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Nummer 198 27. Jahrgang Suchet»« imal wöchentl. mit den Illustr. GrattSbetlagen .Die «eil' und .Für untere kleinen Leute', sowie den Lelibeilage» ,kt. Venno-BIatt'. .NnterhaMmg und Wissen', .Die Weit der Frau', »Aerzilicher Ratgeber', .Da- gute Buch', .Filmrund- schau'. Monatlicher Bezugspreis S Mt. einschl. Bestellgeld. Itnzelimmmer tv Sonnabend- u. Sonntagmimmer SV Hauptschristieiter - T r. tS. DeSezhk» Dresden. LachlMie Dienstag, -en 28. August 1928 BerlagSort> Dresden Anzeigenpreis«, Die igespaltene Petttzeiie »« Famtlten» anzeigen ».Stellengesuche Sv^. Die Petitreklamezeile, SSmn, breit. 1 Für Anzeigen außerhalb des Verbreitungsgebiete» 4V ^. die PetitreNamezeile I.vv^s. Offerlengeb.«« ^, Im Fall« höherer Gewalt erlischt sede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigen-Auslrügen u. Leistung v. Schadenersatz. GeschSstltch« Teil: Artur Lenz. Dresden. Gelchitstsstrlle. Druck ».«erlag: Germania. A^-G. lür Verlag und Druckerei. Filiale Dresden, Dresden-«. 1. Volierstratzel?. FernruILlvlll. Postschecklonlo Dresden Vattlkonto Gtadtbant Dresden Nr ill71!> Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Sächsischen VotkSzeituna »1 1. Polierstratze 17. skprmii' 20711 und -1012. Dresden»?N1slltd! Locarnokrise und Kelloggpakk Der Schatten Poincares. ^ Es hat'den Anschein, als wenn sich bedeutsame Dinge vorbereiten, und die Zeitungen hüben und drüben über schlagen sich an Kombinationen über den Gegenstand und die Bedeutung der bevorstehenden Ministergespräche, von denen man Wunder erwartet. Die Reichsregierung hat ihrerseits in London, Paris, Brüssel und Rom Mitteilen lassen, daß sie die Näumuugsfrage unter allen Umständen aufzurollen gedenkt, und wir erinnern bei dieser Gelegen heit daran, daß uns auch ein Vorstoß in der Abrüstungs frage für den kommenden September versprochen worden ist. Wir stehen also scheinbar vor entscheidungsvollen Tagen für Deutschland wie für den Frieden der Welt. Dennoch kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß seit der Ruhrinvasion die Chancen für die Durchsetzung der deutschen Lebensforderungen sowie für die Verwirklichung — eines wahrhaften Friedens niemals geringer ge wesen sind als in diesem Augenblick. Zunächst wirft die englisch-französische Lntsnto ooi-clials ihre Schatten über die beiden Kon ferenzorte. Schon ist zwischen Kellogg und Chamberlain eine tiefe Verstimmung entstanden, und weitere Rückwir kungen werden vorläufig nur durch das Stadium der Un gewißheit aufgehalten. Kann ein Zweifel an dem wahren Charakter dieses Anti-Kelloggpaktes noch möglich sein? Die Dementis der amtlichen französischen und englischen Nachrichtenstellen bekräftigen eigentlich nur die Indis kretionen der französischen Zeitungen, und der Widerspruch selbst konservativer englischer Blätter vor allem gegen die ungeschickte Regie zeigt, daß man sich auf beiden Seiten der weittragenden Bedeutung der Allianz bewußt ist. Diese Entente hat ihre ersten Auswirkungen schon ge zeitigt: gemeinsame Rheinlandmanöver und englisch-fran zösische Truppenverschiebungen am Rhein dokumentieren die Spitze gegen Deutschland- in Italien empfindet man den Pakt als eine glatte Absage an die römische Adresse und hat sich bereits auf eine vorsichtigere und bescheidenere Durchsetzung der kolonialen Aspirationen eingestellt. Die gemeinschaftlichen englisch-französischen Demarchen in Bel grad und Sofia setzen einen neuen Machtkomplex an die Stelle der pax italiana, welche monatelang den Bal kan in Atem hielt. Endlich zeigt die schon länger sichtbare Hinüberschwenkung Englands zum Warschauer Standpunkt in der polnisch-litauischen Streitfrage, daß auch hier zwischen Frankreich und England herzliches Einvernehmen geschaffen worden ist. Vor allem aber scheinen Rußland und Deutschland Objekte dieses Kuhhan dels geworden zu sein, wobei sich Frankreich dem anti russischen Standpunkte Englands und England dem fran zösischen in der Räumungsfrage angeglichen zu haben scheint. Das System der Allianzen und Eeheimbünde, welches Optimisten in allem Ernst überwunden glaubten, ein System, das im Genfer Pakt ausdrücklich verboten wird und bisher ein Sondervorrecht Frankreichs und seiner Nachfolgestaaten war, wird nun stillschweigend auch von England adoptiert, weil bekanntlich sein verantwortlicher Minister Chamberlain „allzu gut französisch spricht". Wie wir bereits vor längerer Zeit voraussagten, sieht sich Kellogg bei seiner Ankunft in Paris einer ähnlichen geschloffenen Phalanz gegenüber wie einst Wilson bei seinem Einzug in Versailles. Ebenso wie man damals bereits Europa unter die Sieger ausgeteilt hatte, so hat man auch jetzt bereits in Paris seine Vorbereitungen ge troffen, um den „Gefahren" der Kriegsächtung zu begegnen, stens gelungen sei, den „Verteidigungskrieg" zu erhalten. Nun, solch ein Verteidigungskrieg könnte sehr bald Europa wieder in neues Unheil stürzen, wenn man diesen Begriff ähnlich wie die Nationen von 1914 formu liert, die ebenfalls alle nur in einen Verteidigungskrieg gezogen sind. Es ist ein sehr ernstes Wort, das in diesen Tagen von Professor Borchardt, dem bekannten inter nationalen Rechtsgelehrten der Yale-Universität, bei dem Kongreß des internationalen „Institut ot politios" ge sprochen wurde, der Kelloggpakt in seiner jetzigen Form stelle keinen Verzicht auf den Krieg oder gar eine Kriegs ächtung dar, sondern bringe erstmalig in der Geschichte eine Nechtslegalisierung des Krieges, müsse also mit größerem Rechte ein Kriegserlaubnis pakt genannt werden. " ' Während Kellogg auf der „Isle de France" Paris cntgegenfuhr, hielt Loolidge Besprechungen mit dem amerikanischen Marineminister über Gegenmaßnahmen gegen den englisch-f Die Unterzeichnung in Paris Der offizielle Akl im Quai d'Orsay — Dr. Slrefemanns Empfang in Paris Besuch bei Briand und Poincare sch-französischen Flottenkompromiß, sprach Ä l. Smith über die Unzulänglichkeit des Paktes. Wenn dann Kellogg heimfährt, wird er nicht bei seinem Ministerkollegen Chamberlain in London vorsprechen, son dern bei dessen Gegner Losgrave inDublin, der Haupt stadt jenes Staates, der gegen den englischen Willen das Licht der Welt erblickt bat und in diesen Tagen in Berlin Paris, 27. August. Im Uhrensaal des französischen Außenministeriums findet heute nachmittag der feierliche Akt der Unterzeichnung des Kelloggpaktcs statt. Außer den offiziellen Vertretern der fünfzehn unterzeichnenden Nationen wird auch der französische Ministerpräsident Poincar 6 und die übrigen Mnistcr der fran zösischen Negierung dem Akte beiwohnen- Reichsaußcnministcr Dr. Stresemann traf gestern Sonntag nachmittag um 3 Uhr auf dem Pariser Nordbahnhof ein. Zur Begrüßung hatten sich die Vertreter der deutschen Botschaft und im Aufträge Briands der Chef des Protokolls To »queres, sowie Polizeipräfekt Chiappe im Namen der städtischen Behör den eingefunden. Der deutsche Botschafter v- Hoesch war dem Neichsaußenministcr bereits bis zur belgische» Grenze cntgegen- gcfahre». Auf dem Vorplatz des Nordbahuhofcs hatten sich gegen 2000 Menschen, in erster Linie Mitglieder der deutschen Kolonie, angcsammelt, die Dr. Stresemann mit Hochrufen begrüßten. Einige Franzosen, cs dürsten Leute von der Aktion francaise oder auch Kommunisten gewesen sein, versuchten ohne Erfolg die Hoch rufe durch Zischen zu stören. Der Reichsaußenminister fuhr zu nächst unerwartctcrweise am Elyscc, dem Palast des Staatsprä sidenten vor, um seinen Aufenthalt in Paris mit seinem Antritts besuch bei Doumergue einzuleiten. Dr. Stresemann trug sich hier in die Besucherliste ein und sprach daun kurz bei der amerika nischen Botschaft vor. Da aber Staatssekretär Kellogg nicht an wesend war, begab sich Dr. Stresemann nach dem Gebäude der deut schen Botschaft, von dem die deutsche Rcichsflagge wehte. Auch hier hatten sich Passanten und Mitglieder der deutschen Kolonie eingefunden, die den deutschen Reichsaußenminister leblyift be grüßten. Die erste Unterredung hatte Dr. Stresemann mit dem fran zösischen Außenminister Briand, dem er noch am »estri gen Nachmittag im Quai d'Orsay einen halbstündigen Besuch ab- stattete. Briand empfing den deutschen Reichsaußcnministcr an der Tür seines Arbeitszimmers. Die Unterredung, die ein« reich liche halbe Stunde währte, fand nur in Gegenwart des Dol metschers Professor Besnard statt, also in derselben Dritt- gemeinschaft wie in Thoiry. Bei der Abfahrt bereitete dem deut schen Außenminister diesmal das französische Publikum eine leb hafte Ovation, lieber den Verlauf der Unterredung verlautet bis her noch nichts. Die anwesenden Journalisten, die Stresemann nach der Un terredung zu sprechen wünschten, fertigte dieser scherzend mit den Worten ab, sie möchten sich an seinen Arzt Dr. Zondcck wenden, der ihm verboten habe, mehr als 36 Minuten zu sprechen; da er 35 Minuten mit Herrn Briand gesprochen habe, verbleibe ihm lei der nur noch 1 Minute, um der Presse Guten Tag" zu sagen. Damit empfahl sich Dr. Stresemann und unternahm in Begleitung des deutschen Botschafters und Prof. Zondccks eine Spazierfahrt durch den Bois de Vonlognc. Ucber den Besuch wird von amtlicher deutscher Seite folgen des bekannt: Rcichsaußenminister Dr. Stresemann stattete Sonn tag nachmittag 6 Uhr dem französischen Außenminister Briand einen Besuch ab. Die Unterhaltung der beiden Staatsmänner galt n- a. der bevorstehenden Tagung des Völkerbundes und den damit zusammenhängenden Fragen. Um 6-40 Uhr kehrte Dr. Stresemann in die deutsche Botschaft zurück. durch den Mund deValeras seine weitgehenden separa tistischen Forderungen erneut anmeldete. Das sieht einer Kriegserklärung ähnlicher als einer Friedensgeste. Und ll. S. A. wird die Antwort nicht schuldig bleiben: gleichzeitig mit der Ratifizierung des Kelloggpaktes wird dem Senat im November das Budget für den Neubau von 15 Kreuzern zur Genehmigung vorgelegt werden. Und Deutschland? Es'hat bereitwilligst und als erstes Land seine Zustimmung zur Paktunterzeichnung zum Aus druck gebracht in der Erwartung, daß sich daraus günstige Folgen für den Weltfrieden entwickeln würden. Diese Unterzeichnung kommt in der Lage, in der sich Deutsch land gegenwärtig befindet, einer Barleistung gleich, deren Gegenwert vorläufig noch ungewiß ist. Wenn ein geschlagenes und zerkleinertes Land wie Deutschland feierlich den Krieg als Mittel nationaler Politik in Acht er klärt, also das einzige Werkzeug, ver mittels dessenseit den Anfängen der Geschichte bis heute einzig und allein R e v i s i o n s z i e l e verfolgt wurden, wenn es also mit anderen Worten sich für vitalste deutsche Lebensfragen auf das höchst unsichere und völlig unerprobte Mittel friedlicher Revikionsverbandlun- Dr. Strescnxmn hat des weiteren bei Kammerpräsident Bui'sfon und Senatsprüstdenk Do um er feine Karten a-bgeben lassen. » Heute Montag vormittag wird Dr. Stresemann dem französischen Ministerpräsidenten Poincarü seinen Besuch abstatten. Man mißt diesem Besuch beim verantwortlichen Leiter der französischen Politik allgemein eine höhere Bedeutung bei als dem gestrigen beim französischen Außenminister, weil die Außenpolitik Frankreichs offensichtlich seit längerer Zeit vom Mi nisterpräsidenten ausschlaggebend beeinflußt wird. Poincarü will bekanntlich die Räumungssrage nur im Zusammenhang mit einer Revision des Tawesplanes und der internationalen Schulen er örtert wissen. Er erwartet dafür angeblich neue finanzielle Vor schläge Deutschlands, die zu machen die deutsche Negierung kaum in der Lage scheu dürfte. Der „Teinps" betont, daß es unwahr scheinlich sei, daß während der kommenden Woche in Genf eine Entscheidung in dieser Frage fallen werde. Es sei davor zu war. neu, sich unnötigen Illusionen über die Möglichkeit einer bal. üigcn Lösung der schwebenden Fragen hinzugeben. Appell an die französische Presse Paris, 27. August. Nach seiner Ankunft in Paris richtete Dr. Stresemann a n die französische Presse folgende Begrüßungsworte: „Ich bedauere aufrichtig, daß ich mich infolge der Tyrannei meiner Aerzte gezwungen sehe, zu den Vertretern der fran zösischen Presse nur auf diesem Wege und nicht, wie ich es gewünscht hätte, persönlich zu sprechen. Der Zweck meiner Reise ist bekanntlich die Unterstützung des Kelloggpaktes, des internationalen Vertrages, der den Zweck hat, den Krieg als Mittel nationaler Politik zu beseitigen. Man braucht diesen elementaren Grundsatz des Vertrages nur auszusprechen, um sich der außerordentlichen Tragweite des bevorstehenden inter nationalen Paktes bewußt zu werden. Die vielen skeptischen Stimmen, die wir heute noch hören, erklären sich vielleicht daraus, daß wir dem Ereignis zu nahe stehen. Iedcnsalls glaube ich, daß ihn die Geschichte in seiner großen Bedeutung würdigen wird. Es ist uns alten klar, daß mtt dem Vollziehen des bevor stehenden Paktes das Ziel, die endgültige Begründung des Welt friedens. noch nicht ein für allemal erreicht ist. Ich bin jedoch der Ueberzeugung, daß wir in dem Pakt eine neue Grundlage besitzen, mit dem guten Willen aller Nationen eine Gestaltung der Welt herbeizusühren. in der eine der sch r e ck l i ch st e n Geißeln derMenschheit,der Krieg, nicht mehr existiert. An der Verwirklichung dieses Ideals energisch und tatkräftig mitzuwirken, ist der feste Wille des de ut- sehen Volkes. Es ist mir ein Bedürfnis, das bei dieser Ge legenheit hier in Paris meinerseits noch einmal mit aller Ein dringlichkeit zu verkünden, und hinzuzufiigen, daß die Politik der deutschen Negierung in dieser Haltung des Volkes ihr festestes Fundament hat. Es ist eine bedeutende Tatsnclw, daß es gerade der Abschluß eines solchen Paktes ist, der den deut schen Außenminister zum ersten Male nach langer Zeit ln die Hauptstadt Frankreichs führt. Ost genug hat man gesagt, daß in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern in gewissem Sinne der Schlüs sel zum europäischen Friedensproblem liegt. Wir wissen alle, daß dem Ausbau dieser Beziehungen auch nach Locarno manche Schwierigkeiten im Wege stehen, aber wir wissen auch, daß diese Schwierigkeiten nicht derart sind, daß die Politik der verant wortlichen Staaten vor ihnen halt machen müßte. Sie können beseitigt werden, und deshalb müssen sie beseitigt werden. Ich märe glücklich, wenn die Unterzeichnung des neuen Friedens paktes in Paris neue Fortschritte in dieser Hinsicht begünstigte." gen fest legt, so bedeutet das einen so ungeheuren Zahlungswert, daß dem gegenüber alle Opfer, welche andere Nationen etwa bringen könnten, nichts bedeuten. Ist es unbillig, für dieses unermeßliche Opfer so bescheidene Gegenleistungen zu verlangen, wie wir es tun? Statt dessen hat man am Quai d'Orsay be schlossen, Deutschland eine Liste unmöglicher Gegenforde rungen für den nunmehr selbstverständlichen Akt vorzeitiger Räumung zu präsentieren. Als ob ein Ost-Locarno und eine Kontrolle am Rhein wirkungsvoller als der große Ent schluß wären, keine kriegerische Lösung zu erstreben. Als ob der Anschluß eine größere Bedrohung darstellte als etwa die deutsche Weigerung, einen Pakt zu unterschreiben, twr sich in seiner jetzigen Form direkt gegen Deutschland wenden muß. Wir haben Locarno unterschrieben, aber wir sind nicht in der Lage, „Folgerungen" aus Locarno anzuerkennen, welche die ölüments stablos in anderer Form verwirklichen würden. An ersprießliche Dawesbesprechun- gen in nächster Zeit glauben wir nicht, dafür haben sich England und Frankreich durch ihre Entente den Weg nach Amerika in der S ch u l o e n f r a g e zu sehr verbaut. Was also können Paris und Genf anderes bringen als das freie Geschenk einer Räumung, welches ebenso wenig mit Wenns und Abers belastet ist wie die