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Donnerstag. de» 22. Hanum >92o. Freihasen Kiel Der neue Kieler Freihaje» ist aus deni srüheren M arin «- iiolilcnhos in der Wiker Bucht an der Westseite des Kieler Hafen», nnmiltelbur südlich der Ostseeschleusen des Kaiser-Wil helm Kanals erdaut worden. Hier waren dercits zwei je 300 Meter lange und 100 Meter breite, init Kaimauern eingefaßte L.olen vorhanden, die früher siir die Versorgung der Schisse der deutschen Kriegsmarine mit Kohlen und Heizöl gedient hatten. Das nunmehr dem Berlrehr übergebene Zollaus- schlu ß gebiet umfaßt ein Pachtgelände von 6,3 .Hektar, mit einer ebenso große» Wasserfläche innerhalb des Freihafens, fer ner zwei mit modernen Kranen ausgerüstete Schuppen in Eisen- bonsnuklion mit einer Gesamtgrundfläche von 6000 Quadrat meter. Tie nutzbaren Kaianlagen betragen dOO Meter. Hierzu l-ommt noch eine 300 Meter lange Mitlelbrücke, welche ebenfalls Liegeplätze siir Schisse bietet. Für industrielle Unternehmungen siebt eine Keländeslnche von II VVÜ Quadratmeter» zur Verfü gung. An der Freihafenanlage befindet sich eine Wassertiefe n n zehn Meter, so das; es grossen Schissen ermöglicht wird, jederzeit bcoucm nnzulegen. Alls dem angrenzenden Freihafen- aclände befinden sich siir die Oelversorgung sechs große Oel- behültcr mit zusammen 39 00V Kubikmeter Fassungsvermögen, d-ren Rohrleitungen bis auf die Molen hinoussühre». Die ganze Anloge hat Eisenbahnanschluß und gute Zuwege. Das Gesetz über den Kieler Freihafen sieht eine Aus dehnung des Zollausschlußgebietes innerhalb des Kieler Hafens vor, die aus Verordnung des Rcichssinanzministeriums vorge nommen werden kann. Im Zollausschluhgebiet können alle die jenige» Industrien sich ansiedeln, für die auch iin Zollinland ein Zollausschluß gewährt wurde. So soll das heutige Freihafeu- gebiet auch nur der Anfang der geplante» Feihafeneutwicklung s-in. In dem in der Nähe liegenden Voßbrook ist als Voß- brooker Industriehase» die Heranziehung von Unternehmungen der Vercdelungsindustrie geplant. Die Frage liegt nun. da der Freihafen Kiel seiner Bestim mung übergeben wurde, nahe, welche Vorteile der Feihase» dem Wirtschaftsleben bringt. Hierbei erscheint es angebracht, kurz aus das Wesen der Freihäfen allgemein einzugehen. Das Wesen eines Freihafens liegt in der erleichter ten Z 0 l l b e h a n d lu n g der von See eingesührte» Waren. Das Freihasengebiet, das einen Teil des Gesamthasens darstellt und gegenüber dem Inland durch eine Zollgrenze streng abge- sperrt ist. bildet Zollausland, das heißt, Schiffe, die im Freihafen ein- oder auslaufen, unterliegen nicht der deutschen Zollkontrolle. Die erste Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit eines Freihafens bildet das Vorhandensein ausgedehnter großer Lager schuppen. die geeignet sind, den grüßten Anforderungen des Aus- nnd Einsuhrhandels zu genügen. Neben dem Durchgangsverkehr Kommt es häufig vor. daß der Ausfuhrhandel treibende Kauf mann nach Erhall der Ausfuhrerlaubnis die auszuführende Ware zunächst im Freihafen vor Abgang lagern läßt. Dadurch braucht in der Zeit zwischen Einlagerung und Abgang in See etwa eintretende erhöhte Aussuhrabgaben nicht mehr zu be- ahlen. da die Ware bei-its das Zollinland verlassen hat. Ander seits wird der Kaufmann die günstige Gelegenheit nicht vorüber gehen lasse», im Ausland Warenmengen aufzukaufen, die er im Freihafen lagern läßt, wen» er zunächst aus dem Inlandmarkt siir die Waren keine Verwendung hat. Hierdurch gestaltet sich das Geschäft auf wesentlich großzügigerer Basis, als es sonst in einem nicht zum Freihafen erklärten Seehafen der Fall ist. Bis jetzt war der Kieler Kaufmann gezwungen, Auslandsware zu nächst im Hamburger Freihafen zu lagern, nunmehr kann er diese Ware den Kieler Freihafen anlaufen lassen, wodurch un nötige Kosten und kostbare Zeit erspart werden. Für Kiel wird der Kieler Freihase» insbesondere für den Umschlagverkehr nach den Nordstaaten (Dänemark, Schwe den. Norwegen, Finnland. Rußland usw.) eine bedeutende Rolle spielen, da die Waren von Zollmaßnahmen unberührt, im Zoll ausland umgeladen, neu verfrachtet und überholt werden können. Es steht zu erwarten, daß das gesamte geschäftliche Leben Kiels durch den neuen Freihafen eine» starken Anreiz erfährt, der im Wirtschaftsleben Kiels sehr bald fühlbar wird. Der Handel mit den nordischen Staaten wird seine wesentlichste Stütze im Kieler Freihafen finde», der dazu bestimmt sein wird, durch die sehr günstige Lage am Kaiser-Wilhelm-Kanal ein Sammelpunkt des gesamten Uebersecverkehrts nach dem Norden zu werden. Kiel tritt damit in Konkurrenz mit Kopenhagen. Mit Hilfe dieser neuen Freihafenanlage wird der von der Natur so sehr begünstigte Kieler Hasen in der Lage sein, die sich für ihn in bezug auf Handelsverkehr aus der Anlage des Kaiser- Wilhelm-Kanals naturgemäß ergebenden Vorteile voll auszu nutzen, indem die Schiffahrt hier jetzt moderne Anlagen vorfindet und so in der Lage ist, den Umschlag aus der transatlanti schen Tonnage in die Ostseetonnage mehr und mehr nach Kiel zu verlegen. Möge dieser Wunsch der Stadt Kiel, der durchaus aussichtsreich ist voll in Erfüllung gehen. W. Neitzel, Kiel. Kleider machen Leute Es ist gewiß, daß ln normalen Lebensverhältnissen das Kleid des Mensche» keine Zufälligkeit ist. sondern daß ln der Art. wie er sich anzieht, immer eine gewisse Ausdruckssorm sür sein Wesen, für seinen Charakter zu finden ist. Ans den gerade und solide basierten Verhältnissen der Vor kriegszeit hat sich bei viele» Menschen die Gewohnheit heraus gebildet. den Mitmenschen nach seinem äußeren Gewände zu klassifizieren — nicht etiva seinem Wesen nach, sondern je nach der Güte seines Kleides ihn in eine inehr oder weniger hohe Klasse der menschlichen Gesellschaft elnzureihen. Dies Klassifi zieren geht so weit, daß das Kleid geradezu eine Scheidewand von Mensch zu Mensch zieht, die den Verkehr hindert und das nienschliche Verstehe» erschwert. Die Verschärfung der gesell schaftliche» Trennung bei Ausbruch der sozialen Feindseligkeiten ließ oftmals den Haß und die Mißachtung des Kleides ohne Rücksicht auf die Persönlichkeit klarer als früher hervortreten: in „höheren Ständen" die Mißachtung oder vielleicht nur Unbe- behaglichkeit vor dem Gewands des Handarbeiters, in den „nie deren Klassen" die Wut auf den „Gebildeten", de» besser Ge kleideten. Man sollte denken, daß die große Not der Nachkriegszeit, die so manchen ans seiner wohlgeordneten Lebensbahn heraus auf fremde Fährte» geworfen hat, die Menschen eines Besseren belehrt hätte. Nichts wäre so angetan^wie die Iehzeit, mit dem törichte» Vorurteil nufzuräumen. Aber wer hat zugelernt in der alten oder neuen Welt? Mir liegt der Brief eines Freundes im Sinn, der mir aus einer kleinen Hafenstadt Südamerikas ein an sich belang loses kleines Erlebnis erzählt. Der geistig außerordentlich hoch stehende Mensch ist durch die Not der Umstünde gezwungen, seit Monaten inmitten einer gemischten Arbeiterschaft durch schwere Handarbeit sein Geld zu verdienen. Endlich gestatten ihm seine Ersparnisse, sich einen neuen Sommeranzug günstig zu erstehen. Als er eines Tages, mit diesem ange'an, aus das Konsulat geht, auf dem er seit langer Zeit seine Post empfängt, ohne daß man ie ei» persönliches Wort mit ihm gewechselt hat, sieht er zu seinem Erstaunen plötzlich de» alten Konsul freundlich mit aus- gestreckter Hand auf sich zukommen. Er wird begrüßt, wie ,.ein-r zu seiimr früher-m Kaste Gehöriger", wird zum Skntsviel im Klub eingeladen und wird dort, vom Konsul selbst eingesührt, geehrt und mit Zuvorkönnnlichkeit behandelt — und das alles auf Konto des schwer errungenen neuen Anzuges! In seinem Arbeitsanzug als Metallarbeiter wäre er von den gleichen Men schen gewiß nicht „für voll" angesehen worden! Dies ist nur ein Beispies sür viele und ein beredtes Zeugnis von der Bor niertheit des menschlichen Denkens, das das äußere Gewand mit dem Menschen verwechselt. Es ist nicht schwer, mit genügenden Mitteln tadellos ge kleidet einherzugehen und auf Grund solcher tadellosen Kleidung überall offene Türen und zuvorkommenden Gruß zu finden. Schwer aber ist cs, die Mittel für gute, einwandfreie Kleidung nicht zu besitzen und auf Rechnung des abgetragenen Rockes oder des schmutzigen Arbeitskleides von dem Gros der Mit menschen mitleidig oder gar verächtlich behandelt zu werden. Die Initiative des Wandels in dieser kleinlichen und törichten Denkweise muß also immer von dem Bessersituierten ausgehen. Lernen wir doch endlich einmal, von dem charakterlosen und unklugen Kastengeist loszukommen, der die Mitmenschen nach Titel, Geldbeutel und äußerem Gewände bewertet, und lernen wir, nicht noch der Eleganz der Anzuges, sondern nach der Aus drucksform dessen zu urteilen, der ihn trägt: denn Einfachheit, Geradheit. Sauberkeit sowie Eitelkeit, Leichtsinn und Sucht ge sehen zu werden, prägen sich in jedwedem Gewände aus. fei es nun kostbar nack modernstem Schnitt oder oltmodisch und billig gefertigt. Gewöhnen wir uns den Dünkel ab, den uns eine bessere Krawatte, ein weißeres Hemd und ein eleganterer Schuh eingibt! Fragen ivir weniger nach der Schale und mehr nach dem Kern! Die Urheimat -es Eskimos Aus Paris kommt die Nachricht, daß der bekannte dänische Forschungsreisende Knud Ra Sinussen von einer ebenso ge fährlichen, wie interessanten Expedition, dir Ken kühnen Forscher in die Südpolgegend geführt hatte, zurückgekehrt ist. Knud Raswussen hat diesmal einen beispiellosen Rekord aufgestellt. 70 000 Kilometer legte der dänische Forscher i» von Hunden ge zogenen Schlitte» zurück. Es gelang ihm, während der gefahrvollen und entbehrungs reichen Expedition dir sterblichen Ueberreste Franklins zu finden, der als einer jener ersten Helden, die sich in die Polar- gcgend gewagt hatten, im Jahre 1847 zwischen den Eisgcbirgen der fürchterlichen Kälte erlegen war. Am 7. September 1920 machte sich Rasmussen in einem Motorboot auf dem Weg und landete zunächst auf einer kleinen, unbekannten Insel, der er den Namen Neu-Dänemark gab. Hier verbrachte der Däne -ir. 17. Seite « zwei Atonale in Erwartung der ersten Vorzeichen des Frühlings. Nun teilte sich die Truppe. Einige Geführten des Forscher» fuhren die Labradorküste entlang. Rasmussen hielt von seine» Reisegnossen nur den treuen Eskimo Milek und die Eskimofrau Arnalongwuak zurück, die die erste Frau ist, die an einer Ex pedition dieser Art tellnahm. Das Hauptziel der Forschungs reise war. Klarheit in die vielumstrittene Frage des Ursprungs des Eskimovolkes zu bringen. Rasmussen und seine Gefährten nahmen nur wenig Lebensmittel, aber um so mehr Kaffee und Tabak mit; diese beiden Tauschmittel werden nämlich unter de» Eskmios mit Gold ausgewogen. Während der Reise ernährten sie sich hauptsächlich durch Renntiersleifch. Die Expedition nahm vier volle Jahre in Anspruch. Unter unerhörten Entbehrungen und Anstrengungen gelang es Rasmussen. die Urheimat der Eskimos in dem sogenannten Barren Grouns, einer Tiefebene in Nordkanada, auszuforschen. Unzählige zoologische und bota- Nische Entdeckungen bereicherten die Ergebnisse der Forschungs reise. Die während der Expedition gesammelte» ethnographische» Schätze sollen, wen» man sich auf die Zeitungsmeldunge» aus Kanada verlassen darf, einen unschätzbare» Wert besitzen Die Zahl der verschiedenen wissenschaftlichen Fund e, die Rasmussen und seinen Gefährten in die Hände fielen, stellt ein ganzes Museum mit 22 000 Objekten dar. Obgleich Rasmussen die Eskimosprache so gut wie die Eingeborenen beherrscht, hatte er trotzdem vielfach mit dem Mißtrauen der verschiedenen Eskimostämme zu Kämpfen. Er kam in Dörfer, in denen noch nie ein Europäer oder Amerikaner weilte, und die Eskimos, die nun zum ersten Male einen kaukasischen Menschen sahen, empfingen den Ankömmling feindselig. Um das Mißtrauen der Eskimos zu beseitgen, begab sich Rasmussen unbewaffnet, ein weißes Taschentuch schwenkend ins Dorf. In ein gefährliches Abenteuer wurde Rasmussen durch zwei Eskimofrauen, denen er in Nordkanada in einem kleinen Dorf begegnet war. ver wickelt. Die beiden Frauen verliebte» sich in den dänischen Forscher und verfolgten ihn mit ihrer Liebe. Dies blieb freilich den Männern des Dorfes nicht verborgen, und Rasmussen mußte nachts die Flucht ergreifen, sonst wäre es um sein Leben geschehen gewesen. Den größten Teil der mitgebrachten ethno graphischen Schütze wild Rasmussen dem Museum für Volks kunde in Kopenhagen schenken. Er gedenkt demnächst eine Vortragsturnee. die ihn durch die Hauptstädte Europas führen wird, zu unternehmen, um die wichtigsten Ergebnisse seiner Forschungsreise bekanntzugcben. Kumor Garantie. Gauner fder wegen Diebstahls einer wertvollen Uhr zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurdet: „Merkwürdig, wie genau der Uhrmacher das gewußt hat. „Zwei Jahre garan tier,!" hat auf dem Zettel an der Uhr gestanden!" Der passende Hut. Denken Sie sich, in finde in keinem Hutgeschäst einen passenden Hut sür mich!" — „Was, so einen großen Kopf haben Sie?" — „Nein, es will mir niemand den Hut auf Kredit geben." Die Masse macht es. Frau Schiebitzki und Frau Piefke gehen über den Wochenmarkt. Ein fliegender Händler bietet Kämme an: „Immer heran, meine Herrschaften! Hochfeine Haar kämme! Alles Konkursmasse! Spottbillig!" — „Is so was möglich!" sagte Frau Schiebitzki zu Frau Piefke, „jetzt sagt der Kerl Konkurs masse. und als ich vor fünf Minuten vorbei- kam, sagte er. es wäre E l f c n b e i n masse! Der „Balla". Ein bekannter Tübinger Neckarstrandsischer, Herr L-, liegt über die Neckarbrllcke gebeugt, um dem täglichen Fischereisport zu huldigen. — Ein Nachbar kommt vorbei und redet ihn mit den Warten an: „Guta Morga, Lehma, tuscht fischa?!" — „Ha jo, du Balla," (Balla. Tübinger Spezailtitula- tur — Rindvieh oder Kamel), antwortet der Gefragte, „wann i klavierfpiela tät, tätscht's höra!" Fatale Unaufmerksamkeit. Die junge Frau Professor macht ihrem Mann Vorwürfe: „Weißt du wohl, Männchen, daß du mich in drei Wochen nicht geküßt hast?" — „Um Gottes willen, wen Hab' ich denn da geküßt?" Ein Examen. Hänschen kommt sehr befriedigt vom Exa men zurück lind wird von den stolzen Eltern ausgefragt: „Nun, Hänschen, wie war das Examen?" — „Sehr schön." — „Wie ging denn das Rechnen?" — „Auch sehr fchön." — „Waren denn alle Aufgaben richtig?" — Eine ivar falsch." — „Wieviel habt ihr denn ausbekommen?" — „Elf." — „Und die anderen zehn waren alle richtig?" — „Zu den anderen zehn bln ich gar nicht mehr gekommen." Der leichtere Weg. Der gute Onkel: „Nun, mein Junge, warum ist es am besten, immer die Wahrheit zu sagen?" — Billy: „Weil man dann nicht nachzudenken braucht, was man früher gesagt hat." vlussri / kOoks / IQsläsr äer NoLtNrns / NLritel / pelLS prslZsr Ltrsüs. Lokt srrri IiLuxrtdLrkiikok M MMll in Smsiileni Von L u c ie K r u s e - G re g e r, Rositz f-f). (Schluß) Von der Größe des Tempelplatzes macht man sich so leicht faktisch keinen Begriff. Er nimmt den sechsten Teil des alten Jerusalem ein und ist teilweise sauber mit Steinfliesen gepflastert. Von der Stadt ist er durch die Burg Antonia abgeschlossen, eine Festung, die zum Teil noch erhalten ist, und deren untere Stock werke aus rötlichem Felsen bestehen. Dort, wo sich früher der goitgewcihte Prachtbau des Salomo» befand, erhebt sich jetzt eine Moschee. Die Oberflächen der Außen- und Innenmauern sind in Mosaik nach islamitischem Geschmack ausgesührt. Der Boden ist mit echten persischen Teppichen belegt. Ein Holzgitter, welches die VoilMe vom Innern abschlieht, zeigt feines, eigen artiges Cchnitzwerk. Das hier verehrte Heiligtum besteht in einem ungeheuer großen Felsblock, von dem wohl mit Recht angenonnnen werden kann, daß auf ihm der Brandopferaltar gestanden. Ein Loch in dem Felsen diente wahrscheinlich zum Abstichen des Blutes und zur Beseitigung der Asche, denn eine Kanalisation schließt sich unterhalb des Felsens an. Die Sagen, welche der uns begleitende Muselmann an Löcher im Felsen, an einem Marmorstei», in dem Nägel eingetrieben sind, knüpft, ent lockten nur ein Lächeln, das ich jedoch sofort unterdrückte, als ich sah. wie beleidigt er darüber war. Vor der Omarmoschee befindet sich ein kleiner, runder Bau, dessen 12 Säulen so ange ordnet sind, daß jede einzelne von jeder Seite gesehen werden kann. Ter Omarmoschee gegenüber steht eine zweite Moschee, welche in Basilikenstil gehalten ist. Man schließt daraus wohl mit Recht, daß sie zum größten Teil aus altchristlicher Zeit stammt. — - Wann kommen wir zur Grabeskirche? Aus vieler Munde tönte diese Frage der Direktion ent gegen. Es wurde uns der Bescheid, daß der folgende Morgen dieser denkwürdigsten aller Stätten gewidmet sei, und daß wir uns ihr nähern wollten auf dem Wege, den der Heiland einst wankend unter der Last des Kreuzes geschritten ist. — Donners tagmorgen. Stiller wie sonst legten wir die Strecke bis zur Burg AntSnia zurück. Ein ehrwürdiger Dechant las dort aus dem Gebetbuche vor: 1. Station: Jesus wird zum Kreuzestods verurteilt. — Mit Macht tönte da eine andere Stimme an inein Ohr. und diese sagte: „Für dich!" Für mich! — Schuldlos mußte der Reine leiden für den Schuldigen. Unser aller Fallen in die Sünde mußte der Hohe büßen durch das Sinken zur Erde, den leichtsinnigen Wandel sühnte er durch den bittersten Gang, den je ein Mensch zu machen hatte. E.^ konnten wir wenigstens tun, ihm folgen auf dem Pfade, der mit seinem Vlut getränkt war — und später ihm bereitwillig nachgehen mit dem Kreuze, das Gott uns aufzucr'egen beschlossen. Ten Rosenkranz in den Händen schritten wir laut betend von einer Station zur anderen, bei den Stationen niederkniend im Staubs, nicht achtend der bunten Menge, die an uns vorüber- zog. — Endlich befanden wir uns auf dem rings von Häusern eingeschlosscncn Platze von der Grabeskirche. Wer dis herrlichen Tonic von Mailand, Florenz, wer die imposante Peterskirche gesehen, ist anfangs enttäuscht. Kein Prachtbau erhebt sich über der heiligsten Stätte der Erde und doch — es ging ein Schauern durch die Seele stärker, wie ich es je empfunden. — Wir stiegen rechts die Treppe hinauf auf Golgatha. Der rechte Altar ist an der Stelle errichtet, wo Jesus, seiner Kleider beraubt, ans Kreuz geschlagen wurde, links erhebt sich ein Altar tisch über der Meter tiefen Oeffnung des Felsens, in welcher das Kreuz gestanden. Kaum habe ich die Erläuterung des lie benswürdigen Führers vernommen. Es zwang mich auf die Knie — ein Gott hatte hier gelitten, war des schmählichsten Todes gestorben — aus Liebe! — Seht, welche Liebe! Eine Liebe, deren ich unwürdig bin! — Wenn mir je einer von der Liebe Gottes gesprochen, habe ich ihm geglaubt, ich habe gewußt, daß er uns liebt — wie unendlich die Liebe ist. das habe ich dort erst empfunden, so tief, daß eine Flut von Trüben meinen Auge» unaufhaltsam entquoll Ich habe mich ihrer nicht geschämt. Mit schluchzendem Herzen habe ich es gestammelt: „Christe Jesu, sü> uns am Kreuze gestorben, erbarme dich unser!" Und dann ging es hinunter in den Rundbau, wo sich gerat« unter der Kuppel das heilige Grab befindet. Es ist eine doppelt« Grabkammer. Aus der vorderen gelangt man durch eine nie. drige Oeffnung bei gebückter Haltung in das eigentliche Grab Dort hatte der Heiland, von allem Schmerz befreit, geruht. — Nicht lange konnten wir weilen, nur so lange, bis die Pate« noster zur Gewinnung des Ablasses gesprochen, dann mußten wi« anderen Platz machen. Während die müden Glieder sich auf einer Bank ausruhten eilte der Geist um Jahrtausende zurück, und er sah Golgatha wie er damals.war, wo noch gewaltige Felsmassen lagerten an der Stelle, dle jetzt den Grund für die Kirche bildete, und ich schaute, tiefer stehend, auf den Gipfel des Berges und sah dort, nach einem letzten Blick auf die schreckensbleiche Menge den verscheiden, um den der Felsen unter ihm einen handbreiten Spalt bekommen, dessentwegen die Gräber in der Nähe sich ge öffnet und die Toten sich nähern dursten den zitternde ' Leben digen, von denen die meisten doch tot waren. — Und ich sah, vom letzten Strahl der untergehenden Sonne beschienen, einen Trauerzug die Höhe hinabsteigen: Joseph von Arimathäa, Niko demus, Magdalena, Johannes und seine neue Mutter, und sie gingen zum neuen Grabe und legten ihn, der für uns mit dem Tode gerungen, hinein. Und ich bemerkte, wie die Morgendämmerung anbrach, und daß der starre Felsen, der sich über dem Grabe wölbte eine lichte Gestalt entschwebte, glänzender wie Sonne, schöner als der Mond, kraftvoller als der stärkste Held der Erde, voller Majestät, mit leuchtenden Malen der Nägel — ich sah in das Grab — es war leer — Magdalena siel vor der lichten Gestalt nieder, — auch ich: denn die Gestalt war — Gott. — Gott! Ich habe dieses Wort jetzt erst vollständig erfaßt. — Gott hatte gesiegt und alles, alles, was mich vorher bewegt, es löste sich auf in dem Jubel: „Jesus ist Gott! Alleluja!