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und X^i88en rbb — 21. r^ov. !<)2tr ZLctisiscffe Volksreitunx Mmaiuren um kranr 8eliulrert Wien Anno Biedermeier! Die Fenster des Schulzimmers stehen offen. Da draußen will es Frühjahr werden, da pfeift ein Vogel ein so köstliches Lied. Und da droben segeln Wolken übers Land an der Donau. Der junge Schullehrer, der hier Auf- und Abstriche lehrt, heißt Franz Schubert, ist Gehilfe seines Vaters um einige Groschen Lohnes. Aber die Kinder, die da mit Tafeln und Schieserstift hantieren, wollen dem jungen Lehrmeister nicht hören, und der Lehrer selbst hat ja auch nicht Andacht genug zu diesem so trocknen Berus, zu dem es bis in alle Ewigkeit hrnein nur wenig Auserwählte je geben wird. Und da steht nun der Franz Schubert vor seiner Schulklasse, sein hitziges Temperament ist längst mit ihm durchgegangen: „Ihr sollt's aufpassen, damische Köpf' und Nichtsnutz' ihr!" Franz Schubert, der liederfromme Franz Schubert geht mit dem Bakel einher. Und da er gerade wieder schimpfen will, da hört er den schüchternen Vogelruf da draußen: „Franzl! — Franzl!" „Za, flieg' schon, lieb's Vöaerl, ich bin verhindert für deinen Frühling da drauß! — Ihr sollt's auspassen und kein Possen reißen, ihr . . Und da setzt sich der Herr Lehrer doch auf seinen Katheder stuhl, zieht Notenlinien auf einem Notizzettel und schreibt zwischen diesen feinen Linien das köstliche Vogellied da draußen nach. Währenddom tobt die Klasse herum. Der Lehrer hört und sieht nichts. ... Ja, ich Hab ja kein Eedichterl dazu — wird-'s halt eben ein Lied ohne Worte — könnt ihr denn nicht still sitzen, ihr Mädels und Buben, sonst muß ich euch, bittschön, aus- raunzen!" .Bittschön, Herr Lehrer!" Die Klasse bricht in ein Geheul aus. Es wurde kein Lehrer aus Franz Schubert. Der Vater hatte sich die Sache aber anders gedacht. Franzens Bruder schickte aus ehrlichem Herzen ein Glückwunschschreiben, als Franz, der Musikus, das Amt abschüttelte. Die Musik, nur die Musik hatte den Franz Schubert ein- gcfangen. Er schrieb schon längst Lieder, setzte eine Messe und sogar schon die Symphonie in V-Dur. Die Aufführung der geistlichen Messe halte dom blutjungen Menschen Mut gemacht. ... Mutter lag schon draußen auf dem Böblinger Kirchhof zur letzten Ruhe gebettet. Auf einem Spaziergang mit Freund Lütteiübrenncr schreiten beide bedächtig durch die Sieveringer Allee. Franz Schubert offenbart, da er gefragt wird, schüchtern seine Liebe zu der Lehrerstochter Therese Grob mit dom blatter« narbigen Gesicht. Der HUttenbrenner: „Ich hätte es nie gedacht, daß dir die krauen etwas bedeuten könnten." ,Aa. sichst du, das dachtest du so eben dahin, der Schubert hat doch auch ein Terz." „Die wird nicht die Nichtige für dich sein, Franzl." „Das muß ich allein wissen. Schulmeister bin ich übrigens lange genug selbst gewesen . . .!" „No, no, net so geschwollen!" Therese sang Franzens erste Messe in einigen Kirchen mit einer lerchenjubelnden Stimme. Franz hatte nur immer an Thcreses Gemüt gedacht, er hörte auch nur die Stimme und sah nicht das blatternarbige Gesicht. Wie oft war er schon vom Grobschen Schulmeisterhause selig verliebt heimwärts gegangen: den Stock auf dem Rücken, den sauber abgebiirstcten grauen Zylinder auf dem Lockenkopf, den grünen Frack und jetzt >m Sommer weiße Beinkleider an. Dazu die so ehrlichen, guten Augen, hinter Brillengläsern, die sich oft in den Sternen ver lieren. Therüse hört eines Tages gern das Liebesgeständnis. als Von Karl Oemmel ihr Franz Schubert bet der selbstgebackenen Torte gogeniiber- sttzt: ,.. . . aber schauns, Herr Schubert, was soll denn da wer den. wenn Die nicht mehr im Schulamt sind?" Schubert ist darob wie aus den Wolken gefallen: „Za, ja, nun ich will a bravs Musikantevl werdn, Fräulein Theres!" „ Ach sooo! Ich sags dem Vaier. Herr Schubert, gelt?" „Ja mir schon recht, ist komm dann wieder, net?" Schubert kam aber von selbst nicht wieder, und Papa Grob wollte ja von solcher hungerleidenden Musikantenexistenz über haupt nichts wissen. Und Schubert dachte so oft bei sich: „Ach Gott, ist die The res aber hausbacken und kann doch so schön singen .. ." Therese wartete lange, lange aus das Wiederkommen, gut war sie ihm ja dennoch, vielleicht würde alles noch ins rechte Fahrwasser kommen, doch der Schubert hatte ihre Haustüre für immer vergessen. Und so wurde die Theres eines Tages eine kreuzbrave Bäckermeisterssrau. Schubert litt darunter sehr, aber was halss? Seine Musik liebte er dennoch heißer. Vater Schubert hatte dem „leichtlebigen Musikanten", wie man es ihm oft ins Haus brachte, die Tür gewiesen. Was denn nun machen? So ganz ohne Geld, so ganz ohne einen guten Anzug: nur Stöße beschriebenen Notenpaoiers und einige ärm liche Habseligkelten, so kam Franz Schubert eines Tages zum Freunde, dem dichtenden Zensur beamten Johannes Mayrhofer '«»e Die IVlükle Von »eckvis Uelkk Von dunkler Wolkenwand umbauscht Steht fern am Horizont die Mühle. Der Tag geht hin, das Kornfeld rauscht, Es kommt der Nachtwind als Gespiele. „Steh nicht so trübjalsschwer und stumm. Lag deine Flügel rauschend kreisen! Hei, immer lustig rundherum! Da kann ich meine Kraft erweisen." Die alte Mühle ächzend knarrt: „Die Zeit mahlt schnell — ich muß ihr weichen. Die Zeit ist unerbittlich hart — Sie muß der Welt das Brot zureichen." Und aus dem Felde ruft das Korn: „Am schwanken Halme reift die Aehre. Noch quillt des Vorjahrs reicher Born; Drum mahle, daß er schnell sich leere." „Ein stärker schassend Werk tut not!" So klingt es leise aus der Mühle, „Die große Menschheit schreit nach Brot. Zch schass's nicht mehr — es sind zu viele." Die Nacht steigt schweigend aus dem Tal. Hoch steht die Mühle überm Lande — Wie der Vergiingnis heilig Mal: Ein schwarzes K ' <z am Himmelsrande. äen» Inhalt Karl Demmel: Miniaturen um Franz Schubert. Hedwig Reiff: Die Mühle. A. Iwars: Ursache und Wirkung. F. Schrönghamer-Heimdal: Der Radioschreck Vom Weihnachtsbüchertifch. gezogen, der ihm in großer Verehrung Unterkunft und Freund schaft versprochen und dieses auch gehalten hatte. Und was sich hier in der Stube, in den Schranken und Schubfächern vor- snnd, das gehörte beiden zusammen, selbst di« Anzüge wurden gemeinsam getragen. Wieder ist ein goldener Morgen über Wien aufgegangen. Mayrhofer schläft noch, aber der Freund Franz sitzt im Schlasrock am offenen Fenster in der Wipplinger- gasse, hat Notenpapier vor sich aus Mayrhofers altväterlichem Schreibpult und findet die Musik zu des Freundes Gedicht „Der Strom", das beider tiefinnerlicher Stimmung entspricht. Und da wird der Franzl wieder bös: „Da schlag es doch dreizehn" die Tabakpfeife fliegt aus den Tisch, „das ist doch kein Akkord, das ist doch garnix. Mayrhofer erwacht darob: „Morgen, grüß Gott, du arbei test ja schon, Schubert?" „Ja, ich Hab bald mein Tagwerk «schaffst, willsts hören. Ich spiels." Schubert griff sich die Laute von der Wand, legte das frisch geschriebene Notenblatt neben sich: „. . .ne Schand, daß dein Klavier so verstimmt ist, paß aus, jetzt gehts los." „Zum frühen Morgen?" „Das ist der Musik einerlei, Johann, also hör: „Der Strom".' Kaum sind die Worte ausgesungen, da tut sich irgendwo oiir Fenster aus und irgendeine Stimme poltert: „Bittschön, sein's g'scheit und machen s wenigstens die Fensterln zu, wenn Sie Totenlioder am frühen Morgen sing'n woll'n." Schubert hält ein und wirft die Gitarre aufs Sofa: „Na, ich dank schön für diese Nachbarschaft, die werden am Schubert noch was erleb'n." Unten pfeift der Student und Freund Schober, der Franz Schubert zum Morgenspaziergang einladen will. „Komm rauf, Franz." In der Morgenstunde findet ein großer Freundesrat statt. Mayrhofer erhobt sich, nachdem er die beiden in den Morgen hinein wandern ließ. Wehmütig sicht er hinterher uich ver wünscht sein Beamtendasein. So frei sein können, wie dies« Leiden! Verbittert geht er zum Amt. Schubert und Schober wandern der Sonne entgegen. Und an diesem Abend hatte man auch eine Schubertiade in der „Ungarischen Krone" in der Himmelpfortgasse angesetzt, wozu der umschwärmte Sänger Vogel auch sein Erscheinen zusagt«, Das blitzsaubere, niedrige Borderstübchen der drei unver ehelichten Geschwister Fröhlich. Weiße Spitzendeckchen unrkosen Helle Birkenmübel. Gemächlich breitet sich vor dem Sofa der runde Tisch, der schon so viele berühmte Wiener Leute an sich sitzen sah. Es liegt ein trüber Wintertag über Wien. Di« Gassen sinnen verschneit ihr vorweihnachtliches Wintermärchen. Kathi Fröhlich, die schönste der Schwestern» spricht mit ihrem Kanarienvogel: „Schau, schau, wer da unten kommt. Kennstse net Hans? Das sind doch der Schubert und der Grillparzer Franz. Und auch der Herr Hüttenbrenuer ist dabei.* „Piep?" Da geht schon die Tür aus und die drei treten winterlich vermummt ins warme Zimmer. „Küüß di« Hand!" geht «» dreimal, und dann sitzen sie auch schon um den lieben, «lto Tisch herum, Schubert auf dem üblichen Sofaplatz. „Ja. Kathi." sagt Grillparzer, „hier bring ich Dir dtU Ursaelre ui»ä W!rlcun§ Lloe Uoitsro OosadteUt« vom lvvar» Ein Mann zerschlug die Glasscheibe des Feuermelders. Das Alarmsignal trieb die Bereitschaft der Feuerwehr von ihren Pritschen. Sie gürteten die Beile und sonstigen Gerätschaften, stülpten die Helme auf. Schon rasselte die Motorspritze aus der Garage, der Leiterwagen folgte. Zimmerbrand in der Kleistgasse, Haus 21, dritter Stock, lautete die Meldung. Trara! gellte das Horn durch die Straßen. Die Leute blieben stehen und sahen den vorübersegenden Fahr zeugen nach. Der Feuerruf berührt selbst den Großstädter häufig unangenehm, wenn sich bei ihm auch nie damit die Vorstellung äußersten Schreckens verbindet, wie bei der Land bevölkerung. Phantomgleich jagten di« Wagen der Feuer wehr dahin, dem Brandherd des gemeldeten Feuers entgegen. In der Kleistgasse, Haus 21, dritter Stock, wohnte die Cheusfeursgattin, Marianne Kiebisch, die sich sozusagen als anonymes privatimes Auskunftsbüro der Kleistgasse etabliert hatte. Da gab es kein noch so intimes Familiengeschehen die Tasse auf und ab, von dem sie nicht Kenntnis erlangt hätte. Wollte irgend jemand irgend was über Leute in der Kleist gasse erfahren, brauchte er nur bei Frau Marianne Kiebisch anzufragen und seine Wissensbegier wurde im weitesten Maße befriedigt. Frau Mariannens Auskünfte zeichneten sich wenig durch Zuverlässigkeit, dagegen sehr durch weitläufige Detail schilderung der Eigenschaften und Fehler der angefragten Indi viduen aus. Daran mochten zum Teil schon ihre Nachrichten quellen, Hausmeisterinnen, Hausgehilfinnen und liebevolle Nachbarinnen aus der Umgebung der gerade in Frage stehen den Person Schuld tragen, zum Teil aber sicher auch die Phan tasie der Frau Kiebisch, welche die erhaltenen nüchternen Nach richten und Mitteilungen häuftg unwillkürlich ausschmückte und eindrucksvoller gestaltete. Frau Marianne stand in ihrer Küche und traf Vorberei tungen für ihr Frühstück, da» zugleich das Mittagessen vorstellen sollte, weil ihr Mann erst abends von der Tour nach Hause kam, weshalb di« Hauptmahlzeit zu dieser Zeit eingenommen wurde. Viel Mühe machte sich Frau Marianne nicht. Erstens aus Zeitersparnis, um ja keine Gelegenheit zu versäumen, die neuesten Geschehnisse der Kleistgasse mit den guten Freundinnen zu besprechen, zweitens aus Trägheit, Frau Marianne setzte nur ungern ein anderes Glied ihres massiven Körpers als die Zunge in Bewegung. So wars sie drei Eier in einen Tops Wasser, um sie hart zu sieden, stellte sie aus den Easrechaud und rückte die Kaffeekanne daneben. Schon verriet das Wasser im Eiertopf leise Bewegung, als Frau Marianne daran dachte, daß es gestern abend im Hinterhause bei den Dostals eine lebhafte Auseinandersetzung gegeben habe. Frau Dostal, obwohl schon im reifen Alter, galt als gefallsüchtig und Herr Dostall als eifer süchtig. Die Einzelheiten der Auseinandersetzung mußten des halb nicht ohne Pikanterie gewesen sein. Das Nähere konnte nur die Mohnungsnachbarin der Dostals, Frau Braun, wissen, die Gattin des kleinen Handelsagenten, die der Frau Marianne weder an Neugier noch an Zungenfertigkeit nachstand. Da mußte sie doch schnell zu der Braun, ehe die anderen Nachbarin nen die Details erfuhren und in ihrer vergröberten unsachlichen Form weiter gaben. Schnell huschte sie aus der Küche, schloß die Tür ab und lief die Treppen herunter in den Hof. Sie kam gerade zur rechten Zeit zur Braun, die eben die Wohnung der Dostal verließ und mit Neuigkeiten geladen war bis zum Hals. So lebhaft war die Begrüßung, daß die beiden Frauen nicht darauf achteten, wie die Wohnungstür von einem Zug wind erfaßt, krachend zuschlug. Eifrig waren sie im besten Meinungsaustausch über die Wcltläufe, ihre Mitmenschen und deren schlimme Eigenschaften begriffen, als es draußen an der Wohnungstür klopfte Eine Stimme, die Stimme des Mäd chens der Hausbesorgerin, rief: „Ist die Frau Kiebisch da?" Frau Marianne meldete sich sofort: „Freilich bin ich da, Liesl, was gibts denn?" „Aus Ihrer Küche rauchts so viel und stinken tuts a", mel dete das Mädchen draußen, worauf Frau Marianne mit dem Schreckensrufe: „Jessas, meine Eier!" zur Tür stürzte. Vergeblich blieben ihre Bemühungen, sie zu öffnen. Frau Braun lachte: „Ja, so geht das Schloß nicht auf. Es ist ein Patentschloß. Mein Mann hat es erst vor einige» Tagen 1 anmachen lassen." Mit dem Vertrauen erprobter Kenntnisse machte sie sich daran, die Tür zu öffnen. Sie versuchte, probierte, das Schloß gab nicht nach. Eifrig verdoppelte sie ihre Bemühungen, das Schloß hielt Stand. Erschöpft gab sie schließlich ihre Versuch« auf und starrte ratlos das hartnäckige, tückische Schloß an. Frau Marianne rief in den Tönen hellster Angst. „Liesl, Liesl, saus noch da? Vit Sie, rennens herunter zum Herrtz Quastl. dem Schlosser, er soll kommen und aussperren." „Ja!" sagte die Liesl und trabte davon. Frau Marianne setzte sich resigniert auf einen Küchenstuhl, während Frau Braun sich an die Zubereitung des Mittagessens machte und dabei über den Mann loszog, der immer so unvernünftige Neuheiten in das Haus brachte, die kein vernünftiger Mensch brauchen konnte. Daß Frau Braun unter vernünftigen Menschen in erster Linie sich selbst meint«, bedarf keiner besonderen Ver sicherung. „Frau Kiebisch, Frau Kiebisch". schrie die Liesl atemlo» durch die Tür, „der Herr Quastl ist nicht zu Haus, er ist auf dem Vau in der Varichgasse, soll ich vielleicht htnrennen und in holen?" ,,Ia, ja, Liesl, laus", ächzte Frau Marianne, während Frau Braun die innerliche kochende Wut durch gewaltiges Klopsen des Schnitzelfleisches zu dämpfen suchte. Beide Frauen zeigten geringe Lust, die gestrigen Gescheh nisse in der Familie Dostal weiter zu erörtern. Frau Marianne rang in stiller Resignation die Hände, während Frau Brauns Wut kochte. Die Liesl kam zurückgetrabt. „Frau Kiebisch, Frau Kiebisch Der Herr Quastl hat gesagt, von der Arbeit kann er nicht weg. Wenn er um zwölf nach Haus kommt, wird er das Schloß auf- machen." „O Gott, o Gott!" stöhnte Frau Marianne, „mein Kasse«, meine Eier." Frau Brauns Wut kochte über. „Was müssen Sie aber auch schon gleich in der Früh daher rennen, über die Dostal» klatschen. Was gehen Sie eigentlich die Dostals an?" Frau Marianne war sonst eine streitbare Person, mit der Frau Braun nicht mit Vorteil angebunden hätte. Jetzt war sie von ihrem Schicksal so gedrückt und voll Resignation, daß st«