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Wärmetechnik und Sta-twirtschast Dresden, 4. Juli. An der Stadtwirlschaft ist jeder Bürger in doppelter Hinsicht unmittelbar beteiligt; zum ersten als Nutznießer der Einrichtungen seiner Stadt und zum anderen bei der Entrichtung kommunaler Ab gaben. Im Rahmen der gesamten Wirtschaft einer Stadt spielen Beschaffung und Verwertung der Brennstoffe eine Rolle von wach sender Bedeutung; cs muffen deshalb die Vorgänge auf diesen Ge bieten die Bürgerschaft weit über ihre fachlich eingestellten Kreise hinaus interessieren. Ein umfassendes Bild von den Fortschritten der rastlos schassenden Technik und ihren wirtschaftlichen Auswir kungen vermittelt die Tagung, die die B r e n n kra ft t ech- irische Gesellschaft e. V. im Verein mit dem Sächsischen Dampskessel-Ueberwachungsverein in der Zeit vom 3. bis 4- Juli unter Teilnahme zahlreicher Vertreter von Reich, Ländern und Städten sowie aus Fachkreisen in Dresden abhielt. Der Vorsitzende der Gesellschaft, Generaldirektor O Hen - r ich-Berlin, leitete die Tagung mit einer kurzen Begrüßungs ansprache ein wobei er in knappen Zügen die Bedeutung der Oel- frage streifte und sodann das Wort Prof. K a y s e r - Berlin zu sei nem Vortrage über „Erdöl und die deutsche Kohle" gab. Prof. Kayser zeigte an Hand reichen Zahlenmaterials die Bedeu tung, die das Erdöl in den letzten Jahrzehnten für die technische Entwicklung gewonnen hat, wie sich dieser wirtschaftliche Faktor all mählich in zwei riesigen Konzernen (Standard Oil und Royal Dutch) vereinigt hat und wie die Angst vor dem Ausschluß vom Erdöl, in das sich eigentlich -die angloamerikanischen Staaten teilen, die anderen Staaten auf den Plan ruft. In dieser Notlage, die auch bedingt ist durch die mächtig gesteigerte Ausbeutung des Erd öls, die auch ein allmähliches Versiegen der Erdölschähe befürchten läßt, gewinnen die chemischen Verfahren, aus Steinkohle oder Braunkohle Oel zu gewinnen, erhöhte Bedeutung. Professor Kayser skizzierte kurz diese Verfahren und schließlich auch die sogenannte Kohlenoerslüssigung, um zu dem Schluß zu gelangen, daß zwei Tatsachen zu verzeichnen sind; einmal: die Braunkohle wird in Zukunft an der Eiasversorgung der Städte teilhaben, zwei tens: die Verflüssigung der Kohle ist zweifellos ein chemisch ge löstes Problem. lieber die Wirtschaftlichkeit läßt sich jedoch End gültiges noch nicht sagen. In dem nächsten Vortrag über „Gemeindliche Brenn st o f f w i r t s ch a f I" saßte MagistratSbaurat Dipl.-Jug. Behrens- Berlin die Aufgaben der Brennstosswirtschast der städtischen Be hörden nach zwei Gesichtspunkten kurz zusammen. Eine »nmittel. bare Ausgabe, die Bewirtschaftung der städtischen Werke. Betriebe und Anstalten mit Brennstoffen aller Art. und eine mittelbare Aus gabe, die Vertretung der Interessen der Stadlbevölkerung gegen über den Auswirkungen der gesamten Brennstosfverfeueruugen in wirtschaftlicher und gesundheitlicher Beziehung. Eingehend erläu terte der Vortragende die Verteilung des Brennstoffverbrauchs für die einzelnen städtischen Vcrwendungszwcige und schließlich die Aus gaben der Brennstoffvcrsorgung und -lleberwackning sowie die Be seitigung der Brennstofsrückstände. Ferner machte er Vorschläge zum Ausgleich des Kampfes zwischen Gas und Elektrizität, stellte die Vor- und Nachteile der Stadtheizwerke in Verbindung mit den Elektrizitätswerken dar und trat schließlich für zentrale Be schaffung sämtlicher Brennstoffe ein. Er wies noch aus die Bedeutung einer gesunden Brennstosswirtschast sür die All gemeinheit hin, die in den Zielen gipfelt: Verringerung der FcuerS- gefahr, Vermeidung der Rauch- und Rußcntwicklung. Schäftung billiger Brennstoffe für die Bevölkerung. Der Vortragende schloß mit einem Ueberblick über die zukünftige Breunstosswirtschaft der Städte besonders im Hinblick auf Ferngas- und Fernstromversor gung und das Fcrnheizwesen. worden. Es ist anzunehmen, daß sie sämtlickze Pfandscheine durch Mittelspersonen abgeseßt haben. Personen, die im Besitz eines derartigen Pfandscheines sind, werden im eigenen Inter esse ausgesordcrt, sich bei der Kriminalpolizei Zimmer 88 zu melden, den Verkäufer der Psandscheine namhaft zu. machen beziv. feine Verhaftung zu veranlasse». Während sich Heinz Kallosen bereits in Untersuchungshaft befindet, wurden von der Kriminalpolizei Dienstag früh dessen Brüder Werner und Eber hard sowie Sic Ehefrau des letzteren festgenommen. Verkehrsverban- fiir die Sächsische Schweiz Pirna, 4. Juli. Der Verband halte sür Dienstagnachmittag Einladungen zu einem ordentlichen Verbandstage nach Pirna ergehen las sen Tie Tagung war zahlreich besucht. Erschienen waren u. a. Krcishauptmann Buck, die Amtsleute v. Thümmel-Pirna und von der Planitz Dippoldiswalde, Vertreter der Reichsbahn, der Ober- postdirektiou, der Handels- und Gewerbekammern usw. Der Vor sitzende Stadtrat Kind gedachte vor Eintritt in die Tagesordnung des lürzlich verstorbenen Vorstandsmitgliedes Bürgermeisters Hacke beil Gottleuba und der Opfer der Unwetterkatastrophe vom Juli des letzten Jahres. Anschließend wurde der Versammlung der Geschäfts bericht vorgelegt. Das zweite Geschäftsjahr des Verbandes war dem weileren Ausbau der Organisation gewidmet. Daneben trat man an die wichtigsten Aufgaben der Verkehrsförderung und VerkehrSwer- bnng heran. Hinsichtlich der Verkehrsförderung sind es vor allem zwei Fragen, die von außerordentlicher Bedeutung für die wirtschaftliche Gesundung des Verbandsgebietes sind: der Umbau der M ü g l i tz ta l b a h n zur Vollspurbahn in Verbindung mit der Errichtung von Talsperren und die Erschließung der Säch. fischen Schweiz für de» Krastwagenverkehr. Beides find letzten Endes Finanzfragen, die nur mit Hilfe der Parlamente zu löse» sei» werden. Die Erschließung der Sächsischen Schweiz für den Krastwagenverkehr wird Gegenstand einer Denkschrift an den Laudlag werden, die den Ernst der Wirtschaftslage der Fremden- iudustric aufzeigen und eine» auf Jahre verteilten Ausbau des Straßennetzes fordern wird. Der Geschäftsbericht kommt wcuer aus die Reichsbahn zu sprechen. Leider sei cs nicht möglich gewesen, einige besonders wich- lige Verbesserungen zu erreichen. Besondere Befriedigung könne man hinsichtlich einiger guter neuer Verbindungen von und nach Berlin und in dem Aufliegen neuer Sonntagsrückfahrkarten fest- stclttn. Dagegen bleibe das Durchführen der nur bis Dresden ver kehrenden Wochenenü-Sondcrzüge und eine Ausgabe von Sonntags rückfahrkarten für die wichtigsten Stationen des Gebietes von Ber lin aus dringender Wunsch. Der K r a f t wa g e n l i n i e n v e r- kehr habe im Gebiet erfreuliche Fortschritte gemacht, aber eine Reihe neuer Linien fehle noch. Schandau—Schöna, Schandau- Schmilka, Schandau—Hohnstein—Stolpe», und besonders Teplitz —Pirna—Sächsische Schweiz. Auch eine Linie Glashütte — Liebstadt, die die Verbindung mit dem gesamte» Erzgebirge und Vogtlands bringen soll, sei notwendig. Der Geschäftsbericht be tont schließlich, daß auch die Reichspost zahlreiche Wünsche verwirk licht habe und der Schiffsverkehr auf der Elbe sich zusehends belebe. Der Geschäftsbericht rief eine rege Anssprache hervor. Be sonders bemerkenswert waren die Ausführungen des Kreishaupt manns Buck, der sich eingehend über die Möglichkeiten der Reichs bahnverwaltung äußerte, den an sie herangebrachten Wünschen des Verkehrsvcrbandes durch einen weiteren Ausbau des. Bahnnetzes und des Verkehrs gerecht zu werden. Man habe für die Wünsche vollstes Verständnis, lediglich di« Rücksicht auf die mißliche Finanz lage der Reichsbahn hindere die Erfüllung mancher berechtigten Forderungen. Die Versammlung nahm zum Schlüsse den Kassen bericht entgegen und stimmte dem Haushaltplan für 1928 zu. Die Wahfen für den geschäftssührenden Vorstand ergaben die Wieder wahl der satzungsgemäß ausscheidenden Mitglieder. Ruhestand. Befördert wurden u. a. 2 Ober-Polizei-Kommissare und 18 Kvminissare zu Polizei-Inspektoren, 4 Polizei-Kommis sare zu Obcr-Polizci-Kommissaren, 44 Hauptwachtmeister zu Polizei-Kommissaren. : Spartätigkeit im Monat Mai 1928. Nach Feststellung des Statistischen Landesamtes betragen bei den 351 sächsischen Spar kassen im Atonal Mai die Einzahlungen 21756 019 RM. und die Rückzahlungen 13 366 478 RM. Es ergibt sich somit ein Ein- zahlungsiiberschnß von 8 389 541 NM. Das Einlegerguthaben einschließlich der bisher berechneten Zinsen war Ende Mai auf 374 873 459 NM. angewachsen. : Fahrkostenentschädigung der Arbeitsgerichtsbeisitzer. Die Fahrkostenentschädigung der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmer- bcifitzer der Arbeitsgerichtsbehördcn für Wegestrecken, die nicht auf Eisenbahnen. Schissen. Kraftpostcn oder sonstigen regelmäßig fahrenden Verkehrsmitteln zurückgelegt werden können, ist nach einer Meldung des „Gewerkschaftlichen Pressedienstes" durch eine „Verordnung zur Abänderung der Verordnung über die Entschädigung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeisitzer der Arbeitsgerichtsbehörden" geregelt worden. Diese Verordnung ist im Reichsgesetzblatt Teil 1. S. 159 verkündet und im Neichs- arbeitsblatt Nr. 18 — Amtlicher Teil S. 1, 195 — abgedruckt worden. L. Die Einwohnerzahl der Stadt Pirna betrug am 1. d. M. nach dem Fortschreibungsergebnis 32 170 Personen. d. Tödlicher Autounfall. Dienstag früh geriet bei Etol- pen das Auto des Fabrikbesitzers Hilber in einer Kurve ins Schleudern, iiberschlug sich und übersuhr einen gerade vorüber- kommenden Radfahrer. Die Insassen wurden aus dem Auio hcrausgeschleuüert, wurden aber nur leicht verletzt. Der Rad fahrer, der 58 Jahre alte Bauarbeiter Pat aus Dresden Halite so schwere Verletzungen davongetragen, daß er im Krankenhaufe Neustadt starb. Das Auto wurde vollständig zertrümmert. s.eipiig und Umgebung Der zunehmende Mokorkärm auf öffentlichen Straffen Leipzig. 4. Juli. Mit Rech! wird über den ständig zunehmenden Molorlärm auf öffentliche» Straße» und Plätze» lebhaft Klage geführt. Es ist bekannt geworden, daß das Breslauer Polizeipräsidium mit aller Schärfe gegen die starke Gcräuschcntwickiuug der Molorrad- und Autofahrer vorgcht. Nach einer Verordnung des Breslauer Polizei präsidiums werden vom 25. Mai ab durch die Polizeistreifen der artig lärmende Kraftwagen und -rüder beschlagnahmt und bei ord nungswidriger Beschaffenheit der Schalldämpscrvorrichlung sosork vom Befahren der öffentlichen Wege durch Entstempelung der voli- zcilichcu Erkennungszeichen und Einziehung der Zulaffungsbeschei- nigung ausgeschlossen. Die Handelskammer Leivzig hat dem Leipziger Polizeipräsidium gegenüber aus das Breslauer Bei spiel hingcwicscu mit der Bitte, auch in Leipzig cnliprccbende Scbriite z» ergreifen, um so mehr, als bereits im Voriabrc das Po lizeipräsidium cs unternommen bal, eine schärfere Kontrolle des KrastradvcrkchrS durchzusübren und gegen die unerträglichen Gc- räuschbclüstignngc» vorzugehcn. : Aus Grund des neuen Polizeibeamtengesetzes sind erst malig am 30. Juni 1928 auch eine große Anzahl Polizeibeamte des Vollzugsdienstcs des Polizeipräsidiums Dresden, die das 60. Lebensjahr vollendet oder bereits überschritten hatten, in den Ruhestand getreten. So legten unter anderen die Nevier- vorstände Ober Polizei-Inspektoren The lang und Wie gand ihr Amt nieder und wurden ersetzt durch die unter dem 1. Juli beförderten Ober-Polizei-Inspektoren Lange und F n n k e. Ebenso traten 20 Bezirksvorstände, 1 Oberkommissar. 20 Kommissare und 2 Haupiwachlmeister in den wohlverdienten KM ^.tklLk) ) „Ter Sommer ist gekommen!" Auch Leipzig hat jetzt seinen Sommer, nicht nur 'eine ewige und unermüdliche Koukurreniin Berlin. Die Teerschichten zwischen den Holzplasterblöcken schmelze» auch hier und kleben au den Sohlen, der Asphalt wird auch hier weich und die Hitze treibt auch hier die Städler hinaus in die ickö»- nen Bäder, die überall zur Erholung und Erlabuug auoclegt wor den sind. Das Geophvsitaiische Institut der Universität Leipzig Kat am gestrigen Tage als höchste Temperatur 29 Grad im Schalle» gemessen. Schiilersalker und Eisvogel Von Friedrich Schnack. Eines Morgens radelte ich auf einer sommerlichen Land straße, die von Genf nach Divonne führte, einem Ort am Fuß des französischen Jura. In den Bergen wollte ich den weiß- beschwingten Apollofalter erjagen. Unterwegs kam ich bald in die Nähe eines Laubwaldes, und dort, nahebei, wo die Straße unter die Wipfeldächer einbog, lag sie noch feucht vom Regen des vorigen Abends. Der Himmel glitzerte in den Pfützen und das grüne Licht der Straßcnbäume widerstrahlte. Dis Wasser- rändcr aber waren umgürtet von vielen, vielen trinkenden Schmetterlingen. Ich kam auf dem Rad mit dem Fangnetz daher und hatte die Falter kaum gesehen, als sie auch schon in dichten Wolken aujstöbcrten: es waren wohl Hunderte und aber Hunderte moor- brauner, weißbindiger und wcißfleckiger Schmetterlinge, die mich wirbelnd umschwärmten, in Strudeln sich alsbald wieder niederließen, aufhuschten und abermals zu Boden flockten. Da saßen sie um ihre kleinen und großen Teiche, rüffelnd und saugend, öffneten, wie unter Atemzügen, die nach oben zusammengeklappten Flügel, und jedesmal, wenn sie es taten, schillerte der Jrisschein ihrer Schwingen und erlöschte, leuch tete und verdunkelte. Der und dort flogen ein paar auf, schräg gegen die Sonnenstrahlen segelnd: blitzblau spiegelte ihr selt sames Licht. Ich stieg vom Rad, schwang das Netz und fing auf einen Schlag etwa ein Dutzend dieser Sommervögel. Weiterfahrend, sah ich die Straße in einer Länge von nahezu hundert Meter von ihnen belagert bis in den Wald hinein, wo sie end lich vor den anrückendcn Schatten der Tiefe zurückwichen. Ich durchradelte den Wald und erreichte nach einer halben Stunde das altertümliche Städtchen Divonne, und hier, an einem schönen, übermoosten Brunnen, der seinen Silberstrahl in ein steinernes Muschelbecken schickte, und die schmale Schale über- rinnen ließ, entzückte mich ein neues Schmetterlingsbild: ein blauzuckcnder Juwclenkranz von Schillcrfaltern hatte den VrunnenranL dick überkrustet. Sie löschten ihren Durst. Golden sprühten di« Tropfen und violett funkelten die Falter, den Brunnenstamm umgaukelnd, den Strahl und das Rohr. Auch auf dem Pflaster, von Tropfen übcrsprengt, winkten sie mit ihrem metallischen Vlaufeucr, mit Veilchcnslügeln und Enzianschwingen. So trieben sie es, rastend, spielend und saugend, lange Zeit, und niemand störte sie und sie ließen sich auch nicht sonderlich stören, wenn eine Magd, umschwirrt von ihnen, am Brunnen den Eimer füllte . . . Iris nennt die Wissenschaft den Schillerfaltcr, nach dem Glanz des Negcnbogens. Aus dem Dunkel seiner Obcrflügel bricht das über raschende Licht, aber seine Unterseite ist fast noch schöner: da ist er wcißgebindet und gemasert von prachtreichcn, fasenenhaften Rostfarben und eZichnung, und geziert ans den Vorderflügeln mit lila Augenpunkten.' Seine Futterpflanzen sind Espe und Salweide: ob er seine Unruhe von dem immer schwingenden, wehenden Land ererbt hat? Das Weibchen legt im Sommer die Eier einzeln auf die Oberfläche der Blätter. Die kleinen Räupchen leben beinahe bedürfnislos, asketisch; sie fressen nur wenig, wachsen ganz, ganz langsam, so daß sie bis zum Winter nur ein paar Millimeter groß werden. Der rindensarbige Einsiedler spinnt sich dann mit Fnßfädcn an die nächstjährige Knospe fest und verbringt so, freisitzend, allen Unbilden des Wetters preisgegeben, die Winter- zcit. Im Frühjahr, wenn die Knospen aufplatzen, erwacht auch das Räupchen und genießt die zarte Speise. Aber es frißt auch jetzt noch nicht viel, wächst geduldig, nimmt die Farbe der Blätter an und steckt am bläulichgrünen Kopf zwei rötliche Schneckenhörner aus. Die Puppenruhe verbringt es an seinem Wohnbaum, an Aesten, Zweigen oder Blättern, in unteren Vaumstockwerken, niemals im Wipfel Nach zwei bis drei Wochen, im Juli, schlüpft der Falter. Heiße, trockene Sommer sind der Raupe nicht zuträglich; in feuchten Jahren gedeiht sie zahlreicher. Einen ähnlichen Lebensgang hat die Raupe des Eis vogels. Auch sie nagt EspcnLlätter und überwintert an ihrem Futterbaum. Jedoch fertigt sie sich vor Winter aus einem abgenagten Blattstückchen eine kleine, unten geschlossene Tonne, dicht angesponnen an die Rinde eines Aestchens, und kriecht in sie, ein Raupendiogenes, doch mit dem Kops nach unten. Die Einschlupföffnung bleibt unoerschloffen gegen Regen und Schnee. Dieses kleine, rindenbraune Tönnchen ist schwer wahr nehmbar. Aber dis scharfen Augen hungriger Meisen wissen es wohl zu finden. Südliches Klima wirkt aus die Entwicklung der Eisvogel raupe hemmend. Ich brachte einmal eine Anzahl Eisvogel raupen in ein warmes Glashaus. Die Tiere verloren in der Wärme ihre angeborene Trägheit, krochen lebhaft auf Aesten und Blättern, sraßen stark, freudig — ach, ich erwartete da was Wunder für außerordentliche Falter. Aber ich hatte mich getäuscht. Die Puppen fielen klein aus, die Schmetterlinge gerieten- zwergenhaft und ihre Schwingen waren nur matt getönt. Die Oberseite des großen Eisvogels düstcrt braun, doch strahlen kräftige weiße Flecken und Binden aus dem Samt. Eine zier liche abcndroic Halbmondreihe schiebt sich gegen die gezahnten Außenrändcr der Hfttterflügcl, Nordlichtschmuck, ihm verblieben aus versunkenen Eisvogeljahrtauscnden. Ein paar schwarz magische Schatten lagern aus der octergeflammten, weißgebinde- ten Flügelunterseilc und kühles, slußgrünes Eislicht. Diese Eisfarbe gab ihm seinen schönen Namen. An welchen grünen Wassern hat sein Urahne getrunken? An moosigen Brunnen, Alpenbächen, in Eiskapellen oder an Eletschermilch- flüsscn? Seine Heimat ist Zcntralcuropa, und endet in der Breite von Finnland. In Holland und England ist er nicht zu Hause. Der Schillerfaltcr aber streicht hinunier nach Spanien, Italien, Dalmatien, mit scineni blauen Erzcngelglanz den Pappelstraßen Espen und Weiden folgend. Will man Eisvögel fangen, muß man im Juli vor 10 Uhr vormittags auf die Jagd gehen: um diese Zeit suchen sie die Trinkstellen auf. Später steigen sie unerreichbar hoch. Ich begegnete ihnen einmal, als ich, von der Stadt der Schillerfaltcr, Divonne, kommend, den Schweizer Jnra de kretierte, auf einer steilen, hohen Bergstraße. Bor mir her knarrte mühselig ein Bauerngefährt die Straße hinan, die Sonne brannte und die Pferde schwitzten höllisch. Die Gäule waren aufgeregt und der Fuhrmann hatte Mühe, sie bei Ruhe zu halten. Denn sie waren einem wilden Uebersall von Eisvögeln ausgesetzt, die ihrem Schmeiß nnch- stellten; sie waren verfolgt, bedrängt, belagert, ja dicht bedeckt von ihnen, wie von einer breiten, zerschlissenen Schabracke, ab sonderlich gewoben aus grundgrüncn, tongelbcn, braunen, weiß- fleckigen Schmetterlingsslügeln. Und so, prächtig, abenteuerlich, ein Fabelgcsährt, keuchten sie über die Berge.