bayern und -ie Reichsresorm München, 10. Oktober. Zu der Denkschrift des Bundes zur Erneuerung des Reiches schreibt die Bayerische Volksparteikorrespon denz, daß die jetzt vorliegende Begründung der Vorschläge letzte Klarheit darüber schasse, daß hier ein Weg anfgezeigt werde, der an das Grab der Idee eines großdcutschen söderativen Staates naturnvtwcndig führen müsse. So sehr Bayern den Einheitsstaat als Organisationstyp ablehne, so sehr gelte Bayerns Liebe dem Süden, einem Deutschland, das man im Begriffe sei, in zweierlei Deutschland zerlegen zu wollen. Einmal sei die deutsche Geschichte schon diesen verhäng nisvollen Weg gegangen. Wolle man ihn nochmals gehen? Der Weg, den Dr. Luther weise, könne nicht der Weg des deutschen Südens sein. Aber, gesetzt den Fall, er würde gegangen, so würden die Sicherungen, die in den Richtlinien den süddeutschen Ländern gegen ein Erdrücktwerdcn durch das um gewandelte Preußen angeboten werden, keineswegs aus reichen. Wolle man schon ein zweierlei Deutschland, so müsse man dem schwächeren Teil soviel geben, daß er nicht dauernd mit dem Ersterben in Ohnmacht bedroht werden könne. Daß die Reichsreformpläne Dr. Luthers in Süd deutschland, vor allem in Bayern, nicht von vornherein auf begeisterte Zustimmung stoßen würden, war voraus zusehen, auch wenn man von den Kreisen ganz absieht, deren politisches Bekenntnis sich auf eine arundsäkliche Ablehnung alles dessen, was aus Norddeutschland kommt, beschränkt. Trotz alledem: Die Reform des Reiches ist ein sehr ernsthaftes Problem. Die Bedenken, mit denen die ernst zu nehmenden politischen Kreise Süddeutschlands den Vorschlägen gegenübertreten, verdienen daher eine ruhige Würdigung. Sind sie doch eingegeben von der Sorge um die Zukunft des deutschen Vaterlandes, die uns alle erfüllt, und die auch die Mitglieder des Bundes zur Erneuerung d.'S Reiches bei ihrer Arbeit geleitet hat. Auch in Süddeutschlaud gibt man zunächst zu, daß der Aufbau des Reiches einer Erneuerung be» darf. Man übersieht aber, indem man den Blick allzu« sehr auf die näher liegenden häuslichen Fragen richtet» allzu leicht, daß das Kernproblem des Neuaufbaus das Verhältnis zwischen dem Reich und Preußen darstellt, und daneben die Zerstückelung der nichtpreußischen Länder Norddeutschlands. Demgegenüber verfügen die süd deutschen Länder über ein im allgemeinen gut ab gerundetes Gebiet. Dieser Tatsache haben auch alle bis herigen Reformvorschlüge Recknung zu tragen ver sucht, indem sie sich mehr oder weniger auf Norddeutsch land beschränkten. Wir wollen keine Wieder aufrichtung der Mainlinie. Dazu können auch die Pläne Luthers nicht führen, wenn man nicht im Süden durch ein übertriebenes Mißtrauen eine psycho logische Scheidewand aufzurichten sucht. Wir wollen auch kein Eroßpreußen, n.e es der „Bayerische Kurier" irrig hinter den Plänen Luthers aufsteigen sieht. Daß diele Befürchtung unbegründet ist. geht schon daraus Troilus und CreMa Erstausführung des Dresdner Schauspielhauses. Hand aufs Herz! Die Hälfte aller Zuschauer von gestern abend wird bisher keine Ahnung gehabt haben, baß ein Stück von Shakespeare mit dem Titel „Troilus und Cressida" überhaupt eiisticrc, ganz wenige werden cs gelesen haben und auf der Bühne gesehen hat's sicher noch keiner. Im Urteil der Literarhistoriker bleibt nicht viel Gutes hafte» an dem Stück. Jpimer hat man es zu den schwächsten Stücken dcz Dichters gerechnet, zu den „Ncbenwerken", und die Jüngeren haben das bewundernde Lob Goethes nicht mehr »»siehe» können. Man hat allmählich in „Troilus und Cressida" eine Parodie auf die homerischen Helden erblickt, die freilich nich! be stimmt genug war, wenigstens nicht in dem Sinne wie seit Offen- bachs Qpercttcn klassische Parodie gemacht wurde. Man hat gewisse satirische Qualitäten und die Drastik der Sprache in Paranthcse er wähnt, hat sich aber vor allem daran gestoßen, daß das Drama völlig Mdramaüsch und in seiner ganzen Ausführung „»künstlerisch sei. Ludwig Weber sagt sogar, daß in dem Stück der Pessimismus «ine Form angcuommen habe, die mit Literatur absolut nichts mehr zu tu» habe. Andere wieder halte» es für langweilig und den Gegen stand der Handlung für gänzlich belanglos und uninteressant. Dennoch habe» sich bedeutende Literaten immer wieder mit Troilus und Cressida befaßt. Haben das Stück neu bearbeitet, neu übersetzt und der deutschen Bühne zuriickgcwinnci, wollen. So Lin. bau. Ernst v Wolzogen und in neuerer Zeit Wichel,n von Scholz. Und die jetzige Aufführung unter dem für solche Dinge als Autorität anzusprechenden Spielleiter Josef Gielen hat erwiesen, daß doch „elnws dran" ist und daß der ,/rlie" Goethe scheinbar doch mit seinem Lob recht hatte. Er bewunderte ja gerade die innere Freiheit Shakespeareschen Geistes, die sich hier offenbart und zumal in der Zeit der Entstehung des Stückes künstlerischen Mut verlangte. Denn m!t der Parodie ist cs nichts und Julius Bab, einer der modernsten Shakespeare-Bearbeiter rubriziert Troilus »nd Cressida mit Recht unter die „Werke der Verfinsterung". Darin steht es dann neben „Timon" und „Antonius und Kleopatra". ES ist die Vorausahnung d» Dekadenz, des ärgsten Pessimismus, die von Shakespeare — zu gegeben unter dem Eindruck persönlicher Erlebnisse — an unzeit lichen, in dos Gewand der Helden vor und in Troja gehüllten Per sonen gezeigt wird, in Wirklichkeit aber seine Zeit und ihre Men. scheu schildert. Ob Shakespeare Homer überhaupt gekannt hat, kann m. E. dahingestellt bleiben. Parodiert hat er ihn sicher nicht. Die krassen Charaktere sind auch nicht als die bitteren Kehrseiten griechisch, trojanischen Rittertums oder besser Herrentums überhaupt auszu legen. Und die Einkleidung des Stoffes ins klassische Gewand ist einfach das Erziehungs- und Bildungsprodukt, meinetwegen der Ge schmack der Zeit Shakespeares. Ein anderes Buch der damaligen Zeit (freilich ebenso mißverstanden) wollte auch alles andere als eine Parodie sein: der Don Quichote des Cervantes. Und wenn man'S recht besieht, kann dieser Ritter von der traurigen Gestalt (wie wie derholt bei Shakespeare) Anreger gewesen sein. Alle diese trojanischen Helden erscheinen uns unwirklich als bohle Phrasenhelden, Lügner und gemeine Schufte. Voll bitterster Ironie das Liebespaar, Troilus als zweiter Romeo und Cressida als feile Dirne. Man möchte ehrlich staunen, daß derselbe Dich. tcr, der dem reinen Eros ein so herrliches Denkmal setzte, diese Kehr seite überhaupt zeichnen konnte. Dann die einzelnen Helden: Aga memnon als kindischer Duodezfürst, Nestor als eitler Schwäher, Ulysses als zivar gescheiter, aber niedriger und intriganter Diplo mat, Ajax als dummer Bramarbas, Achill als verbuhlter, tatenloser Mordbubc, Hektar als zivar aus edlerem Holze geschnitzter, aber stets versagender Friedensheld. Aencas als Typ des phrasenreichen Höf lings und die im Kern weiblichen Wesens angefaulten Frauen, sie stellen eine unzeitliche Welt vor, eine Welt, in der der Dichter lebte und die ihn mit bitterster Verachtung erfüllt hat. Zwei Gestalten dagegen sind wirklich und echt: Troilus und Thcrsites. Jener ein echter Ritter und strahlender Jüngling, wahr und kindlich-einfach, so unkompliziert, daß er die raffinierte Dirne Cressida nicht erkennen kann. Es ist di« Tragik deS echten, guten Mannes, der die Schlechtigkeit seiner Geliebten nicht zu glauben im stande wäre. Das ist sehr sein beobachtet vom Dichter und wiederholt sich auch heute alle Tage. Dhersites dagegen ist der schon äußerlich Gezeichnete, dem Ehre nichts gilt und der seine eigenen Voraus setzungen in dieser Beziehung auch bei allen anderen Menschen an- wendet. Trotzdem ein Menschenkenner und auf Gruud dieser Kennt nis ein Schuft schlimmster Sorte, von dem nur Böses kommt. Die Zeichnung dieses Charakters ist eines der bedeutendsten Meisterstücke im ganzen Schassen Shakespeares. Ihm kann nur der allerdings gut. mutige aber ebenfalls auf Betrug ausgehende Falstaff zur Seite ge stellt werden. Der Ausgang des Stücks bringt keine erschöpfende Löping. Man ist unbefriedigt wie es der Autor über die Dinge war, die er schilderte. Der Nest ist Lachen. Aber eS ist ein böses, entrüstetes, ein giftiges Lachen. Rede mir niemand mehr von einer Parodiel Der sprachliche Stil, den die Kritiker nur so nebenher anerkannten, steht m. E. sehr im Vordergründe. Die Aufführung macht das noch deutlicher als die Lektüre. Deswegen und wegen der ganz bedeuten- den dramatischen Technik, die Szenen steigert und rotglühende Spitzen zur Weißglut entfacht, hat man sich heute auf Troilus und Cressida besonnen und: Goethe hat recht belprlten. Eine Aufführung dieses so gründlich mißverstandenen Stücke» in unseren Tagen ist kein Kinderspiel. Dinge, über die man sich vor 20 Jahren noch mit Leichtigkeit hinwegsetzte, unverdaute Episoden, die man mit Pathos zuzudccke.» pflegte, treten heute in den Vorder grund. Bei einem so zwiespältigen Stück entstehen deshalb Forde rungen, die nur ganz erstklassige Darsteller und ganz bedeutende Spielleiter erfüllen können. Wir haben in Dresden beides und I o. sef Gielen steht bekanntlich immer dann erst eine Ausgabe, wenn cs gilt, Skrupel zu tilgen und künstlerisch zu überzeugen. Das Feld war für ihn diesmal besonder? dankbar. Das geht ja schon genügend auS der widersprechenden Auffassung der Kritiker hervor. Auf der eine» Seite mußte alles Parodistische vermieden werden; das ist bei den kaustischen Witzen und dem gallischen Spott Shakespeares schon ein Kunststück. Auf der anderen Sette mußte aber erreicht werden, daß die seriösen Szenen auf die humorvollen nicht wie krepierende Granaten aufschlogen und sie vernichten und schließlich mußte auch das erotische Moment neuzeitlich beleuchtet sein, um di« psychologi schen Zusammenhänge klarzulegen. An Stelle der Parodie setzte dieser Regiemeister die Groteske. Nlan mußt« die Uebcrlrcibung, die ja In ihrer höchsten Potenz wieder Wahrheit zu werden pflegt, fühlen lassen. Kostüm und Maske hat hier Vorbildliches geleistet. Und die Austvahl aus dem Ensemble ist vortrefflich gelungen. Dann mußte aber auch dem klassischen Pathos der ernsten Szenen ein Dämpfer aufgesetzt nwrden, der ausgleichend wirken sollte. Das alles ist ge lungen. Ich will nicht sagen restlos, manche Abschleifungen werden noch nötig sein, doch sind sie im Vergleich zum Ganzen zunächst nicht übermäßig wichtig. MahnkeS Bühnenbilder passen sich dieser Auf fassung an. Sie sinh ebenso bunt wie einfach, ebenso humorvoll wie