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NÜMitter 280 - 23. Jahrgang 6mal wöchtl. Bezugspreis: f. Oktober 2 R.-M. ausschl. Bestellgeld. Berechnung der Anzeigen nach Rent-Mark. Preise: Die eiugespaitene Petitzeile 3V f. Familien- u. Bereinsanz., Gesuche 20 H. Die Pettt-Reklamezeil« 89 mm breit, 1 Osfertengebühr für Selbstabholer 20 H, bei Uebersendung d. d. Post außerdem Porto zuschlag. Preis f. d. Einzelnummer 10 Slenten-Psenuig. Geschäftlicher Teil: Josef Fohmann. Dresden. SäcklWe Freitag, 3. Oktober 1024 Im Falle höherer Geioalt erlischt jede Beipflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anz.-Aufträgen u. Leistung v. Schadenersatz Für undeutlich u d. Fernspr. übermittelte Anzeigen übernehmen wir keine Ver antwortung. Unverlangt eingesandte u. mit Rückporto nicht versehene Manuskripte werden nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion k bis 6 Uhr nachmittag». Hauptschrifileiter: Dr. JosefAIbert. Dresden, volrsmiung Tageszeitung für christliche Politik und Kultu Gekckiiif1sfte0e der Sächsische» Volksieituug und Druck und Verla» > Saronla-Buckdnlckcrei GmbH, ^ Dresben-A. 10, Holbelnstratze -iS, ffernrni S27L2, Polt- IchecksonIoDreSden 14797 NkkWlW liliü WW ' Ae Veil Ser M' M »eile Lebe» Siedaktton der Sächsische» Volts,eituna ch Dresden - A. >6. Holbelnslr<ihe»s, genirm 32722 und 33K38 M WMIlAMÜlaM Neuwahlen in England? Durch den Beschluß des Vertretertages der deutsch- nationalen Volkspartei in Berlin, wonach die Deutsch- nationalen ihre Bereitwilligkeit zum Eintritt in die Re gierung Kundgaben, sind die Verhandlungen des Reichs kanzlers zur Erweiterung und Umbildung der Negierung in Fluß gekommen. Die Verhandlungen erstrecken sich sowohl auf die Deutschnationalen, als auch auf die So zialdemokraten. Wir müssen uns hier an erster Stelle mit der Qualifikation der Deutschnationalen beschäftigen, da von ihrem Verhalten letzten Endes der Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung abhängt. Das Schlagwort „Bürgerblock" scheint glücklich wieder verschwunden zu sein. Man kommt allmählich zur Erkenntnis, daß es keine zwei Sorten von Menschen in Deutschland gibt, die man auf der einen Seite mit Bür ger, auf der anderen Seite mit Arbeiter titulieren könnte. Jeder Deutsche ist freier Bürger des deutschen Staates. Ob er Kopf- oder Handarbeiter ist, spielt dabei gar keine Rolle. Wenn in der Vergangenheit eine be stimmte Sorte von Menschen das Wort „Bürger" für sich beschlagnahmte, so ist das nur ein Beweis dafür, daß der Blich dieser Menschen überaus eng und beschränkt war, und daß von sozialem Empfinden keine Rede war. Im übrigen aber war die Bezeichnung Bürger und Arbeiter bei vielen nur eine rein äußerliche Bezeichnung, während sie im Inneren die Gleichberechtigung der mit beiden Worten bezeichneten Gruppen völlig anerkannten. Umso bedauerlicher aber war es, als vor kurzem von neuem die Parole „Bllrgerblock" auftauchte. Ein Parteiblock, der als Kampfblock von einer großen Masse des Volkes an gesehen werden müßte, wäre einfach unerträglich. Der Vertretertag der Deutschnationalen nun hat die durch den Reichstag angenommenen Gesetze bezüglich des Dawesplanes als „rechtlich bindende Nor m" an erkannt. Gleich dahinterher aber heißt es, daß die Par tei es als ihre Pflicht ansieht, „sich Einfluß auf die Aus legung, Handhabung und Verbesserung der Ge setze zu verschaffen." In dieser Klausel erkennt man leider von neuem, wie verschwommen immer noch die Politik dieser Kreise ist und unter wie verschwommenen Zusagen sie bereit sind, in die Regierung einzutreten. Die Deutschnationalen behalten sich vor. der bisher getrie benen Politik eine Wendung in ihrem Sinn zu geben. Warum drängen sich die Deutschnationalen heute so sehr nach der Regierung? Nus Pflichtgefühl? Nach ihrer seitherigen Haltung darf man das bestreiten. Es gibt Männer unter ihnen, denen dieses Pflichtgefühl durchaus nicht mangelt. Aber diese sollten auch den Mut haben, öffentlich ihre Meinung zur Geltung zu bringen. Weil es allmählich besser geht, weil es bergauf zu gehen scheint mit Deutschland und zwar Dank der seitheri gen Politik, kommen die Deutschnationalen in eine heikle Lage. Sie würden einstens dastchen als solche, die keinen Teil hätten an der Neuaufricktung unserer Nation. Damit aber wäre ihr Ansehen völlig' vernichtet. Auch die einfachsten cum dem Bolk würden erkennen, daß es auch ohne die vielgepriesene „Arbeit" der Deutsch nationalen gegangen ist. Ja, daß gerade im Gegen- s a tz gegen diese „Arbeit" es aufwärts ging. Darum ist es höchste Zeit, in die Regierung zu kommen. Auf diese Weise sind sie dann später auch dabei gewesen. Das ist eine alte Taktik. Die Deutschnationalen waren immer dabei, wenn irgendwo ein „äußerlicher" Erfolg zu de monstrieren war. Wenn also jetzt die deutsche Politik beginnen sollte, auch äußerliche Erfolge und zwar in die sem Falle wirkliche Erfolge aufzuwe'isen. dann dürfen sie nicht fehlen. Wir müssen diese Dinge hier feststellen, um dem Volke die Augen zu öffnen, wer eigentlich Deutschland aus der Not herausgeholfen hat. Wir müssen das unseren Lesern sagen, damit sie nicht vergessen, daß das Zentrum es an erster Stelle im Verein mit den übrigen Mittelparteien gewesen ist. das dem deutschen Vaterland alle seine Kräfte gewidmet hat. Eine andere Frage ist nun die: Ist es dem deutschen Volke förderlich, daß die Deutschnationalen dabei sind, wenn an dem Wohl des Staates gearbeitet, und zwar wirklich gearbeitet werden soll? An und für sich wäre es zu wünschen, daß alle Parteien sich zur Ver fügung stellten. Aber bei der Einstellung der verschie denen Richtungen müssen wir ganz bestimmte Garantien für die Mitarbeit haben. Wir wollen gern dankbar an erkennen, wenn man endlich einsichtig werden will und seine Anschauungen revidieren möchte. Aber ein Haken liegt immerhin schon in dem Umstand, daß man noch vor kurzem eine völlig andere Politik betreiben wollte und das hoch und heilig beschworen hat, und daß man nun hellte dieses hoch und heilig Beschworene preisgibt. Ein Bedenken liegt darin, über das be hinwegkommen wird. Wenn man auf Sand aufbaute, wird man es _ , mehr tun? Mancher Laie wird sich ernstlich fragen, warum man ausgerechnet mit solchen Sandmännern Ver Handlungen anknüpft timmt mancher nicht n der Vergangenheit n der Zukunft nicht AS MW MAnO I« WM London, S. Oktober. Die Blätter rechnen angesichts der aufsehenerregenden Entwicklung, die gestern in der politischen Lage eintrat, ernstlich mit der Möglichkeit von Neuwahlen, da sowohl in der Frage der Zurückziehung der Anklage gegen den Redakteur des kommunistischen Wochenblattes „Workers Weekly", über die die Debatte am nächsten Montag stattsindet, als auch in der Frage des englisch-russischen Ver trages. der vom Unterhaus In der am 28. Oktober beginnen den Herbsttagung behandelt werden soll, die Aussicht einer ge meinsamen Opposition der Konservativen und der Liberalen gegenüberstehe. Der parlamentarische Berichterstatter der ..Daily News" schreibt. Asquith habe gestern abend seine Absicht angekun- digt, die Ablehnung des englisch-russischen Vertrages zu bean tragen. Da die Konservativen den Antrag der Liberalen sicher unterstützen würden, sei der Vertrag dem Untergange geweiht. Angesichts der Erklärung Macdonalds in Derby am Sonn abend werde erwartet, daß die Ablehnung des russischen Ver trages unmittelbare Neuwahlen nach sich ziehen werde. Die Krisis könne jedoch eher kommen. Die Konservativen haben einen Mitztrauensantrag wegen der Zurückziehung der Anklage gegen den kommunistischen Redakteur angemeldet. Das Arbeiterblatt „Daily Herold" bringt in Fettdruck die Aufforderung „Bereitet euch auf Neuwahlen vor" und jagt, daß Maedonald Neuwahlen anberaumen werde, wenn die Re gierung bei dem konservativen Mißtrauensantrag am Mittwoch eine Niederlage erleiden sollte. As WW -er WWl! MW Schachts und Luthers Verhandlungen in London Paris, 2. Oktober. Havos meldet übereinstimmend mit Reuter, daß die Verhandlungen über die 800-Millionen-Anleihr mit Dr. Schacht in London sich günstig entwickeln. Der ameri kanische Anteil an der Anleihe werde 100 Millionen Dollar be tragen. Der englische Anteil 10 bis 18 Millionen Pfund Ster ling. Die amerikanischen Stücke werden In Dollar und die englisch-europäiscl^n Anteile in Pfund Sterling ausgegeben. London, 2. Oktober. Wie Reuter erfährt, haben die Ver treter der Morgangesellschaft und der Bank von England ihre Unterhandlungen so gut wie abgeschlossen. Sachverständige der Bank von England haben bestätigt, daß die Bedingungen der Anleihe mit dem Dawesbericht und dem Londoner Ueberein- kommen im Einklänge stehen. Die Anleihe wird wahrscheinlich Mitte Oktober in allen Ländern zur gleichen Zeit aufgelegt werden. Augenblicklich verhandeln holländische, schweizer und schwedische Bankiers mit dem Neichsbankprüsidenten Dr. Schacht in London. London, 2. Oktober. Wie von maßgebender Stelle erklärt wird, sind alle bisher in englischen und deutschen Blättern er schienenen Nachrichten über die Bestimmungen der deutschen Anleihe unrichtig. Alle diese Nachrichten waren nicht nur ver früht, sondern sind auch geeignet, den Stand der deutschen Un terhändler zu erschweren. Die Untcrlmndlungen nehmen einen befriedigenden Verlauf. Sie sind aber naturgemäß, da cs sich um Verhandlungen mit einer ganzen Reihe von Län dern und Bankengruppcn handelt, nicht von heute auf morgen zu erledigen. — Rcichssinanzminister Dr. Luther ist gestern am späten Nachmittag hier eingetrosfen und hat im Carlton- Hotel, wo auch der Reichsbankpräsident Dr. Schacht wohnt. Woh nung genommen. Er hat seine Arbeiten bereits begonnen und sich In einer Reihe von Besprechungen über den Stand der Dinge unterrichtet. Amerikanische Kre-ile für Oesterreich Mcn, 2. Oktober. Die Stäote Salzburg» Linz. Innsbruck uno Graz, die zum Teil sehr notleidend sind, stehen in aussichtsreichen Verhandlungen mit amerikanischen Finanzgruppcn über eine Anleihe von zusammen 100 Milliarden Kronen. Auch einzelne Bundesländer führen solche Verhandlungen, darunter Steiermark, das besonders bedürftig ist. Feierliche Eröffnungssitzung in Paris Paris. 2. Oktober. Die deutsch-französischen Handelsvertragsverhandlungen wurden heute nachmittag 3 Uhr mit einer formellen Sitzung im Uhrensaal des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten eröffnet. Botschafter von Hösch stellte Ministerpräsident Herriot, der die Sitzung leitete, die ^euMW'Delegation vor, woraus französischerseits die DelegationbuWoen französischen Minister präsidenten vorgestellt wurde. Ministerpräsident Herriot be grüßte die deutsche Delegation und erklärte in seiner Ansprache, daß er die jetzt beginnenden Verhandlungen als eine weitere Etappe auf dem Wege zum Frieden auffasse. Botschafter von Hösch erwiderte hieraus und erklärte, daß die Verhandlungen deutscherseits mit dem aufrichtigen Wunsche, zu einem Einver ständnis mit der französischen Regierung zu gelangen, geführt würden in der Hoffnung, daß dadurch die normalen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, insbesondere aber der Warenaustausch, gesördert werden. Die technischen Besprechungen werden morgen nachmittag 3 Uhr auf dem Handelsministerium beginnen und bis aus wei teres jeden Tag zu derselben Stunde sortgesetzt werden. Nach Austausch der Begrüßungsansprachen wurde in einem Salon des Quai d'Orsey Tee gereicht. Eine erste Besprechung zwischen den Delegationssührern: Staatssekretär Trendelenburg und Handelsminister Raynaldi hat schon gestern stattge funden. Aus der Rede Herriots verdienen noch folgende Sätze hervorgchoben zu werden: „Die Handelsbeziehungen in einer Weise wiederherzustellcn. die es erlaubt, das Leben hüben und drüben zu erleichtern, ist die ehrenvolle Aufgabe, die uns zu fällt. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß aus seiten der fran zösischen Unterhändler die größte Aufrichtigkeit und der Wille herrschen wird, die Schwierigkeiten zu lösen. Ein Handelsver trag, der unter den gegebenen Umständen ausgearbeitet werden soll, wird nicht mehr ein reiner Interessentenkontrakt bleiben. Er wird ein Zeichen der Wiederannäherung und der Zivili sation sein." Vorbereitungen zur Ruhrräumung? Düsseldorf, 2. Oktober. General Degoutte weilt seit gestern mit einem Sondervertreter der Pariser Regierung hier Der Besuch gilt der Räumung der Ruhr. Der Pariser Vertret,"r wird auch Essen und Dortmund aussuche». General De goutte erließ gestern eine Verordnung, in der er die bisherigen Einschränkungen der deutschen Verkehrspolizei aushob. Paricz'L. Oktober. Der Minister für öffentliche Arbeiten Peytral hat angeoednet, daß vom 1. dieses Monaks ab der Verkaufspreis für deutsche Reparationskohle um 5 Frone vro Tonne herabgesetzt werde. Kabinellsral in Brüssel Brüssel, 2. Oktober. Gestern nachmittag ist ein KabintttS- rat unter dem Vorsitz des M i n i st e r p r ä s i d? n t e n znsammen- getreten. Es wurde rin Bericht über die Genfer Tagung verlesen und die Frage der b e g i s ch - d e »t s ch e n W ir t s ch a f t s v e r - Handlungen zur Sprache gebracht. Grundvoraussetzung für die Aufnahme der Deutsch nationalen in die Regierung ist die Aenderung der Po litik der dentschnationalen Parteialssolche. Wenn für diese Politik nicht vorher ganz neue Richtlinien auf- gestellt werden, so ist eine Aufnahme unmöglich. Die eventuell cintretenden Minister würden doch gezwungen sein, die Politik ihrer Partei zu machen. Diese Po litik aber widerstrebt heute noch dem Wohl des Volkes. Sie widerspricht heute noch einer praktische Werte schaf fenden Politik. Bedenken wir auch das eine: In den Momenten, wo die Deutschnationolen in den letzten fünf Jahren irgendeinmal auf den Plan traten — es sei hier nur an ihren ausschlaggebenden Einfluß auf die Regie rung Enno erinnert — sind sie zum Unsegen des Volkes auf den Plan getreten. Das mahnt unbedingt zurVor- sicht. Man muß auch einen sehr wichtigen Punkt be achten. der psychologisch in die Wagschale fallt. Die Deutschnationalen können nur als sogenannte irre gegangene Leute ausgenommen werden, aber nicht als Männer, die ein Recht dazu hätten. Das muß äußerlich zum Ansdruck kommen, damit das Volk nicht irre wird. Ein Recht zum Fordern haben sie nicht. Auch aus dem Grunde nicht, daß sie die stärkste Partei sind. Rechte zum Fordern hat nur eine verdienstvolle Partei. Es gibt für uns nur eine geradlinige Wetter führung der bisherigen Politik. Wenn es darum heißt, daß eine Wendung in dieser Politik herbeigeführt werden soll, so kann das den Anschein erwecken, als seien die Deutschnationalen die Besseren, die Klügeren, die erst die Londoner Beschlüsse zum Gedeihen bringen müßten. Daß die Londoner Beschlüsse noch verbesse rungsbedürftig sind, ist uns klar. Das wissen wir so. Solche Ausdruckswcisen entstellen also den Sinn des Ganzen. Die Negierung hat auf der Hut zu sein. Es steht zu viel auf dem Spiel, als daß wir uns heute in leichtfer tiger Weise eine Regierungsdurchsetzung mit nicht ge eigneten Männern gestatten könnten. Erst dann also, wenn die Deutschnationale Partei als solche ihre Poli tik geändert hat und streng bindende und ver. vflichtende Garantien gibt, die im Sinne der jetzigen Reichsregierung liegen, ist es möglich, an eine Umgestal tung der Regierung zu denken. Diese Garantien müs sen so sein, daß sie das ganze deutsche Volk befrie digen. daß also auch mit den Linksparteien eine Basis oefunden wird, die deren Mitarbeit an der politischen Gestaltung gewährleistet. Wir würden es begrüßen, wenn in diesem Sinne endlich die große Volksgemeinschaft ge bildet würde. Alle sind dazu berufen, gleich welchen Namen sie haben. Ob sie den Namen deutschnational oder sonst irgendeinen tragen. Es wird eine Hauptauf gabe des Zentrums sein, den richtigen Weg beute zu finden. Es liegt im Wesen dieser Partei, daß sie die Herrschaft einer Klasse gegenüber einer anderen niemals geduldet hat und duldet. I A.