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Sächsische Volkszeitung : 22.02.1925
- Erscheinungsdatum
- 1925-02-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192502227
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19250222
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19250222
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1925
-
Monat
1925-02
- Tag 1925-02-22
-
Monat
1925-02
-
Jahr
1925
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 22.02.1925
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I7nter1ia1tun^ uns Miller» Sven Kedin KV Jahre Von Professor Dr. La rd a u ns - Bonn. (Nachdruck verboten.) Am 19. Februar vollendet der in der schwedischen Haupt stadt geborene Sven Anders von Hedin das 60. Lebensjahr, ein Mann, der nicht nur als einer der bedeutendsten Entdecker unserer Zeit, sondern auch als warmer Freund und Verteidiger Deutschlands im Weltkriege es redlich verdient hat, daß dieser Tag in der deutschen Presse nicht vergessen wird. Um das letz tere Verdienst vonveg zu nehmen. Er hat, übereinstimmend mit der überwiegend deutschfreundlichen Haltung seines schwedischen Vaterlandes, sich sorgfältig ferngehalten von dem Pretz-Konzern, der im feindlichen und auch im neutralen Ausland Orgien des Deutschenhasses und der Verleumdung feiert«, und die farben reichen Schilderungen, die er als Berichterstatter in den deut schen Hauptquartieren des Westens wie des Ostens veröffent lichte lEin Volk in Waffen. Nach Osten), haben auch im geg nerischen Lager Beachtung gefunden, wo eine deutsche Stimme nicht leicht beachtet wurde. Hatte doch beim Beginn des vier jährigen Massenmordes sein Name bereits einen Weltruf: das läßt schon der Umstand erkennen, daß er. wie schon 1902 die Er hebung in den schwedischen Adelsstand. 1909 von England die indische Ritterwiirde erwarb. Seit seinen Kriegsbüchern und nach der bitteren Kritik, die er in der kleinen Schrift Persien und Mesopotamien an England übte, dürfte sich allerdings die dortige Verehrung für den „indischen" Ritter stark abgekühlt haben. Doch das nur nebenbei. Seine eigentliche Bedeutung liegt in den gewaltigen Erfolgen, welche die Erdkunde seinen grohen asiatischen Reisen verdankte. Wissenschaftlich vorzüglich vor bereitet — dankbar gedenkt er seiner deutschen geographischen Lehrer und Vorbilder — begann er seine Wanderungen schon als junger Mann. Bereits 1885/80 bereiste er Persien, nochmals 1890, in den nächstfolgenden Jahren Russisch-Turkestan, und seit 1893 wendete er sich seinem Haupt-Forschungsgebiet, dem größ tenteils noch unbekannten Zentralasien sOst-Turkestan und Ti bet) zu. In einer Reihe großer Expeditionen, die wiederholt mehrere Jahre ununterbrochen in Anspruch nahmen, hat er den Lauf des in Sand und Sumpf endenden Tarim-Stromes auf einer Floßfahrt festgelegt, unter furchtbaren Mühsalen, mit knapper Not dem Dursttode entrinnend, die schreckliche Takla- makan-Wüste durchmessen, und ihm ist es in erster Reihe zuzu schreiben. das; die weißen Flecken auf den Karten des tibetani schen Hochlandes zum guten Teil verschwunden sind. Was er hier leistete, sind Großtaten, mit einer wunderbaren Mischung von Kühnheit und Umsicht vorbereitet und durchgeführt. Ec hat die Quellen des Indus und Brahmaputra festgestellt und den Trans-Himalaja, die tibetanische Parallel-Kelte des vorderindi schen Himalaja, nicht weniger als zehnmal überschritten. Sie trägt heute seinen Namen von Rechtswegen. Sven Hedin ist ein überaus fruchtbarer und, was man nicht von allen Helden der Erdkunde sagen kann, auch geschmackvoller Schriftsteller, durchaus sachlich, anschaulich, frei von Pose und Selbstlob, maßvoll im Urteil, zuweilen etivas breit, dann aber wieder die Eintönigkeit des Reisetagebuchs durch lebhafte Epi soden unterbrechend. Man hat einmal seine allerdings weit gehende Parallelisierung tibetanischer und katholischer Kultus gebräuche bemängelt, aber seiner Versicherung, daß ihm eine konfessionelle Ungehörigkeit fern gelegen habe, ist unbedingt Glauben zu schenken. Seine großen, ja zwei- bis dreibändigen Reisebücher (Durch Asiens Wüsten, Im Herzen von Asien, Zu Land nach Indien, Transhimalaja) sind Standard-Werke der neueren geographischen Literatur. Daneben gehen die freier ge littenen Schilderungen „Bagdad-Dabylon-Ninive" und „Jerusa lem", ein kleinerer Bericht „Meine erste Reise" (Durch Persien und Mesopotamien), reich illustrierte Iugendschriften (Abenteuer in Tibet, die drei Bände Von Pol zu Pol), die Broschüre Mount Everest über die englischen Versuche einer Besteigung des höch sten Himalaja-Gipfels. Auch hat er einem seiner schwedischen Vorgänger, dem im 17. Jahrhundert lebenden „Neise-Bengt", eine eigene Untersuchung gewidmet. Ueberrascht hat er die vie len Freunde seiner Feder durch einen Ausflug in das Reich der Belletristik, die beiden Bände „Tsanggo Lamas Wallfahrt", welche die Wallfahrt eines buddhistischen Pilgers nach Lhassa, der heiligen Stadt Tibets schildern. Es ist eine eigenartige Mi schung der wilden Abenteuer des Pilgers mit allerhand Zwischen kapiteln, aber alles beruhend auf der Grundlage, welche Sven Hedin aus persönlicher Anschauung und Erfahrung durch seine eigenen tibetanischen Forschungen gewann. Ein abschließendes Urteil über seine „erste Dichtung" wird sich erst nach dem Er scheinen des noch ausstehenden Schlutzbandes fällen lassen. 1923 hat der Unermüdliche eine Reise rund um die Erde unternommen, und den ziveiten Teil derselben in dem Bande „Von Peking nach Moskau" beschrieben. Er hat für den Katzen sprung von etwa 7000 Kilometern, zuerst mit Auto, dann Tag und Nacht mit dem sibirischen Expreßzug, nur rund einen Monat gebraucht. — es ist klar, daß da nach seinem eigenen Ausdruck nur ein „Tagebuch" entstehen konnte, daß wir nicht eine gründliche Aufklärung über die Zustände in den geheimnis vollen kommunistischen Republiken erwarten dürfen, die von einem Mann seines Ranges zu erhalten so ganz besonders will kommen gewesen wäre: und sein verhältnismäßig günstiges Ur teil über den heutigen Bolschewismus wird viele befremden. In einem besonderen Kapitel bespricht er das sensationelle Buch „Tiere, Menschen und Götter", in welchem der Pole Ossen- dowski seine Flucht durch Asien vor den sibirischen Roten er zählt. Er „bewundert es wegen seiner literarischen Eigenschaf ten", und „will nur einige kleine unbedeutende Versehen be richtigen". Dieser „literarische Seitensprung" hat Ossenbowfkis Freunde auf den Kampfplatz gerufen: Sven Hedin hat mit wach sender Schärfe geantwortet. Die Herausforderung zu einem Berliner Rede-Duell mit seinem polnischen Widerpart hat Sven Hedin bedingungsweise angenommen: ob es zustande kommen wird? Die „Wissenschaftlichen Ergebnisse einer Reise In Zentral- Asien" (nicht weniger als 8 Bände Text und Karten) hat Sven Hedin in englischer Sprache herausgegeben. Seine sonstigen Schriften sind im Brockhausschen Verlag, m. W. ausnahmslos, in vortrefflichen deutschen Uebcrtragungen erschienen, so daß der große Schwede verdienter Weise bei uns Heimatrecht erworben hat. Die Keimst Von Friedrich Hölderlin. Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat; So kam' auch ich zur Heimat, hätt' ich Güter so viele wie Leid geerntet. Ihr teuern Ufer, die mich erzogen einst, Stillt ihr der Liebe Leiden? Versprecht ihr mir Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich Komme, die Ruche noch einmal wieder? Am Kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah, Dort bin ich bald; euch, traute Berge. Die mich behüteten einst, der Heimat. Verehrte, sichere Grenzen, der Mutter Haus Und liebender Geschwister Umarmungen Begrüß ich bald, und ihr umschließt mich, Daß, wie in Banden, das Herz mir heile. Ihr Treugebliebenen! Aber ich weih, ich weih: Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht; Dies singt kein Wieaensang, den tröstend Sterbliche singen, mir aus dem Busen. Denn sie. die uns das himmlische Feuer lsih'n, Die Götter schenken heiliges Leid uns auch. Drum bleibe dies! Ein Sohn der Erde Bin ich, zu lieben gemacht, zu leiden. Msoriiieos iiainmlms Wümin Kalifornien ist bas Paradies Amerikas. Es ist die höchste Vollkommenheit in einem vollkommenen Lande. So sagen die Kalifornier. Der Rest Amerikas, der vielleicht noch etivas mit zureden hat. insbesondere Neuyork und Chikago, möge sich rüh men, den Ton in Dingen des Geistes und der industriellen Pro duktion anzugeben. Kalifornien empfängt alles unmittelbar von der gütigen Vorsehung, di« blaue Luft, das zarte Klima, die Südfrüchte, das Petroleum, die Sonne, das Meer, die Palmen, die Eukalyptusbäume, die malerischen Mexikaner, Chinesen, Japaner, um von den Resten intimer altspanischer Kultur, nach- geohmt im Baustil der weißen und rosaroten Bungalows zwi schen Orangenbäumen nicht zu sprechen. Kalifornien wird im September dieses Jahres fünfund siebzig Jahre der Union der Vereinigten Staaten angehört haben. Ein diamantenes Jubiläum für die Emigranten, die allmählich Aprikosenpslanzer und später Petroleumbohrer ge worden sind. Und natürlich auch für Cl>arlie Chaplin und Mary Pickford. Zur Feier dieser erfreulichen Tatsache wird in der Zeit vom 6. bis 12. September in San Franzisko eine Ausstel lung veranstaltet werden. Ein aufregendes Jahr für Amerika, das drei Jubiläen feiern muß, das dreihundertjährige der Exi stenz Neu-Amsterdams, das hundertsünfzigjährige der Unabhän gigkeitserklärung und das diamantene von Kalifornien. Die Kalifornier sind von ihrem Land und sich selbst so ein genommen. daß dies sogar dem genug schon eingebildeten Durch- schnittsamerikaner aufsällt. Deshalb ist es Gewohnheit gewor- den, daß der Teil Amerikas, der nicht Kalifornien heißt, den „goldenen Staat" ein wenig frozzelt. Zu den besten Späßen auf diesem Gebiet gehört wohl das kleine Pamphlet, das „Cressys History of California" heißt und das von einem Ver leger in San Franzisko getreu dem Grundsatz: „Wer über mich lacht, mag mich gern", in den Handel gebracht worden ist. Wie Ford in Detroit Broschüren drucken läßt, welche die besten Anekdoten über ihn enthalten. „Der Zeitpunkt der ersten Entdeckung Amerikas", so schreibt Cressy, „ist noch immer zweifelhaft. Einige Lokal historiker behaupten, daß der Garten Eden im südwestlichen Winkel des Golden-Gate-Parks in San Franzisko lag, gerade hinter dem Affenzwinger. Slber die besten Ueberlieferungen nen nen das Jahr 1603, als Sir Francis Drake ins Golden-Gate segelte und das Saut Francis-Hotel erbaute. Seinerzeit besaß Kalifornien eine zahlreiche Bevölkerung, die allerdings noch in Iowa und England wohnte und Geld sparte, um in Hollgwood Terrainspekulationen beginnen zu können. Um es kurz zu sagen, Kalifornien wurde von den Spaniern entdeckt, von den Aankees kolonisiert, von den Japanern bebaut, von den Chi nesen bearbeitet, von den Iren bekämpft und von den Einge borenen verwaltet. Die ersten zwei öffentlichen Gebäude in San Franzisko waren das Orpheumtheater und das Gefängnis. Beide sind noch gut gehende Unternehmungen. Was Los Ange les betrifft, so heißt dies im Spanischen „Die Engel", aber dies gilt nur für das Spanische. Es gibt 26 verschiedene Arten, Los Angeles auszusprechen: alle 26 Arten sind verkehrt. Von San Franzisko glauben die „Franziskaner", daß ihre Stadt die größte des Staates ist. Los Angeles bestreitet diese Ansicht, indem es sich für den ganzen Staat Kalifornien hält. Beide haben un recht, denn sie sind größer als alle Städte der Erde zusammen-« genommen. — Im Jahre 1855 wurde in San Franzisko eine Verordnung erlassen, durch die Erdbeben innerhalb der Stadt grenzen untersagt werden. Im Jahre 1858 wurde der erste Friseurladen eröffnet und der erste Kalifornier rasiert und ge schoren. Los Angeles ist ein Seehafen in einer nur in Kali fornien möglichen wunderbaren Lage, nämlich achtzehn Meilen vom Stillen Ozean. Es besteht die Absicht, die Stadt so aus zubreiten, daß sie ein atlantischer Hafen wird. Kalifornien wird im Norden von Britisch-Kolumbien. im Westen von den Hawai- Inseln, im Süden vom Panamakanal und im Osten von Neu york begrenzt. Die obere Grenze bildet der Himmel, das l>eiht nur bei Tag. denn bei Nacht ist Kalifornien grenzenlos. Das Klima ist ohnegleichen. In Los Angeles kann man an ein und demselben Tag und auf ein und demselben Platz schwitzen, frieren und ertrinken. Es gibt bloß zwei Arten von Wetter, voll kommenes und außerordentliches. Kurz und gut. Kalifornien ist das Kriterium für die denkbar herrlichste Vollkommenheit." Anker römischem Kimmel (Von unserem Sonderberichterstatter. Ten Glanzpunkt der kirchlichen Feierlichkeiten in der ver flossenen Woche bildete die eindrucksvolle Zeremonie zur Er innerung an den Jahrestag der Krönung P'us XI. im größten Dom der Christenheit. Der Petersplatz war durch italienisches Militär abgesperrt, bas die 30 -40 000 sich herandrängenden, mit Entrittskarten versehenen Gläubigen, ohne daß sich ein -Zwischen fall ereignete, nach den verschiedenen Pforten hindirlgierte, wo ihnen von Mitgliedern des Circolo d> San Pietro ihre Plätze im Innern der Basilika angewiesen wurden. In der Aps's, an der Cathedra des heiligen Petrus, wo das heilige Meßopfer ge- seierl werden sollte, war zur Seite des Grabmals Pauls lll. der Thron errichtet, daran schlossen sich die Sitze für die Kar- d'-nüle — die sogenannte Quadratur an: besondere Plätze waren für d>e Verwandten des Papstes, für die prmzlichen Herrschaften von Sachsen, für das diplomatische Korps und für die römische Aristokratie vorgesehen. Um 10.30 Uhr erschien von der Sa kramentskapelle her der päpstliche Zug unter den Klängen des Mariches von Longhi, die vom Balkon der Beatifikattönsanla herab ertönten. Als zuletzt der Heuge Vater hoch auf oer Sedia gestatoria erschien, und aus den Silbertrompeten das Tu es Petrus erklang, da brach ein großer Jubel unter der Meng« ans, Taschentücher wurden geschwenkt und Hochrufe erschollen; d>e über tausend zählenden Mailänder Pilger riefen ans el„em Munde: „Milano, Santo Padre, Milano!", worauf sich Pius XI. lächelnd zu seinen ehemaligen Tiözesankinderu umwandte, und sie besonders liebevoll segnete. Tie heilige Melle zelebriert unter Assistenz von drei Kanonikern der anderen Hauptbasillken Kardinal Locatelli, während der Papst vom Throne ans der heiligen Handlung beiwohnte und nur bei der Wandlung nch „Sek köMen Willen MmM" Von Dr. Paul von Lone. (Nachdruck verboten.) So nannte bereits Sebastian Franck in seinem 1534 er- schiencnen „Spiegel uird Bildnis des ganzen Erdbodens" die Fastnacht. „An diesem Fest pflegt man viel Kurzweil, Spek takel und Spiel zu halten mit Stechen, Turnieren, Tanzen und Nockenfahrt. La verkleiden sich die Leut', laufen wie Narren und Unsinnige in der Stadt, mit mancherlei Abenteuer und Phantasei, was sie erdenken mögen: wer etwas närrisch erdenkt, der ist Meister. Da sieht man in seltsamer Rüstung, seltsamer Mummerei die Frauen in Mannskleidern und die Männer in weiblicher Waat (Gewand), und ist fürwahr Scham, Zucht, Ehr barkeit, Frumbheit an diesem christlichen Fest teuer und ge schickt viel Büberei. All« Unzucht und Bosheit ist an diesem Feste. ... In Summa, man fachet daran allen Mutwillen und Kurzweil an. Etliche laufen ohne alle Scham aller Dinge nackend umher, etliche kriechen auf allen Vieren wie die Tiere, etliche brüllen Narren aus, etliche sind Könige, Mönche usw. aus diesem Fest, das wohl Lachens wert ist: etliche gehen auf hohen Setlzen und Flügeln und langen Schnäbeln, sind Störche. etliche Bären, etliche wilde Holzleute, etliche Teufel, etliche sind Assen, etliche in Narrenkleidern verdutzt, und zivar diese gehen in ihrer rechten Mummerei und sind in Wahrheit das, n-as sie an- zeigen". Wohl über kein Volksfest in der „guten" alten Zeit Ist so geklagt worden wie gerade über Fastnacht. Kein Wunder, wenn selbst in einer Stadt wie Münster der Bischof und die Dom- Herren dem wilden Treiben durch Wegreisen das Feld räumen muhten, „wo man", so berichtet «ine Chronik um 1600, „allent halben soff und fraß und allenthalben, wohin man kam. die gairz Stadt durch, man nichts anders hörte als Pfeifen, Trom- mein, Molen und Fiedeln und allerhand Gespiel mit großem Juchzen und Schreien". Und die sonst nicht gerade zimperliche, die süddeutschen Verhältnisse schildernde „Zimmerische Chronik" klagt ebenso: „Es ist doch ein gemain Ding an vil Orten mit den Momereien, so doch nichts Nachtailigers mag den gueten Sitten erdacht werden, insonderheit, do . . . eine sein Weib, Dochter, Basen oder Verwandtin mit nimpt. Es bringt nichts Guets. Alle Bueberei wurt in den Momereien ußgericht: was man sonst nit kann zu wegen richten oder uf die Pan bringen, das understet man in Len Momereien. Es Hais niemands, dann der Lös Gaist erdacht. Was wunderbarlicher Exempel weren deßhalber zu vermeiden, da einer ein fromsn Frauen oder Doch ter hat mit sich in die Monieret genommen und hat wieder ain Huren heim gepracht". Die Deutung des Namens „Fastnacht" hat im Laus der Zeiten nicht bloß immer wieder erklären wollen, wie diese „Uebermutshändel" entstanden, sondern hat auch gemeint, sie damit rechtfertigen zu können: Das Volk, so sagte man, wollte sich eben vor Eintritt in die strenge „Fasten"zeit noch einmal in fröhlicher Ausgelassenheit und üppigem Mahle gütlich tun, um dann allem „Fleisch" lebewohl zu sagen: „carne vale"! Doch schon diese so entstandene Erklärung des Namens „Karneval" zeigt, daß man mit solcher Deutung auf halbem Wege stecken bleibt. Denn „Karneval" geht auf den „carrus navalis", den „Schissswagen" zurück, worauf — wie dem uns aus der Litera turgeschichte bekannten „Narrenschiff" — die Schwächen der Menschen leibhaftig zur allgemeinen Belustigung im Fastnachts zuge gefahren wurden. Schon im Mittelalter, als man in Deutschland diese blumenbekränzten Wagen den reichen italieni schen Städten nachahmte, wußte man nicht mehr, daß ein sol ches Schiff ursprünglich wohl dasselbe wie der Frühlingsivagen der Göttin Nerthus geivcsen war, die wie der griechische Gott Dionysos mit seinem maskierten Begleitern Fruchtbarkeit spen dend im Lande umzog. Die Uebercinstimmung unserer ausge lassenen Fastnachtsbräuche mit den griechischen Dionysien ist ja auch in anderer Beziehung augenfällig. Damit aber kommen mir in die wirkliche Entstehungszeit so mancher Fastnachts bräuche überhaupt: Sie sind ursprünglich tatsächlich nichts anderes als heidnische Frühlingsgebräuche. Man denke z. B. an die bekannte Pritsche aus Holz oder Pappe, mit der vornehmlich Männer und Jünglinge die Frauen und Mädchen schlagen. Sie ist das lächerliche Ueberbleibsel der grünen „Lebensrute", die schon bei den römischen Luperkalien mit ihrem Fruchtbarkeitszauber wirken sollte und sie ist als grünes Laubbüschel noch deutlich z. B. aus den mittelalterlichen Bildern der Nürnberger „Schembartläufer" zu erkennen. Die ser weit über die Welt verbreitete Schlag mit der Lebensrute, das „Frischegrünstreichcn", wie es im Vogtlande heißt, hat als Voraussetzung den Glauben, daß die junge Lebenskraft des grünenden Zweiges auch auf den damit berührten Gegenstand übergehe. — Um ähnlich die Kraft der wieder steigenden Sonne zu versinnbikden, trieb man, wie noch heute in der Eifel und in Süddeukschland, feurige Scheiben oder Räder di« Hänge hinab, ivas man jetzt noch in Tyrol das „Kornaufwecken" nennt Dabei mögen infolge der tollen Ausgelassenheiten Unglücke nicht selten vorgekommen sein, wie etiva 1090, als das Kloster Lorsch durch einen solchen „Diskus" in Brand geriet. — Die im Faschlngstriibel so beliebte Streckschere vertrat ursprünglich den Blitz, wie noch heute bei einem So-mmersest der Indianer in Arizona ein Gott mit einer solchen Scher« als'Symbol erscheint. Wie schon bei den Neusahrsbrüuchen suchte auch in der Fast nachtszeit das laute Juchzen ursprünglich die bösen Geister zu verscheuchen. Demselben Zweck wie dieser sprichwörtlich ge wordene „Heiden"-lnrm dienten auch die Vermummungen, wie noch heute bei den Naturvölkern die heiligen Tänze in Holz- masken in phantastischer Verkleidung. Daran denkt man un willkürlich bei Annette von Droste-Hülshosfs scharsen Worten über die auch in Westfalen beliebten scheußlichen Vermummun gen der „Scherbellenköppe": „Selbst Bettler, die nichts anderes haben, hängen ihr gesticktes Bettuch über den Kopf und binden einen durchlöcherten Papierbogen vors Gesicht". Entweder waren dabei seit alters Tiermasken besonders beliebt oder — da nach heidnischer Anschauung di« Götter sckidcnsroh find — Spottmasken von „alle den Drückern, Amtleuten, Pfafscn, Ju den, Herren". Und auch das galgenhumorige Verbrennen des Prinzen Carneval am Aschermittwoch in Gestalt einer Stroh puppe dürfte ursprünglich nichts anderes geivesen sein, als das Unschädlichmachen des Winter-Dämons durch den sonnigen Sieg des Frühlings. Sicher hat dann auf die weitere Entwicklung solcher heid nischer Bräuche in christlicher Zeit eingewirkt, daß man ihren ursprünglichen Sinn nicht mehr kannte. Was früher feierliche, über die ganze Zeit von Weihnachten bis Mai ausgedehnte Kulthandlungen gewesen ivaren, inckam nun, zusammengcdrängt auf einige Tage, um so mehr den Charakter des sinnlosen Ver gnügens, als die Kirche den heidnischen Sinn immer mehr ver gessen machen wollte. Ausrottcn konnte sie diese „Narren- kirmeß", diese „Narrenkirchweih" ja nicht. Im Gegenteil: die Fasenat oder Fasnet (abgeleitet von dem mittelhochdeutschen Wort oasen: sich närrisch benehmen, tolles Zeug treiben, faseln) trieb oft mit dem Heiligsten Spott, gerade zu der Zeit, wo sie wirklich Bombend der „Fasten" geworden war. Ist heut« beim Sturz aller Throne auch der des Prinzen Carneval in -er deutschen Geschichte ins Wanken geraten»
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