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OnterkaltunZ un6 wissen 133 - 14. Zum 1928 Sricsisiscsie VoIßsreitunA Aus dem Znhatt. lk Norbeck: Schlösier in Franken, von Wa unken: Hilfe. Hans Eäfgen: Juni. Egon Erich Albrecht: Die Scholle. Kaspar Ludwig Merkt: Lausbuben. Hans Gäsgen: Gartenglück. Z. Adams: Fabeln. Schlösser irr Irmtten Von E. Vorbeck. Wie ein barockes Ornament zeichnet der Main in die sränkischen Hügel und Ebenen seinen Lauf. Kein Fluß schwingt sc, viele, tänzerische Schleifen wie er, und wenn man sein blaues Bild auf der hellbraun und grün getupf ten Landkarte betrachtet, glaubt man, eine Musik von Mozart zu hören. Oft hieß es in alter Zeit: unter den, Krunnnsiab ist gut leben. Vielleicht har diese Redensart ihren Ursprung von den Ufern des Mains, den dre? gewaltige, geistliche Herren ein Jahrtausend lang regierten: der zu Bamberg, der zu Würzburg und der zu Mainz. Wenn ihre Unter tanen sich fast stets — mit Ausnahme der Bauernkriegs- jahre — wohl führten, so müssen diese Bischöfe selber an einem ungewöhnlichen Glücke teilgenommen haben. Ihre Lande hatten die frühesten Mönche bestellt und besiedelt. Wo sie ihre Throne aufrichteten und sich die Kronen der heidnischen Herzoge aufs Haupt setzten, blühte bereits ein köstlicher Garten, den die Gebete und die Arbeit, das Blut und die Liebe der ersten Heiligen beschworen hatten. Ein milder Himmel, der längst von barbarischen Wolken ge reinigt war, kuppelte sich wie ein Segen des Schöpfers darüber. Die Bauern und Adeligen, die in ein solches Gebiet hineingeboren wurden, verspürten nur eine fruchtbare Gnade, die sic mit jedem Tage neu beschenkte. Mißgunst und Willkür erreichten sie auf ihrem Acker nicht. Auch blieb ihnen immer die Hoffnung eines Aufstieges. Der geistliche Stand öffnete sich allen. Die Bauern sahen ihre Söhne in den behäbigen Pfarrhäusern wohnen und die Ge schicke des Dorfen leiten. Die Vornehmen zogen in das reiche Domkapitel ein und bestiegen der Reihe nach die hohen Bischossstühle. Ihre kleinen Fehden, die sie in der Zwischenzeit ausfochten, waren nur ein kindlicher, nobeler Zeitvertreib, aber nicht Haß und Vernichtung. Schließlich mußten sie sich vertragen; denn jeder konnte bei der näch sten Wahl des anderen Herrn werden. Die adeligen Geschlechter bewohnten mit Clan; und Pracht Stadt und Land. Ihre Wappen prunkten über den Toren von Schlössern und Palästen, von Kircben und Grüften. Die Schönborn, die Hutten, die Rotenhan, die Zobel, die Bibra, die Greifenklau, die Thüngen, die Echter, die Ingelheim und wie diese Hochgeborenen alle hießen, sie bauten und werkten, sie pflanzten und säten, das; ihre Namen nun von den schönsten und anmutigsten Bildern umrankt sind, die es auf fränkischer Erde gibt. Und wie eine einzige, silberne Guirlande bekränzt ihre Edelsitze, die heute wie Märchen und Lieder vor uns aufsteigen, der Main. In seinen Fluten badet sich das uralte, göttliche Land: zärtlich, frühlingshaft, tänzerisch, berauschend und para diesisch. Es ist, als ob sich blühende Stufen in die blaue Glorie des Himmels schichteten. Als ob die Sonne in fröh lichen Kaskaden die Hänge und Raine überschütten müßte: immer und ewig. Als ob die Täler und Ebenen goldene Fruchtschalen wären, über deren Ränder der Ueberslnß der rotwangigen Aepfel, der schlanken, tropfenhaften Birnen, der zierlichen, rubinfunkelnden, lippendurstigen Kirschen, der bernsteinernen, mattgehauchten Mirabellen, der flieder farbenen, duftigen Zwetschgen, der haarigen, gewölbten Quitten und der saftigen, seimigen Reineclauden quillt. Und an den kochenden Mauern der Häuser, auf dem glü henden Gerüst der Laubengänge und an den Reben, die sorglich gepflegt die steilen Wingert« zwischen den weißen Kalkfelsen bewachsen, bündeln sich die süßen Beeren der Trauben, deren Wein in die Becher und Kehlen der Armen und Neichen fließt; denn alle genießen vom gleichen Tische. Und um die Stämme der hochgewachsenen Obstbäume wogen die dichten, bunten Felder, die oft zweimal im Jahre bestellt werden. Im Schutze hoher, bemooster Mauern und umhegt von wuchernden, buschigen Parks erheben sich abseits der Dörfer, aber auch manchmal mitten in ihnen, die grauen, roten oder weißen Schlösser. Ihre Dächer, die steil und kantig, gegiebelt und behelmt, banchig und mansardig sind, schwim men wie rotbraune Wildenten, die in ihrem Gefieder zu weilen den Schimmer eines erblindeten Pfauenauges haben, auf den grünen, zitternden Wogen der Baumwipfel. Türme, nicht hoch, ober wehrhaft und breitbrüstig, tragen ihre Hauben und Zinnen wie das Gewölbe massiger Rot buchen. Auf Berggipfeln, halber Hllgelhöhe oder in Wasser gründen siedelten sich dis Barone und Grafen an, die mehr an den Krieg als an den Frieden dachten und trotzdem die warme Ruhe ihrer sanften Heimat liebten. Die Ernte ihrer Aecker und Wiesen, die Jagd und der Ertrag ihrer Nun gießt bas Jahr die volle Schals Beglückten Reifens über unsre Erde hin, Und all das Blühen, das der Mai uns brackfle, Gewinnt den hohen, gottgewollte,, Sinn. Es rundet sich die Frucht in jedem Strauche. Der Duft des Frühlings wird Gestalt und reift, Indes Erinnerung und frohes Hoffen Ruf allen ird'schcn Wegen schweift. Die Felder sind wie Harfensaiten, Nuf denen warm der Wind des Himmels spielt, Und jedes Wesen in den lichten Tagen Das milde Lächeln Gottes fühlt. Wir schreiten reichbeschwingt durch Gärten, Miesen, Fluren, Empfinden tief des Lebens letzten Sinn. — Run g'cßt das Jahr die volle Sch'le Beglückten Reifens über unsre Erde hin. klang 6,'ügsn. Forsten und die Zehenten ihrer Hörigen beschenkten sie mkt einem Reichtum, den sie mit üppiger Geste in den Sälen und Zimmern ihrer Schlösser wieder ausstreuten. Kaum einer, der nicht mit verschwenderischer Hand seinen Wohn sitz ausgeschmückt hätte. Ans den Residenzen ließen sie sich die fremden, oft welschen Meister verschreiben, die Maler, die Bildhauer, die Stuckateure, die Tischler und Ebenisten. Sie übten sich in der Unterstützung und im Gebrauch der Künste, auf daß sie, wenn sie einst in einem ihrer ncrchge- borencn Söhne zur bischöflichen Macht gelangen würden, schon die Gewohnheit des Schönen in Blut und Blick hätten. Dort, im Schatten der Dome, vollendeten sie die herrlichen Paläste, die sie einander hinterließen. Ihre wahrhaft fürst lichen Denkmäler haben sich die fränkischen Geschlechter in Bamberg, in Würzbury und in Aschaffenburg errichtet. Jede Gegenwart wird ihren Ruhm dankbar bejubeln. Die Vorahnungen und die Erinnerungen dieser Bau werke aber sind die stillen, fast vergessenen Schlösser, die zerstreut und einsam in der heiteren Landschaft liegen, jen seits der lärmenden, gedankenlosen Zeit. Das Amt Ebern, oben in der nordwestlichen Kobur- ger Ecke, ist besonders reich mit adeligen Fähnchen bewim pelt. Dort sitzen auf vielen Gütern die Freiherrn von Rotenhan: zu Eyrichshof, Rentweinsdorf, Untermerzbach und Heilgersdorf. Seit 15ög bauten sie an ihrem Stamm schloß, das mitten in einem weiten, englischen Park sich er hebt. 1758 fügten sie einen Eastflügel an die alten Mauern, dessen Inneres jene sorgliche, liebenswürdige Hal tung des wirklichen Edelmanns seinen Gästen gegenüber zeigt. Eine Fülle der köstlichsten Dinge, die aber niemals ausdriiiglich sich'bemerkbar machen, dient dem fremden Be sucher. Noch ist alles so erhalten, wie es die damalige Zeit geschaffen hat. Um die hohen Fenster fächeln die Zweige kühler Buchen. Ein goldgrünes Licht flirrt über dem köst lich eingelegten Parkettboden und in den geschweiften Schubladen der Kommoden duftet es nach Lawendel und schlohweißer Wäsche. Hier könnte eine Geschichte von Eichendorff beginnen oder ein Gedicht von Rilke. Feierlich säumen drei rechtwinklige Flügel den Ehren hof von Rentweinsdorf. Verschiedene Baumeister haben vierzehn Jahre lang an diesem Schloß gearbeitet. Seine Maße und Verhältnisse geben den Stockwerken und Mauern einem majestätischen Aufriß. Dabei ist jeder äußere Schmuck vermieden.. Grüne Läden und ein durch laufendes Gesims, eine kleine, geschwungene Giebeikrone, ein spitzenhaftes, schmiedeeisernes Gitter um den Balkon über dem Eingang: das ist der ganze Schmuck. Aber Efeu und Rosen sticken ihre Blätter in schlanken Kurven über das Mauerwerk und die Sonne weht durch das Geäst hoher Kastanienbäume. Nach dem Garten zu, angesichts einer fernen Landschaft, erhebt sich das Schloß königlich auf einem blühenden Sockel. Ein Mittelbau rauscht schlank zum Him mel empor. Zwei stolze Säle mit je drei riesige» Fenstern türmen sich aufeinander. In ihnen sammelt sich alle Pracht und Verschwendung. Die Wände blühen in zartem, schwel gerischem Stuck. In den gewölbten Decken schweben ver zückte Götter. Hier wird Franken gekrönt. klntermerzbach, das dritte Eigentum der Rotenhan, entstammt in der Anlage noch der Nenaissance-eit. In quadratischer Wucht wächst der dreigeschossige Bau aus einer doppelten Terrasse. Seinen Ecken sind schräagestelltc Türme vorgelagert, auf die im 18. Jahrhundert Man sardendächer gestülpt wurden. Ein wuchernder, dnmmrigcr We! Berechtigte Uebcrsctziing aus Answers von Maruken. Durch widrige Verhältnisse war Nellie schon früh mitten in den Lebenskampf gestellt worden. Ihre Schüchternheit hatte sie aber trotzdem nicht verloren. Sobald sie unter Menschen kam, war sie wieder das kleine befangene und furchtsame Dorf mädchen. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Telegraphen beamtin und fühlte sich am wohlsten, wenn sie an ihrem Apparat sah Daß sie eine Dienstreise machen mußte, war ihr gar nicht recht. Als der Zug in die Bahnhofshalle cinlief, sah Nellie zu ihrer Bestürzung, daß in jedem Abteil nur ein einzelner Herr saß. Eie lief den Zug entlang und atmete auf, als sie doch noch ein Abteil'mit einer alten Frau fand. Sie machte allerdings gerade keinen angenehmen Eindruck, diese alte Dame. Ihr volles, rotes Gesicht war fast ganz von einem schmutzigen Shawl verdeckt, und ihre-Kleidung saß un ordentlich. Aber trotz dieser Mängel schaute Nellie sie mit sreundlichen Augen an und nahm ihr gegenüber Platz. Wenig stens hatte sie sie vor der Notwendigkeit bewahrt, mit irgend einem unbekannten Herrn zu fahren. Da sah sie zufällig auf- blickend, daß die alte Frau ihr gegenüber sie in einer Weise nnschaute, daß ihr Herz vor Angst stehen blieb. Unwillkürlich blickte sie auf die Notbremse, die sich gerade über ihr befand. Im selben Augenblick beugte sich die alte Frau und packte ihr Handgelenk mit eisernem Griff. „Lassen Sie das!" zischte sic. Die Bewegung, die sie dabei machte, verschob ihren Schal und ihren Umhang, und verriet die darunter befindliche gelbe Sträflingskleidung. Nellie blickte in hilflosem Schreck vor sich hin. „Bin vor zwei Tagen von Portland ansgerissen" sagte er kichernd. „Aber ich denk' mir, diese Maskerade macht sich gut, ivas'?" Nellie war unfähig zu antworten: sie rvar wie gelähmt. »Zehn Jahre hatte ich ansgcbrummt bekommen", fuhr er soll, „e.drr vor zwei Tagen tippte ich einen Wächter auf Len Deetz und machte mich dünne. Wenn er stirbt, werd' ich wohl baumeln müsse», aber lebendig werden sie mich nicht kriegen. Hören Sie wohl, mein Fräulein! Lebendig kriegen sie mich nicht!" Nellie schwieg noch immer. Er schien belcididgt, daß sie nicht antwortete. „Haben Sie kein Wort für einen armen Kerl?" knurrte er. Unerwartet drehte er ihr Handgelenk, so daß sic vor Schmerz aufschrie. „Ich dachte mirs doch, daß Ihre Zunge ganz in Ordnung ist," sagte er. „Haben Sic Geld bei sich? Haben Sie Schinucksachen arcßer der Brosche da?" Hastig gab sie ihm alles von Wert, was sie bei sich hatte, in der Hoffnung, ihn zufriedenzustelle». Er jluchte, weil es so wenig war. „Nur drei und 'n halben Schilling!" knurrte er. „Ich habe große Lust — Gerade begann der Zug seine Fahrt zu verlangsamen, und Nellie schöpfte Hoffnung, da sie sich der nächsten Station näherten. „Nee, das gibt's nicht!" sagte der Sträfling, der ihre Ab sicht erriet. „Sie bleiben still sitzen. Sehen Sie das Messer hier?" Er zeigte ihr ein blankes Messer, das er, unter dem Umhang, in seiner rechten Hand hielt. „Kommen Sir mal her und setzen Sie sich hier neben mich." fuhr er fort, „und machen Sie mir keine Dummheiten, denn wenn Sic sich mucksen, renn' ich Ihnen dies bis ans Heft in den Leib! Es ist mir egal, ob ich für Sie oder für einen Aufseher baumele. Also nicht gemuckst. Zum Donnerwetter!" „O bitte, bitte lassen Sie mich gehen!" flehte Nellie. „Lassen Sie mich hier aussteigen!" „Damit Sie mich anzeig«» können? Meinen Sie den», ich bin verrückt?" spottete er. „Außerdem", fuhr er fort, „bin ich noch nicht mit Ihnen fertig. Wenn wir in London sind, haben Sie die zärtliche Tochter zu spielet», die ihre alte Mutter nach Hause begleitet, damit ich mich sicher aus dem Bahnhof 'rausschmuggeln kann. Und denken Sie daran, — wenn Sie irge,^welche Zicken machen, kriegen Sie mein Messer zu schmecken, so sicher wie zweimal zwei vier ist!" Er schlang seinen Aum um ihre Taille. Wie in einem un erklärlichen Schreckenstrnum besangen, saß Nellie regungslos da, während die Geschwindigkeit des Zuges langsam nachließ und er endlich einlics. Sic hatte das brennende Verlangen, aus- zuspringen und um Hilfe zu rufen, selbst wenn im nächsten Augenblick das Messer des Sträflings sie durchbohren sollte. Aber ihre Zunge klebte ihr am Gaumen, so daß sie nicht ein mal stöhnen konnte. Der Zug setzte sich 'schon wieder in Bewegung, und Nellie gab alle Hoffnung auf Rettung auf. Da sprang jemand leicht füßig aufs Trittbrett, riß die Tür auf und war im Abteil. Der Sträfling brummte einen Fluch. Als Nellie vor freu digem Schreck znsammcnsuhr, fühlte sie sofort durch ihr Zeug hindurch einen leichten Messerstich. „Ein Wort, und ich werde erst Ihnen den Hals abschneiden und dann ihm", flüsterte er. Der neue Fahrgast war jung und hatte ein offenes Gesicht. Nachdem er einen flüchtigen Blick auf feilte Mitreisenden ge worfen hatte, zog er rin Abendblatt aus der Tasche und ver tiefte sich darein. „So ist's recbt!" murmelte der Sträfling, Uber Nellies Ver- zrveiflung grinsend. Seine Hand ruhte schwer auf ihr. Die Spitze des Messers, mit dem er ihr Leben bedrohte, fühlte sie noch in ihrer Seite. Ihr rechter Arm war durch den Druck seines Körpers gefesselt, und wenn auch ihr linker Arm frei war und auf dem staubigen Sitzkissen ruhte, so war doch keine Aussicht auf Entkommen. Teils aus schierer Verzweiflung, teils vielleicht, weil sie einen gewissen schwachen Trost darin fand, sich überhaupt zu beschäftigen, begann sie das Mort „Hilfe" in den Punkten und Strichen des Morse-Telegraphenjchlüsscls zu buchstabieren, der allen Telegraphisten bekannt ist. Punkt, Strich. Punkt, Strich bucksitabierten ihre Finger, wobei ein einzelner Finger für den Punkt vokschnellte, zwei Finger zugleich für den Strich. So buchstabierten ihr« Finger auf dem staubigen Polster mechanisch immer und immer wieder das Wort „Hilfe", rvährend der Druck des Sträflings ans ihrem rechten Arm an Stärke znnahm und sein heißer Atem ihrem Gesichte imer näher kam. indes; seine blitzenden, scharfen Augen auj die gemigste Bewegung achteten,