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sfil 109 Uai 1928 8äck5iscke Volkgreitun^ Aus dem Iuhatt. I§r Herhard Venzmer: Die schönst« Straße der Weh. >H«imann Sendelbach' Heünatwege. Izieinhold Ortmann: Kollegen. Albert Leitich Peter. Ijilsa Nicket: Nacht in der Waste. iZeüIchristen. Sie schönste Straße der Welt Von Dr. Gerhard Venzmer. Rivierafahrt... für wen verbindet sich mit diesem Begriff nicht die Vorstellung von Sonnenglanz und I'Mcnpracht, von Farbenfülle und Blumendust? Kaum sagend ein Fleck des europäischen Kontinents scheint sgleicherweise mit allen Vorzügen der Natur gesegnet wie sdie in der ganzen Ueppigkeit tropischen Pflanzenwuchses prangenden proven<,alischen Ufer des Mittelmeers; und die Farbe von Himmel und Meer gibt ihnen recht, die diele» gesegneten Küstenstrich die „Lote d'Azur" nannten. Wirklich ist nichts genußreicher und abwechselungsvollcr, als eine Automobilsahrt auf der prachtvollen Küstenstraße, die von Marseille gen Osten die Riviera in ihrer ganzen sAusdehnung begleitet, und die in manchen ihrer Abschnitte smt Recht als eine der schönsten Straßen der Welt bezeich net wird. Schon bald nach der Abfahrt von Marseille stauchen die ersten Palmen und Eukalyptusbäume am IMge auf. In lieblichen, geschützten Buchten träumen ur- salte Fischerdörfer, halb in den Schleier altertümlicher Be- Wulichkeit gehüllt, halb schon mit frisch aus dem Boden pachtenden Landhäusern und Fremdenhotels den geschüsti- sge» Pulsschlag der neuen Zeit verratend. Griechische Ko- slonisten schon haben dereinst diese Küste von Marseille, dem salten Massilia, aus besiedelt; und die Römer waren hier sebenso zu Hause, wie in ihren: Mutterlands selbst. Kein Wunder, däß dieser Teil des Mittelmeerufers zu allen s Zeiten wie ein Magnet die Völker angezogen hat! Gar so sveiMvenderisch hat die Natur hier das Füllhorn ihrer WLen ausgeschüttet. Und was etwa noch fehlte, hat der sKensch dadurch ergänzt, daß er die schönsten Kinder exoti scher Flora in dieses Wunderklima, in dem alles von selbst zu gedeihen scheint, verpflanzte. Man schaut und schaut; and jedesmal, wenn man glaubte, den Gipfelpunkt male rischen Reizes wahrgenommen zu haben, wird das Auge durch neue Bilder von unerhörte Schönheit und Farben pracht überrascht. Kaum find die Kasematten von Toulon, dem „fran zösischen Plymouth", zurückgeblieben, so eilt der Wägen Do» an Dattelpalmen und Feigenbäumen, Mimosen und l Kasuarinen vorüber durch die Hye rischen Inseln, bei denen in längst vergangener Zeit die Ligurer rote Korallen zum Schmucke ihrer Weiber sammelten. Zur Anken aber klet tern steil die Maurenberge empor, von deren Schlupf winkeln aus vor einem Jahrtausend die Mauren die Mittelmeerküste brandschatzten. — Für eine Weile ver schwindet die Straße im Bergwald, und würziger Hauch von Eukalvptus, Aleppokiefern, Strandsichten und Kork eichen umfängt den Reisenden. Dann öffnet sich der Blick wieder weit über Küste und Meer. Der Golf von Frbjus und St. Raphael enthüllt sich dem Blick, und unvermittelt steigt aus der See selbst das Esterelgebirge empor. Mit roten Porphyrfelsen stürzt es gegen di« Fluten zu ab, Agaven und bizarr geformte Feigenkakteen säumen die Straße, die rötlich schimmert vom Staube zermahlenen Ge steins. Zauberisch schön ist sie, die Corniche d'Or, die „gol dene Straße"; märchenhaft der Blick, den man von ihrem Glanzpuntte, dem Esquillon-Vorgeblrge, weit über Meer und Küste, bis zur italienischen Riviera hin, genießt. Wie berauscht ist man von dem. was man, schaut. Das Auge möchte es in sich hineintrinken, dieses «rvergleichliche Spiel der Farben, möchte es für immer festhalten, dieses einzig artig« Bild! In leuchtendem Azur dehnt sich die See, gegen die Küste zu immer durcWchtiger werdend, amethyst- parbene Tönung annehmend. Purpurne Klippen ragen aus der Flut, vom sonnenglitzernden Gischt der anrollen den Brairdung umrahmt. Buchtenreich dehnt sich die frucht bare Küste. In der Tiefe ein weißschimmerndes Häuser meer: Cannes. Dahinter, am Fuße grüner Vorberge, über ragt von den schneegekrönten Häuptern der Seealpen. Nizza. Fern, im Dunst des Horizontes verschwindend, schon jenseits der italienischen Grenze: Vordrghera . . . Wenig später schon rollt das Auto unter weitaus- ladendcn Palmen über den eleganten Strandboulevard von Cannes, die „Esplanade des Allibs". Vornehme Land häuser und üppige Gärten zieren den Ort, an dem sich die Reichsten der Welt alljährlich ihr Stelldichein geben; Luxusjachten mit weißem Leib und blinkendem Messing ring um den Schornstein schaukeln im Hafen dieses „Cowes des Mittelmeeres". Wieder wendet sich die Straße landein, der Stadt der Blumen entgegen. Und da ist sie schon, die berühmte, palmengeschmückte „Promenade des AnÄais" von Nizza mit dem maurischen Märchenpfahlbau der Jetee... Alles, was die Natur an Schönheiten zu vergeben hat, scheint in der Umgebung dieser Stadt zusammengetragen. Wessen Gemüt durch den Anblick des Hochgebirges tiefer bewegt wird als durch das Bild des Meeres, der mag sich in den schluchten- » Dieser Weg hat mich als Kind gesehen» Als ich sprang und hüpfte, knabenwild. Hier brach winters ich die blauen Schlehen, Sommers Blumen für das Heil'genbild. Busch und Baum erkenn ich alle wieder, Ja mir ist, es sei dasselbe Gras. Aus der Luft di« alten Lerchenlieder, Stille Felder, wo ich Aehren las. Und die Wälder rings auf allen Seiten Rage» noch in ihrer kühle« Ruh. Nichts hat sich geändert all die Zeiten. — Nichts? — Mein Herz, was bangst, was zitterst d«? llvrwaou Svnckelbaed. reichen Tälern der Seealpen an der Großartigkeit wilde romantischer Gebirgslandschaft berauschen. Er mag durch die wilde Schlucht des Loup, an der uralten Bergfest« Eourdon vorüber, durch Felder von Rosen und Veilchen, von Tazetten und Ranunkeln, von Jonquillen und Tube rosen nach dem malerischen Grass«, der Stadt der Blüten düfte, dem Haruitort europäischer Parfümfabrikation, wandern. In wessen Seele aber das Bild der See und der gestaltungsreichen Küste mehr Saiten zum Erklingen bringt, dem beschert die Corniche, die schönste Straße der Welt, eine wahrhaft einzigartige Zusammenstellung de» Erhabensten, was die Schöpfung hervorzubringen vermag: die Unendlichkeit blauen Meeres, die lichte Ferne schneeiger Aloengipfel, die üppige Pracht südlichen Pflanzenwuchses und verschwenderischer Blütenftille. Er wird von den Höhen de» Zinnenweges herab bas alte Raubnest Eze trutzig auf zuckerhutförmigem Felsengrat thronen sehen, wird rn La Turbie den uralten Turm des Angustus be wundern, und urplötzlich, an den Rand der Felsenterrass« tretend, Monte Carlo mit seinem Spielpalast und Monaco mit seinem Schloßfelsen une Spielzeug zu seinen Füßen ausgebreitet finden. Wird in: Vorbeisahren einen Blick aus das alters graue Gemäuer von Roquebrun« werfen, das die Sara zenen in den Felsen hineiubauten, wird in der malerischest Altstadt von Mentone schon das bezeichnende Bild italieni scher Städte erkennen, wird zwischen Blütenkaskaden hin durch den Pfad zum Pont Saint Louis hinaufsteigen, dex jene tiefeingeschnittene Schlucht überbrückt, die Frankreich von Italien scheidet. Und je länger sein Blick von hier oben über die'schimmernde Fläche des Meeres und die reichen Gärten mit silbergrauen Oelbäumen und dunkel blättrigen Orangen, mit Palmen und Zypressen, mit rieselnden Bambussträuchern und blühenden Judas bäumen schweift, je länger sein Auge das betörende Bild trinkt, in dem alles und jedes Sonnenglanz und Fülle des Lichts, Wärme und Fruchtbarkeit, Reichtum und Ueppig, keit der Natur atmet, um so mehr wird ihm das Wort Wahrheit werden: „Die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag." Line Onginalhandschrift zu Tschudis Schweizerchronik. — Zu Aegidius Tschudis durch Schiller und Johannes von Müller weit über die Grenzen ihcer Heimat hinaus berühmt geworde nen Schweizergcschichte, die erst in den Jahren 17S4—86. fast zweihundert Jahre nach ihrer Entstehung, gedruckt worden ist, beherbergt die Züricher Zentralbibliothek vier Bände eigen händiger Niederschriften, die sich jedoch bei ihrer genaueren Untersuchung im 19. Jahrhundert als unvollständig herans- gestellt haben. Den Inhalt bilden teilweise Kollcklaneen, teilweise ein erster Entwurf; die Reinschrift beginnt erst mit dem Jahr 1370. Die Originalhandschrist bis zu diesem Zeit punkt galt bisher als verloren. Nun hat der Berner Privat« oozent Dr. Hans G. Wirz in einem aus Privatbesitz stammen den Band von 8üü engbeschriebenen Seiten den fehlenden Teil erkannt; dieser war, wie sich heranssiellte, bereits im 17. Jahr hundert durch eine Urenkelin Tschudis nach Schwyz gekommen und hatte sich dort ohne in seiner Bedeutung erkannt zu werden, in der Familie erhalten. Das Manuskript, von dem Wirz schon vor einiger Zeit Fachkreisen Mitteilung gemacht hat. ist jetzt von einem Freunde der Zürcher Zentralbibliothek erworben und. ihr zum Geschenk gemacht worden. Eine ausführliche wi'jeih- schriftliche Würdigung durch den Entdecker und wohl auch ein« darauf begründete Neuausgabe der Chronik ist zu erwarten. » jedem Zug« der Alte. Fritz Wohlmuth stand auf und sah ihm ,^in etwas unsicherer Haltung entgegen. Seine rechte Hand zuckle wenig, wie wenn sie sich ihm zum Gruße entgegenstrecken wollte. Thomas Ringseis aber gab sich einen Ruck, machte ,er»e kleine, haarscharfe abgemessene Verbeugung und sagte: Kollege« Skizze vov R ei »hold vrttnnnu. Eie arbeiteten i« demselben Ministerium, hattet in der I Hauptsache dieselben Neigungen und waren gut«, verträgliche . . .. b«««chX»„ d» b-Id-n. D«! Kch-- l-»» t,,-« , i«, sie getreulich alle «einen Freuden und Leiden ihrer langsam ^ Und so wurde es gehalten. Sie grüßten sich stumm beim ! «Geigenden BeamteickmGbch«. Dann g-B es einen Men Ritz!', - Kommen und beim Gehen, und nie sprachen sie über die Er- die Ursache war natürlich ein weibliches Weise«. TKoincwP forderm'ssr des Dienstes hinaus ein Wort Miteinander. An- «-rin tiefer Liebe für ein frisches junges Mädel entbrannt,IfSnplich hatte Fritz Wohlgemukh wohl hier und da eine« zag- >-d er machte den Freund zum Vertraute« seiner HofsnungeM Msü fragenden Blick für fein stummes Gegenüber, denn er war »d Wünsche. Aber er betrieb die Angelegenheit nach seinecH «st« mitteidun« Natur, und er hegte ja bei««, Haß. Aber kit etwas langsam und mit vieler Ueberlegung, doch ihm einesH begegnet« jedesmal einem so steinernen Antlitz, daß ihm bald Nch« wie ein Mitz ans heiterem Himmel Vi-e Anzeige von derL M Lust zu Annäherungsversuchen verging und daß er sich nach küobung seines Freunde» Fritz mtt dem Gegenstand seiner kund nach str bas felkfame Verhältnis «stnlebte. I» Thomas -gen Verehrung überraschte. Ei« hatten eine heftige Aus- S Ringseis aber wuchs nach seiner eigene» Ueberzengvng die Ab- > >!«n-ersetzun«, und dann bannten ftr sich nicht mehr. Ohne«eigung von Tag zu Ta« und von Jahr zu Iah,. Es war ihm Won und Gruß gingen sie aneinander vorüber. Thomas Ve> ! «Magie seine Versetzung und begrub sich in der Einsamkeit >i»n kleinen Provinzstadt. Da wurde er den« i» Laufe der j Khie zu einem schrullenhaften Junggesellen, der stch daran ge steh, Schritt für Schritt auf der Leiter siSiner Beamten- ! kmei« emporzuklettern und seine Musestunden mit Spazier- Mgen mcd Tarokspielen auszufiille». Einmal Härte er zu- i> das; Fritz Wohmuth nach neunjähriger Ehe Witwer ge» j sie umständlich öffnet«, seine Ralfe bediente und mit einem Atem- *«ide>> sei und auch fein einziges Kind durch de« Tod verloren j ü°ll gegen den einstigen Freund, der ihn schnöde um fein Le» kWiick bestohlen, noch ebenso tief wie am ersten Tage in feinem i«zkn wurzelt«. Wieder vergingen Iah«, bis Thomas an- Wch seiner Beförderung in das hauptstädtisch« Ministerien ftAbcrusen wurde. Gehorsam leistet« « de« Ruft Folg«, Ku es war längst einerlei geworden, wo » Kim Laign hin- ki« Dienstantritt an dem Metten SchveibtHH in , "'lxiiszimmer den «-getreuen Freund der Zugendjahre vor- ^ KHM tzAL 1« M« ML8«. M« t» ein Martyrium^ immer dieselbe verhaßte Matz« vor sich sehen M müsse«, und die Gewohnheiten seines Zrmmergenossen, st, harmlos st» an sich sein mochten, wurden ihm zu einer immer er neute« Quelle stillen Ingrimms. Dah Wohgemuth kein Akten stück «uffptzlagen konnte, ohne einen trafen Seufzer auszustoßen, machte ihn nervös, daß er mit peinlich genauer Regelmäßigkeit alle Viertelstunde seine Schnupftabaksdose aus de» Tasche zog. zug tiefer Erleichterung sein Taschentuch gebraucht«, wirkt« auf Kk Bei dieser Gelegenheit konnte er feststen««, dah der attei Thomas Ringseis fast wie ein« persönliche Herausforderung. Es störte ihn jedesmal «Ilse neu» in seiner Arbeit, und es kam allgemach dahin, daß er schon ein paar Minute» vorher mit zitternde« Nerven auf das Erscheinen der ominösen Dose war tet«. Ad« er macht« trotzdem deine« Versuch, etwas an de« uu- lädliche« Zustand zu ändern. Da» sollte sein« Rache sei», da rr den Verräter einfach ignorierte, dah er ihn wie leere Lust Aber es traf ihn wie »in betäubender Schlag. al» « ß behandeltt. unzngäaglich fitr all» Rejzuugen im gute« oder schlimme« Sinn«, wie ste »in dauernd«» «ge» Zusammensein sonst km Gefolge M haben pflegt. And sein» Hartnäckigkeit Heime« Rechnungsräte«, aber ste blieben immer in demselben Arbeitszimmer und saßen sich in duvcpfem Schweigen gegenüber- Fritz Wvhlgemuch wurde immer magerer, und immer tiefer mußte er sich beim Schreiben auf seine Arbeit niederbeugc-n, Die Seufzer, die er ausstieh, gewannen einen immer schmerzlicheren Klang. Aber Thomas Ringseis' verhärtete Seele rührten sie nicht. Jede Schuld rächt sich auf Erden, und er sich ein« Art i ausgleichender Gerechtigkeit darin, daß sich der langsame Versals des einstigen Freundes gleichsam unter feinen Augen vollzogt Aber eines Tages, als er aus dem sommerlichen Urlaub zuriick- kehrte, fand er Fritz Wohlmuth nicht mehr an dem gewohnten Platz. Ein jüngerer Kollege hatte ihn eingenommen, ein fröh licher, redseliger Herr mit üppigen, braunen, Haar, einer, der nicht seufzte und nicht schnürte. Der Gehciimat Wohlmuth sei beurlaubt, sagte er, um sodaim in den dauernde« Ruhestand überzutreten, weil sein Augenleiden eine verhängnisvolle Wen dung ge-nam-uen Hab«. Binnen, kürzester Frist weide er un-sicht bar vollständig erblinden. Run konnte Thomas Ringseis auD atmen. Der Bann eisigen Schweigens, der so lang <M feines Arbeitszimmer gelegen, war gebrochen. Er sah die verhaßM Matz« nicht mehr vor sich und brauchte nicht mehr in verkncf- ck jenem Zorn auf das Klappen der Tal-atcbosi zu warten. Aber) seltsam? Das Geplauder des jüngeren Kollegen gi,cg ihm schon nach wenigen Tagen unangenehm ans die Nerven, uiud seine Antworten wurden immer einsilbiger und abweisender. Der braun« Haarschopf ärgert« ihn, er wußte nicht weshalb. Di» schmerzlichen Seufzer begannen ihm zu jehlen, und er ertappw stch immer wieder darauf, wie er ungeduldig aufblickte, weil er vergeblich auf das gewohnte Geräusch der Schnupfprozedur ge wartet hatte. Nach einem halben Jahr war er so weit, daß er mit einer Ke dahin »«gekannten Unlust sein Arbeitszimmer betrat u^> daß der Kollege sich allerorten Uber sein galliges/ unfreundliche» Wesen beklagte. „Der Henker weiß, wie der Wohlmuth es so lang« mit dem afte» Krgkehl« auubgsten konnte", hieß es hinter seinem Rücken. In öicks« Zeit s6«e» wachsenden Mißvergnügens geschah «», daß Thomas Ringseis, nach dem Kanzleischluß auf einer NÄMW «Md. ÄlM «ÄKUüt» W»n»