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Sächsisch? Dolkszeitung 2». Oktober «92t, Nach -en Memoiren Poineares In dem zweiten Bande seiner Memoiren, der in wenigen Tagen im Verlag von Paul Aretz, Dresden,*) erscheint, schildert Raymond Poincarö die Jahre 1913 und 1914. Besonders breit behandelt er die Tage vor Kriegsbeginn, um seine Behauptung von der Allein- schuld Deutschlands als richtig zu erweisen. Um unseren Lesern eine Probe der Art zu geben, in der Poincarä argu mentiert, geben wir hier die wichtigsten Abschnitte aus dem Schlußkapitel wieder, das den Eindruck der deutschen Kriegserklärung in Paris schildert. Wie wir hören, wird von deutscher Seite in Kurze eine Erwiderung erscheinen, die Poincards Darstellung im einzelnen widerlegt. D. Red. Nach dem Kriege hat der deutsche Untersuchungsausschuß und Graf Montgelas alle Archive des Preußischen Generalstabes durch forscht. Wie Rcnouvin bemerkt, ist bisher kein Schriftstück zutage gekommen, ans dem sich, selbst für den 3. August, ein zusammcnhän. gendes Vorgehen sranzösischer Aufklärer aus elsässischem Gebiet er geben hätte. Man hat nichts gefunden, was man den methodischen Einfällen der deutschen Kavallerie bei Belsort oder i» Lothringen gegenüberstellen könnte. Hier und da sollen beiderseits der Grenze Schüsse gefallen sein; am 3. August soll ein französischer Chasseur „zwanzig Meter von der Grenze auf deutschem Gebiet" gefallen sein; fünf französisch« Infanteristen sollen aus großer Entfernung auf der Straße Wcsserling—Sträßcl gesehen worden sein. Gesetzt, diese Tat sachen wären erwiesen was nicht der Fall ist, wie hielten sie dann einen Vergleich mit denen aus, die auf französischem Gebiet, in Zoncherey und anderswo, festgestellt sind? Am 3. wurden deutsche Reiter noch bei Coincourt, Nechicourt-la-Petite und Nemereville ab geschossen, und bei einem von ihnen, einem Offizier, fand sich ein Palrouillenbefehl, bis auf Saint-Nicolas-du-Port vorzustoßen. Am selben Tage warf ein Flugzeug sechs Bomben auf Lunevllle. lien in einen Krieg gegen Serbien hineinziehen wollte. Es ist nicht Frankreichs Schuld, daß Oesterreich in dem Attentat von Sarajevo eine Gelegenheit zur endgültigen Verkleinerung Serbiens gesehen, daß Deutschland, statt seinen Verbündeten aus die Gefahren dieses Unternehmens hinzuweisen, ihm Ellbogcnsreiheit gelassen hat, sei es aus Gefälligkeit, sei es aus dynastischem Interesse, sei es infolge der gemeinsamen Orientpolitik, und daß das gemeinsame Vorgehen der beiden Mittelmächte im Herzen Europas die Vorbedingungen für einen allgemeinen Zusammenstoß geschaffen hat. ES- ist ebensowenig Frankreichs Schuld, daß die Kriegserklä rung Oesterreichs an Serbien, wie zu erwarten stand, die slawischen Völker tief erregt und Rußland zum Eingreifen bestimmt hat. Es ist weder Frankreichs Schuld noch die der Regierung der Republik, daß Oesterreich, obwohl es sein territoriales Desinteressement er. klärte, tatsächlich die reiflich erwogene Absicht gehabt hat, Stücke von Serbien zwischen Bulgarien und Illbanicn aufzuteilen, daß Ruß land in deutlicher Voraussicht dieses Zerstörungsprogramms es für nötig gehalten hat, mit einer teilweise» Mobilmachung darauf zu antworten, und daß «z dann ans technischen Gründen, trotz Vivianis drängenden Abmahnungen, dahin gelangt ist, die allgemeine Mobil machung zu befehlen. Es ist vor allem nicht Frankreichs Schuld, noch die der Negierung -er Republik, daß Oesterreich sich zuerst allen Vermittlungsvorschlägen systematisch entzogen hat und daß es noch einer Anwandlung größerer Versöhnlichkeit zu seiner Unnachgiebig- keit zurückgckehrt ist, daß Deutschland selbst, nachdem eS ins Feuer geblasen und dann einen Augenblick cs zu löschen versucht hat, neuen Zündstoff hineingeworfen und schließlich durch zwei Kriegserklärun gen, die cs wenigstens aufschieben konnte, die Katastrophe unvermeid lich gemacht bat. In Deutschland bat man immer wieder behauptet: „Rußland hat zuerst mobil gemacht, und die russische Mobilmachung war der Krieg." Wir haben gesehen, unter welchen Umständen Rußland mobil gemacht hat, fast gleichzeitig mit Oesterreich, und daß es hat wissen lassen, daß es zu Verhandlungen bereit bleibe. Zweifellos hat der General Boisdeffre Im Jahre 1892, als unsere ersten Militärkonventionen zustande kamen, ohne deshalb die beiden verbündeten Mächte jemals als Angreifer erscheinen lassen zu wollen, selbst die kurze Formel gebraucht: „Die Mobilmachung ist der Krieg." Aber unter Kulturvölkern läßt sich diese Gleichsetzung weder juristisch noch tatsächlich rechtfertigen. Die Mobilmachung ist ein innerer Vorgang, und dem Volke, das sie anordnet, steht es frei, ihr keine blutige Folge zu geben. Erst die Kriegserklärung führt den Kriegszustand herbei. Ich setze hinzu, und diese Betrachtung wird oft übersehen, ob wohl sie ausschlaggebend ist: Beim Vergleich der Dreibundsverträge mit dem französisch-russischen Bündnisvertrag ergibt sich, daß nur die elfteren das Allgemeinwerden des Krieges herbeigeführt haben. Wären nur Rußland und Oesterreich in Konflikt geraten, so hätte Frankreich nach Artikel 2 und 3 der Militärkonventionen von 1893 mobilmachen, aber keineswegs Krieg führen müssen. Nur da- Eingreifen Deutschlands machte es uns nach d«m Wortlaut des Ver trages zur Pflicht, uns zu schlagen. Im Gegensatz dazu sah der Dreibundvertrag vor, daß Deutschland selbst dann etngreifen mußte, wenn Oesterreich nur mit Rußland in Konflikt geriet. Das „Spiel* der Bündnisse war also derart, daß ein Krieg zwischen Oesterreich und Rußland uns nicht zu marschieren zwang, wenn Deutschland sich nicht rührte, wogegen er Oesterreich das Recht gab. Deutschlands Bei stand zu fordern. Der Dreibund war eS, der in dieser schwerwiegen den Bestimmung den Explosivstoff enthielt. Nein, keiner der französischen Politiker hat sich etwas vorzu« werfen. OL sie im Juli 1914 oder vorher Minister waren, alle, di« Frankreichs Schicksal in Händen hielten, können erhobenen Hauptes vor die Geschichte treten. In keinem Augenblick haben sie di« Sach« des Friedens verraten, sich gegen die Menschheit versündigt. Die Schuldigen sind die österreichische Regierung, die Serbien den Krieg erklärt hat, und die deutsche Regierung, die ihn nacheinander Ruß land und Frankreich erklärt hat und die jetzt die belgische Neutralität verletzt. Sie ist unentschuldbar, denn die Schnelligkeit ihrer Mobil machung läßt Ihr auf jeden Fall einen Vorsprung. Bis zur Kriegs, erklärung ließ sich allez noch retten. Nach ihr war alles verloren- Wünsche an -en Parteitag UebrigenS wäre es müßig, diese Debatte fortzusehen. Keine Beschwerde, weder in Schoens Note, noch i» den Instruktionen, die er erhalten hatte, ist begründet, und man hat niemals den Verstirb «macht, die schwersten zu rechtfertigen: die Zerstörungen bei Wesel, ie llcbcrfliegung der Eifelgegend, die Bomben auf die Eisenbahn bei Karlsruhe und bei Nürnberg. Schoens Ehrlichkeit war denn auch durch die elenden Vorwände seiner Regierung tief verletzt; in seinen Memoiren hat er folgende Worte geschrieben, die di« nüchternste mck «ererbteste Anklage darstcllen: „Der zu unternehmende Schritt war zu folgenschwer, um nicht eine sorgsame Prüfung seiner Unter lage» zu erfordern. Selbst dann aber, wenn die behaupteten feind seligen Handlungen alle tatsächlich gewesen wären, so war es doch gewagt, ihnen die Bedeutung einer kriegerischen Angrifssbewegung beizulegen." Aber die deutsche Negierung nahm es nicht so genau. Sie hatte cz eilig und suchte hastig »ach Gründen. Beim nochmaligen Lese» der Kriegserklärung wenden Vivia''! und alle Minister in verschiedener Weise auf Wilhelm den Zweiten und seine Ratgeber den Spruch an: „Wen Gott verderben will, den schlägt er mit Blindbcit." Wie kann die kailerliche Negierung schon beim Ansbruch eines so furchtbaren Konfliktes die Ehrbarkeit der Mittet dem Zweck opfern, den ihr Größenwahn ihr seht? Angesichts dieses verblüffenden Mangels an Gewissen prüfen wir im Rat unser eigenes Gewissen und haben alle das sehr deutliche Gefühl, daß wir uns nichts vorzuwerfen haben. Es ist gewiß nicht Frankreichs Schuld, daß Oesterreich durch die Einverleibung Bosniens und der Herzegowina gegen den Willen der Bevölkerung schon 1908/09 aus dem Balkan und in seinem eige nen Reiche Keime von Revolution und Wirren gesät hat. Es ist gewiß nicht Frankreichs Schuld daß die Doppelmonarchie sich nie mit dem Vertrage von Bukarest abgefunden hat, daß sie 1913 Jta- *) Raymond Poincarö , Memoiren, Band 2: D e r Ausbruch der Katastrophe (Paul Aretz Verlag, Dresden; kort. 9,50 Mark). Der Reichsparteitag, diese letzthin entschei dende. höchste Instanz einer jeden, nach demokratischen Grundsätzen organisierten politischen Partei, hat Auf gaben zweifacher Art. Er hat die Beweggründe der politischen Arbeit der Fraktion anzuhören, aber er hat mehr noch, ja sogar in erster Linie, eine Klärung darüber herbeizuführen, was Inhalt und Ziele des politischen Wollens unseres Zen trumsvolkes ist und welche Wege zur Erreichung dieser Ziele beschritten werden können. Er soll also gewisser maßen eine Plattform sein, auf der sich zwischen den Wahlen Abgeordnete und Volk zum Austausch ron Mei nung und Wunsch von Zeit zu Zeit treffen. Es gibt viele Leute, die glauben, der Zweifachen Aufgabe würden die Parteitage nur selten gerecht. Sie böten zwar immer den Abgeordneten Gelegenheit, ihre persönliche Leistung vor den Delegierten der Wählerschaft auszubreiten, aber die Delegierten selbst kämen fast nie dazu, auch ihrerseits den Abgeordneten so, wie es wünschenswert wäre, zu sagen, was die Partei von ihren Parlamentariern erwartet. Wir wollen hier nicht untersuchen, inwieweit die Kritik ihre Berechtigung hat, wir stellen nur fest, daß sie da ist, wir knüpfen daran eine Bitte. Die Leitung der'Zen trumspartei möchte dieser Kritik jeglichen Boden ent ziehen und den kommenden Reichsparteitag noch mehr, als das bei früheren Anlässen der Fall war, auf die Ent gegennahme der Wählermeinung abstellen. Auch der Stimmenverlust vom 20. Mai, der in einer gewissen Ent fremdung zwischen Wählerschaft und Volksvertretung seinen Grund hat, drängt ja in dieselbe Richtung. Der AusfallderWahlenhat mit voller Klar heit bewiesen, daß die politischen, sozialen und kulturel len Kräfte des Volkes auseinanderstreben und daß auch der Körper der Zentrumspartei zum Teil von dieser Zer setzung erfaßt ist. Deshalb würden wir raten, den kom menden Parteitag mit einem grundlegenden Re ferat zu eröffnen, das von einem klugen und scharf blickenden Nichtparlamentarier gehalten, die ganze Weite des in der universalen katholischem. Welt auffassung wurzelnden Zentrumsgedankens aufszeigt, das unsere Grenzen nach rechts und links festgel.<egt und das auch den Schwankenden von der Notwendigkeit eines lebendigen Gemeinschaftsbewußtseins auch iim Politischen überzeugt. Wenn dieses Referat dann in ^ausreichender Diskussion ergänzt und vertieft wird, we^n die Uc-er- organisationen der Zentrumspartei ihre Delegierten be auftragen. die Diskussion auch ihrerseits« vorzubereiten und sich rege an ihr zu beteiligen, dann Dürfen wir uns von diesem Teile des Parteitages eine weitgehende Wir kung hinsichtlich der Festigung und Ausbreitung des Zentrumsgedankens versprechen. Der zweite Teil des Parteitages müßte dann der Besprechung aktueller politischer Pro bleme gewidmet sein. Die parlamentarische Arbeit des Bruno Franks ,Perlelrkomö-ie* Staatl. Schauspielhaus Dresden. Also: nun hat auch das staatliche Schauspielhaus in Dres den seinen „Hexer" oder „Geisterzug", seine Sensation, zu deren Erhöhung nur noch fehlt, daß die Theaterkanzlei das p. t. Publikum, wie's jetzt üblich ist, bitten läßt, die Pointe nicht zu verraten. Mit „Zehntausend" war kein großes Geschäft zu machen, — wird sich der Dichter gesagt haben — versuchen wir's daher mit dem Spannungs stück! Zuerst tvar etlvas von einem „Gesellschoftsstück" demoniert worden. Da man dabei an ein „Konversationsstück" denkt und Geist erwartet, erfolgte die ganz literarisch onmutende, aber unverbindliche Bezeichnung „4 Me". So macht man das heutzutage. Schließlich wird Frank auch dem Folge geleistet haben. Etwas für alle. „Alle" sind diejenigen, die gestern abend begeistert „Bravo" brüllten uns denen Paul Oskar Höcker mit seinem „Schönen Fritz" einfach der Amor ist. Dagegen kann man nichts machen. Item: Der Industrielle Erwin Siethosf hat seine schöne un- liebenswerte Frau so ziemlich satt. Nach einem Souper, das er Freunden gab, wünscht sie eine Aussprache. Sie ahnt etwas. Aber er ist müde und geht in den Klub. In Wirklichkeit geht er zu Cora, der Geliebten, die ihn rufen ließ. D. h. sie rief ihn gar nicht. Sondern wer anderer. Wir werden gleich sehen. A tempo erscheint wie im Film ein maskierter Herr und nimmt der fürchterlich er schreckenden Frau Vera ihr prachtvolles Perlenhalsband ab. Siet, hoff, der verärgert nach Hause kommt, läßt die Polizei zunächst un geschoren Er weiß warum. Am nächsten Morgen ist Mack da, ein Gast vom vorigen Abend, der Frau Vera den Hof macht. Er ist Archttckt und Bummler, liebt Frau Vera und hatte die Sache mit der Maske gedreht. (Aber dos wissen zunächst nur wir im Publikum!) Er gesteht seine Liebe und manipuliert so, daß Vera merken soll, er wisse etwas. Dann kommt ein Detektiv, der nichts weiß. Und dann geht Mack zu Fra» Cora, der Geliebten Siethosfs, und reizt sie so lange, bis sie damit herausrückt, daß nicht Vera, sondern.^fie die echten Perlen hat. Der Kavalier Siethoff hat sie seiner Frau geklaut und eine Imitation eingeschmuggelt. Ein Teufelskerl, dieser Mack: er hat genau gewußt, in welchem Augenblick Cora ihm die Perlen zeigen würde und schon wieder jemand bestellt, der die Besitzerin anruft und ihm die Möglichkeit eines Umiausches schafft. Und dann kommt die ganze Geschichte raus. Niemand kann etwas machen. Mack Hot gesiegt. Und Vera errungen. Ergo: macht keine solchen Perlengeschichten! Denn wenn das Schicksal genau so raffiniert ist wie Bruno Frank, kommt's an den Tag und es ist doch eine verteufelte Sache, daß daraus eine Komödie werden kann. Im Ernst, Herr Bruno Frank: trotz der Bravorufe von gestern abend wage ich zu behaupten, daß der „Gei. sterzug^und „Hexer" zehnmal besser waren, Schon weil sich die bei den Stücke nicht hinter einem literarischen Mäntelchen verbargen, weil sie ehrlich und offen Sensation und nur Sensation sein wollten und weil sie wenigstens den Denkapparat ein klein' bissel anstreng ten. Diese Mischung auS allen möglichen Jngrcdizien, die für eine Kinnkomödie genügt hätte, wird auf der bedeutsamen Bühne der Dresdner Schauspielhauses noch mehr entlarvt und dem Kenner be deutet das gestrig« Bravo ein fatales Urteil. Kein freisprechendes. Aber: Mit der Aufführung wurde es gemacht. Josef Gie - l e n hatte die richtigen Leute hingestellt und bei denen darf sich der Autor sehr, sehr bedanken. So Al i c e V e rd e n, die der Vera allen Liebreiz abzugewinnen versteht, so Grethe Volckmar, die «int ihrer pompösen Frauen spielte, vor ollem aber Adolf Wohl, brück. der einfach unbezwinglich ist als Liebhaber und Bonvivant. Hoff mann mimte den traurigen Helden mit Verstand und Schröder war der komische Detektiv. Die Ausstattung war sehens wert. Man hat sich offenbar für längere Zeit etabliert. „Kann man wissen.?" Zck. Haaß-Berkows Künfilersplcle, die sich ziemlich lange in Dres den nichl sehen ließen, gastieren zur Zeit wieder einmal im Vercins- hauS. Die Künstlerschar, die den Weisungen eines um die Belebung der mittelalterlichen Mysterienspiele außerordentlich verdienten Man nes mit bemerkenswerter Hingabe und ohne dos, was man gemeinhin „Routine" nennt, getreulich folgt, ist vortrefflich eingespielt. Haaß- Berkow brachte diesmal das Paradeisspiel, ,^das alte Spiel vom Sündensoll auS Oberufer bei Preßburg" und den von ihm selbst verfaßten „Totentanz" mit, der eine Sammlung von Totentanz motiven enthält in künstlerischer Rundung verwendet. Neu war das nicht für Dresden, aber aus die Zuschauer wirkten die Spiele wie neu und vermittelten ihnen andächtige Stimmung. Komödie. Nun ist auch das neueste Sensationsstück „Der Pro- zeß Mary Dugan" in Dresden eingezogen und es scheint, daß er voll« Häuser machen wird. Es ist viel gestritten worden über dis hier vertretene Weltanschauung und über die unerhörte Kritik, die am Richteramt geübt wird. Wir tn Deutschland und im übrigen Europa kennen diese Dinge noch nicht, aber für Amerika ist das Ganz« symptomatisch. Der Amerikaner steht in dem Stück keine Ver höhnung der Travestie, sein ganzes Sinnen und Trachten ist so von der Materie beeinflußt, daß er in jedem Falle Beruf gleich Geschäft setzt. Zwar ist er im Geschäftsleben fair und sein Beamtentum ist unbestechlich, aber der Erfolg triumphiert über alles. Und zur Er langung des Erfolges ist eben jedes Mittel „fair". Wenn man dazu nimmt, daß der Amerikaner auf seiner Bühne überhaupt nur die Sensation gelten läßt, kann man sich vorstellen, daß dieses Stück drü ben als ernsthafte Angelegenheit betrachtet wird. Wie ein Geschäft spielt sich auch das Gerichtsverfahren ab. Jedwede Feierlichkeit wird unterbunden und die Eidesformel, die heruntergeplappert wird, be zeichnet den Ton, der hier die Musik macht. Hinzukommen nun noch die geradezu entsetzlichen sozialen Verhältnisse der United States, die denjenigen, der nicht genug verdienen kann, dem Elend tn die Arme treiben. Das soll wohl in dem merkwürdigen Leben dieser Mary Dugan znm Ausdruck kommen, die zur Religion im negativen Verhältnis steht Stehen muß. Denn nur die katholische Kirche ist dort drüben ein Begriff, die Nichtkatholiken spalten sich in ungezählte Lager und Sekten, die einander befehden. All das führt zu solchem Leben und zu solchen Konsequenzen. Soweit das Symptomatische. Die Sensation beginnt mit einer Urteilsverkündung gegen eine Dirne und deren hysterischen Schreien. Das hält Mr. Bayard Veiller, der Autor — er soll Rechtsanwalt sein — für den rechten Auftakt. Dann folgt in 3 Etappen der Prozeß Dugan, der endlich zum Aufatmen und zum günstigen Ausgang führt. Ich sage endlich, denn kurz weilig ist das umständliche'Zeugenverhör durchaus nicht. Es zeigt trotz der sicher starken Bearbeitung Rudolf Lothars die Hilflosigkeit des Autors im dramatischen Aufbau, wie überhaupt da? Ganze eine