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Aus dem Inhalt. A. Donders: Neuer Morgen. Ernst Noeldechen: Fronleichnam. Zoe Droysen: Das Kind. Heinz Wulff: Antlaß im Isarwinkel. Ernst Eimer: Der Kirschenstrich. Hanne Roehr: Bor Toren und Brunnen. I. Ad a-m s : Fabeln. Rätsel-Auflösungen. Neuer Morgen Ein leuchtender Morgen zieht über die neuerwachte Erde hin. Es ist, wie wenn bei jedem neuen Morgen uns neues Leben geschenkt, die Zeit und die Erde und ihre Güter uns neu gegeben würden. Der Abend und die Nacht hüllen viele Taten und Untaten der Menschen in den dichten Schleier ihrer Finsternis, Dinge, die das Licht nicht vertragen können: ,L)ie Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse." Das breitet eine dumpfe, schwüle Atmosphäre über die Nachtzeit aus. Nun steigt die Sonne wieder empor. Ls ist, als wolle sie alle die bösen Geister mit ihren Licht strahlen wie mit ebensovielen Pfeilen verjagen. Die Erde ist wie verjüngt, und die Menschen gehen mit neuer Schaf fenslust ans Tagewerk. Täten sie es nur nicht gedankenlos! Der kennt den Reichtum und das Glück eines neuen Tages nicht, der ihn nicht von der Morgenfrühe aus über schaut. Jeder frisch aufsteigende Morgen überbringt uns die freudige Aufforderung, das wiederum dargereichte Gottesgeschenk der Zeit mit treuem Dank und weiser Be nutzung entgegenznnehmen. Aus den einzelnen Tagen setzt sich nach und nach das Leben zusammen, wie aus den Blät tern das Buch, Seite um Seite, Blatt für Blatt. Wie liegt sie so verheißungsvoll vor uns, die aus dem Schlummer erwachte Natur, die Tautropfen noch an Halm und Strauch, in denen der Sonnenschein schon aufblitzt! Da redet alles laut vom erwachten Leben, von erwachter Kraft, von er wachtem Glück. Des Schöpfers Loblieder steigen zum Him mel auf und ein Dankeshymnus für die wieder belebte Hoffnung: neuer, junger Tag heißt neues, grünendes Hoffen. Am Morgen erwacht alle Geisteskraft. Das ist die Stunde des Erwachens in der immerwährenden Lebens freude der Menschheit. Wer nichts davon spürt, wem keine solch heilige, Helle Stunde kommt, vom Morgenrot durch- gliiht, die ihm zu kraftvollem Schaffen wieder Mut und Feuer schenkt, der lebt gleichgültig in den Tag hinein und hat daher von ihm auch nichts zu erhoffen. Ueber ihn weht kein belebender Hauch. Vom neuen Tage sollen wir Besitz ergreifen: „Hast du dem Morgen geboten und der Morgenröte ihren Ort ge zeigt?" Was heißt das, dem Morgen gebieten? Es heißt, Herr der Zeit werden, zum Geber aller Tage dankbar auf- blicken, ihm die nahende Tagesarbeit weihen: „Ich weihe alle meine Werke dem Könige"; — sie unter seinen Schutz stellen und im innigen, kräftigen Gebet seinen Vatersegen für den beginnenden Tag erflehen. „Der Morgen", so sagt das Buch Job weiter, „ist gleich dem Siegel, das auf Wachs gedrückt wird." Die Nacht prägt keine Siegel auf, denn sie ist tatenlose Ruhe, Kräftigung, Erholung. Da ist alles formlos und verschwommen, keine klaren Gedanken, sondern schlaffe Ausspannung. Alle unsere Lebenstage bekommen durch die Art, wie wir sie ausfüllen, ihr festes Gepräge. Wir drücken unser Siegel darauf. Dieses Siegel muß den heiligen Namenszug Gottes enthalten, dem wir dienen wollen: „Alles meinem Gott zu Ehren," von der Morgen frühe bis zur Nacht. Dann geht der Gedanke an Gott unserm Leben nicht verloren, der es besiegelt hat, und in seinem heiligen Namen werden alle Stunden ausgefüllt, alle Arbeiten vollbracht, alle Kreuzwege gegangen. Was in Gott besiegelt ist. behält dauernden Wert, Ewigkeits wert. Was in Gott anfängt, geht auch in Gottes Namen weiter und aus. „Hast du der Morgenröte ihren Ort gezeigt?" Was soll sie, wenn ihr der Ort gezeigt ist? Der Morgen faßt dann, so sagt unser biblischer Vers, die Enden der Erde, schüttelt alle Gottlosigkeit aus, reinigt die Welt von den Sünden der Nacht, so „wie ein Mann seinen Nock hinaus trägt, ihn an den Enden faßt und ausschüttelt, bis aller Staub von dannen fliegt," so erklärt Peabody einmal dies Bibelwort. Das ist Eottesarbeit an jedem neuen Morgen. Er legt seine Hand auf die Weltkugel, schüttelt die Dunkel- kroiLlerelu, ai» Voll Lächeln ist der Frühe Angesicht Und Lerchenlieder hängen in der Bläue. Um Helle Fluren bebt der Andacht Hauch. Die Aehren neigen tief im Winde sich. Der jungen Aehren Demut sei uns Vorbild. Fronleichnamstag! Es brausen Liebesströme Aus Ewigkeit hernieder in die Welt. Das Herz der Erde wiegt des Himmels Klarheit — Und Klarheit rührt das dunkle Menschenherz. Die gläubigen Seelen fließen hin verzückt Und einen sich in Aufblick und Gebet. Leib, der für unsere Schuld geopfert wurde, Der uns mit überirdischen Kräften labt, In deinen Wunden ruhen unsere Schmerzen Und alle unsere wehen Wünsche aus . . . Du bist das Leben, Gott am Marterholz! Es taut herab aus deinen roten Wunden Wie milder Balsam dein Erlöserblut. Wir waren krank — Du machtest uns gesund: Frei dürfen wir des Teufels Ränken trotzen Und unerschrocken stellen uns dem Tod. O Sonne unseres Glückes, es erblaßt Vor deinem Glanz die schwache Erdensonne . . . Du höchstes Heiligtum» du Born der Reinheit, Du Himmelsbrot — in deiner sanfte» Nähe Wird zag' der Engel kühner Höhenflug. Bei deinem Throne knien seelige Geister Und ihre Schwingen tönen dir Musik! Wir huldigen deiner Hellen, süßen Hoheit! Wir leisten einen Dienst voll lausend Freuden Und mit uns freut sich jeder Halm am Weg! Lrust Uoolckeckoo. heiten der Nacht ab und sendet neues Licht, Leben un8 Kraft. Erwacht sein, heißt leben, wirken, etwas leisten: den kommenden Tag in mühender Arbeit so gestalten, daß man nie zu wünschen hat. diese Seite aus dem Lebensbuch her- auszureißen, daß sie vielmehr mit ernsten Taten beschrieben wird, daß sie vollgültigen Wert behält und sich auch später stets als des ganzen Lebens würdig erweist. Nur keinen Tag verlieren, keinen in Kleinigkeit vergeuden, die zwecklos sind, sondern jede Stunde ausnutzen, in wägender Schätzung! Den Tag „pflücken", wie die Alten sagten, reife Frucht am Abend gewonnen haben, die benetzt ward vom Schweiße der Tagesarbeit. Das Leben ist viel zu kostbar, als daß einer auch nur einen Tag lang das leben dürfte, was „kein" Leben war. Das zu verhüten, dazu trägt ein frischer, froher Tagesbeginn alles bei. Die wahrhaft großen Ereignisse, Gedanken, Entschlüsse, Taten sprühen in der Morgenfrühe auf wie die ersten Strahlen der Morgen röte am östlichen Himmel. Nun gilt es, diese starke, stolze Morgenkraft möglichst lange festzuhalten, des Geistes Elastizität zu bewahren und die freudige Spannkraft trotz der Arbeit nicht vorschnell einzubüßen. Für den, dessen Gedanken und Leistungen mit der Sonne gleichen Schritt halten, wirkt jeder Tag wie ein ununterbrochener Morgen. Was der Zeiger auf der Uhr oder die Menschen ihm auch sagen von abgelaufener Zeit, ist ganz nebensächlich: seine Kraft zeigt am Mittag noch die Morgensonne und die Morgenfrische unverbraucht. Er bleibt wach und läßt die Schläfrigkeit nicht Herrin werden. Glücklich, wer am Morgen einen solchen Sonnenaufgang in seinem Innern spürt, wer neues Licht und Leben, neue Wärme in sich fühlt und sie dann steigen sieht, wie am Himmelszelt die Sonne steigt. Mag sie auch sinken, wenn im Westen die letzte Glut versinkt. Sie wird ihm mit der Morgenröte wiedergeboren: neue Kraft, neues Feuer, neues Glück. (Au»: „Heini'khk" von A. Donders. Voli»vetti»sverlan.) s? Das Kind In der Wohnstube brennt das Licht. Hell flutet es über die Möbel, läßt die weißen Kacheln des Ofens ausblitzen und wölbt den Raum zu großer Festlichkeit. Die Bewohner des Hauses sind irgendwo in anderen Räumen beschäftigt, nur ein kleines Kind sitzt eifrig vor seinen Spielsachen. Eigentlich pflegt es zu dieser späten Stunde längst zu schlafen, doch heute hat noch keiner der Erwachsenen Zeit gefunden, es zu Bett zu bringen. Das Klappern von Geschirr, das aus der Küche herüberklingt, das in der Stille so eindringliche Ticken der Wanduhr, die Wärme und das Licht geben ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Da werden Schritte kaut. Durch die breite Tür kommt die Großmutter aus dem dunklen Garten herein. Einen Augenblick läßt sie die Türe weit hinter sich offen, und das Kind staunt hinaus. Es weiß, daß sich da draußen jene blühende, sonnensatte Seligkeit breitet, die man Garten nennt, in der bunte Schmetter linge, summende Bienen, Käfer, Fröschlein und allerlei Getier, Blumen und Gras seine lustigen Gefährten sind, in der hohe Bäume fröhliches Spiel behüten und in der es mit den Sonnen strahlen um die Wette zum Lied der Vögel tanzt. Nun aber ist dort alles ganz anders: ein neues, ungeheuer Großes — die Nacht — zeigt sich dem staunenden Kinde. Ls sieht nichts von Aailatz im Zsarwinkel Von Heinz Wulfs. „Also, lassen S' mi aus mit'» Umgang heitzutag! A Schmarrn is's. sog i Eahna", schließt dein Gegenüber seine eifervolle Rede. Du wirst dir also den morgigen Umgang, die weitberühmte Münchener Fronlcichnamsprozession, nicht ansehen. Das ist dir nach deiner Unterhaltung mit dem Altmünchener klar. Haar scharf hat er dir bewiesen, daß der Umgang in unseren Tagen kaum noch der Schatten eines Abglanzes von früher ist. Und schließlich muß er es doch wissen, denn er ist einer jener selten gewordenen Ureinwohner der Münchnerstadt, die sich Zeit ihres Lebens nicht allzuweit aus dem Gesichtskreis der Frauentürme entfernen, und für die das herzlich gehaßte „Preißen" nicht erst an der Mainlinie, sondern vorsichtshalber bereits dicht an der nördlichen Gemarkung ihrer Stadt beginnt. Und soviel Ein sehen hast du auch selbst, daß ein Umgang >chn« die Hartschier«, die ehemalige Hausgarde des Dkünchener Hofes, eben kein Unr- gang ist. Du wirst Fronleichnam nicht in München bleiben, sondern schon heute am Vorabend, zum Antlaß in den Jsarwinkel fahren, nach Lenggries. Da feiert das gläubige Bergvolk noch das Hoch fest der Kirche nach alter Weis«. Die letzten Nachtwolken verfliegen im Aether und oer Herr gott beflaggt aus Freude über den frommen Eifer seines katho lischen Bayernvolkes den Himmel weibblau. Da zerreißen Böllerschüße krachend den Frieden des heraufsteigenden Sommer- morgens, brechen sich vielfältig an den Bergwänden und rollen als Echo das Tal hinauf bis in die Jachenau und hinunter gen Tölz. Wie das die Schläfer aus den Federn treibt! Antlaß- morgen ist's! » Bald hastet geschäftiges Treiben durchs behäbige Pfarrdorf. Fleißige Hände fegen die Straßen rein, denn auf ihnen soll das Gras, welches grade von einem Gespann bedächtiger, falber Ochsen taufeucht Herei »gebracht wird. kurzgeschnittLP. eigen herbduftigen Teppich bilden. Durch die Fenster siehst du die kleinen Dirndln mit wildem Eifer ihr Haar kämmen, das schon Tage vorher mit Papierschnecken gewickelt wird, damit es auch beim Umgang schön gelockt ist. In den Höfen sämtlicher Wirts häuser erblickst d» den Wirt oder einen Metzgcrburschen, die Arme bis zu den Schultern im „Brat", der Wurstmasse, emsig beim Werke, denn, wenn nach dem Umgang die Weißwürscht, die zu jedem Fest gehören, nicht gut geraten sind, gibt's Verdruß ohne Ende. Vor den Türen wird der Antlaßbaum, die Birke auf gestellt und festgebunden. Aus den Fenstern breiten sich rot-gol- dene Ziertücher, hängen sich Kränze von frischem Eichengrün, und im Fensterahmen stellen sich von Kerzen flankiert alle lieben Heiligen auf, bald hinter Glas tlnd Rahmen, bald in farbigen Figuren, um ihrem Herrgott und Meister, wenn er in der Mon stranz durchs Dorf schreitet, die schuldige Reverenz zu erweisen. Und dann siehst du es aus allen Häusern zuhauf ströme», nach der Kirche hin. Und dann wird's still. Und nach geraumer Zeit, wenn das Hochamt beendet ist, Böllerkrachen. Fahnen an himmelhohen Stangen setzen sich schwankend in Bewegung. Der Kirchenchor stimmt einen poly phonen Hymnus an. Der Umgang beginnt. Vorauf die Schuljugend. Andächtig und eifrig die kleinen Dirndln, ein wenig unsicher in den ungewohnten weißen, ge stärkten Kleidern, Margeritenkränze im gelockten Haar. Laus bubenhaft, wie immer, der Heranwachsende Stolz des Ortes, sich hinter den vorFehaltenen, heute zur Feier des Tages mit weißem Adlerpslaum geschmückten Hüten dumme Bemerkungen zuflüsternd, einander puffend und knuffend. In der dunklen Röhre des Zylinderhutes versinkt das Stoßgebet des mit er baulichem Gesicht seitlich gehenden Herrn Syrers: „Herrgott, stärke in mir die Gabe der Beherrschung, daß ich nicht auf der Stelle dazwischenfahre und die Lausbuben verschlage." Und dann die Vereine. Und die Gewerke. Und die Bruderschaften. Alle mit ihren Fahnen. Nicht so viel anders, als wie du es auch sonst gesehen hast. Aber dann rin« Musik, so eigenartig fremd und fern. Du horchst in da» Rauschen deines Blutes und das flüstert dir zu: Denke an den alten Frm.dsberg. den „Vater der Landsknechte", M r>M tsükL LbMjM AM LlMiMveiü. Denk M Leer« Haufen in geschlitzten Pluderhosen und Wämsern, an frumbe Landsknechte mit Spieß und Zweihänder. Vor ihren Fähn lein dröhnte es so. wenn der Schlegel über das Kalbfell sprang. Ja, ein lebendiges Denkmal längst versunkener Zeiten ist es, was jetzt im Zuge daherkommt. Die Eebirgsschützenkompagnie! Schwegelpfcifen schrillen ihre uralten Weisen und hohe Trom meln wirbeln den Takt dazu. Da wandern deine Augen hurtig die Reihen entlang, daß Ihnen nichts entgehe. Die weißen, mit kunstvollen Mustern gestrickten Zwickelstrümpfe zu schwär,zlcdcrnen Kniehosen, der offene, halblange Nock von hellgrünem Tuch mit Silberknöpfen, der dunkelgrüne Stopselhut mit dem breiten moosfarbenen Band, mit Spielhahnstoß. Rosmarinzweig und brennendrotem Blumenbusch, der altväterliche Stutzen. Ja, der Münchener hatte recht, das kannst du nur im bayerischen Ober lande sehen. Und nun die grüne Schützenfahne. Dein ver wunderter Blick ob des Bildes einer Monstranz in der Schiitzen fahne veranlaßt deinen Nachbarn zu einer Erklärung. In ferner Vergangenheit, als noch die Unsicherheit auf einsamen Wegen lauerte, begleiteten den Priester, der auf Versehgängen in oft viele Stunden weit entfernt« Einödhofe mußte, stets einige be waffnete Männer, die den Leib des Herrn, den Antlaß, vor Ueberfall und Entweihung schützen sollten. Bis in jene fernen Tage geht die Entstehung der Eebirgsschützenkompagnie zurück. Deswegen führen sie auch noch die Bezeichnung Antlaß-Schützen, und ihr herkömmliches Vorrecht ist es, die Begleitung des Trag himmels bis auf den heutigen Tag zu stellen. Früher gab di« Schützenkompagnie bei den vier Evangelien auch Salven ab, dis die heilige Hermandad dies verbot. Heute werden nur noch nach dem Umgang auf dem Dorfplatze einige Salven gefeuert. So verloren bist du in deine Gedanken und blickst den Schützen nach, daß du beinahe die Blüte des Ortes übersehen hättest, die Lenggrieser Madln, in ihren schönen heimischen Trachten. Wie sehen sie aber auch lieb aus 'in ihrem Mieder mit dem schweren, silbernen Gschniir, mit dem weißseidenen Miedertuch, der gleichartigen Zierschürze dem „Fürter", über dem ehrbaren dunklen Rock, um den Hals die Silberkette mit breiter Schließe und am Miedcrrand lebende Vleamerl. zumeist Nelken oder Rosen. Und du denkst dir: Gottlob, . a? hier der Bubikopf Mtz d«L Mz stoch nicht TtMPI sind. Sonst wäre es