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Aas dem Inhalt! Dr. Willems: Das mittelalterliche Nom. W M. Doroschewic: Der Missetäter. Hans Eäfgen: Sonniagmovgen im Dorf. Alois Wagner: Einen Augenblick. Fünf Minuten Kopfzerbrechen. Sas mittelalkerliche Rom Von Dr. Willems. Das römische Stadtbild ist im wesentlichen durch den Barock bestimmt, durchmischt mit den Elementen der Hoch- Renaissance und etwas Früh-Renaissance. Die Gotik, die in Florenz und Siena eine so bedeutende Rolle spielt und dort.die herrlichen Dom- und Ordens-Kirchen schuf, ist in Rom anscheinend fast nicht vertreten. Der Rombesucher wird sogar auf di« Minervakirche der Dominikaner als einziges Beispiel des gothischen Stils in Rom besonders aufmerksam gemacht. Auch der romanische Stil erscheint auf den ersten Blick nicht allzu glänzend vertreten. Un willkürlich forscht der Besucher nach den Gründen dieser auf den ersten Blick befremdenden Erscheinung, besonders wenn man an die gewaltige Bedeutung zurückdenkt, die Rom als die Hauptstadt der mittelalterlichen Welt besah. Der Grund ist jedoch augenscheinlich. Die romanische Kulturepoche hatte gar keine Neubauten nötig, da die Stadt fast vollgepfropft war von klassischen und frühchrist lichen Bauwerken, deren Instandhaltung Unsummen kosten mußte. Die gotische Kulturepoche, die am Ende des drei zehnten Jahrhunderts in Rom einsetzte und bereits um 1420 durch die Frührenaissance abgelöst wurde, fand Rom von den Päpsten verlassen, die Königin der Welt zum Aschenbrödel unter den italienischen Provinzstädten herab gesunken. Die französischen und baskischen Päpste resi dierten fast ein Jahrhundert in Avignon. Während die Päpste des Exils einen wenig weltum fassenden Geist zeigten, waren es die Orden die immer noch den universellen Wert der Römischen Kirche hoch hielten und den Glauben an die Ewige Stadt nicht preis geben. Eine geistige Tochter des Hl. Dominikus, Ka tharina von Siena, wurde mitbestimmend für die Rückkehr der Päpste nach Rom, und die Dominikaner bestatteten sie unter dem Hochaltäre ihrer Kirche Santa Maria sopra Minerva, die sie unverzagt auf Roms Ewigkeit glaubend, mitten in der Exilszeit gebaut. Wie dieses auch das einzige Beispiel eines monumen talen Eroßbaus in Rom wäre und dieser Zeit geblieben f/t, so ist dennoch das heutige Rom noch voll von kleineren Werken mittelalterlichen Kunst, die dem aufmerksamen Beschauer auf Schritt und Tritt begegnen; besonders nach dem in neuerer Zeit Aufsichtsbehörden der Kunstdenkmäler sowohl von italienischer als auch von päpstlicher Seite begonnen haben, die Kleinode mittelalterlicher Kunst wieder aus ihrer barocken oder klassizistischen Schale her auszuschälen, wenn der Kunstwett des mittelalterlichen Kunstrverkes denjenigen des barocken überwog. Das war bei vier mittelalterlichen Kirchen Roms bisher der Fall, und dank der Umsicht des Restaurators Munoz präsen tieren sich heute die mittelalterlichen Kirchenschöpfungen von Santa Sabina, die Wiege des Dominikanerordens, Santa Maria in Cosmedin, die Nationalkirche der Griechen im Mittelalter, San Giorgio in Velabro und neuerdings auch die uralte Titelkirche San Lorenzo in.Lucino, wieder in ihrem ursprünglichem Gewände den Blicken des Be schauers dar. Durch den Umbau der Kirche der Scala Santo wird auch eine Perle des Uebergangsstils in Rom wieder zur Geltung kommen, die Kapelle Sancta Sanctorum. die frü here Kapelle des mittelalterlichen päpstlichen Lateranresi denz, wo der Geist Jnnocenz III., Honorius III. und Boni- faz VIII., lebendig wird, und Roms Größe kurz vor der Avignonesischen Gefangenschaft noch einmal sichbar wird. Dann verfiel der gewaltige Lateranpalast, derartig, daß er nach der Rückkehr der Päpste nach Rom nicht mchr be wohnbar war, und die Päpste nach dem Vatikan ziehen mutzten. Im frühen Mittelalter erhielt di« Lateran kirche, das Haupt der Kirche der Stadt und des Eü»rundes seinen Mosaikschmuck, seinen Fußboden in Opus Alexan- drinum und seinen herrlichen Kreuzgang in Kosmaten- arbeit, der mit denen von St. Paul und Santi Quattro Lorconati in Blumenschmuck und mystischer Weltabge schiedenheit wetteifett. Eine durch zwei Jahrhunderte tätige Künstlerfamilie, die der Cosmati, schmückte diese Kunstwerke mit farbigem Mosaik auf Goldgrund, die fast orientalisch anmuten. Die Residenz des Rhodeserordens in Rom. kam, durch die Freilegung des Augustusforums wieder zur Geltung. Dieser typische Vau eines geistlichen Ritterordens in einer Stadt, deren feudal« Familien im ständigen Kampfe unter einander lebten und di« vielfach den Heiligen Stuhl als stück ihres Hausbesitzes zu betrachten sich gewöhnt hatten. Die Familien der Eolonna, Orsini, Mattei, Frangipani und Cätani hatten ihre Paläste in der Stadt zu regelrechten Burgen umgebaut, oder antike Bauten der Einfachheit halber befestigt und mit Türmen und Schieß scharten versehen: die vielen alten Türme in Rom, be» sonders in Trostevsre und Rione Monti tragen meist noch den Namen oder die Wappen ihrer ehemaligen Besitzer uno geben gewissen Stadtvierteln ihr charakteristisches Ge präge. Heute sind es nur verhältnismäßig wenige, die das Straßenbild charakterisieren, während uns die alten deutschen Stiche und die Bilder mittelalterlicher Künstler uns das römische Stadtbild wie mit Türmen übersät dar- sienen, flyt wie Mmignano over ein« moverne amenra, Nische Wolkenkratzerstadt. Mitbestimmend mögen dabei na türlich die zahllosen Türme der römischen Stadtmauern und Tore gewirkt haben, die Nom wie Jerusalem unj Nürnberg umgeben, steinerne Zeugen der bewegten Ge, schichte des mittelalterlichen Roms. Der Missetäter Ein persisches Märchen von V. M. Doroschewic Zu dem Eroßvezir Abdu Nachman Chan kam sein treuer Diener Jftagra, verneigte sich bis zur Erde und sagte: „Der Wind hat kein Verdienst, wenn er nach Blumen riecht Alles hängt davon ab, woher er weht. Ich bringe schlechte Nach richten, weil ich aus einem schlechten Ort komme." Der Eroßvezir sagte: „Habe keine Angst und sprich." „Von deiner Weisheit dazu bestimmt, alles zu erfahren, was man im Volk nicht nur spricht, sondern sogar denkt, bin ich dienstlich in das Kaffeehaus auf dem großen Markt hineinge gangen, das einem gewissen Sahib gehört, und begann im Inter esse des Reiches einen Reispudding mit Hammel und Rosinen zu essen. Andere Perser taten zu ihrem eigenen Vergnügen das selbe, was ich aus Pflichtgefühl tat. Aber einer von ihnen namens Sadraj — er lehrt den kleinen Jungen in den Schulen das heilige Gesetz — begann laut von deiner Gnaden zu sprechen." „Laut von mir zu sprechen? Lobte er mich?" „Wie es bei einem guten Perser sein muß, ist meine Zunge im Streit mit meinen Ohren. Sie wird niemals das wieder holen, was jene hörten." Der Großvezir sagte: , „Ich werde den Wind nicht bestrafen. Sprich!" „Er sagte... er sagte, daß deine Erhabenheit... ein Dieb sei!" „Hm!" sagte der Eroßvezir. „Aber die guten Perser haben ihm doch nicht geglaubt?" „Ach!" sagte Jftagar. „Der Schuft hat mit einer solchen Beredsamkeit gesprochen, daß Allah sie jedem Perser geben möge, um die Obrigkeit zu loben. Außerdem gilt er im Volk als ein gerechter und tugendhafter Gelehrter und weiser Mensch. Ihm glaubten alle. Und alle wiederholten einstimmig: „Der Großvezier ist ein ..." Du weißt schon selber — was." Der Großvezir sagte: „Gut. Wenn man von einem Brand ganz zu Beginn er fährt, so ist er schon halb gelöscht." Er rief den Wachthabenden zu sich und sagte: „Geh mit der Wache nach dem Kaffeehaus Sahib auf dem großen Markt. Alles Essen, was ihr dort findet, eßt auf: das Geld, das ihr findet, nehmt euch; schließt das Kaffeehaus, ver haftet den dort verkehrenden Lehrer Sadraj und werft ihn ins Gefängnis. Sie sollen erfahren, was es heißt, dem Volk Gemein heiten über die Obrigkeit zu lehren!" Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als der Wacht habende wieder erschien und meldete: „Ich teile dir mit, daß der Befehl erfüllt ist. Sahib ist ruiniert. Sadraj im Gefängnis. Mein Bericht ist der Donner — der Blitz hat die Schuldigen schon getroffen. So muß die Gerechtigkeit sein." Der Eroßvezir beruhigte sich. „Die schlechte Pflanze ist vernichtet, und zwar gleich mit dem Topf." Zwei Wochen vergingen. Bei einem Gang über den Markt hörte Jftagar einen lau ten Streit zweier Händler. Cr interessierte sich pflichtgemäß da für, blieb stehen und horchte. Der eine Händler warf dem anderen vor, daß er ihn beim Verkauf von zehn Gurken um zwei betrogen hatte. „Du bist ein Dieb!" schrie der Betrogene. in» Dort Die Andacht geht auf allen Wegen Dem alten Gotteshaus entgegen. Des Dach wie eine rote Blüte Aufwächst. Und Gott in seiner Güte Breitet wie Seide über uns're Erde Des Himmels Blau, daß fröhlich werde Der Mensch nach banger Woche Pein. — Ich bin allein Und schaue in des Gartens Sommergrün» Darüber Schwalben ihre Bahnen zieh'n» Die seltsam, überraschend gleichen Geheimnisvollen Notenzeichen In altem Buch aus alter Zeit, Woraus die Freude und das Leid Derer, die längst von hinnen gingen» Zu uns in schlichten Weisen klingen. Dom Eotteshause tönt ein frommer Psalter. Hell auf dem Friedhof schweben weiß« Falter, Wie Kinderseelen sonder Sünde Im milde« Sommermorgenwind« ... Lun» VLlgun. Aber der Betrüger lächelte nur zu der Beleidigung. „Zu einer anderen Zeit", sagte er, „hätte ich dir für die Frechheit einen Kürbis auf dem Kopf zerschlagen. Aber jetzt liegt in dem Wort „Dieb" nichts Beleidigendes mehr. Es ist dasselbe, als wenn du mich Großvezir genannt hättest. Wenn man selbst dem Eroßvezir einen Dieb heißt, wie soll man dann mich titulieren. Wenn selbst der Großvezir ein Dieb ist, so hat Allah selbst uns einfachen Sterblichen das Stehlen befohlen." Jftagar mischte sich diensteifrig hinein: „Woher weißt du, guter Mann, daß unser Großvezir . . . eben das ist, was du von ihm sagst?" „Daß er ein Dieb ist?" lachte der Händler. „Man müßt« sich schämen, es nicht zu wissen. Mir hat es mein Schwager er zählt, der ein halbes Jahr im Gefängnis für Diebstahl ge sessen hatte und eben frei kam. Im Gefängnis nennt man den Eroßvezir gar nicht anders als den „Dieb"! Das hat ihnen der Lehrer Sadraj sehr gut erzählt. Ha, ha, ha! Wenn sogar die Schwindler, eBtriiger, Pferdediebe und Verleumder, die im Gefängnis sitzen, den Eroßvezir nicht anders als einen Dieb heißen, dann möchte ich wissen, wie ihn ehrliche Menschen nennen wollen?!" Jftagar verhaftete den Händler und lief zu dem Erotz- vezir. Der Eroßvezir wurde auf sich selbst wütend. „Ich wollte strafen und legte das Schwein in den Schmutz." Und er befahl sofort Sadraj aus Teheran in die entfernteste Pro vinz in die mitternächtigen Länder zu verschicken. Es vergingen zwei Monate, und der Eroßvezir begann schon den Namen Sadraj zu vergessen. Da bemerkte Jstagar eines Tages auf der Straße einen sonderbar gekleideten Men schen, der neugierig die Häuser betrachtete. „Wahrscheinlich kein Hiesiger", dachte Jftagar, trat im Diensteifer höflich an ihn heran und sagte: „Friede sei mit dir, Fremdling. Du kommst wahrscheinlich aus fernen Ländern und scheinst hier etwas zu suchen. Kann ich dir nicht dienlich sein? Ich kenne hier alles." „Ich komme wirklich von weit her," sagte der Fremdling, „und bin zum erstenmal in Handelssachen nach Teheran ge kommen. Ich möchte gern das Haus des Großvezirs und wenn möglich ihn selbst sehen." „Ein guter Wunsch," sagte Jftagar, „aber warum interessiert dich besonders der Großvezir?" „Ja, weil man sehr viel davon spricht, daß er ein Dieb sei," antwortete einfältig der Fremde. „Ich bin selbst Kauf mann, und es wäre mir interessant, einen solchen Dieb zu sehen." „Wer hat dir denn das gesagt?" entsetzte sich Jftagar. „Ja, weiß man denn bei euch in Teheran nichts davon?" staunte der Händler. „Eine schöne Hauptstadt, eine aufge klärte Stadt! Hahaha! In den entferntesten Provinzen Per siens weiß es jeder Straßenjunge, und ihr nicht? Der gelehrte weise und gerechte Sadraj hat es uns gelehrt, den man uns zur Belehrung geschickt hat." Jstagar befahl den Händler zu verhaften und lief zu dem Eroßvezir. Der Eroßvezir geriet in furchtbaren Zorn auf sich selbst. „Ich wollte ein Geheimnis vor Leuten verbergen und habe ihnen selber einen Brief hinübergeschickt . . . habe selber dafür gesorgt, daß man in allen Teilen der Welt über mich trompetet!" Und er befahl sofort den Schuft Sadraj aus der mitter nächtigen Provinz in den mittäglichen Urwald zu bringen und ihn dort allein zu lassen. „Konnte er nicht zwischen Menschen leben, dann soll er in Einsamkeit Hausen!" Drei Monate vergingen. Der Großvezir hatte aufgehört, an alle diese Unannehmlichkeiten zu denken, als plötzlich eines Tages sein eigener Papagei, der ihm eben als Geschenk von einem entfernten Gouverneur geschickt wurde, aus voller Kehle schrie: ,T>er Eroßvezir ist ein Dieb!" Auf dem Markt verkaufte man eben gefangene Papageien, die noch nicht einmal „Dummkops" sagen konnten. Aber jeder wilde Papagei schrie: „Der Eroßvezir ist ein Dieb!" Sogar in dem Schloß des Schah kreischte ein eben gebrachter Papagei: „Der Eroßvezir ist ein . . ." Doch zum Glück hatte der treue Jftagar ihm in diesem Augenblick den Kopf abgebisscn. Drei Tage lang lief Jftagar durch die Stadt, ohne zu essen und zu schlafen, und kam abgemagert und erschüttert zurück: „Glaube meiner Erfahrung, o Gebieter, wir haben es mit einem Wunder zu tun. Ich habe alle Vogelhändler verhaftet. Sie beteuerten einstimmig dasselbe. Die Papageien werden jetzt so geboren, daß sie dich von Natur aus beschimpfen können. Cie sagen, daß der ganze Urwald, in dem man diese Vögel