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Onter^altunL und V^i88en - 30 ver. Laclisiscsie Voltzsreilun, I» Das Kaiser-^Viüielm-Insiitut kür püysikaliscüe Oreiiüe und kielrtroeüemie In der unsterblichen Schülerszene des Goelheschen „Faust", wo Akephisto die Schale seines Spottes über alle Wissenschaften ausgießt, gedenkt er auch der Chemie mit beißend ironische» Worten, indem er sich darüber lustig macht, wie sie vergeblich sich abmüht, durch Spalten und Zerlegen der Stoffe in ihre einzelnen Uystnndteile ihr inneres Wesen zu erkennen und das geheimnisvolle, leben schaffende Wirken der Natur, die snebeiessis natuias auf zudecken. Zu der Zeit freilich, wo Goethe den Mephisto so sprechen ließ, war die Chemie noch ganz wie im Mittelalter nicht viel mehr als bloße „Scheideknnst", wie sie nach ihrer alle Stoffteile voneinander scheidenden Haupttätigkeit genannt wurde, und es galt als ausgemacht, daß die allein der orga nischen Welt angehörenden Stoffe und Körper den Gesetzen der Chemie nicht unterworfen seien und nur durch eine be sondere Energie der lebendigen Organismen, durch die so genannte Lebenskraft, erzeugt werden könnten. Diese mit dogmatischer Starrheit verfochtene Lehre wurde noch zu Goethes Lebzeiten, nämlich im Jahre 1828, also jetzt gerade vor hundert Jahren, unheilbar erschüttert durch die folgen reiche Entdeckung des großem Chemikers Friedrich Wühler, dem es gelang, eine allein in Lebewesen zu findende Sub stanz. nämlich den Harnstoff, künstlich herzustellen. Diese erste Großtat der synthetischen Chemie wurde für diesen Wissenszweig zum Ausgangspunkt einer reichen und glänzenden Entwicklung Groß ist die Zahl der Erzeugnisse geworden, für die wir nicht mehr ansschließlich auf die schaffende Urkraft non Mutter Natur angewiesen sind, sondern die wir ihr nachzubilden vermögen. In diesem Zusammenhang soll hier nnr an einige Erzeugnisse, denen ganze Industrien ein blühendes Dasein verdanken, erinnert sein, nämlich an dis Kunstseide, das Kunstleder, die Soda und den künstlichen Zucker, Unter dem Einfluß dieser Entwicklung haben sich in der Chemie nicht nnr die früher anscheinend so starren Trennen zwischen bem beleUtsn src>c»,,-ich verwischt, sondern sie ist auch mit zwei benachbarten Wissen schaften, mit der Physik und der Elektrizitätslchre, in eine enge Verbindung getreten, aus welcher ihr zwei besondere Forschungsgebiete von weittragender Wichtigkeit und von gewaltigem Ausmaß erstanden sind: die physikalische Chemie und die Elektrochemie. Diese beiden neugewonnenen Wissensbereiche um fassen zahlreiche und überaus bedeutungsvolle Aufgaben und Fragenkomplexe, zu deren umfassender Bearbeitung die K a i s e r-W i l h elm-G es ellsch a f t ein besonderes Institut in Dahlem errichtet hat. Dieses untersteht seit seiner Gründung im Jahre 1911 einem Chemiker von Welt ruf. nämlich dein Professor Dr, Haber, und gliedert sich in zwei Hauptabteilungen, Die eine von diesen ist vorzugs weise chemisch-physikalischen sowie technologischen Fragen gewidmet und wird von Professor Haber selbst geleitet, dem als wissenschaftliche Mitglieder des Instituts die Pro fessoren Ladenburq und P olanyi zur Seite stehen. Die andere A^eiGng steht unter der Leitung von Professor Freundlich und befaßt sich mit den schwie rigen Problemen der Kolloidchemie. Diese erforscht die großenteils noch rätselhafte Natur jener Körper, die im Gegensatz zu den Salzen und anderen Kristallen sich nicht einfach auflösen lassen, sondern in einen besonderen Gesetzen unterliegenden Lösungszustaud übergehen. Einige Edel metalle. wie Gold, Silber und Platin, gehören zu ihnen, und außerdem sind sie in allen organischen Gebilden anzu treffen. Das wegen seiner herrlichen Färbung hochgeschätzte Rubinglas ist nichts anderes als eine erstarrte Kolloid lösung von Gold in Glas. Auch unser Blut und fast alle anderen Säste unseres Körpers sind Flüssigkeiten von kolloidaler Art. Aus diesen wenigen Andeutungen läßt sich schon er raten, daß die Kolloidchemie bei aller jb^r hohen Bedeu tung für die Theorie doch auch zahlreiche Berührungs punkte mit wichtigen Fragen aus der Lebcnspraxis haben muß, Ihre Forschungsergebnisse über die chemische Natur des Blutes und der Lymphe haben uns wichtige und prak tisch wertvolle Aufschlüsse über den Ernährungsvorgang und über Heilungsprozesse vermittelt Es ist daher ver ständlich. daß in dieser Abteilung des Instituts beständig mehrere Mediziner arbeiten, die den oft tief verborgenen Zusammenhängen von kolloidalen Erscheinungen mit bio logischen Vorgängen ihre besondere Aufmerksamkeit zü rnenden. Fortschritte in der Behandlung von Krankheits zuständen sind vielfach davon abhängig, daß wir einen mög lichst klaren und tiesen Einblick in die Natur »nd Be schaffenheit des Blutes gewinnen, das ja die Nährmutter unseres gesamten Organismus und aller seiner Zellen ist. Zur Zeit sind die verschiedenen Eiweißstoffe des Blut serums Gegenstand von eingehenden Untersuchungen. Viele Naturstoffe, die wir technisch verwerten, gehören zu den Kolloiden, und ihre Verwendung zu Zwecken der Technik wird daher sehr gefördert oder manchmal über haupt erst dann ermöglicht, wenn wir uns mit ihren kolloidchemischen Eigenschaften und Besonderheiten genau vertraut gemacht haben So erwachsen beispielsweise der sehr ausgedehnten und vielvcrzweigtcn Kautschukindustric schwer« Produktionshemmungen aus dem Kautschukmilch sast. und diele können erst dann ''U erwunden werden, wenn die chemisch-physikalischen Eigensch-flen dieses Sastes, ins- Von Lsnitätsrst Or. Lerzwtana-Lvrlii» besondere seine Gerinnungsfähigkeit und sein Verhalten in den verarbeitenden Kautschukstoffen bis in alle Einzel heiten ermittelt sind. Auch das Lein- und Holzöl sowie die aus ihnen her gestellten Farben verlangen für ihre zweckmäßige Verwen dung in der Technik eine gründliche Kenntnis ihrer Re aktionsweisen, Ebenso spielen in der für die Metall industrie so wichtigen Frage von der Entstehung des Rostes und der Patina kolloidchemische Einflüsse eine entschei dende Rolle. Aus der chemisch-physikalischen Abteilung des Insti tuts ist eine Erfindung hervorgegangen, welcher eine gar nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung zukommt und welche insbesondere im Weltkriege in hohem Maße dazu beigetragen hat, daß wir gegen eine Welt von übermächti gen Feinden einen so langen Widerstand zu leisten ver mochten. Professor Haber war es nämlich nach viel jährigen Arbeiten gelungen, ein Verfahren zu erfinden, durch welches sich Ammoniak unmittelbar aus dem Stick stoff der Lust gewinnen läßt. Dieser kann zu zwei gleich wichtigen, aber einander geradezu entgegengesetzten Zwecken verwendet werden. Einmal nämlich dient er dazu, dem Erdboden in Form von Düngesal'en diejenigen Stoffe zuzufllhren, ohne welche der Acker unfruchtbar bleibt oder wenigstens keine ausreichende Nahrungsmenge für Menschen und Tiere zu erzeugen vermag. Sodann aber ist das stickstoffhaltige Ammoniak der unentbehrlichste Rohstoff zur Erzeugung von Kricgsinunition. Der Stickstoff zeigt also in seiner Sanitätsrat Dr.Vergmann-Verlin: Das Kaiser« Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und ElcNrochemi». Albert Leitich-Wirn: Aus Johann Sebastian Bach« Leben Heinrich Leis: Rabenflug. Schriftstellerarbeit. — Fünf Minuten Kopfzerbrechen, Nlllttllttttttttlllllllttitttt,,,,,,,,,»,,,,,,,»,,«,«»,,,,,,,,,,,,,,,,,,,!,,,,,,,,,,,,,„,M technischen Auswertung ein doppeltes Gesicht. Er erscheint gleichermaßen als der Genius der Ernährung und als der Dämon der Zerstörung. Nach beiden Richtungen hin hat die Haberjche Erfindung dem deutschen Volk in dem ihm aufgezwungencn Verzweiflungskamps einen Dienst von unscl-ätzbarem Wert geleistet. Sie ist auch heute noch die Seele jenes Riesenwerks in Leuna, wo dank dem syn thetischen Verfahren Habers Goldwerte aus der Luft ge holt und jährlich mehr als fünfhundertausend Tonnen Stickstoff für unseren heimischen und den ausländischen Be darf produziert werden. Nach dem Kriege beschäftigte sich Haber mit einer großangelegten Arbeit über den Goldgehalt des Meeres wassers. Allgemein wurde von den Forschern angenom men, daß in jedem Kubikmeter Meerwasser einige Milli gramm Gold enthalten seien Unter dieser Voraus setzung mußte es als geboten erscheinen, geeignete Metho den zur Gewinnung dieser Goldmengen ausfindig zu machen. Als man aber Wasscrproben aus den verschieden sten Teilen des Weltmeeres auf ihren Goldgehalt prüfte, stellte sich heraus, daß dieser nicht mehr als etwa ein hundertstel Milligramm auf den Kubikmeter betrage. Diese Menge ist so gering, daß die Kosten ihrer Gewinnung nicht ausgewogen würden. Immerhin aber haben diese Versuche im Kaiser-Wilhelm-Jnstitut zu Ergebnissen ge führt. die für die Ozeanographie von Bedeutung sind. ZrrZraim 8s!)aZtiaii Dacl>8 I«eben Das war ein Sonnlagmorgen gewesen, als der Thomas- kantor von Potsdam heimkani, wo er als East seines Königs, Friedrich des Großen, geweilt hatte. Die schon erntcsihweren Felder strahlten gleich goldgewirkten Teppichen, und die Wiesen, deren Gras nach dem Schnitt der Sense schon lechzte, funkelten tausendfältig im Morgentau. Noch rötlich überhaucht vom Frllhlicht, lag im Lindenschatten die Thomasschule: überall spielten krause Sonnenjlccke aus der glattgesahrenen Straße, und aus den alten Schornsteinen wirbelte der lustige Rauch empor, sonndurchleuchtete Streifen über die blaue Himinelsdecke ziehend. Der Aufenthalt in Potsdam war für den Meister in jeder Hinsicht ruhmreich und ehrenvoll verlaufen. Schon bei seiner Ankunft im königlichen Schloße hatte es Ehrungen aller Art gegeben. Der König hatte sich gerade zu dem allabendlichen Hoskonzert begeben und die Flöte zurechtgelegt, als ein Offizier ihm den Rapport über den angckommenen Fremden überbrachte. Mit der Flöte in der Hand warf er einen Blick aus das Papier und wandte sich sogleich mit einer Art von Unruhe an die Kapellisten: „Meine Herren, der alte Vach ist gekommen," Ohne Verzug wurde der berühmte East auf das Schloß entboten: man ließ ihm nicht einmal Zeit, seinen schwarzen Staatsrock anzuziehen, sondern im Reisekostüm, unter vielen Entschuldigungen über diesen Auszug, erschien er vor dem Könige, Dieser führte ihn gleich in den Saal, wo seine kostbaren Silbermannsche» Flügel standen und „geruhte unverweilt" in höchst eigener Person, dem Kapellmeister Vach ein Thema vorzu- spielcn, welches dieser in einer Fuge ausführcn sollte. Es geschah dies von dem alten Kantor so geschickt, daß nicht nur Seine Majestät dero Allergnädigstes Wohlgefallen darüber zu bezeigen »»««« Hetnrlct» l.«!. Stumpfgrau der Horizont, und nebelschwer Verhangen fahlt im Däunnerschein das Land. Nur purpurn glimmt ein Streif am Himmelsrand. Da rauscht cs von den dürren Feldern her, Ein Flügelkreisen, schwarzer Schwingen Schweben, Von schrillen Stimmen Schrei; ein Niedcrtanmeln Und auswärts zuckend Zn-die-Luft-sich-hebcn. Uebcr die braunen Schollen braust im schwanken, Krächzenden Flug die dunkle Rabenschar, Anfwirbelnd wie verschollene Gedanken, Wie Schatten ferner Ahnung und Gefahr. Ein Flattern huscht durch wintertriibe Traue'-. Eespenstcrzng von heimatlosem Irren Und heimiich-böser Taten Renejchauer. Auflreisend wieder und im Flug vorbei, Entschweben sie in blasser Neüelhiille; Doch hinter ihnen die zerwühlte Stille Schwingt noch von schrill verhalltem Kriichzesch»ei. Von widert L.eitleIr->Viea beliebten, sondern auch die sämtlichen Anwesenden in Ver wunderung gesetzt wurden. Bach hatte das ihm aufgegebene Thema so ausbündig schön gesunden, daß er es in Kupser stechen laßen wollte. Abends trug ihm dann der König nochmals die Ausführung einer Fuge von sechs Stimmen auf, und Friedrich, der gewiß nicht zu den leicht in Bewunderung übersließenden Charakteren gehörte, war von der unerhörten Meisterschaft des alten Kantors völlig über rascht gewesen. Und wie Beethoven von dieser urgcwaltigeu Schöpferkraft überwältigt ausgerusen hatte: „Nicht Vach, Meer sollte er heißen!", so geriet diesmal der König, hinter dem Meister am Klaviere stehend, in Entzücken und meinte ein über das andere Mal: „Nur ein Bach! Nur ein Bach!" Das war im Frühsommer gewesen; jetzt wurde es langsam Winter. Bachs Augen singen an, ihm den Dienst zu versagen, Er hatte in den durcharbeiteten Nächten zu viel von ihnen verlangt. Er stand an einem der Fenster, von denen aus man den Platz übersehen konnte, und schaute in das Schneetreiben, dessen mehlige Wolken zwischen den Häusern ihr wüstes Spiel trieben. Von den Dächern wogten die weißen Schauer empor und wölbten sich über den Firsten wie linnene Laken, die der Sturm von der Bleiche emporpeilscht. Nach einer Weile wandte sich der Thomaskantor vom Fenster ab und zog mit zitternder Unbehilslichkeit seinen Schlaf rock aus, unter Beihilfe seiner Ehefrau Anna Magdalena. Er tastete nach den Aermellöchern seines dunkelblauen Staatssracks, welchen Anna Magdalena ihm hinhielt. Er griff nach seinem Stock wie nach einer Waffe, nahm ihn unter den Arm und verließ das Zimmer, um sich nach dem Chor zn begeben. Die beiden guten Alten hatten schwere Sorgen. Im Sommer waren sie so froh gewesen, da waren noch keine schlimmem Nachrichten aus Dresden gekommen, und sie konnten voll Freude an der gediegenen Gegenwart auf ihrer heißen grünen Garten« bank sitzen und voll Dank für die Treue und Teilnahme der Sonne sein. Was konnte das Leben den beiden Alten noch bieten, was besser gewesen wäre als die warme Sommersonne. Immer hatte Bachs innerer Reichtum den Kreis seines Daseins ansgefüllt, aber seit von Friedemann, seinem Liebling, schlimme Nachrichten kamen, war dieser Kreis von Tag zu Tag enger geworden. Ein Glück noch, daß er die Gefährtin hatte. — Bei Tisch kam ein Brief eines Freundes, der die alten Leute völlig verstörte. Friedemann hatte dem Vater von jeher durch fein starres, finsteres, nachlässiges Wesen, durch seinen Hang zu wüstem, zügellosem Leben bittere Sorge gemacht; jetzt sah der Alk» erschüttert all die schlimmen Triebe, die in ihm selbst, aber durch eine eiserne Willenskraft gebändigt, schliefen, in dem unglilll» lichen Sohne zu offenbaren Lastern ausgegangen, sah di« «dU«