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Sächsische Volkszeitung : 02.12.1928
- Erscheinungsdatum
- 1928-12-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192812026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19281202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19281202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1928
-
Monat
1928-12
- Tag 1928-12-02
-
Monat
1928-12
-
Jahr
1928
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 02.12.1928
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rinmmer 27» Süchsifche Dvlkszeitung r. Dezember 1«3 SS————s Zum 80. Jahrestage -er Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs am 2. Dezember schen Negierungen es unternehmen wollen, Oesterreich und Preu ßen... vorwärts zu treiben, ohne Rücksicht darauf, daß man einen europäischen Krieg heraufbeschwört,... gegenüber dem Manne in Paris, der in letzter Instanz doch unser aller Hauptfeind ist... Die natürliche Folge sind Zwischenfälle, wie die, über welche Du Dich beschwerst. Ich will nicht in allem die Art und die Form, in der die Preußen Vorgehen, verteidigen... Bismarck hat seine großen Fehler, von denen wir aus früherer Zeit was zu erzählen wissen, und einer dieser Fehler ist, daß er sehr burschikos und übertrieben spricht und mit seinen Reden einschüchtern will... Die Preußen haben in der Form teilweise gefehlt, i» der Sache hatten sie aber... vollkommen recht." Zwei Jahre darauf begrüßt er Albert als Kom mandanten der sächsischen Armee in Böhmen gegen Preußen: „Ich bin tief gerührt und beruhigt. Eure braven Truppen mit den unseren vereint zu wissen... für mich ist es eine Ehrensache, nicht zu ruhen, bis Sachsen ans diesem Kampfe des Rechtes gegen Hinterlist und Raubgier... gestärkt hervorgehe." Und dann — nach Königgrüh — dankt er ihm: „Nimm also meinen innigsten Dank für die vielen Freundschaftsbeweise... Auf eines lasse mich mit Zuversicht bauen, daß unsere Freundschaft gleich und fest bleibe, >vas immer der Him mel noch über uns bringen mag..." Fünf Monat« später, nach »ach dem zähen Kampfe, den Franz Joseph Lei den Friedcnsvcr- lmndlungcn zu Prag um Sachsens Integrität geführt, versichert er dem Freunde: „ Meine Gedanken nmrcn in diesen schweren traurigen Zeiten des Triumphes des Unrechts über Recht und Ehre oft bei Euch, und wenn mir meine Aufgabe recht sauer wurde, so dachte ich au den König, dessen Lage »och härter ist und an das arme Sachsen." Dann berichtet er über seinen neuen Kanzler, den er von Dresden bezogen: „Neust ist schon ganz Oesterrcicher und entwickelt eine unglaubliche Tatkraft... Wir fahren schon gut zusammen." Wüh. rend aber 1870 Neust noch mit Paris liebäugelt — „rcvanche pour Sadoiva" — entscheidet Albert mit seinem 12. Armeekorps bei Gravclotte; dann kommt Daigny-Scdan. „Wenn auch verspätet", schreibt ihm der kaiserliche Vetter, „so wünsche ich Dir doch aus warmem Freundeshcrzen Glück zu Deinen herrlichen Erfolgen... Mit Stolz bin ich ihnen gefolgt..." Ein interessanter Brief König Albcrts an Kaiser Franz Jo seph liegt vom 30. April 1881 vor: „Als ich zu den Hochzeitsfcier- lichkeiten in Berlin war, wurde ich mit einem russischen Vorschlag zu einem Vertrag mit Euch und uns bekannt, der meine große Freude erregt . . . Nun hörte ich aber zugleich, daß er in Wien in vielen Punkten Anstand gefunden... Und so komme ich in aller Bescheidenheit als alter Freund... Bei der Unzuverlässigkeit, ja Feindseligkeit der Westmächte scheint mir eine... Rückendeckung durch Rußland eine Lebensfrage namentlich für Eure schwierige Stellung auf der Balkanhalbinsel. Die Unmöglichkeit einer russi schen Allianz wird überdies alle Kriegsvelleitätcn Frankreichs und Italiens im Keime ersticken. Fürst Bismarck hängt jetzt gewiß noch sehr an Eurer Allianz . . . allein auch die angeregte Sache wünscht er sehnlich. Nun kennst Dn ihn so gut wie ich: sein leicht erregtes Mißtrauen, seine Hartnäckigkeit, aber auch sein leichtes Ueberspringen z» neuen Gedanken, seine Rachsucht... Was ein Aufhörcn der Allianz für Euch und uns Gefährliches mit sich brin gen würde, brauche ich nicht zu erörtern. Für mich, um auch pro domo zu sprechen, wäre cs der härteste Schlag, war ich doch jetzt so glücklich, Iva ich meine Herzcnsgefühle mit meiner Fürstenpflicht In Ucbcrcinstimmung wußte..." Darauf antwortete der Kaiser unterm 5. Mai: „So wie Du lege auch Ich im Interesse des Friedens de» höchsten Wert auf ein Zusammenschließen der drei Mächte... und auf die letzten russischen Vorschläge bis auf einen Bosnien betref fenden Punkt. Ich muß annehmen, daß hier nur ein Versehen vor liegt ... Mein Streben ging in erster Linie dahin, dem Abkommen eine wahrhaft friedliche Tendenz zu geben. Ich glaube, daß der nun-, mehr allein noch übrige Stein des Anstoßes sich leicht werde besei-' tigen lassen." Nichtsdestoweniger kam der Vertrag bekanntlich nicht zustande. Sechs Jahre darauf schloß Bismarck ohne Oesterreich mit Rußland den allerdings sehr kurzlebigen „Rückversicherungsver trag" ab. Im Krisenjahre 1887 schließlich bekennt sich Kaiser Franz Jo seph sehr nachdrücklich zum Bündnis mit Deutschland; er spricht von dem in Wien nicht auszurottenden Mißtrauen gegen Fürst Bis marck: „Ich kann Dir die Versicherung geben, daß ich dieses Miß. trauen nicht im geringsten teile... Ich betrachte die genaueste Ver ständigung und das engste Zusammengehen mit Deutschland.... als Leitstern unserer Politik." Das ist der letzte politische Brief in der Serie. Als Tenor könnte man unter diese Reihe einen Satz aus einem Briefe Kaiser Franz Josephs vom 25. März 1878 sehen: „Die Politik macht mir viele Sorge, doch Hab« ich den Trost.doß wir loyalvorge- gangen sind." Neben diesen „Geschäftsbriefen", wie sie die beiden nannten, gingen unzählige andere zwischen den Freunden hin und her, fami liären, alltäglichen Inhalts. Erstaunlich, aber bezeichnend für Kaiser Franz Josephs Wesen ist an ihnen eines: So sehr er sich in Dingen der hohen Politik dem Rat des „Amtskollegen" erschloß, so sehr er in Familienangelegenheiten dem vertrauten Verwandten sich eröffnete — in einem Punkte war er auch König Albert gegen über zugeknöpft bis aufs äußerste, in allem, ivas er „Protektion" nannte. Empfahl ihm der Vetter in seinem Interesse für Mu*tk einen Virtuosen, eine Sängerin, hörte sie Franz Joseph, so fern ihm das sonst lag, >vem Freund zuliebe an, zeichnete sie wohl auch aus: „...zeige ich Dir an, daß ich der Frau Bayer das goldene Verdienstkreuz mit der Krone verliehen Hab«. Es ist das eine Aus zeichnung, welche bet uns schon einige hervorragende Damen vom Theater erhalten haben und gewiß ist es in diesem Falle ein« wohl, verdiente." Sobald aber der König versuchte, jemand eine noch so harmlose „Begünstigung" zu erwirken, deren Beantragung nach Kai ser Franz Josephs überstrengen Anschauungen in die ausschließ liche Kompetenz der Minister, seiner „konstitutionellen Ratgeber" siel, wollte er nicht recht hören: „Leider ist die Zahl der Anstellun gen jetzt eine sehr verminderte, die der Vorgemcrkten eine sehr große..." „Sobald ich das Gesuch in Händen haben werde, werde ich schen, was ich tun kann, um Deiner Empfehlung nach Möglichkeit zu entsprechen und muß nur bemerken''. . ." König Albert ließ sich durch diese rührende Halsstarrigkeit nicht abschrecken, anständigen, bedürftigen Leuten da oder dort zu einem Unterkommen zu verhelfen; er mag wohl, wissend, daß es überall schlimmere „Protektion" gebe, über seines „liebsten Franz", des schicksalgcrütteltcn alten Freundes jugendlich eifrigen Optimis mus still geschmunzelt haben. Denn König Illbert war zeitlebens der abgeklärtere, man könnte sogen, der weisere der beiden Freunde: Es lag mehr von seinem Vater in ihm, als man vorschnell meinen mochte. So war er in dem schönen Verhältnisse, das ihn lebens länglich mit Kaiser Franz Joseph verband, sicherlich im Grunde seelisch der gebende Teil. Das hat Kaiser Franz Joseph gewiß empfunden, als er am 21. Juni 1902 tief erschüttert an König Albcrts Sarg stand. Seitdem l-atte er keinen Freund mehr, stand er ganz allein in der kühlen Höhenluft des Thrones: wahrhaft nur mehr „der Kaiser, der niemals stirbt..." Und doch ist dieser unsterb liche Kaiser nach dem langen Dornenweg vom Biedermeiertum der Thronbesteigung zum Bolschewismus des Weltkrieges gestorben, ge storben zwei Jahre nach seinem leiblichen Tode: am 12. November 1918 mit seinem Reich....r Der Ansturm gegen die Ehe Die Linksanlräge auf Aenderung -es Eherechks im Reichstag . Genau vor achtzig Jahren nahm das Biedermeiertum Abschied von Oesterreich: „Bleib' nur brav, 's is' gern g'schch'n", sagte im Llmützcr Thronsaale Kaiser Ferdinand zum Erzherzog Franz Jo seph, als dieser vor ihm das Knie beugte nach Verlesung der Er klärung, mit der der kinderlose Onkel dem achtzehnjährigen Neffen die schweren Kronen Habsburgs übertrug. Und Erzherzogin So phie, in Mntterstolz und Gottesgnadentumsglauben, wandte sich zu ihren drei jüngeren Knaben: „Der Franzi ist jetzt nicht mehr euer Kruder, jetzt ist er euer KaiserI" Von da ab nannten ihn die Kruder „Eure Majestät", und später schrieb selbst der Kronprinz: „kure Majestät, lieber Herr Vater." So sehr hatte Franz Joseph, Äs ec im beispiellosen Selbstverzicht des „Leb' wohl, meine Ju gend!" von, 2. Dezmebcr 1848 sich immer mehr zum Abstraktum „Tie Krone" entpersönlichte, die Worte wahr gemacht, die Grill parzer, prophetisch, dem Ahnherrn in den Mund gelegt: „Nicht ßabsbnrg bin ich, selber Rudolf nicht, was sterblich war, ich Hab' iS ansgczogen, und bin der Kaiser nur, der niemals stirbt." Nur einem Manne ist „der Kaiser" zeit dessen Lebens kame radschaftlich in einziger Freundschaft „Liebster Franz" geblieben: da ihm bald nach der Thronbesteigung sein Vetter Albert von Sachsen in dem Tone schreibt, der von nichtregicrenden zu regie- rcudcn Mitgliedern von Dynastien auch unter Nahvcrwaudten üblich ist. antwortet Franz Joseph in ungewöhnlicher Angelcgcntlichkcit: „Mer Deinen Brief... bin ich erschrocken, da er mit „Euer Maje stät" beginnt und mit Titeln erfüllt ist. die, wie ich gehofft hatte, zwischen uns beiden unnötig sind; ich bitte Dich daher inständig, diese Formen künftig ausznlafscn und mich cinsach mit „Du" zu trak tieren." Es ist dies das erste Stück eines nach König Albcrts Tod an Kaiser Franz Joseph zurückgclangtcn, nach dessen Ableben im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv hinterlegten Briefwechsels zwischen den beiden Vettern, von Dr. Otto Ernst herausgcgebcn, sieilich mit tendenziös hämischen Glossen, die aber die Wirkung feiner schönen Wärme, seines sittlichen Ernstes und seiner schlichten Mensch- Weit in nichts zu schmälern vermögen. « Albert und der um zwei Jahre jüngere Franz Joseph find seit sriibestcr Jugend viel beisammen gewesen: bei den königlichen Kroscttcrn in München oder Berchtesgaden, in Pillnitz oder Schön- bruim, — die beiden sächsischen Königinnen Marie und Amalie waren ja Schwestern, crstcre Zwillingsschwcster der Erzherzogin Sophie. — in Tegernsee bei der Tante Ludowika in Bayern, in Lhulottenburg bei Tante Elisabeth und Onkel „Diky", wie in der shimilie König Friedrich Wilhelm der Vierte hieß. Sic hatten viel McuisameS, auch äußerlich: beiden hatten die Mütter manchen Wit- tetsbaclnschcn Gesichtszug mitqcgebcn, Achnlichkeiteu, die späterhin dic gleiche Barttracht »och erhöhte. Beide waren vornehme, gerade, kluge, einfach denkende, unkomplizierte Menschen, di« das Wesentliche i» den Dingen sahen, sie und sich nicht verkünslelnd: Albert wohl der weichere und — ans dem Gelehrtenmilieu des Vaters und Onkels Krems — der intercsfenrcichcre, Franz Joseph der temperament vollere und dabei grandseigneuralcre; beiden war di« crholendste Freude das Waid werk in seiner natnruächstc» Art, der Gcbirasjagd; Heide waren mit Leib und Seele Soldaten, Albert freilich der orga nisatorisch und laklisch weitaus befähigtere; beide sahen, ausgerüstet mit starten, politischen Sinn und festen, doch nicht engherzigen Lcbeneanschannngc», in ihrem Herrschcrwirken, dem ihr Verant- wortnngsbcwußlsein alles restlos untcrordncte, einen goltgcsctzten, schweren Berns. Ihre Ehen hatte» die beiden Vettern noch enger verknüpft: Königin Carola war als Prinzessin Wasa Erzherzogin Sophies erklärter Liebling gewesen und ihr in Wien lebender Vater, viel geneckt als schlechter Schütze, ging im Kaiserhanse ans und ein: Kaiserin Elisabeth— die Ihren nannten sie „Sisi" — war, wie ilncs Gatten, so König Albcrts Kusine; oft griffe» denn auch die beiden Frauen, in viel zwangtosercr Familiarität, als man es in breiten Kreisen hinter Herrscherpalastfronte» vermuten mochte, in den Briefwechsel der Clatten ein Das menschlich Ansprechendst« an ihm sind Kaiser Franz Jo sephs Fagdbcrichte in ihrer Friichc, ihrem Humor kommt Franz stvicvbs blitzblanker Stil doppelt plastisch zur Geltung, und cs hat elnws Erquickendes wie der Kaiser, den dic Ocssentlichkcit nnr im Nimbus seiner Würd- kennt, erzählt, nach Albcrts Abreise hätten sie olle in einer Almhütte übernachtet, „Nando" — der Großhcrzog von Dgskana — und „Clackel" — Dr. Karl Theodor in Bayern — bäile» abwechselnd das Feuer unterhalten; nächstcntags sci's eine „Mordslonr" noch gewesen bei großer Hitze, aber herrlicher Glet- sibcraussicht. und nun schicke er dem Vetter wehmutsvoll seine „stei rischen sterblichen Ucberrcste". Lodenjoppe und Lcderhose, »ach, wäh rend er selber heimiahre, „in die Arme seiner Lieben, aber auch in die Krallen der Geschäfte..." Fremdere Jagdgästc. gar späterhin Kaiser Wilhelm der Zweite in seiner „Hossagdnnisorm", waren den beiden schlichten, gemüt liche» Gefährten nicht sonderlich angenehm: auch wallte ich", schic,bt Kaiser Franz Joseph im Sommer 1891, „offen gesagt, die stagdsragc Kaiser Wilhelm gegenüber noch nicht anregcn, in der Hoffnung, daß es uns vielleicht dieses Jahr wieder einmal gegönnt wäre, die Jagden nach Art vergangener besserer Zeiten unter uns abzubotten" Auch ansonsten trachtete Franz Joseph, den Freund tunlichst allein sür sich zu lzabcn: zur Wiener Weltausstellung 1873 - „Tein und Deiner Frau Besuch wird ein Lichtpunkt während der Miibcn dcs heurigen Sommers sein" — rät er ihm, erst im August W kommen, .Ho ich hoffe, daß uni diese Zeit schon weniaer „hohe hrnichasten" hier sein werden, ich also doch etwas von Dir hätte: im Stngnst könnte der Schah von Persien kommen, der Dich ober weis! mehr amüstcren als genieren würde..." Franz Joseph schreibt a„ Albert stets sehr oisen über seine Gäste und namentlich die „Preußen" sind ihm immer ei» bißchen unbehaglich: im Jahre Mt hcisn's nach einem offizielle» Besuche König Friedrich Wil helms dcs Vierte» in Wien: „Die Preuße» waren sehr still und haben so wenig als möglich gelobt, doch glaube ich, daß ihnen man ches gesotten hat." Und 1873 nach dem Wiener Aufenthalt des deutschen Kaisers atmet Franz Joseph auf: „Nach glücklich über- stantcnem Tcjour des Kaisers Wilhelm ..." Freilich galt dies wohl vornehmlich de» politischen Diskussio nen dic solche Monarchcnzusammcnkünfte nnt sich brachte». „In polilicis" erschloß sich der sonst gerade hierin aufs äußerste zurück haltende Kaiser, dem seine Minister »achrühmtcn, was ihm anver trant sei, sei verwahrt wie im Grabe, seinem Freunde Albert von Sachse» wie keinem zweiten, und auch dieser nahm bei aller Be scheidenheit der Form kein Blatt vor de» Mund. Sie haben ja auch gar manche Wechselfälle mitsammen erlebt, und es ist spannend, sie i» den Briese» zu verfolge». 1861, vor dem dänischen Krieg, als Cachjcn in der Frage „Exekution — Okkupation" im Deutschen Bund maßgebend die Politik der sogenannten „Dritten Gruppe", der Mit- tclstaalcn. vertritt gegen Oesterreich und Preuße», dic, in erster (und Ichicrs Ucbcrcinstinnnung, an der Londoner Konferenz fcsthaltcn, schreibt Kaiser Franz Jofeph an Kronprinz Albert: „Du kannst Dir denken, wie ich bcdaure, daß Deutfchland in zwei Lager gespalten ist will ich Euch im entgegengesetzten sehen muß Wie konnte» die deut- Berlin, 1. Dezember. Auf der Tagesordnung der gestrigen Reichstagssitzung stand die erste Beratung der Anträge der Sozialdemokraten, Demo kraten und Kommunisten zur Reform der Ehescheidung, der Rechtsstellung der Frau und des unehelichen Kindes. Die Sozialdemokraten beantragen eine Novelle zum Bürgerlichen Gesetzbuch, die die Heirat von Ehebrechern zulassen und bei Ehescheidungen wegen tiefer Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses, wegen Abneigung oder Geisteskrankheit die bis herige» erschwerenden Voraussetzungen beseitigen will, nämlich die schwere Verletzung der Ehepfiichten, ehrloses oder unsittliches Verhalten und dreijährige Dauer der Geisteskrankheit. Ferner soll die bisherige Bestimmung beseitigt werden, daß eine Ehe scheidung nicht mehr möglich ist, wenn dem Schuldigen verziehen worden ist. Da bei Zerrüttung der Ehe oder Abneigung nicht immer von einer Schuld gesprochen werden kann, so sieht der Antrag bei beiderseitiger Schuldlosigkeit gegenseitige Unter haltspflicht nach Maßgabe der Billigkeit vor, während bisher nur der Schuldige die Unterhaltspflicht hatte. Ein Urteil über das Erziehungsrecht an den Kindern soll künftig nur noch dann gefällt werden, wenn keine Einigung unter den Gatten zu stande kommt. Die Kommunisten beantragen, daß Ehescheidungs prozesse künftig überhaupt nicht mehr möglich sein sollen und daß an ihre Stelle ein freiwilliger Eheauflösnngsvertrag treten soll, der staatlich bestätigt wird durch eine Kommission, beste hend aus dem Amtsrichter und zwei Laienbeisitzern. Die Demokraten beantragen eine Aenderung des Ehe scheidungsrechts in Anlehnung an die Vorlage des Rechtsaus- '»nsses. Weiter verlangen die Sozialdemokraten die Vorle gung eines Ausfllhrungsgcsetzes zu Artikel 1l9 der Reichsver- fassnng. der die Gleichberechtigung der Geschlechter, Fürsorge für kinderreiche Familien und für die Mutterschaft vorsieht. Auch die Demokraten ersuchen um eine Vorlage, die der veränderten staatsbürgerlichen und wirtschaftlichen Stellung der Frau entspricht. Artikel 121 der Verfassung kündigt ein Gesetz an, das für die unehelichen Kinder dieselben Vorbedingungen für ihre körperliche, geistige und gesellschaftliche Entwicklung schafft, wie für die ehelichen. Sozialdemokratische und demo kratische Anträge fordern die Vorlegung des längst zugesagten Ansführungsgesetzes zu diesem Artikel. Aehnlich beantragen die Kommunisten die „rechtliche Gleichstellung aller Kinder ohne Unterschied". Abg. Frau Psülf (Soz.) begründete die sozialdemokratischen Anträge. Die in der Reichsverfassung verkündete Gleichberech. tigung der Frau ftehe bisher nur auf dem Papier, sie müsse ins .praktische Recht überführt werden. Die Reform des Eheschei- chungsrechts sei nicht eine Parteiforderung, sondern eine sittliche Notwendigkeit. Wenn das Eherccht in feiner ganz veralteten Form bestehen bleibt, dann werde di« Wirkung sein, daß viele Paare auf die offizielle Eheschließung verzichten. Die ökono mische Abhängigkeit der Ehefrau vom Mann, die im bestehenden Reibt k«stael«at sei, widerspreche geradezu den Forderungen der I Sittlichkeit. Dringend erforderlich fei eine verbesserte Rechls- I stellung der unehelichen Kinder. Ein Achtel aller in Deutschland I geborenen Kinder sei unehelich (hört! hört!), in Bayern be- I trage der Anteil sogar 15,6 Proz. (lebh. hört! hört!). Die Säuglingssterblichkeit sei bei den unehelichen Kindern besonders groß. Das sei nicht zuletzt auf die ungünstige Rechtsstellung der unehelichen Mutter und ihres Kindes zurückzuführen. Die Weiterberatunss wurde zunächst ausgesetzt, weil die Miß trauensanträge der Deutschnationalen und der Kommunisten gegen den Reichsinnenminister Scvering zur Abstimmung kom men sollen. Der Antrag der Deutschnationalen lautet: „Der Reichsministcr des Innern besitzt nicht das Vertrauen des Reichs tags. Der kommunistische Antrag begründet die Mißtrauens- erklärung mit der Ministerrede zur Technischen Nothilfe. Vor der Abstimmung erklärt Abg. Stöcker (Komm.), ange sichts der von den Deutschnationalcn eingenommenen Haltung würden die Kommunisten nicht für den Deutschnationalen Miß- trauensantrag stimmen (lebh. hört! hört! rechts). Abg. Drewitz (Wirtschaftspt.) erklärte, seine Freunde woll ten endlich einmal Klarheit schaffen, von welchen Parteien die Regierung gestützt wird. Durch ihre bisherigen Handlungen habe sich die Regierung nicht das Vertrauen der Wirtschaftspartei er wachen. Die Wirtschaftspartei werde darum für den Deutsch- nationalen Antrag stimen (hört! hört!). Präs. Löbe: Zur Reihenfolge der Abstimmungen steht wohl fest, daß das unbegründet« Mißtrauensvotum weitergeht (große Heiterkeit^ In namentlicher Abstimmung wird hieraus der deutjchnatio, nals Mißtrauensantraa mit 2VS gegen 101 Stimmen der Deutsch, nationalen, der Wirtschaftspakte!, der Christlich-Nationalen «nl der Nationalsozialisten bei 12 Stimmenthaltungen der Komm«, nisten abgelehnt. In einfacher Abstimmung wird auch der lom< munistische Mihtrauensantrag abgelehnt. Zn der dann wieder ausgenommen«» Beratung der An träge zur Eherechtsreform erklärte Reichsjustizministcr Koch zerrüttete Ehen könnten auch, wenn die Schuld eines Antrag stellers nicht feststeht, aus die Dauer nicht wider den Willen der Beteiligten aufrechterhalten bleiben. Die Lösung eine, solchen Ehe sei aber heute entweder ganz unmöglich, oder si« erfolge nur unter Manipulationen, die sür die Autorität der Richter entwürdigend seien. Er habe deswegen auf Grund der Beschlüsse des Rechtsausschusses des vorigen Reichstags ein« Vorlage ausarbeiten lassen, die bis zur Vollendung gediehen, aber dem Reichskabinett noch nicht vorgeleat worden sei. Wenn der Reichstag die Ueberweisung der vorliegenden Anträge an den Ausschuß beschließen sollte, würde der Minister auch sein Material dem Ausschuß überreichen, damit dieser das gesamte Material bearbeiten könne. Eine Vorlage wegen Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes sei bereits vor län gerer Zeit dem Reichsrat zugegangen und dort verabschiedet worden. Sie wird dem Reichstag in den nächsten Tagen zu gehen. Die Sicherung der Rechtsstellung der Frau sei nach An sicht des Ministers am dringendsten aus dem Gebiete des ehe liche« Eüterrecktea. Die Bestimmungen des Vüraerlicken Ge-
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