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Aus dem Inhalt: Josef Hermann: Reise durch Ungarn. Hans Eäfgen: Schmetterlinge. Max Hayek: Parabel von der Wette und Platz. Dr. Feußn er: Glück im Halmwalid. Stefan Szekely: Er hat Pech. Oskar Klein: Als der Großvater die Grotznmtter nahm. Füns Minuten Kopfzerbrechen. Heinrich Leis: Zugendland. Reise durch Ungarn Von Josef Hermann. In der Arne drohte der Himmel, als wir auf dem Wiener Flugplatz in Aspern in den Fiinfsitzer-Fokker, der uns nach Budapest bringen sollte, ausstiegen. „In 150 Meter Höhe ist die Sicht klar", sagt der Pilot, der eben von Budapest kommt. Also fliegen wir, nicht ohne vorher ein wenig besorgt und auch ein wenig erwartungsvoll in die schwarzen Gewitterwolken zu schauen, die trüge und schwer im Osten dahinziehen. Die Fluglinie zerschneidet die vier großen Biegungen der Donau, genau 200 Kilometer bis Budapest! Wir haben Rückenwind, da werden wir es in eineinhalb Stunden schaffen, wenn uns das Wetter, das dräuend aufsteigt, nicht gar zu arg mitspielt. Noch fliegt die Maschine ruhig über die weiten Wiesen dahin, über Orth, Petronell, seit lich Preßburg. Dann sind wir im Ungarischen. Der Höhenmesser zählt 200 Bieter. Unter uns dehnt sich das ungarische Land: Aecker, Wiesen, spärliche Büsche und Städte mit rauchenden Schloten. Dann fallen wir miteins. Die Tragflächen neigen sich nach vorn. Die Maschine sinkt auf 100 Meter Höhe, um den niedrigen Wolkenbergen auszuweichen. Unten die Rinderherden rasen unruhig umher. Das aufziehende Unwetter verstört sie. Jetzt sind wir in Wolken eingeschlossen. Der Lärm des Motors schlügt verstärkt an unser Trommelfell. Im Kopf und auf der Brust spürt man das Fallen. Wir fallen, fallen! 40 Meter über der Erde geben die Wolken die Aussicht frei. Ganz nah die Festungsanlagen von Komarom. Knapp über den Dächern brausen wir dahin, über die Donau. Schwere Hagelkörner schlagen auf die Tragflächen. Eine Wolkenwand drückt die Maschine noch zehn, noch zwanzig Meter herunter. Szöny überfliegen wir in der Höhe seines Kirchturms, seiner rauchenden Schlote. Wir glauben durch die Straßen zu brausen. 150 Kilometer Ge schwindigkeit! Vor uns das aufsteigende Gebirge! Jetzt müssen wir dagegen stoßen. Wir brausen heran — jetzt — — jetzt! Mit jähem Ruck türmt die Maschine auf; befreit stößt ihr Rumpf hier ins wolkenlose Blau, das die fern im Westen versinkende Sonne leicht rosa überhaucht. Die Spannung, die sekundenlang das Atmen hemmte, ist gewichen. Ganz ruhig schweben wir über dem dunklen Waldgebirge, gleiten leicht ad nach Budapest und landen, kurz vor Dunkelwerden, an den Ufern der Donau. B u d a p e st! Aus der Donau steigen die Felsen des Eellertbcrges wie Giganten auf. Auf ihren Graten die königliche Burg, die Zitadelle, die Regierungspaläste, die Matthiaskirche, ein imposanter Anblick! Hier versteht man, daß Budapest gelegentlich die schönste Stadt der Welt ge nannt wird. Um die beiden Städte Ofen und Pest mit einander zu verbinden, hat man einen langen Tunnel durch den Felsen brechen müssen. An den Ufern der Donau breite Promenaden, elegante Paläste! Die Menschen sind beweg lich, ihre Höflichkeit ist sprichwörtlich. Wenn Sie jemand nach dem Weg fragen, begnügt er sich nicht damit, Ihnen Straßen zu sagen, sondern er bringt Sie womöglich an Ihr Ziel: „bittö-schön, bittö-schön" ist das in Ungarn, zumal in Budapest, am meisten gebrauchte Wort. — Es war ein prachtvoller Sonnentag, als wir an den Plattensee hinausfuhren. Ungarn ist nach dem Vertrag von Trianon so klein geworden. Die schönsten und reichsten Gebiete mußte es an die Nachbarn abtreten. Die Menschen sind traurig darob; wenn sie davon sprechen, kommen ihnen die Tränen. Aber wenn sie von dem Plattensee erzählen, von seinen dunklen Fluten, von seinen stolzen Weinbergen und Burgen, dann leuchten ihre Augen auf. Bei wenigen Völkern Europas findet man eine solche wirklich aufrichtige Schmetterlinge Uber Sommerwiesen Sind wie Vlütenbliitter von dem Märchenbaume, Der hoch über unscrm Erdenraume Sein Geäst in lichte Himmel breitet. Schmetterlinge sind wie Lichtgedanken, Die in unsre Welt der Schatten schweben, Bunte Träume in den Alltag weben, Der mit rauhem Schritt durch unser Leben schreitet. Schmetterlinge sind wie Glockenklänge, Die aus Ewigkeiten tröstend nicderfliehen Und mit buntem Blühen sanft verwehe» ... Schmetterlinge über Sommerwiesen . . . Sans lUilgoo. Liebe zum Land. Ja, der Plattensee! Und dann erzählen sie von seiner Schönheit, seinen Sagen, die in hundertfacher Gestalt um solche Sommerabende, um dieses heimliche Brausen aus seinen Urtiesen schweben. Ein Vulkan brach diese gewaltigen Erdmassen aus und türmte sie zur Seite als einen langgestreckten Gebirgszug auf. So entstanden See und Berge. Der Vulkan ist erloschen. Nur an solchen Sommer abenden glaubt man hinter der singenden Stille ein ganz fernes Brausen der unterirdischen Kräfte zu spüren, ein ganz feines Erzittern der Wellen, ein Brodeln in der Tiefe. Und — so erzählen die Menschen — hin und wieder noch werden die Kräfte lebendig. An windstillen Tagen, manch mal, reißen sie mit jäher Gewalt einen Wasserberg aus dem platten Spiegel, hochauf türmen die Wogen, und wehe dem Fischer, der in den Bereich dieser Mächte kommt! — Es gibt hier und da noch ein Fleckchen Erde in Europa, wo sich eine Vergangenheit bis in die Gegenwart herüber gerettet hat. Mit einer bewundernswürdigen Hartnäckig keit hat sich dort der Mensch gesträubt, von den Gewohn heiten seiner Väter abzulassen, irgendetwas Neues in sein Leben aufzunehmen. So in Mezölevest, einem Ort von wenigen tausend Einwohnern östlich von Budapest! Dort geht alles Leben wie vor hundert oder dreihundert Jahren. Weit außerhalb des Ortes haben sie ihre Eisen bahn gebaut, daß man das Stampfen der Lokomotive nicht hört. Und die Menschen bewegen sich so selbstverständlich in ihrer Abgeschiedenheit — sie wissen scheinbar gar nicht, daß ihr Dorf draußen im Land für eine Sehenswürdigkeit gilt. Ein Kirchgang am Sonntagmorgen in Mezökevest sei einzig in Europa, hatte man uns in Budapest erzählt, und auch dort war man nicht wenig stolz darauf, dem Fremden so etwas gleichsam bieten zu können. So fuhren wir des Samstagsabends hinaus. Durch prachtvoll reiches Land fährt der Zug. Noch ziehen von Norden her vereinzelte Gebirgszüge in die Ebene, die sich unendlich weit nach Süden erstreckt. — Es war eine dunkle Sommernacht, als der Zug auf dem verlassenen Bahnhof einlief. In der Ferne die spärlichen Lichter aus dem Ort! Wir sehen keinen Weg, niemand begegnet uns, uns zu führen. Wir müssen ins Feld abgeirrt sein. Seitlich quaken die Frösche. Wahrscheinlich ein Teich, also Vorsicht! So tasten wir uns zum Ort durch, der sich von der Welt ab geschlossen hat. Aus allen Höfen kläffen die Hunde, als wir durch den nächtlichen Ort schreiten. Uns ist ein wenig un heimlich vor dieser Abgeschiedenheit. Auf dem Marktplatz herrscht noch reges Leben. Der Zirkus — ein Zirkus aus der Hinterwelt — hat sein Zelt aufgeschlagen. Darum be gegnete uns niemand auf unserer nächtlichen Wanderung. Das ganze Dorf, alt und jung, war hier bei den Späßen der Clowns. Soeben erst ist die Vorstellung zu Ende. Wie selten kommt ein Zirkus nach Mezökevest, so dehnen sie die Vorstellung mit Klatschen und Rufen aus, verlangen mehr und mehr der Späße, bis in die Nacht hinein. Und früh um vier schon ist wieder alles munter. Draußen auf dem Kirchplatz haben die Händler ihre Ver kaufsstände aufgeschlagen. Mit Pferde- und Ochsenwagen kommen sie aus den umliegenden Dörfern zur Kirche und zum Sonntagsmarkt. Manche sind schon seit Stunden unter wegs, um rechtzeitig zur Frühmesse zu kommen. Das ist ein Schreien, ein Disputieren, ein freudiges Begrüßen! Die Frauen in bunten Trachten, mit hohen Kopfhauben! Breit wallen die kunstvoll gestickten Tücher von ihren Schultern. Die Männer tragen weite, weiße Röcke, die bis zu den Knien reichen, darunter derbe, hohe Reiterstiefel. So sitzen sie auf den Stufen zur Kirche, früh um fünf Uhr, und warten, bis der Gottesdienst beginnt. Ein prachtvoll far biges Bild, wie sie nachher in den Bänken knien, und man fühlt sich fremd, als Eindringling in einer Gemeinde, die aus sich lebt, und man möchte sich heimlich fortstehlen. Aber sie sind freundlich, die Menschen in Mezökevest, sind liebens würdig zu dem Fremden, bitten ihn ins Haus zu einem Kaffee und einer Zigarette und zeigen gern ihre Kostbar keiten an bunten Stickereien, die unversehrt aus einer alten Zeit erhalten sind. Später fuhren wir dann in die Pußta. in eine herr liche blühende Steppe, farbig wie die Tücher der Frauen in Mezökevest, sahen die Sonne über der Pußta und einen blauen Himmel, an dessen Strande die Fata morgana aus einem gleißenden LUasserspiegl stieg, sahen unter dem Quer baum des Brunnens die stolzen Herden der Pußta, schlanke, sehnige Vollblutpferde. Ein herrliches Fleckchen Land. Man versteht, daß die Menschen es lieben, daß sie gerührt werden, wenn sie von ihrem Land erzählen. Varabel von der Welke aus Platz Von Max Hayek. Ein Mann ging einst in den frühen Nachmittagsstunden im Wiener Prater spazieren und kam solcherart auch zum Trabrennplatz, auf welchem eben Nennen abgehalten wurden. Ter Mann hatte in seinem ganzen Leben ein solches Rennen nur ein einziges Mal gesehen und er glaubte, bei dem schönen Frühlingswetter dem farbenfrohen sportlichen Schauspiel wieder einmal anwohnen zu sollen. Er ging zur Kasse, kaufte sich die kostspieligste Eintrittskarte, die es gab, damit er nur ja alles und ganz genau sähe, kletterte dann eine hohe Tribüne empor, die fürchterlich zugig und kühl war — dafür aber Schutz gegen den Regen bot, während die Sonne den Rasen beglänzte — und sah also die Pferde traben. O, das war schon ein reiz volles Bild! Die leichten, zierlichen Gigs, auf denen die ge schickten Fahrer in seidenen, vielfarbigen Blusen saßen, die Schnüre straff gespannt, das Peitschchen in der Rechten, während die herrlichen Pferde mit weitausgreifenden Beinen — wie die Seepferde Neptuns — den Raum nahmen, dazu die leidenschaft lich interessierte Zuschauerschaft, die zuletzt, wenn das Feld in die Gerade kam, mit lautem Zuruf ihre Faoorits aneiferter die ganze eigenartige Atmosphäre, die sich über Wettplätze breitet, der Zauber des „Turf" — dies alles wirkte zusammen, um unseren Mann von seiner Tribüne herunterzuholen und an die Barriere zu rufen, die die Rennbahn unmittelbar umgrenzte. Dort war er nun den Pferden und Fahrern noch näher und dort blieb er inmitten der Menschen, die sich die billigsten Ein trittskarten gekauft hatten, befriedigt stehen. Und nach jedem Nennen wurde an einer großen Tafel weithin sichtbar die Nummer des Pferdes aufgezogen, das ge siegt hatte, und dann erschienen die Nummern jener Pferde, dis hinter ihnen als Zweite oder Dritte ans Ziel gekommen waren. Und dann wurden nach einer Weile auf jener Tafel die Quoten angezeigt, die bei den Kassen an die Gewinner ber Wetten ausbezahlt wurden. Und der Mann erfuhr, daß van auf „Sieg" und „Platz" wetten könne, das heißt: daß man viel Geld gewinnen könne, wenn das Pferd, auf das man setzte, als Sieger einläuft, und daß man zumindest sein Geld zurückbckomme und noch etwas dazu, wenn auch nicht gar so viel, wenn das Pferd, auf das man setzte, als zweites oder drittes einläuft, wenn es also „auf Platz" endet. Und nun begann wieder ein Rennen und die Fahrer zeig ten in kurzen aber raschen Probefahrten den schneidigen Trab ihrer Pferde. Wohl auch, um dem Publikum Lust zur Wette zu machen. Und da war ein kleines, feines, rabenschwarzes Tier, dessen Fell in der Sonne funkelte. Und es lief mit seinen schlanken aber festen Beinen flink dahin wie eine wohlgeölte Laufmaschine und bot dabei ein so schönes, anmutiges Bild, daß unser Mann ganz fasziniert war, wenn es für ein paar Augen blicke an ihm vorüberkam. Weißer Schaum stand dem wunder baren, leichten Traber am Maule, nein, man mußte sagen am Munde — so edel und wohlgeraten war dieses auserwählte Rassetier. Und nun gab es für unseren Mann keinen Zweifel mehr: auf dieses Tier mußte er setzen, denn dieses Tier mußte siegen. Das Wetteufelchen stellte sich ein, die Gewinnstchance lockte. Das Pferd hieß „Dixi" l„2ch habe es gesagt!") und sein Fahrer hieß „Siegler" — ein Name also, worin die Silbe „Sieg" schon stand. Und die Kasse, bei der zu wetten war, trug die Ziffer zwölf. Und das war die Lebensziffer unseres Mannes. Und er raffte sich auf, faßte einen gewaltigen Ent schluß, griff in seine Brieftasche, entnahm ihr zehn Schilling und setzte kühn „Dixi" „auf Platz". Und das Rennen hatte inzwischen begonnen. Und „Dixi" führte schon. Im Felde ein mal überholt und für eine Weile an zweite Stelle, schob es sich schnell wieder an die erste Stelle und lief mit vollkomme ner Sicherheit als Sieger ein. „Dixi" — Erster!" Ich habe es gesagt!" Der Fahrer Siegler bewies, daß sein Name den Sieg einbegreift. Und der Mann, der „auf Platz" gesetzt hatte, bekam für zehn Schilling bloß sechzehn! Und das war nicht viel mehr als ihn der Eintritt gekostet hatte! Und „Dixi" zahlte „auf Sieg" für zehn Schilling die respektable Quote von fünf undvierzig Schilling! Und so hätte der Mann, der das rich tige Pferd mit dem Blick des Unbefangenen richtig gewertet hatte, fllnfunddreißig Schilling gewonnen, wenn er eben mutig genug gewesen wäre „auf Sieg" -« setzen. Die wenigsten Menschen wagen es „auf Sieg" zu setzen. Sie begnügen sich mit der bescheidenen Quote, die dem Vor sichtigen ausbezahlt wird. Aber wir sind alle als Sieger ge dacht — wie die Pferde, wenn sie vom Start gelassen werden. Und wir müssen deshalb „auf Sieg" laufen, wenngleich auf der unsichtbaren Bahn, wo unsere Seelen ihre Ziele suchen, andere Gesetze gelten mögen als auf den irdischen Wettplätze» und umgekehrt: die Letzten dort die Ersten werdeir. Er hak tzech Der Vall in dem vornehmen Hotel erreichte feinen Höhe punkt. Im großen Saal schmettert das Saxophon, und die Ten denzen schmelzen in eine weiche Masse zusammen. In einem kleinen 'Saale steht ein aufgeregter Herr und schreit: „Zwei Mark die Tombola! Meine Damen und Herren, zwei Mark! Bitte die Gewinne zu besichtigen!" Der lange Herr mit einer Brille und mit einer kleinen Blondine besichtigt die Gewinne, er wischt die Stirn ab und kauft zwei Karten. Das heißt: er bezahlt vier Mark, greift in das Rad, das von dem aufgeregten Herrn bedient wird, und zieht zwei gerollte Lose heraus. Beide sind leer. Die kleine Blondine verzieht ihren Mund, der lange Herr wischt sich die Stirn ab und kauft noch eins. Auch leer. Sie gehen beide be leidigt. Der aufgeregte Herr beginnt von neuen, zu schreien. Aus dem Tanzsaale taucht plötzlich ein grauhaariger, glattrasierter, vornehmer Herr hervor. Die Hände in die Taschen gesteckt, bleibt er vor dem Glücksrad stehen und betrachtet es aufmerksam. Nach fünf Minuten fragt er: .Mhat's that?" Der aufgeregte Herr wird plötzlich ruhig und beginnt zu erklären. Wenn Mister ein leeres Lös zieht, hat verloren. Wenn eine Nummer darauf steht, daun bekommt er dementsprechend einen Gewinn. Ein Bersuch gefällig? „Well, geben Sie mir zehn Stück. Wuas zahle ich?" „Zwanzig Mark, bitte." Der grauhaarige Herr entnimmt .zehn Röllchen aus dem Rade uird fängt an sie zu entfalten. Das neunte Los gewinnt. Der aufgeregte Herr drückt eine kleine Marmorstatuc in seine Hand. Der Grauhaarige dreht die Stalue hin mH her. „Sehr gut", sagte er. „Geben Sie mir noch zwanzig Tickets." Er bezahlt vierzig Mark, zieht Röllchen und entfaltet sie. Mt zweien hat er wieder gewonnen. Er bekommt ein Mokka-