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Nummer 166 — r?. Jahrgang »rtchetnt «mal wSchrntt. «it de« illustr. »rattSdetlagen .Die Belt' und ,H0r untere Nelnen Leute', sowie den Lertbeilage» ,<t. Vemio-BIatt'. .Unterhaltung und Wissen', .Die WrU der Krau', .Aerztlicher Ratgever', .Dar giüe Buch' .Hilmrund, schau'. Monatlicher Bezugspreis S MI. einschi. Bestellgeld. Mnzelnummer 1» 4, Sonnabend» u. Sonntagmimmer L« Hauptschristieiter: Dr. B. DeSeztzk. Dre-den, SüchMe Dienstag, den 24. Juli 1928 tv er lagSort i Dresden Anzeigenpreis«, Die tgetvaltene Petit,eile »a ^.Hamilten- anzeigen u.Stellengeluche Die PetitreNamezell«. 89 mm breit, I Für Anzeigen außerhalb des Verbreitungsgebietes cko ^ .dt« Petitr-Nainezelle I .ttV/s-Ofsertengeb.»«» ^, Im Halle höherer Gewalt erlischt lebe Vervllichtung auf Lieternng sowie lkrfüllnng v. Anzeigen-Auttrögen u. Leistung v. Schadenersatz. Geschäftlicher Teil: Artur Lenz. Dresden. oolrsseuuna «eschLstSttelle, Drnckn.verlng: »ermanla, «^G. sür Lrriag und Druckerei,Htlial« Dresden.Dresden-«, l. Polierstrahe l?. Hernrnf210,2. Postscheckkonto Dresden Awr Bankkonto Ltndtbon' Dresden Nr 8>7>» Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Siichstschen tvolk-zett«», DreSden-AIlstadi t Polterstrahe >7. Hernrui SMU „nd 7iNI2. 5a« HSlz - 5a« Slaler Um die Reform des Wiederaufnahme. Verfahrens. . . Der Kampf um das Wiederaufnahmeverfahren ist eben große Mode." Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, daß das zur Zeit geltende Recht über die Ermöglichung des Wiederaufnahmeverfahrens gegenüber an sich rechtskräftig gewordenen Urteilen nach ihrer Modernisie rung schreit. „Von den Gegnern einer durchgreifenden Reform wird," so schreibt ein Berliner Richter mit langer Strafpraxis, geltend gemacht, „daß man nicht ohne sehr gewichtigen Grund das Institut der gesamten Rechts kraft erschüttern dürfte. Was vom Gericht rechtskräftig erkannt ist, so lautet die Grundthese solcher Einstellung, „mutz unter allen Umständen bestehen bleiben. Sonst besteht die Gefahr, datz die Grundlagen eines Rechts staates erschüttert werden." Die Frage ist erlaubt, ob die Grundlagen eines Rechtsstaates stärker durch die mit er schwerenden Vorbeugungsparagraphen gesicherten Nicht- wiedergutmachungsmöglichkeiten eines richterlichen Fehl urteiles erschüttert werden, als durch eine Erleichterung des Wiederaufnahmeverfahrens, nachdem ein Urteil rechts kräftig geworden ist, Auch Richter sind Menschen, müssen sogar Zeit-Menschen in des wahrsten Wortes schönster und verantwortungsvollster Bedeutung sein. Menschen aber irren, und es ziert den Mann, es ziert den Richter, frei mütig begangenen Irrtum, zumindest die Möglichkeit begangenen Irrtums einzugestehen. Jener Richter, von dem eingangs die Rede war — der sich im besonderen gegen jene Bestimmung des Wiederaufnahmeverfahrens-Kodex wandte, der die Entscheidung über Wiederaufnahme- a,"2äge von der Beschlußfassung der Kammer abhängig macht, die das angefochtene Urteil gestellt hat — schreibt: „Richter sind Menschen. Nehmen wir einmal den Fall an, daß wirklich eine Verurteilung zu unrecht erfolgt ist, darf man von ihnen erwarten, daß sie so leicht ihren Fehler einsehen und sich zu einer Revision ihrer Auffassung ent schließen werden? Niemand glaubt, daß sie sich absicht- l i ch der Wirklichkeit entgegenstemmen. Aber ihre Ein sichtsbildung ist nicht mehr frei, sie ist insgeheim un bewußt vom ideelen Interesse am Ausgange der Sache bestimmt. Die Psyche des Menschen wehrt sich vom Unter bewußtsein her dagegen, dastehen zu müssen als jemand, der sich geirrt, der aus Irrtum geschadet hat und bereuen muß. Das gilt um so mehr, je größer der angerichtete Schaden ist. Der Irrtum aber kann zur Wahrheit werden, wenn der Schaden nicht wiedergutzumachen ist, wenn ein Unschuldiger sein Leben hat lassen müssen." Von den sozusagen „prominenten" Fällen von Justizirrtümer, dem Fall Leister-Thüringen (dessen Wiederaufnahmeverfahren nicht einen Freispruch mangels Beweises, sondern einen F r e i s p r u ch auf Grund er wiesener Unschuld erbrachte) und der Fall Iaku- b o w s k y - Mecklenburg, (dessen Fall vorläufig nicht so klar liegt, daß man seine Verurteilung verur- teilen müßte, aber doch von Anfang an so unklar lag, daß man Uber die Vollstreckung des erkannten Todesurteils erschrecken müßte), soll heute nicht ge sprochen werden. Ebensowenig von den sich jetzt häufenden Fällen von erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren klei neren Formats. In diesen Tagen interessieren die All gemeinheit im wesentlichen zwei Fälle von Wiederauf nahmeverfahren: das noch in der Schwebe befindliche des Führers des großen mitteldeutschen Aufstandes vom Früh jahr 1921. Max Hölz und das durch Spruch des Edin- burgher Appellationsgerichtes erledigte des früheren Deut schen Oskar Slater. - Der Fall Hölz. Am Mittwoch vergangener Woche ist auf Anordnung des Oberreichsanwalts Max Hölz aus dem Zuchthaus entlassen worden. Nicht amnestiert, sondern, wie es üblich ist, zur unbehinderten Mitwirkung an dem von ihm betriebenen Wiederaufnahmeverfahren. Ganz links wie ganz rechts schießen in der Kommentierung dieser vorläu figen Haftentlassung in der Beurteilung des Max Hölz weit über das Ziel hinaus. Und merkwürdiger weise macht auch ein Teil der demokratischen Presse etwas in Heldenkultus m i t Max Hölz. „Hölz hat sich über ein (mit Unterbrechung) fast ein- einhalbjühriges Schreckensrcgiment furchtbarster Art, für die Massen als Mann der Tat. als Führer qualifiziert . . . Die Art, wie dieser finstere Mann immer wieder nach allen Richtungen über die Menge blickte, restlos prüfend, wie er die Zahl der unbedingt Zuverlässigen abwog und als Kampfwerte einkalkulicrte, das ist mehr als beängstigend," Wißen die Leute, die solche wahrlich beängstigenden Sätze schreiben, wirklich nichts davon, datz Hölz von den mittel deutschen Aufständischen selbst keinesfalls als Führer angesehen wurde, daß jene Arbeiter, die auf Alefehl der mit Entlassung drohenden Moskauer Exe kutive finster entschlossen und gehorsam den blutigen Mitteldeutschen Auiltand vom März 1921 unternähme«. Der große Festzug Wien, 23. Juli. Die österreichische Hauptstadt hatte am Sonntag ihr größ tes Erlebnis seit langer Zeit und für lange Zeit. Der Festzug gestaltete sich zu einer Verbrüderungsfeier, wie sie unwidersteh licher und stürmischer nicht gedacht werden kann. Bereits in den frühen Morgenstunden sind die Straßen der Außenbezirke vollkommen menschenleer. Alles hat sich zum Festzuge auf gemacht. Je näher man der Ringstraße kommt, desto größer wird das Gewühl. Der große Platz zwischen der Votivkircl>e und der Universität gleicht einem Heerlager. Zwischen den vielen tausend Neugierigen bewegen sich ruhig und geordnet die Züge der anmarschierenden Sänger. Die Ringstraße, über die sich der Zug bewegen soll, ist rechts und links von einer einzigen unübersehbaren Menschenmenge besetzt. Auf den Tri bünen mit ihren 22 000 Plätzen gibt es lange vor Beginn des Festzuges nicht mehr einen freien Platz. Die große Festtribüne befindet sich vor dem Burgtor; hier nimmt gegen KtIO Uhr der österreichische Bundesprüsident Dr. Harnisch Platz, begrüßt vom Vorsitzenden des Festaus schusses Iaksch. Auf den Festtribünen sieht man ferner die österreichische Negierung mit dem Bundeskanzler Dr. Seipel an der Spitze, den Wiener Bürgermeister Seit; mit den Mit gliedern des Stadtrates, die Landesregierung von Niederöster reich, die deutsche Gesandtschaft mit dem Grafen Lerchen- feldan der Spitze und eine große Anzahl Personen des öffent lichen, wirtschaftlichen und künstlerischen Lebens. Nachdem die Ehrengäste ihre Plätze eingenommen haben, ertönt die Hymne an Schubert, gedichtet von Kernstück, kompo niert von Professor Max Springer. Dann erhebt sich der Bun despräsident. In seiner Ansprache meist er auf die Gabe des Volkes hin, sich mit der Natur verbunden zu fühlen. Der Ge sang der BcPel im Frühlingswald spreche zu den Herzen der Deutschen, und aus ihnen antworte es in Liedern. In solchem gemeinsamen starken Empfinden lägen die Wurzeln der deut schen Einheit, die nicht zerrissen werden könnten. Der Bnndcs- präsiüent begrüßte darauf die reichsdeutschen und überseeischen Sänger. Hieraus ergriff oer Lorsitzcnoe acs Festausschusses Schul rat Iaksch das Wort zur 2chubertfestrede, in der er einleitend darauf hinwies, daß nunmehr ein Jahrhundert zur Neige gehe, wo man den aller irdischen Güter entkleideten armen Lehrer, den „Kompositor Franz Schubert", in aller Stille zur letzten Ruhe gebettet habe. Heute wüßten wir, daß die Welt in der Stunde seines Sterbens nicht um sine Hoffnung, sondern um ein Genie ärmer geworden sei. Dann trat der Fe st zug unter den Klängen des Deutsch landliedes beim Geläut aller Glocken und dem Schmettern der Fanfaren vom Rathaus seinen Marsch an. Berittene Fanfaren bläser. Festwagen und Fahnenträger bildeten die Spitze des Zuges. Auf dem ganzen Wege wurden den Teilnehmern des Festzuges ununterbrochen Huldigungen der Zuschauer bereitet. Die Durchführung des Festzuges bot ein Bild musterhafter Ordnung und Disziplin. Der Eindruck, de» der Vorbeimarsch einzelner Gruppen aus den bedrängten deutschen Gebieten ans die Zuschauer machte, wird diesen unvergessen bleiben. Dies g>lt ganz besonders von den Vertretungen der Gesangvereine ans dem Rheinland«', der Rheinpfalz, dem Saarland, den Städten Saarbrücken, Ludwig-Hafen, Pirmasens und Trier. Fast ausnahmslos sangen die Verein« aus dieser Gegend beim Vorüberziehen an der Tribüne mit den Ehrengästen und auch im weiteren Verlauf ihres Marsches die Wach! «in Rhein und den rheinischen Süngergruß. Den Saarländern, die Tafeln mit der Aufschrift: Das Saargebiet zurück zum Vaterland! trugen, wurden durch begeisterte Zurufe und immerwährendes Tücher- schivenken die herzlichsten Sympathien bezeugt. Auch die Gruppe Südtirol und die ihr folgenden Nordliroler riesen tiefe Bewegung unter den Zuschauern hervor. Das Gefühl der Zu sammengehörigkeit mit den Deutschen in den verlorenen Gebie ten zeigte sich auch in den stürmischen Zurufen, die die in großer Zahl im Festzug vertretenen siidetendentschen Sänger begrüßten. Auch den Danziger und Marienbnrger Sangesbrü dern sowie den Schlesiern aus dem Abslimnuiugsgebiet aalten herzliche Grüße und Zukunftswünsche. Den Gefühlen, die die Zuschauer beim Anblick aller Volksgenossen aus aen abgetrenn ten Gebieten erfüllte, verlieh der Wagen des Deutschen Schul vereins mit seiner Mahnung Hände wegvan deutscher Erde! würdigen Ausdruck, wie dessen begeisterte Ausnahme zeigte. Anschluß-Kundgebung Wien, 21. Juki. Heute nachmittag fand nach einem Vortrag des Brünne» Mannergesangvereins in der SchubertchLichtentaler) Kirche die dritte Hauptausführung des 10. deutschen Süngerbundseftes in der Sängerhalle statt. Diese Ausführung gestaltete sich zu einer Anschlntzkundgebung. Sie wurde mit Fanfarenklängen eingeleitet. Der Vorsitzende des Deutschen Sängerbundes, Rechts anwalt Dr. List, hielt bei dieser Veranstaltung eine Ansprache, in der er ausführte, das österreichische Land werde, wie es deutsch war und deutsch sei, auch deutsch bleiben, so lange es ein deut sches Volk gebe. Er gedachte dann der deutsch österreichischen Waffenbrüderschaft und all der treuen gefallenen Kame raden, die nicht mehr in die Sangesgemeinschast zurückgekehrt sind. Nach diesen Worten des Gedenkens sang ein verdeckt ansge stellter Chor: „Ich hatt' einen Kameraden". Dr. List erklärte dann weiter, die Schicksalsgemeinschaft des Weltkrieges habe verwirklicht, was der Deutsche Sängerbund seit seiner Gründung auf seine Fahne geschrieben hatte, nämlich das Gefühl der< Zusammengehörigkeit der deutschen Stämme ohne Rücksicht auf die politischen Grenzen zu stärken. Ein ein ziges großes Gelöbnis der Treue zum deutschen Wesen durch pulse alle im Einheitszeichen des deutschen Liedes in diesen Tagen in Wien weilenden Sangesbrüder und in ihnen stet der heiße Wunsch aus. um das deutsche Volk auch das äußere Band der Einheit zu schlingen. „Unsere Seele", so fuhr der Redner fort, „dürstet nach die sem Groh-Dentschland, aber unser Verstand sagt uns, daß wir es nicht erzwingen, daß wir nur Vorbercitungsarbciteil leistet« können." Er forderte zum Schluß seiner Ansprache die Sanges brüder auf, in heiliger Begeisterung, als eiu einig Volk von Brüdern ihre Stimmen in dem Ruf z» vereinigen: Das große deutsche Vaterland, das wir ersehnen und erstreben, und srin Wegbereiter, das deutsche Lied: Heil! die für ihre Ideale'zu kämpfen und zu bluten glaubten, sich unsichtbar machten, sobald es hietz, Hölz rückt an? Hölz führte in Mitteldeutschland Krieg auf eigene Faust. Sogar die damals noch politisch denkende Leitung der kommunistischen Partei ist von den Taten und von dem Tun eines Max Hölz ab ge rückt. Und die „Heeresgruppe Hölz" von da mals? Leute, denen ich glaube, haben mir versichert, datz die sogenannte „Heeresgruppe Hölz" kaum mehr als 15 0 Mann umfaßt habe. Diel zu viel ist über Hoelz und den Fall Hoelz geschrieben und geredet worden. Künstlich ist das Bild des Mannes, der in schwerer Zeit zu einem „Karl Moor des Sächsischen Vogtlandes", zum Führer einer „Revo lutionsarmee" sich berufen fühlte, vergrößert worden. Ein treuer Anhänger der kommunistischen Partei, ein Kampfesführer in naher Zukunft? Mindestens zwei- oder dreimal soll Hoelz während seiner Haft sich losgesagt haben von der Partei, für die er nun zu kämpfen sich an schickt, und sich dahin geneigt haben, wo bessere Aus sichten für ihn zu winken schienen. Hoelz ist im Juni 1921 von einem Berliner außerordentlichen Gericht wegen Hochverrates in Tateinheit mit Totschlag, versuchten Tot schlag sowie wegen zahlloser anderer Delikte, insbesondere Sprengstoffdelikten, zu lebenslänglichem Zucht haus verurteilt worden. Die Urteilsbegründung besagt, datz „bei dem starken Schutzbedürnus der Kulturmenschhcit vor tollsten Verbrecken das Gerickt auf keine sickere Strafe hätte erkennen können als auf lebenslängliches Zuchthaus". Ziemlich unumwunden hat in der etwa eine Woche dauern den Verhandlung im Jahre 1921 der Angeklagte Hölz die ihm zur Last gelegten Straftaten, insbesondere Hochver rat und Sprengstoffdelikte, zugegebe n. Bestritten aber hat er konsequent, mit dem ihm gleichfalls zur Last gelegten Tode des Gutsbesitzers Hetz aus Broirschgen, in der Gegend von Halle, etwas zn tun zu haben. Hölz wurde jedoch vom Sondergericht aus Grund verschiedener Zeugen aussagen, darunter der der Witwe des Gutsbesitzers, auch dieser Tötung für schuldig befunden. Allerdings nicht des Mordes, der „Tötung mit Vorsatz und Uoberlogung", son dern nur des Totschlages, der „vorsätzlichen Tötung ohne Ueberlegung". Hauptsächlich hinsichtlich der Verurteilung in die s e m Punkte betreiben Hölz und seine Verteidiger das Wieder aufnahmeverfahren. Die Verteidigung des Max Hölz meint nämlich: Gelingt es, im Wiederaufnahmeverfahren die Verurteilung wegen des gemeinen Verbrechens des Tot schlages von dem Strafkonto des Höl; weg-,»nehmen, so bleiben nur noch Delikte übrig, die als p o l itisch ange- sprachen werden können oder auch müssen. Und in die sem Falle ist Hölz nicht mebr von der Anwendnng einer Amnestie für politische Verbrecher ausgeschlossen; für den wegen gemein e n Verbrechens Verurteilten kommt natürlich eine solche Amnestie nicht in Betracht. Die Verteidigung kann sich bei dieser Ueberlegung darauf be rufen, datz die sieben oder acht gleichfalls zu lebensläng»