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Sächsische Volkszeitung : 09.10.1928
- Erscheinungsdatum
- 1928-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192810093
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19281009
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19281009
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1928
-
Monat
1928-10
- Tag 1928-10-09
-
Monat
1928-10
-
Jahr
1928
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 09.10.1928
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Söchsische Gememoekammer Dresden, 8- Oktober. Erst heute Montag, wird durch die Nachrichtenstelle in der Staatskanzlei ein Bericht verbreitet, der nach Anweisung nicht vor dem 8. Oktober nachmittags veröffentlicht werden darf — wonach die Sächsische Gemeindekammer am 1. Oktober 1928 ihre 33. Sitzung «^gehalten und eine sehr große Zahl von Punkten erledigt hat, von denen folgende bemerkensivert sind: Wenn die Gemeindeverordneten über einen vom Gemeinde rate vorgelegten Entwurf keinen Beschluß gefaßt haben, so kann dieses Verhalten nicht als „Beschluß" im Sinne von 8 86 der Gemeindeordnung angesehen und von dem Gemeinderate im Verfahren nach die Bestimmung angesochien werden. Ist einer kleineren Mittelstadt, in der die Straßen- reinigung zum großen Teil durch die Anlieger selbst erledigt wird, wurde die Einführung einer Straßenreinigungsabgabe nicht als geeignetes Mittel zur Verbesserung der Wirtschaftslage der Stadt angesehen. Das Ministerium des Innern hat auf Grund von 8 100 der Gemeindeordnung Richtlinien über die Entschädigung der nichtberufsmäßigen Bürgermeister erlassen. Es wurde aus gesprochen, daß es eine schuldhafte Vernachlässigung einer Ge meindeaufgabe niemals darstellen könne, wenn eine Gemeinde die Entschädigung im Rahmen dieser Reichtlinien sestsetzt. In einem anderen Falle wurde dem Beschluß einer kleinen Gemeinde nicht entgegengetreten, nachdem der gegenwärtige Bürgermeister als berufsmäßig anzuerkennen ist, obwohl die Finanzkrast der Gemeinde die berufsmäßige Aus gestaltung des Amtes kaum zuließ. Maßgebend dabei war ins besondere, daß in der Gemeinde irgend ein sonstiger Bediensteter der Gemeinde nicht vorhanden ist. Sogenannte „Sympathie-Kundgebungen" für streikende oder ausgesperrte Arbeiter sind keine Gemeindeangelegenheiten im Sinne von 8 04 Abs. 1 der Gemeindeordnung: gleichwohl können sie im Wege der Staatsaufsicht den Gemeindeverordneten nicht verwehrt werden. Eine Verletzung der Vorschrift in 8 72 Satz 4 der Gemeinde ordnung, wonach auf Antrag eines Bürgermeisters spätestens sechs Monate vor Ablauf seiner Amtszeit über seine Wiederwahl entschie den werden muß, kann nicht die Wirkung habe», daß der Bürger, meister ohne Widerstand über seine Wahldauer hinaus im Amte bleibt. Eine von den Gemeindeverordneten beschlossene Maßnahme, die einen Bürgermeister von der Ausübung seines Amtes ausschließt, findet in dem bestehenden Recht keine Stütze. Ein Bürgermeister kann während seiner Amtsdauer vielmehr nur im geordnete» Wege des Dienststrafverfahrens aus seinem Amt entfernt werden. Wenn die Gemeindeverordneten in Erfüllung ihrer gesetzliche» Pflicht die Neuwahl eines Bürgermeisters vornehmen, bevor end> gültig die Ansprüche des nicht wicdergcwählien Bürgermeisters sest> stehen, so kann das eine schuldhaste Vernachlässigung einer Gemeinde. aufgabe im Sinne von 8 170 der Gemeindcordnnng nicht darstellen. Die Vorschrift in 8 16 Abs. 2 des NeichssinanzauSgleichsgesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 9. April 1927 hindert nicht für die Dauer, daß trotz Einführung oder Erhöhung der Nier st euer die Zuschlags st euer» zur Grund- und Ge werbesteuer erhöht werden. Auch die Bestimmung in ß 4a desselben Gesetzes hindert eine Gemeinde gegenüber der un> dingten Notwendigkeit einer geordneten Finanzwirtschaft nicht un- mitelbar an dieser Maßnahme. Wenn die Gemeinden die W er t z u wa ch s st e u e r auf Fäll« ausdehnen, in denen der Erwerb des Grundstücks vor der Inflation liegt, so gibt cs keine gesetzliche Bestimmung, die sie verpflichtete, di« verschieden« Kaufkraft der Reichsmark und der „Vorkriegsmark" zu berücksichtigen. Für einen Widerspruch nach 8 7 Abl. 5 der Gemcindcordnung ist immer erst dann Raum, wenn der Ortsgcsctzentwurf, gegen den er sich richtet, vorlicgt: solange ein solcher Entwurf nicht vorhanden ist, fehlt es einem gleichwohl erhobenen Widerspruch an der begrifflichen Voraussetzung. Eine Gemeinde von etwa 5800 Einwohnern wurde als „grö ßere" Gemeinde im Sinne von 8 30 Satz 1 der Gemeindeardnung angesehen und demnach dir Bildung des Gemeinderatcs als Körper schaft für zulässig erachtet. l-riprig unä Umgebung Leipzig und Mitteldeutschland Leipzig, 6- Oktober. Seitdem sich der provinzialsächsische Landtag in seinen Ver- ndlungen vom März 1926 und März 1927 mit der Zerrissenheit itteldeutschlands befaßt hat, ist die mitteldeutsche Frage in Fluh gekommen. Di« Denkschrift des Landeshauptmanns der Provinz Sachsen, Geh. Rat Dr. Hüben«, über „Mitteldeutschland auf dem Wege zur Einheit" hat in Mitteldeutschland und im Reiche den ge bührenden Widerhall gefunden. Rat und Stadtverordnete zu Leipzig und die Handelskammer zu Leipzig haben sich erneut mit dem mitteldeutschen Problein befaßt. Der Rat der Stadt hat sein Wirtschaftsdezernat mit einer Untersuchung über die Ver flechtung Leipzigs init Mitteldeutschland beauf tragt. Das Ergebnis dieser Untersuchung liegt nunmehr vor. In einer eingehenden Denkschrift üb« „Leipzig und Mitteldeutschland", die die soziologischen, verkehrspolitischcn, wirtschastspolitischen und kulturpolitischen Gemeinschastsintercssen eines großen, schrankenlosen Mitteldeutschland, bestehend aus Sachsen, Thüringen, Provinz Sach sen, Anhalt, Braunschweig beleuchten will. Die Denkschrift wird am kommenden Donnerstag in ein« mitteldeutschen Pressekonferenz der Öesfentlichkcit übergeben werden. ) Dürer-Vortrag. Ain 25. September fand im Schulsaal der 1. kath. Volksschule ein Dürer-Vortrag statt, den Herr Stu dienrat Karl Anders, Lehrer an der Frauenberussschule, in selbstloser Weise übernommen hatte. An dem Vortrag nahmen teil die Obcrklassen der 1. und 4. kath. Volksschule und der 40. und 41. städtischen Volksschule. Der Vortragende gab in ausgezeichnet linder- tümlicher Weise den Schülern ein Bild von dem Leben und Wirken des unvergänglichen Meisters an der Hand vortrefflicher Lichtbilder. Von den Meisterwerken fesselte besonders das berühmte Roscnkranz- bild in seiner Gesamtheit wie in seinen wundervollen Details. Dem Inständigen Vortrag folgten die Schüler mit regstem Interesse. Der Schulleiter dankte am Schluß im Namen der Lehrer und Schüler dem Herrn Studienrat Anders für seinen bedeutungsvollen Vortrag, der von besonderem unterrichtlichen Werte war. B. P. ) Nach Gießen berufen. Der aus Greiz stammende, in Leipzig wirkende Universitätsprosessor Dr. Friedrich Sander hat einen Ruf an die Universität Gießen erhalten. ) Todesfall. Sonnabend früh starb nach kurzem Kranken lager fünf Tage vor der Vollendung seines 75. Lebenssahres Otto Säuberlich, Mitinhaber der Buchdruckerei von Oskar Brandstetter. Der Verstorbene hatte sich als Sohn eines kleinen Handwerksmeisters aus eigener Kraft in die vorderste Reihe der Führer des deutschen graphischen Gewerbes emporgerungen. Er gehörte seit vielen Jahren dem Hauptoorstand des Deutschen Buchdruckervereins an und leitete von 1907 bis 1912 als Vor sitzender die Geschicke des Kreises Sachsen dieser Organisation. Sein Ruf als Fachschriftsteller geht weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Seiner Feder entstammt dos „Gelverb liche Hilssbuch" ein buchgewerbliches Tascheulexikon und eine volkstümliche Einführung in Goethes Faust. Säuberlich Hai sich besonders auch um den Ausbau der Kölner Pressa verdient gemacht. ) Schweres Automobilunglück. Sonntagnachmittag wurde zwischen Stahmeln und Lützschena der Kraftwagen des Kauf manns Friede aus Halle von einem Radfahrer angefahren. Das Auto sauste beim Ausweichen gegen einen Baum und blieb schwer beschädigt liegen. Während der Wagenführer selbst nur leicht vorletzt wurde, erlitt sein Bruder einen Schädelbruch: auch dessen Frau wurde verletzt. Beide wurden ins Leipziger Kran kenhaus cingeliesert ) Tausend Mark Belohnung. Für die Ergreifung des Radefclder Mörders sind von der Staatsanwaltschaft tausend Mark Belohnung ausgesetzt worden. Oirmnitr, Lvicksu, KIsuen Ein Gitterzug mit einem Lastauto zufammengeskotzen KIrchberg, 8. Oktober. Der kurz nach 5 Uhr nachmittags auf dem Bahnhof Kirch - berg abgehcnde GUterzug der Kleinbahnlinie Kirchberg—Hart mannsdorf—Rothenkirchen stieß am Sonnabend vor der Halte stelle Kilchberg an der nicht durch Schranken abgesperrten Straßenkreuzung mit einem Lastauto zusammen. Von dem mit zwei Lokomotiven bespannten Zug entgleisten die erste Lo.wmotive und wurde ein Stück auf die Straße geschoben. Die zweite Lokomotive blieb aus dem Gleise stehen, während der erste Gepäckwagen, der mit leeren Prelselbeerkisten beladen war, umkippte und demoliert wurde. Der zweite Gepäckwagen entgleiste ebenfalls und kam auf die Seile zu liegen. Die erste Lokomotive schob das mit Kleinschlag beladene Lastauto eine kurze Strecke vor sich her, es schwer beschädigend. Der Chauf» feur wurde leicht verletzt, der Beifahrer kam mit dem Schrecken davon. tz. Zeitweilige Stillegung einer Erzgrube. Die Erz» und Silbergrube „Alte Hoffnung Gottes Erbstollen" in Klein voigtsberg Hai, wie berichtet wird, vorübergehend still gelegt werden müssen. Doch verspricht der Weiterbetrieb der Grube nach Modernisierung ihrer veralteten Anlagen gute Gewinne. Die Verhandlungen ivegen Finanzierung der er forderlichen Neuanlagen verlausen, wie die Blätter melden, bis her durchaus günstig, so daß mit der Wiederaufnahme des Berg baues in einigen Monaten gerechnet werden kann. tz Schwerer Verkehrsunfall. Sonntag mittag kurz nach 12 Uhr ereignete sich am Lessingplatz In Chem n t tz ein schwerer Zusammenstoß zwischen Kraftfahrzeugen. An der Ecke der Markusstrahe fuhr ein von einer Da,ne gesteuertes Personen auto mit solcher Wucht in einen Lastkraftwagen, daß sich dieser um seine eigene Achse drehte und umstürzte. Das Personen auto wurde durch den Anprall ebenfalls um. sich selbst gedreht uns erfaßte noch ein hinter dem Lastkraftwagen kommendes Motorrad. Der Chauffeur und der Beifahrer des Lastkrast- ivagens sowie die Füherin des Personenautos kamen unver sehrt davon. Eine im Auto mitsahrende Dame wurde auf die Straße geschleudert ünd erlitt Prellungen. Der Motorradfahrer zog sich leichte Hautabschürfungen zu. Die Fahrzeuge mußten abgeichleppt werden. Die Schuld am Zusammenstoß wird der Führerin des Personenautos zügeschkleben, das keine Brems spur zeigte. 6 UL der l-guLitr Eröffnung einer neuen Bahnlinie Löbau, 8 Oktober. Aus Anlaß der Einweihung der neuen Bahnlinie Ober, cunewald c—Löbau holte der Bezirksverband am Sonnabend eine große Zahl Gäste, darunter Vertreter der Behörden, des Han dels, der Industrie, der Landwirtschaft. Arbeiterschaft und Presse zur Teilnahme an dem von der Reichsbahndirektion Dresden ge stellten Sonderzug Angelnden. Auf dem mit Fahnen und Girlanden festlich geschmückten Bahnhof Löbau hielt vor Msahrt des Zuges der 1. Bürgermeister Dr. Ungethüm, Lübau, eine Ansprache, in der er seiner Genugtuung über die glückliche Vollendung des Bahn baues Ausdruck gab und allen, die a» dem Bohnbau milarbeiteten und dazu finanzielle Opfer brachten, Anerkennung zollte. Dann, 15.15 Uhr, setzte sich der Zug in Bewegung, von zwei mit Girlanden schön geschmückten Lokomotiven gezogen. Durch ein prächtiges Stück Landschaft führt die Bahn. Gleich hinter Löbau weitet sich der Blick nach allen Seiten und bei Hakbou steht man rechts in majestäti scher Ruhe den Höchste!» und Czorneboh aufragen. Noch einer viertelstündigen Fahrt kommt man nach Großdehsa-Oelsa, wo auf dem geschmückten Bahnhof Bürgermeister Kopie, Großdchsa, in wirkungsvollen Reimen einen Willkommengruß entboi. Weiter ging es nach kurzem Aufenthalt nach Kleindehsa. .Hier erwar tete die einheimische Feuerwehrkapelle die Festgäste und eine gemüt liche Kaffeetafel hielt die Anwesenden in angeregter Stimmung bei einander. Herr Amishauptmann Dr. v. Burgsdorff, Löbau, nahm dabei als Leiter der Einweihungssestlichkeiten Gelegenheit, dem anwesende» Minister a. D. Dehne seinen besonderen Dank sür seine tatkräftige Mitwirkung an der Vollendung der Bahn während seiner Ministerzeii zum Ausdruck zu bringen. Minister a. D. Dehne erwiderte, daß er das, was er sür die Bahnlinie habe tun dürfen, aus Liebe zur Oberlausitzer Heimat gerne getan habe. Weit« gings nach Halbau, das der Zug in ein« Steigung bis zu 100 Meter erklomm. Nach ein« Begrüßung durch Gastwirt Schöbet, Holbau, setzte sich der Zug wieder in Bewegung und nach ein« wundervollen Fahrt durch die von schöne» Woldbergen umsäumicn Gefilde wurde Obercunewalde erreicht. Hier am Endziel entbot Bürgermeister Löffler als Vertreter der Gemeinde Willkommengruß und Glückwünsche, die der neuen Bahn und den ersten Fahrgästen galten. Unter Voraniritt einer Kapelle zogen dann die Teilnehmer ins Restaurant Sächsischer Hof, wo eine schlichte Festtafel die Teilnehmer vereinigte. Eine große Anzahl von Rednern, darunter auch Reichsbahnprästdent Kluge, Dres den, sprachen ihre Glückwünsche zu dem für Cunemalde in wirt. schaftlich« Beziehung bedeutungsvollen Tag aus. l. 95. Geburtstag. Der älteste Einwohner Zittaus, der Invalidenrenrner August Lorenz, seierte am 6. Oktober seinen 95. Geburtstag. Wetterbericht -er Dresdner Wetterwarte Witterungsaussichten. Wolkig bis zeitweise aufklarend, weiterhin Neigung zur Unbeständigkeit sstrlchweise geringe« Niederschlag), keine wesentliche Aenderung der Temperaturver hältnisse, südwestliche Winde, im Flachland vorwiegend mäßiger Stärke, Im Gebirge zeitiveise lebhafter. Das Schlotz Düran-e Eine Erzählung von Joseph von Eiche „dorsf. iS. Fortsetzung.» Damals saß sie «Ines Abends noch spät mit der jungen Schwe ster Renate am offenen Fenster der Zelle, «ms dem man in den stille» Klostergarien und über die Gartenmauer weit ins Land sehen konnte. Die Heimchen zirpten unten auf den srischgemähten Wiesen, überm Walde blitzte es manchmal aus weit« Ferne. „Da läßt mein Liebster mich grüßen", dachte Gabriele für sich. — Aber Renate blickte verwundert hinaus; sie war lange nicht wach gewesen um diese Zeit. „Sich nur", sagte sie, „wie draußen alles anders aus- siehi im Mondschein, d« dunkle Berg drüben wirft seinen Schatten bis an unser Fenster, unten erlischt ein Lichtlein nach dem andern im Dorfe. Was schreit da für ein Vogel?" — „Das ist das Wild im Walde", meinte Gabriele. „Wie du auch so allein im Dunkeln durch Len Wald gehen kannst", sagt« Renate wieder; „ich stürbe vor Furcht. Wenn ich so manchmal durch die Scheiben hinauSsehe In die tiefe Nacht, dann ist mir immer so wohl und sicher in mein« Zelle wie unterm Man tel der Mutt« Gottes." „Nein", entgegnete Gabriele, „ich möcht' mich gern einmal bei Nacht verirren recht Im tiefsten Wald, die Nacht ist wie im Traum so weit und still, als könnt' man über die Berge reden mit allen, die man lieb hat in der Ferne. Hör' nur, wie der Fluß unten rauscht und die Wälder, als wollten sie auch mit uns sprechen urrd könnlcn nur nicht recht! — Da fällt' mir immer ein Märchen ein dabei, ich weiß nicht, Hab' ich's gehört, oder hat mir's geträumt." „Erzähl's mir doch, ich bete unterdes meinen Rosenkranz fer tig", sagte die Nonne, und Gabriel« setzte sich fröhlich auf die Fuß bank vor ihr, wickelte vor der kühlen Nachtlust die Arm« in ihre Schürze und begann sogleich folgendermaßen: „Es war einmal eine Prinzessin in einem verzauberten Schlosse gefangen, das schmerzte sie sehr, denn s!« halte einen Bräuti gam, der wußte gar nicht, wohin sie gekommen war, und sie konnte ihm auch kein Zeichen geben, denn die Burg halte nur ein einziges, sestverschlofsenes Tor »ach einem tiefen, tiefen Abhang hin, und das Tor bewachte ein entsetzlicher Riese, der schlief und trank und sprach nicht, sondern ging nur immer Tag und Nacht vor dein Tor aus und nieder wie der Perpendikel einer Turmuhr. Sonst lebte sie ganz herrlich in dem Schloß; da »vor Saal an Saal, einer immer prächtiger als der andere, aber niemand drin zu sehen und zu hören, kein Lüftchen ging, und kein Vogel sang in den verzauberten Bäu men im Hofe, die Figuren aus den Tapete» "waren schon ganz krank und bleich geworden in der Einsamkeit, nur manchmal warf sich das trocken« Holz a» den Schränken vor Langeweile, daß es weit durch die öde Stille schallte, und auf der hohen Schloßmau« drau ßen stand der Storch, wie eine Vedette, den ganzen Tag auf einem Bein." „Ach, ich glaube gar, du stichelst auf uns« Kloster", sagte Renate. Gabriele lacht« und erzählte muni« fort: „Einmal aber war die Prinzessin mitten in der Nacht auf gewacht, da hörte sie ein seltsames Sausen durch das ganze Haus. Sie sprang erschrocken ans Fenster und bemerkte zu ihrem großen Erstaunen, daß eS der Riese »vor, d« «ingeschlafcn vor dem Tore lag und mit solcher grausamen Gewalt schnarchte, daß alle Türen, so oft « den Atem einzog und wieder ansstictz, von dem Zugwind llappend auf und zu flogen. Nun sah sie auch, so oft die Tür nach dem Saale aufging, mit Verwunderung, wie die Figuren auf den Tapeten, denen die Glieder schon ganz eingerostet waren von dem langen Stillstehen, sich langsam drehten und reckten; der Mond schien hell über den Hof, da hörte sie zum crsteninal die verzauberten Brun nen rauschen, der steinerne Neptun unten saß auf dem Rande der Wasserkunst und strählt« sich sein Binsenhaar; alles wollte die G«. legenheit benutzen, well der Niese schlief; und der steif« Storch machte so wunderliche Kapriolen auf der Mauer, daß sie lachen »nutzte, und hoch auf dem Dache drehte sich der Wetterhahn und schlug mit den Flügeln und rief immerfort: „Kick, kick dich um, ich seh' ihn gehn, ich sag' nicht wen!" Am Fenster ober sang lieblich d« Wind: „Komm mit geschwind!" und die Bächlein schivatzten draußen untereinander im Mondglanz, wie wenn der Frühling an brechen sollte, und sprangen glitzernd und wispernd über die Baum- Wurzeln: „Bist du bereit? wir haben nicht Zeit, weit, weit, in die Waldeinsamkeit!" — „Nun, nun. nur Geduld, Ich komm' ja schon", sagte öle Prinzessin ganz erschrocken und vergnügt, nahm schnell ihr Bündel unter den Arm und trat vorsichtig aus dem Schlafzimmer; zw«t Mäuschen kamen atemlos nach und brachten ihr noch den Fin gerhut, den sie in der Eile vergessen. Das Herz klopfte ihr, denn die Brunnen im Hofe rauschten schon wieder schwäch«, der Fluß» galt streckte sich taumelnd wisder zum Schlafe zurecht, auch der Wet terhahn drehte sich nicht mehr; so schlich sic leise die stille Treppe hinab." „Ach Gott! nmm der Riese jetzt auswacht!' sagte Renate ängstlich. „Die Prinzessin hafte auch Angst genug", fuhr Gabriele fort, „sie hob sich das Röckchen, daß sie nicht an seinen langen Sporen hängen blieb, stieg geschickt über den «inen, dann über den andern SllcfA, und noch einen herzhaften Sprung — jetzt stand sie draußen am Slbhang. Da aber war'8 einmal schön! da flogen die Walken und rauscht« der Strom und die prächtigen Wälder im Mondschein, und ans dem Strome fuhr ein Schifflein, saß ein Ritt« darin." — „Das ist ja gerade wie jetzt hier draußen", unterbrach s!« Renate, „da fährt auch noch einer im Kahn dickst unter unscrm Garten; jetzt stößt er ans Land." „Freilich", — sagte Gabriele mutwillig und setzte sich ins Fen ster und wehte mit ihrem weißen Schnupstuchc hinaus — „lind grüß dich Gott", rief da die Prinzessin, „grüß dich Gott in die weite, weite Ferne, es ist ja keine Nacht so still und tief als meine Lieb!" Renate faßte sie lochend um den Leib, „m sie zurückzuziehen. — „Herr Jesus!" schrie sie da plötzlich auf, „ein fremder Mann, dort an der Mauer hin!" — Gabriele ließ erschrocken ihr Tuch sin. ken, es flatterte in den Garten hinab. Ehe sie sich aber noch besinnen konnte, batte Renate schon das Fenster geschlossen: sie war voll Furcht, sie mochte nichts mehr von dem Märchen hören und trieb Gabrielen hastig aus der Tür, über den stillen Gang in ihre Schlaf- kammer. Gabriele aber, als sie allein »vor, riß noch rasch In Ihrer Zelle da» Fenster auf- Zu ihrem Schreck bemerkte sie nun, daß das Tuch unten von dem Strauche verschwunden war, auf den es vorhin ge. flogen. Ihr Herz klopft« heftig, sie legte sich hinaus, so weit sie nur konnte, da glaubte sie draußen den Fluß wieder aufrauschen zu hören, darauf schallte Rudcrschlag unten im Grunde, immer ferner und schwächer, dann alles, alles wieder still — so blieb sie verwirrt und überrascht am Fenster, bis das erste Morgenlicht die Berges» gipset rötete. (Fortsetzung folgt.)
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