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Aas dem Inhalt, Oscar Klein: Rechtspflege vergangener Zetten. Albert Letttich-Wte«: Ewige Gewalten. Al. Smirnow: Furcht. v. M. Frey: Der alte Uhrmacher. Kafpar Ludwig Merkt: Eine zugeftoren« Tür. Rechtspflege vergangener Zeilen Recht muß Recht bleiben, so hieß es von jeher, und daß es Recht bleib«, dafür sorgte die Justiz oder sollte wenig stens dafür sorgen. Und sie gab sich in ihr«m Sinne auch redlich« Mühe damit, leider aber reichte ihr Arm nicht über all hin. und es war eine Zeit, in der daher die Selbsthilf« angebracht, ja, sogar geboten war. Diesem Bedürfnis ent sprang u. a. die Feme, die es einst I486 fertigbrachte, auf die Klage des Freischöffen Meister Steinmetz alle über 18 Jahre alten Mannspersonen des Hochgerichtes Walters- burg in Eraubünden für geächtet und vogelfrei zu erklären, nachdem das heimliche Gericht bereits 1471 den Kaiser Friedrich III. vor seinen Stuhl geladen hatte. Di« Feme kannte bekanntlich nur Tod oder Freispruch, die Folter war ihr noch fremd und ist erst seit der zweiten Hälfte des Mittelalters in Gebrauch gekommen. Dann freilich Schrecken erregend, lange Jahrhunderte hindurch. Ja, im Bayerischen Gesetzbuch des Kreittmayer, 1751 herausgekom men, ist die Tortur noch erhalten, sollte zwar „nur" drei mal widerholt werden, ward aber bei Widerruf des Gemar terten stets neu angewandt, ihre völlige Aufhebung in Bayern erfolgte erst 1806. Noch 1826 ist im Amt Mein ersen in Hannover ein Händler namens Wiegmann gefol tert worden, der im Verdachte stand, zwei Pferde gestohlen z« haben, und die offizielle Aufhebung der Tortur in Han nover erfolgte sogar erst 1840 gerade 100 Jahre nachdem Friedrich der Große sie am 3. Juni 1740 in Preußen abge schafft hatte. Es wär« aber eine große Ungerechtigkeit, die freilich meist immer begangen wird, sich die Richter, die einen Angeklagten zur Tortur verurteilten, als herzlose Bösewichte und nur als solche vorzustellen, meist waren es ehrenwerte Leute, die der Wahrheit zum Siege verhelfen wollten, und in den Anschauungen ihrer Zeit befangen, so handelten, wie sie es taten, wenn es auch natürlich — aber doch nur in wenigen Fällen, Ausnahmen gab. War die Untersuchung abgeschlossen, und erfolgte «in Todesurteil, so mußte dasselbe nach altem deutschen Recht noch bei scheinender Sonne vollstreckt werden. Und so trat vor der Hinrichtung der Henker vor den armen Sünder, und bat ihn für das, was er an ihm tun müsse, um Vergebung, die ihm auch fast stets gewährt wurde. Nach der Exekution hatte der Scharfrichter, das blutige Schwert in der Hand, vor den Richter zu treten und zu fragen .Habe ich recht gerichtet?" Worauf die Erwiderung erfolgte „Du hast ge richtet, wie Urteil und Recht gegeben, und wie es der arme Sünder verschuldet hat," was der Henker mit „Dafür danke Ich Gott und meinem Meister, der mir diese Kunst gelehrt," beantwortete. Sie war freilich nicht ungefährlich, diese Kunst, denn macht« der Henker einen Fehler bei der Hin richtung, so konnte es geschehen, daß ihn das wütende Volk in Stücke riß. Uebrigens gehörte im Mittelalter jeder Zehnte zum Tode verurteilte Verbrecher, in einigen Lan desteilen wenigstens, dem Henker, der ihn Köpfen oder freilassen konnte, was dem armen Sünder natürlich schwe res Geld kostete. Der Strafe ledig und frei war jeder Missetäter auch, wenn er vor Zeugen das Gewand des Kaisers berühren und küssen konnte, wozu er freilich wohl selten Gelegenheit gehabt haben wird. Auch wer aus einer Stadt verbannt war, konnte, wenn es ihm gelang, den Zügel oder Schweif des kaiserlichen Pferdes zu erfassen, frei und unangefochten wieder in die Stadt zurlllttehren. Warum nicht auch, es blieben ja immer noch genug Todes kandidaten übrig, hat sich doch der Basler Henker gerühmt, im Bauernkriege über 500 geköpft zu haben. Originell ist es, daß in Frankfurt 1466 ein zur Hinrichtung mit dem Schwert verurteilter Delinquent statt dessen im Main er tränkt wurde, weil — er krank warl Aber nicht nur gegen Menschen, auch gegen Tiere kamen Prozesse und Urteile vor, die Tiere wurden feierlich angeklagt und zur Verhandlung geladen, erhielten nebenbei freies Geleit und einen Verteidiger zugesichert und wurden rechtskräftig verurteilt, wenn sie schuldig befunden wur den. Es kam aber auch zu Vergleichen, daß man den Tieren, es handelt sich natürlich nur um Ungeziefer, Ratten, Mäuse, Heuschrecken, Raubvögel usw. einen freien Platz, Haus- oder Grundstück im Dorfe einräumte, auf dem sie zu bleiben hätten, wie es u. a. 1713 im Urteile von Pindado-no-Ma- ronhao geschah. Die letzten dieser Tierprozesse sollen sich in Frankreich 1793, ja sogar noch 1845, abgespielt haben, doch erscheint das letztere Datum denn doch fraglich, wenn es auch andererseits erwiesen ist, daß 1796 in Schwaben ein Stier lebendig begraben wurde, und zwar zur Abwehr gegen eine herrschende Tierseuche. Da war man in der Schweiz kulanter, wo in Chur in einem Maikäferprozeß die Maikäfer „in Anbetracht ihres jugendlichen Alters" statt wie üblich nur einmal, dreimal vorgeladen wurden, ob sie gekommen sind, ist freilich fraglich, aber Ordnung muß sein. So wurde auch streng darauf gehalten, jeden seinem ordentlichen Henker auszuliefern, und so brachten 1572 die Bauern von Moyen-Moutier ein zum Tode durch den Strang verurteiltes Schein an den Propst von Saint- Dizenz, der den Blutbann für die Gegend hatte, und dem sie den armen Sünder bis zur Grenze ihres Gebietes führ ten, wo der Propst ihn abholen ließ und seinem Henker überantwortete. Auch leblose, tote Sachen, unterstanden der Gerichts barkeit. Als am 8. April 1498 Savonarola in dem Kloster San Marco in Florenz von seinen Feinden belagert und das Kloster erstürmt wurde, läutete die Klosterglocke, La Piagnola geheißen, Sturm, um seine Anhänger herbeizu rufen. Das konnte und wollte man der Glocke nicht ver zeihen, und am 29. Juni 1498 beschloß der Große Rat in Florenz, die Glocke zu bestrafen. Andern Tages riß man sie von ihrem Turm herunter, ließ sie an dem Schweif eines Esels gebunden, durch die Straßen schleifen und der Henker ging hinter ihr, sie mit Ruten peitschend. Dann wurde die Glocke aus der Stadt verbannt, sie kam auf den Cam panile San Salvatore al Monte, wo sie 11 Jahre blieb, bis sie am 9. Juni 1509 wieder in Gnaden ausgenommen und an ihren alten Platz gebracht wurde, zur Zeit befindet sie sich im Museo dei San Marco. Oscar LIsin. Furcht Von Al. Smirnow. Ich ließ mich an jenem Tage von der Jagd hinreiben —^ und war am Abend in der Nähe eines Vorwerks, etwa IS Kilo meter von dem Haus« meines Freundes. Ich bemerkte gar nicht, wie sich das Wetter verändert hatte, der Himmel sich mit schweren Wolken bedeckte, der Wind zu wehen begann und feiner Herbstiegen sprühte. Unter Regen 15 Kilometer zurück- zulegen, gefiel mir nicht, und ich beschloß, auf dem Vorwett zu übernachten. „Heute nächtigen die Holzfäller bet uns", kam mir ein alter Mann entgegen, „es wird ein bißchen eng sein, aber komm nur herein." Und er führte mich in ein Wächterhäuschen, das nicht weit von einem anderen großen Hause stand. Ich über schritt die Schwelle und blieb unschlüssig stehen. Es war kein einziges freies Plätzchen da, wo man sich auch nur hinsetzen könnte. „Es ist wirklich eng," sagte ich. „Vielleicht ist in dem anderen Haus mehr Platz." „In dem großen? Das ist ganz frei. Aber dir wirst dort kaum übernachten. Dort ist es nicht gut... es spukt." Ich beschloß, in dem geheimnisvollen Hause zu übernachten, Mit zugeschlagenen Fenstern, ohne einen Funken Licht, finster und still, glich es wirklich einem drohenden Gespenst. Als ich di« wackligen Stufen der Freitreppe Hinausstieg, mußte ich gleich einige Streichhölzer verschwenden, um den Fuß zwischen den durchgefaulten Bohlen herauszuziehen. Aus dem Hausflur, wo ich eine ganze Schar Ratten ausschreckte, kam ich iu ein großes Zimmer mit drei Fenstern, das die Mitte des Hauses einnahm. Nach den Worten des Alten offenbarte sich hier das Gespenst am stärkstem Da im Zimer ein Ofen stand, so paßte es mir gerade gut für das Nachtlager. Aber bevor ich zur Ruhe ging, sah ich mir das Haus genauer an. Die Sache mit dem Spuk war mir vollständig klar. Wenn hier „Gespenster" erscheinen wollten, so konnten sie nur auf dieselbe Art in das Haus gelangen wie jeder andere Mensch, das heißt, durch die Tür, das Fenster oder ein anderes Loch, Es waren zweifellos irgendwelche Dorfwitzbolde, die die aber gläubischen Bauern erschrecken wollten. Darum untersuchte ich, als ich in dem Hause mit der Laterne in der Hand herumging, besonders aufmerksam alle Türen, Fenster und den Dachboden, Da der Alte, der eine Art Wächter auf dem Vorwerk mau, sich kategorisch geweigert hatte, die Schwelle des furchtbaren Hauses zu überschreiten und mich nur bis zu der Treppe be gleitet hatte, mußte ich noch einige Mal« in das Wächterhaus hinüber, um Stroh, heißes Wasser und Eier zum Abendbrot zu holen. Erst als alles da war, streckte ich mich auf dem Stroh in der Mitte des Zimmers aus und fühlte mich sehr wohl. Zuerst kämpfte ich gegen den Schlaf an, da man doch dem „Gespenst" Zeit lassen mußte, ins Haus zu kommen. Aber dt« Zeit verging und ich schlief, ohne es zu bemerken, ein. Ich hatte fest geschlafen, aber als ich die Augen öffnete, war jede Spur von Schlaf weg, so gespannt waren meine Nerven. Das erste, was mir bewußt wurde, war die Ueberzeügung, daß sofort etwas geschehen wird. Und als mir dann ein sonder» Ewige Gewalten Beelhoven-Erzählung von Albert Leitich-Wlen. Freund Schindler fand den tauben Meister in der großen jktube am offenen Fenster sitzen. Auf dem breiten massiven Tisch lagen geheftet« Partituren und Notenblätter. Fm Fensterausschnitt war sein Gesicht wie gerahmt. Er Men den Eintretenden nicht zu sehen und saß vornübergebeugt, »tt schweren Schultern. Schnell trat Schindler dicht zu ihm hin. Langsam, schwer- ßälltg, wie zerschlage« richtete sich Beethoven auf. Da nahm der Freund di« kraftvoll« Hand des Alten und hrvrte. wie es darin zuckte. „St« nehmen es zu schwer, verehrter Freund. Das sind dt« Leut« nicht wert. Di« Wiener wollen nur Musikanten, die he« Gräfinnen zum Tanz ausspielen, sie haben kein Verlangen «ach dem Ringen und Schluchze» eines ganzen Menschenlebens." Der Alte lacht« wiD auf. „Za, mein Sohn, war' ich jünger, dann ging ich zu Rossini ßk die Schul«: der weiß, was Melodie ist." Beethoven war wieder in sein unheimliches Brüten zurllck- -esunken. Da« Zwielicht wischte die letzten Farben aus seinem Antlitz. Wie ein« Totenmaske starrte es im bleichenden Schein. SM betrachtete Schindler den Alten. Tief gruben sich die Furchen tn feinem Gesicht. Din Sonnenfleck lag aus seinem eisgrauen Haar. Schweres Leben lastete auf seinen gekrümm ten Schulter«. Da schlug Beethoven die Augen aus. All das, was er am letzten Abend erlebt hatte, worüber er gehadert, stand klar -vor ihm. „Es ist «ine Schande, daß ich dem Gesindel meine neunte Sin fonie hingeworfen habe. Diesen Ochsen, diesen Eseln! Die Logen- «bonneuten haben für ihre Plätze keinen Heller gezahlt, der Hof hat nicht einen Groschen geschickt. Ja. mein Lieber, ich bin aus der Mode gekommen, st« haben mich erledigt." Er reckt« den müden Rücken. Finster schoben sich die Brauen zusammen. Schindler fand weiter kein Wort, >-m ihn aufzurichte«, es war ihm klar geworden, daß der Vergötterte da vor ihm einen unheilbaren Schaden davongetragen hatte. Wieder lachte Beethoven wild auf. Was der Herrgott mir gegeben hat, das werd' ich vor dieser Brut zu schützen wissen. Ich brauch« ja ihren Glauben gar nicht. Es ist genug, daß i ch an mein Wett glaube. Ich höre die gefesselten Element« ln de» schlaflosen Nächten, und ich muß sie erlösen. Bloß mit der Natur mehr ringe ich, um ihr anzugehören, bis daß sie mich segnet. Ich sehe mein Werk in der Nacht glänzen und seinen Lichtschein aus alle Schmerzen der Menschen werfen. Ich mutz Schritt für Schritt die eigenen Spuren suchen, darf mich nicht verlieren, sonst ist es um mich geschehen'" Mit einem schweren Ruck trat er auf die Füße. Dis Farbe stieg ihm ins vergilbt« Gesicht, und das Lid des rechten Auges zuckte krampfhaft unter den eisgrauen Brauen, als er von neuem anhob: „Und nun, mein Sohn, leb wohl, ich mutz an die Arbeit! Auf Wiedersehen!" Um anzuzeigen, daß das sein letztes Wort war, ging er in die Nebenstube, den faltigen braunen Schößelrock abstreifeud. Der Luftzug vom offenen Fenster blies die weißen Haarsträhne über den kantigen Schädel. Als er mit einer alten Hausjopp« bekleidet ins erste Zimmer zurückkam, war Schindler längst gegangen. — Beethoven trat ans Fenster. Der Lichtschein der Straßen laternen lag auf dem feuchten Pflaster. Ein paar Schatten gaukelten aus dem gelben Grund, Totenstille ringsum, am Himmel trieb Schleiergewölk zwischen silbernen Sternen. Er atmete tief, die Weit« seiner Welt flog ihm entgegen. Er ging an den Tisch und zog Partituren hervor. Plötzlich hielt er inne; er war mit seinen Gedanken wieder bei dem gestrigen Abeud. Wie man rhm den Kassenrapport de« Konzertes Lbevbracht hatte, bei dessen Anblick er zusammen gebrochen war. Die Freunde hatten ihn ausgerafft mü> in seinem grünen Frack auf das Sofa gebettet, wo sie bis zum Morgen an seiner Seit« Wache hielten. — Ja, es war schon so. di« Menschen verstanden ihn nicht mehr. Nun konnte er lang sam verhungern, Schätz« halt« er ja nie gesammelt. Die Lampe leckt« aus dem Glas. Da« O«l ging an« nick» Beethoven schreckte in di« Höh«. Grau« Rächt stand im Zimmer, der Lichtschein auf der Gasse war erloschen, drei Stunden verflossen. Die Riesenfchatten seiner Wette kamen ins Zimmer und fochten mit ihm, Ls war ein wilder Kampf. Der Schritt des einsamen Manne» erschütterte bis ins Morgengrauen di« Dielen. Ja, er war auf dem rechten Weg. Weiter wollte er di« Hebel der Furcht, des Schauers, des Entsetzens, des Schmer ze» bewegen, um dis Menschen unwiderstehlich fort in das wundervolle Eeisterreich des Unendlichen zu reißeir. Eine gewaltige Erhebung ließ ihn erschauern und wachsen, schmiedete ihn hart und machte ihn froh: als ein Sieger grüßt« er den Morgen, der über den schwarzen Dächern erschien und seine rosigen Mufchelfarben an den östlichen Himmel malte. Jetzt hieß es rasch diesem Skribenten, dem Hummel, seine Meinung sagen, weil der seine IX. Sinfonie „konfuses Zeug" geschimpft hatte. Es mußte sein, um diesen Druck von der Leber zu kriegen. Schnell setzte er sich an den Tisch und warf mit fahrigen Buchstabe« ein paar Zeilen aufs Papier. „Komme er nicht mehr zu mir! Er ist ein falscher Freund, und falsche Hunde hole der Schinder. Beethoven." Al» er das Papier beiseite legte, löste sich die Starre in seinem Antlitz; er erhob sich langsam vom Tisch, sah umher, vertauschte die Hausjopp« mit dem kaffeebraunen Ausgehrock und ging wie ein Traumwandelnder die Treppe hinab. Dann stand er mit seinem schlohweißen Haar in der morgenhcllen Straße und hörte die ersten Glocken den Morgen einläuten. Der Herbst verging und der Winter härtete den Boden. Immer gebrechlicher wurde Beethoven. Tagelang zehrt« die Not an ihm. zernagte ihm den Leib, und da tappte er dan» eines Morgens zu seinem Arbeitstisch und schob die Fäuste i» die Augenhöhlen, um nicht zu heulen wie ein Kind. Dan, begann er langsam zu schreiben: „Leider liege ich schon seit 3. Dezember an der Wassersucht darnieder! Sie können sich denken, in welche Lage mich diese« bringt. Wenige Stunden nur mehr Hab ich, in den« Ich milf an di» Arbeit setzen kann. Ich leb« gewöhnlich nnr von deq Ertrage meiner Geisteswerkr, habe alles für mich, für meine«