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" ! DLL MM MMN » «DE»M— ^^ ^ j n ^ , iä-, I t ^ Mensch und Meister Betrachtungen zu einige,, Handzeichnungen Hans Thomas s Das ist das Grobe an der Natur, daß sie einfach ist. meint Goethe, und, so kann man sagen, das ist auch das Große an der echten Kunst, daß sie sich einfach gibt. „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen und haben sich, eh' man es denkt, gesunden." Zwischen beiden steht der Mensch Je einfacher er sich gibt, desto echter ist sein Menschentum. Das Einfache steht zivar niedrig im Kurs, und in Leben und Kunst übersehen die „Leute" gern das Einfache zugunsten des Gespreizten, des Aufgeblasenen, des Gleißnerischen, aber in Kunst und Leben hat der Geschmack der „Leute" blutwenig zu sage». Das Leben und Schassen Altmeister Thomas ist ein Gleichnis hierfür: Er muhte 50 Jahre alt werden, ehe in der öffentlichen Meinung ein Um schwung zu seinen Gunsten eintrat: aber dieser Umschwung trat ei», weil sich das Gute, ivenn es sich auch noch so einfach gibt, doch einmal durchsetzen muß. Den, im Jahr« 183g zu Bernau in, Schivarzwald Geborenen wurde im Mai 1890 zu München durch eine Ausstellung von 36 Bildern seiner Hand ein erster und nachhaltiger Erfolg zuteil. Von da a» ivar er ein popu- lürer Künstler, dem es auch an äußeren Ehrungen nicht gebrach, und doch muß vom rein malerischen Gesichtspunkt aus betont werden, daß gerade vor dieser Lebeiiswende der Höhepunkt seiner Meisterscl-aft liegt. Der Thom« vor 1890 ist ein anderer als der nach 1890. Viele sehen das spezifisch Deutsche in Thomas Schaffen nur in den Werken, ivo er sich dem Mythos, der Alle gorie zuwendet, kurz, wo er im „Was", im Gegenständlichen, deutsch ist. wo seine Bilder künstlerische Interpretationen literarischer Gegenstände sind. Wer aber Kunst uni der Kunst willen schätzt, wer auch auf das „Wie", die künstlerische Mache, achtet, wird den Werken seiner Hand den Vorzug gebe», rn denen er sich mit echt deutscher Treue in die malerischen Pro bleme seines Gegenstandes vertieft l-at. Dieser Gegenstand ist zunächst die deutsche, genauer gesagt, die süddeutsche, seine Schwarzwaldheimat und die Gegend am Main. Da ist zum Bei spiel ein Bild aus dem Jahre 1875, „Mainebene", das malerische Qualitäten aufwcist, wie wir sie nur etwa bei Leibl, Conrbet und den Meistern von Barbizon kennen, oder „Albtal im Schivarzwald" aus dem Jahre 1882 oder „Berge bei Carrara" von 1886. Diese Versenkung in die Natur zeigt sich beispiels weise auch in einer Bleistiftzeichnung aus dem Jahre 1899, „Landschaft bei Cronberg im Taunus", oder der Zicgenstudie aus „Ponte Molle" aus dem Jahre 1880, während eine Tuschezeich- nung aus dem Jahre 1876, „Wotan", inehr illustrative» Charak ter aufweist. Ein ganz frül-es Blättchen aus dem Jahr« 1859, ebenfalls eine Bleistiftzeichnung, „Blick auf Schluchsee", bekun det, ivenn auch in etwas schülerhafter Unbeholfenheit, wieder jene Treue und Ehrfurcht seinem Gegenstände gegenüber, wie wir sie bei seinen späteren realistischen Landschaftsüildern ken nen. Uebrigens hat dieses unscheinbare Blättchen seiner Zeit dem Karlsruher Akademieprofessor Schirmer Vorgelegen und dem werdenden Künstler die Pforten der Akademie geöffnet. Ucber- haupt läßt sich Thomas Werdegang in seine» Handzeichnungen lückenlos verfolgeii. Aus allen Zeiten seines Lebens liegen Blätter vor, die uns zeigen, welchen Weg er ging, und daß er seinen Weg unbeirrbar ging, trotz des späteren Abschwenkens zum Illustrativen, trotz der späteren Verschiebung des Schwer gewichts vom „Wie" auf das „Was": denn auch da ist er noch ganz Thonia, und nur die künstlerische Fragestellung l-at sich geändert. Es ist ein Genuß und eine Freude, diese Blätter durchzugehen und sie zu vergleichen, eine doppelte Freude, als die Reichsdruckerei die charakteristischsten davon in unnachahm- baren Wiedergaben in ihre „Reichsdrucke" ausgenommen hat. Meister Thoma selbst l>at an diesen „Reichsdrucken" naq seinen Handzeichnungen noch kurz vor seinem Tode eine rechte Freude erlebt und seine Anerkennung über diese neueste Lei stung der Reichsdruckerei mit den Worten ausgedrückt, daß die „Reichsdrucke" nach seinen Handzeichnungen „Meisterwerke der Wiedergabe seien und die Originale in Material. Technik und Papierfarbe bis zur Täuschung vollkommen getreu nach der Vorlage" brächten. Außer de» oben bereits erwähnten Blättern sind als „Reichsdrucke" noch erschienen oder werden als solche demnächst erscheinen: „Frühling". „Klarinetten spieler". „Des Künstlers Mutter". „Aus Villa Borghese". „Kinderkops". „Kopf einer Frau im Profil". „Bernau-Oberlehn mit Geburtshaus des Künstlers", „Obstbäum« bei Säckingen", „Pinien aus Villa Doria Pamfeli", „Bei Ponte Nomentano", „Bildnis eines bär tigen Mannes". „Mädchenkopf". „Knabenkops" u. a. m. So hat die Reichsdruckerel als Verwalterin des künstleri schen Nachlasses unserer Altvorderen, der in den weltberühmten „Reichsdrucken" niedergelegt Ist. dieser reichen Hinterlassenschaft ein neues Erbstück hinzugefügt, damit es im deutschen Volke weiter wirke und seinerzeit seine guten Früchte trage. Unsere verworrene Zeit, die viele Ziele hat. aber kein Ziel, braucht in der Flucht ihrer Erscheinungen Führer zur Sammlung und Be sinnlichkeit. Di« Patriarchengestakt Hans Thomas ist ein solcher in seiner Rul)e, Adgeklärtizeit und eigenwilligen Verfolgung eines erreichbare» Zieles. Es wir- noch einmal eine Zeit kom men, wo alle die Experiment« und Seitensprünge unserer Generation vergessen sein werden: dann wird Hans Thoma neben Albrecht Dürer, Hans Holbein, Lukas Cranach, Walter von der Vogelweide, Martin Luther, Immanuel Kant als ruhiger, leuch tender. wegweisender Stern an dem dann wieder helleren Him mel unseres Deutschtums stehen. Daß dem so werde, ist die Aufgabe, die den „Reichsdrucken" nach Hans Thoma zufällt, und der deutsche Buch- und Kunsthandel, der allzeit Träger und Meh rer unserer Kultur gewesen ist, wird mithelfen, daß sich diese Aufgabe erfülle. Hans Thoma schrieb einmal in sein Tagebuch: „Ich hoffe, die Heimat wird mich wieder rüstig und stark machen." Nun Ist dies Hoffen an uns, die Hoffnung, daß nunmehr unser Meister an seinem Teil dazu heitrage, daß unsere Heimat wieder rüstig und stark n>erde. Jakob L u dw i g Sch wa l ba ch. Böcklin und Marees Von Willy Preetorius. Es ist der Werde,-ang großer Kompositionsmaler nicht des halb oft ein schweres Problem, weil die Entwicklung bei ihrer Arbeit so schiver festzustelle» ist, sonder» weil der, der kompo sitorisch scl-afft, eine liandwerkliche Entwicklung so nicht auf weisen kann, wie der Naturmaler, der seine Staffelei immer vor der Natur stehen l-at und naturporträtlich arbeitet. Und das ist das Interessante und war es immer, daß es Bildermalsr gibt, die Werke fertigbringen, die an malerischer Qualität hinter denen, di« vor der Natur gemalt sind, nicht zurückstehen. Die typischen Beispiele unserer Zeit für dies« Bilder- ersinderart sind wohl Böcklin und Marees. Deutsche Mei ster, die wir nie aufhören werden zu verehren, auch wenn man sich eine gewisse Ueberschätzung des einen oder anderen je nach der Richtung des Zeitgeistes immer wieder leisten wird. Augenblicklich ist Böcklin etwas unterschätzt, und leider fehlte» bei der sonst herrlichen Zusammenstellung der Münchner Staatsgalerie-Ausstellung mehrere hervorragende Bilder. Sowohl bei Böcklin, wie bei Marees kann von einer Ent wicklung so ohne weiteres »ich! gesprochen werden. Jedenfalls malten beide früh schon Bilder, die sich glatt neben späteren und späten Werken behaupte» können. Darin jedoch ist das Gemeinsame bei diese» beiden echten Künstlern weniger zu kon statieren, als vielmehr in ihrem direkten bezw. indirekten Ar- beitsvcrhältnis zur Natur! In beider Bilder spielt der dargestellte Mensch eine ganz große Nolle, und doch zeigen beide die Landschaft als die eigent liche Seele ihrer Kompositionen. Beider Bilder, alle im Atelier entstanden, weise» weder Lustlosigkeit auch noch etwa die Ge- dnnkenblässe von Malerpoeten, denen die Poeterei mehr ist als die Malerei. Es führt auch eine Brücke von beiden zu Dela croix! Man denke an das „Massacre de Chios", das der Maler i» Paris gemalt, noch ehe er den Orient gesehen und erlebt l-atte, und in dom man außer Rubensschem Einfluß unbedingt den der Natur erkennen zu müssen glaubt. Es kommt, meine ick, bei dem Vergleich der beiden großen deutschen Maler nicht so sehr auf das bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger merkbar Impressionistische an. als viel mehr auf das beiden leuchtende Vildideal! Böcklin bevorzugt mehr die farbige Natur als Mittel zum Zweck — öfters zu sei nem Nachteil —. Marees liebt den Klang altmeisterlicher Töne und bringt — unmöglich zu übersehen — trotzdem wiederum die Natur zur vollsten Geltung. Beide haben diese sich völlig zu eigen gemacht und schaffen damit ihre romantischen Bilder. Wenn man dem nahesteht, ivas der Begriff malerisch ungefähr umfaßt, so ist man schneller bei Marees. wie bei Böcklin, Bei letzterem hält ost die Art der Technik, das glattsarbige seiner Bildflächen und nicht zuletzt das scheinbar Zeichnerische, das aber mit größ ten Vereinfachungen verbunden ist, den Malereigenieße»wollen- den ab, dem Maler Böcklin gerecht zu werde», und doch, es gibt nicht nur Laudschaftsbilder von seiner Hand, sondern auch solche mit Figuren, die zurückl-altender im Kolorit, manchmal sogar an die maseriscl-en Töne eines Corot erinnern, und die durch ihren Ton zu jener Entrücktheit bringen, wie wir sie der tonalen Wucht eines Marees so viel leichter zu verdanken haben. Ein bestimmtes Bild — ich sah es mal vor viele» Jahren — zeigt Böcklin mit seiner jungen Gattin in einer Landscl-aft, im Hin tergründe eine Art von Mauerruine mit italienischer Vegetation. Ein ziemlich freies Selbstbildnis, das mich aber sehr an die lda- mals noch in Schleißheim hängende) „Römische Landschaft" Ma rees erinnerte. Böcklin ivar das Räumliche ungemein wichtig: er bringt es fertig, in recht kleinen Formaten große Räume zu zeigen, während Niarees In seinen großformatige» Adagiobildern gewisse Horizontlinien oder Baummassen quasi nur als malerische Um- gebung tonaler Art für sein« Menschen malt. Und Marees rückt damit dem Rembrandt-Velasquezhafteu näher und profitiert da von bei seinen großen Bildideen, denen er sich ganz verschrieben hatte, mit dem Unterbewusstsein, Außerordentliches zu leiste». Böcklin malt aus einem ihm selbstverständlichen Trieb und ohne allzu große Geburtswehen Tafel nach Tafel und ist, von einer eminenten Fruchtbarkeit, stets bemüht, sich irgendwie mit dem damals neuen Kolorismus auseinauderzusetze», nicht immer zu seinem Vorteil. Trotzdem scheint er nicht weniger von sich zu verlangen wie der Maler der Hesperiden, wenn auch dessen Mühen leichter er kenntlich sind, schon durch di« Art, eine Uebermalung auf die andere zu sehen. Fehlt bei Böcklin die Nähe Rembrandts und alles dessen, was uns zum Verständnis der angestreblen Stim mung Marees' schneller führt, so fehlt nie der Zusammenhang mit der Natur, und diese Naturbeobachtnng und sein riesiges Naturgedächtnis macht ihn fast zu einer Art Phänomen. Hiezu folgende kleine Geschichte, di« ich von einem alten Malersreund erfuhr, der Böcklin gut gekannt hat. Es war bei Florenz: Irgendwo in einem Seitental de» Arno. Man l-atte ein fabelhaftes Motiv entdeckt und verab redet, dort zu malen. Alle waren tags darauf auch dort, nur Böcklin nicht. Als man abends nun die Arbeiten mit Heini- brachte, zeigte Böcklin den anderen das betreffend« Motiv aus seiner Staffelei — eine Arbeit mit allen Feinheiten einer Natur« studie. So werden wohl alle oder seine meisten Bilder entstan den sein, denen man unbedingt Naturstudien unterschieben zu müssen glaubt. Marees geivan» für seinen so zu nennenden Nichtzusam- menhang studienhafter Art mit der Natur einen Ersatz gewisser maßen in den alten Meistern, und Böcklin fand solchen in seiner eigenen enormen Erfindungsgabe, die er auch auf das Koloristi sche ausdehnt«, und die sicher einem Dichter zu l-errlichsten Wer ken verholfen hätte. Die Malerei mutz durch sich selbst, durch das auf die Fläche übertragene Ideengebilde Qualitäten zeige», für die der feinstgedichtete Vorgang kein Ersatz sein kan». Böcklin steht als Maler ganz für sich, vielleicht weil er — selbst vollkommener — der Malereiseite seines Berufes sich jo ganz nie hingegeben l-atte — nicht malerhast einseitig genug, und er wird auch deshalb unter Dichtern, Musikern, ja auch unter Graphikern stets leichter Anl-ünger finden. Wie seine Größe aber doch eine solche ist, meinten wir wieder einmal beleuchten zu müssen, und zivar ohne an alledem vorüberzugehen, was aus zusetzen wäre. Jede große Figur muß auch Schatten werfen, und wie ihre Fehler die Vorzüge um so deutlicher macht, so interessant ist auch ein Vergleichsversuch. Für Marees hier besonders einzutreten wäre überflüssig und hieße offene Türen einrennen. Aber gerade hier soll ver sucht sein, die Seite Böcküns klarer hinzustesten. die so schwer wiegt und die allein genügt hätte, ihn zum Meister zu erheben in des Wortes wahrster Bedeutung. Es ist noch beinerkensivert. daß seine ganze Malerei — mit eingeschlossen das, was an seiner Kunst als dekorativ fest gestellt werden kann. — auf das Staffeleibild weist — auf klei neres Format: auch die größeren Bilder „Pan im Schilf" uno „Klage des Hirten" rechtfertigen ihre Größe nicht. Mag es dem wackeren Künstler eine große Freude und viel, viel wert ge- wesen sein, größere Freskenauflräg« swie in Basel) erhalten zu haben damais, so ivar seine Begabung so wenig dafür geeignet, wie z. B. die eines Corot. Ganz im Gegensatz hierzu Marees. und dieses Trennende zwischen beiden Künstlern ist ebenso wenig zu übersehen, wie das gewisse Gemeinsame. Dagegen sind Zeichnungen und zeich nerische Bildentwürse von Böcklin im vollsten Sinne des Wor tes malerisch und großgesehen zu nennen. Sie können sich neben den meiste» Mareesschen Blättern halten und geben ihnen an künstlerischer Erregtheit nichts nach. Aber des Schweizers Vielseitigkeit hindert uns. seine gan zen Gaben in einem geschlossenen Ausdruck zu genießen, und es fehlt uns die einzige Form, wie wir sie ,-erue bewundern und bewundern können bei Marees. Deshalb auch konnte die ser Schule machen in freiester Weise, da die Macht seines Scl-af- sens strahlenförmig nach allen Seiten zündet. Böcklin aber ivar selbst ein Strahlenbündel und war eine Zeitlang an Popularität für Deutschland, was Corot für Frank reich ivar. Und wenn man jetzt mit diesem Böcklin-Sieg ruhiger rechnet, so handelt es sich nicht um eine Zurücksetzung, sondern um die Klarstellung -es Urteils über Böcklinsche Kunst und Künstlergröße. Okkultismus un- Dichtkunst Von Max Seiling. Wenn dl« okkulten Phänomen« nicht anderweitig verbürgt wären, würde ein Hinweis auf die Rolle, die sie in -der Dicht kunst spielen, sicherlich nur einem spöttischen Lächeln begegnen. So aber ist diese Rolle sehr wohl geeignet, die Tatsächlichkeit jener Phänomene weiterhin zu bekräftigen, und zwar aus zwei Gründen. Einerseits ist der wahre Dichter ein Seher, dessen Schauen höheren Wert haben kann, als beschränkt« Vernunft erkenntnis: andererseits ist die Dichtung ein Spiegelbild der geistigen Strömungen des jeweiligen Zeitalters. Wenn wir nun finden, daß die dichterische Phantasie fast zu allen Zeiten sich mit übersinnlichen Vorgängen beschästigt l-at, so mag uns auch dies zu denken geben. Ich muß mich hier indessen mit einigen Hinweisen auf die bekanntere» deutschen Dichter begnügen. An allererster Stelle ist Goethe zu nennen: haben doch die okkulte» Phänomene in seinem Gedankenleben einen so großen Raum eingenommen, daß ich zur Darlegung dieses Sach verhaltes in meiner Schrift „Goethe als Okkultist" sIoh. Baum, Pfullingen) 90 Seiten benötigt«. Les sing verwertet als Dichter nur den Wahrtraum sin „Emilia Galotti"), tritt aber am Schluß der „Erziehung des Men schengeschlechtes" für die mit dem Okkultismus sich berührenden Idee der Wiederverkörperung ein und gibt in der „Hamburger Dramaturgie" seiner großen kritischen Begabung zum Trotz die Möglichkeit der Gespenstererscheinungen zu. Bei dieser Gelegen- heit bemerkte er. daß Shakespeare die Erscheinung eines Ver storbenen als eine „ganz natürliche Begebenheit" betrachtet habe. Der gleichen Ansicht ist Schopenhauer, -er in einem Briefe an Frauenstädt schreibt: „Shakespeare Hot an Geister geglaubt, wie alle Welt, mit Ausnahme des 18. Jahrhunderts und seiner Jünger." Am Zeitgeist des eben genannten Jahrhunderts lag es, daß der junge Schiller, abgesehen von seinem Bekenntnis zur Unsterblichkeit der Seele, nur eine» geringen Hang zum Ueber- sinnlichen zeigt, während beim reifen Dichter die ivahre Gesin- M»g dermaßen die Ot>erhand gewinnt, daß das Okkult« als ein sehr wesentlicher Bestandteil seiner Dramen bezeichnet imrden muß. Wird immerhin schon in den „Räubern" mit den Gei stern Verstorbener als mit realen Wesen gerechnet, so sollten in der als Fortsetzung dieses Dramas gedachten „Braut in Trauer" drei Geister sder alte Moor, Franz und Amalia) in die Handlung «ingreifen. — Im „Wallenstein" nehmen Astrologie, Ahnungen und Wornungsträume einen wichtigen Raum ei». — Die „Jungfrau von Orleans" ist auf okkulten Vorgängen ge radezu ausgcbaut. Die wichtigsten sind: Johannas Berufung unter dem Zauberkaume: die Art un- Weise, wie ihr der Helm zukommt: die hellsel-erische Gabe, mit der sie den König trotz seiner irreführenden Versuchung sofort erkennt, das ihr be stimmte Schwert lreschreibt und aus der Ferne den Tod des eng lischen Feldherrn erschaut: die Zerreißung der schweren Ketten im 5. Akt: die Erscheinung des „schwarzen Ritters" (des toten Talbat). — In der „Braut von Messina" ist der Angelpunkt des Konfliktes eine Wahrsagung, die gerade dadurch in Erfüllung geht, daß man ihr Eintreffen zu vereiteln sucht, — ein Ge danke, der die Dichter schon seit der Oedipus-Tragödie beschäf tigt. — In „Wilhelm Teil" weissagt der sterbende Ättinghausen die Verbrüderung des Adels mit dem Volke und den gemein samen Sieg über die Fremden. — Im „Demetrius" sollte der Geist der vergifteten Zarentochter Axinia dem eingekerkerten Romanow erscheinen und ihn beraten. -- Im großen und ganzen läßt sich von Schiller sagen, daß der Denker sein Wissen viel eher dem dichterischen Seherblick zu verdanken hatte, als daß etnw sein« Philosophie ihn dichten hieß. H. v. Klei st l»at in zweien seiner Dramen, dem „Kätchen von Heilbronn" und dem „Prinzen von Homburg", dem Somnambulismus eine bedeutsame Rolle zugewiesen. Daß Kät- cl-en, das Ideal einer deutsä-en Jungfrau, hinter ihrem Ritter herläuft, obwohl sie zurückgewiesen wird, kann nur aus dem Zwange einer posthypnotischen im Traum« empfangenen Sug gestion erklärt iverden.. Als der Graf in der Szene unter dem Holsunderbusch endlich Aufschluß über ihr Betragen erhält, be findet Kätchen sich !m vollen somnambulen Schlafe. — Im „Prin zen von Homburg" wird durch einen leichten somnambulen Schlaf des Helden der Knoten geradezu geschürzt. — In der Erzählung „Das Bettelweib von Locarno" kommt eine richtige Spuk geschichte vor. — In „Die heilige Cäcilie oder die Macht der Musik" erscheint der Doppelgänger einer todkrank in ihrer Zell« liegenden Nonne in der Kirche und rettet durch ihr Orgelspiel das Kloster vor Zerstörung. Diese Erzählung ist, nebenbei be merkt, im Pilger-Kalender 1925 wiedergegebe». Grillparzer verdient weniger ivegen des in der „Ahnfrau" auftretenden Theatergespenstes erwähnt zu werden, als vielmehr wegen seines Schauspieles „Der Traum ein Leben", das voll von tiefster Psychologie ist. Bei Hebbel begegnen wir der visionären Begeisterung Volkers im 4. Akt von „Kriemhilds Rache", einer Hexenküche und Geisterbeschwörung in der „Genoveva" und einem Wahr traum in „Maria Magdalena". Die Westfälin A. v. D r o st e - H ü l s h o s s befaßt sich viel fach mit dem anormalen Geistesleben ihrer Heimat. Spuk, bezw. Hellsel-en haben wir im „Fundator", das zweite Gesicht in der „Vorgeschichte", einen umgehenden Schloßgeist im Gedicht „Der Graue", Doppelgängerei in „Das tolle Fräulein von Rodenschild" und Einfluß einer Verstorbenen in „Der Mutter Wiederkehr." Daß I u st i n usKe r n e r, dessen Lebe» so reich an okkul te» Erfahrungen war, diese auch in seine Dichtungen cingefloch- ten hat, ist nur zu begreiflich. So hat er die von ihm, dem Arzt, so tre-u gepflegte Seherin von Prevorst in drei Gedichte» besungen. Vom Weiterleben l-andeln die Gedichte „Nähe der Toten", „Die Mühle steht still" und „Pfarrer Sauls Gesicht". In der Ballade „Graf Albertus von Calw" kommt die Anmeldung eines Sterbenden vor und im Gedicht „Der Arzt und sein Hünd chen" iverden die überfinnlicl-en Fähigkeiten des Tieres gepriesen. Wenn bei Lenau, der selbst übersinnliche Gaben be saß"), verhältnismäßig »ur wenig Okkultes vorkommt, so er- ") Besonders bemerkensivert ist die von ihm ausgehende unbewußte Fernwirkung. Wie Schurz in seinem „Leben Lenaus" erzählt, war dieser einmal bei Just. Kerner zu Besuch. Wäh rend Kerner und seine Frau sich mit dem Dichter unterhielte», verstummte dieser plötzlich und saß starr und leichenblaß auf dem Stuhle, woraus im Nebenzimmer, in dem sich kein Mensch ln-fand. Gläser und Tassen zu klingen und zu klirren anfingen. Wie aus magnetischem Schlaf erwacht, sagte Lenau, als ihm der Vorfall berichtet wurde: „Das ist mir schon öfter begegnet; meine Seele ist dann wie außer sich."