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Nummer 228 — 2». Jahrgang Sniat wöchtl. Bezugspreis: f. Oktober 3 R.-M. ausschl, Bestellgeld. Berechnung der Anzeigen nach Rent.-Mark. 20 P,» bei Uebersendung d. d. Bost außerdem Porto zuschlag. Preis f. ». Einzelnummer tv Sienten-Ptenulg. wcschästlicher Teil: Joses Fohmanu. Dresden. SöMMe Donnerstag, 2. Oktober 1924 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anz.-Auftrügen m Leistung v. Schadenersatz. Für undeutlich u. d. Fernspr, übermittelte Anzeigen übernehmen w'r keine Vevs anckwortung. Unverlangt eingesandte u. mit Rückporttz nicht versehene Manuskripte werden nicht ausbewahrt. Sprechstunde der Redaktion ö bis 6 Uhr nachmi/tag», Hauptschriftleiter: Dr. FosesAlbert-Dresdep volrsmtung Tageszeitung für christliche Politik und Kultur^^^ «ieschästsstelle der Sächsischen WvIkS»et«nug und Driiü und Perlag i Saxonia-Buchdruckeret Gmbö„ Trcsden-A. >6. Holbelnslrake 4«. gernru« 32722, Poll. IchoNsoiiloDresden >1797 ' IIIIMMW M VW ' Ae Well litt All' Jos neue Lebei!' rNeVattivn der «aN,sisl1,e" /^ollSzertnna Dresden - vl. Ui Holbeiikslra^clO. ^eruru' ^2722 uiid «IW MM M Liebe Dresden, 29. September. Um den Platz an der Sonne ging einst der Kamps an den Häsen und Höschen vergangener Zeiten. Manchmal mit Esprit und manchmal auch mit robusten Mitteln. Immer aber mit Linie. Auch eine gewisse Grazie, manchmal sogar viel Grazie fehlte nicht. Die Throne der großen und kleinen Fürsten sind in Trümmer gegangen. Mit Vorliebe aber wühlt die „soziali stische Geschichtsschreibung" in jenen Erinnerungen, um der Finsternis der monarchischen Zeiten das Licht der „modernen" Zeit gegcnLiberzustellen. Sie übersieht dabei, daß Menschen Menschenkinder sind, ob- sie sich in Lumpen hüllen oder sich mit Purpur schmücken. Nur die Bezeichnungen sind anders gewor den. Was man früher Fürsten nannte, sind heute die Parteien, und was früher die Sonne des Hofes hieß, ist heute die Staats krippe. Aber leider sogar ohne Esprit und ohne Linie. Also sank auch diese neue sächsische Herrlichkeit in weniger Jahren in Trümmer, als das alte System Jahrhunderte ge braucht hatte. Nicht einmal eines welterschlltternden Ereignisses bedurfte es dazu, sondern nur einiger weniger Bataillone. Doch der Drang nach der Sonne und zu dem unabhängig-kommu nistischen Absolutismus ist geblieben. Am Steuerruder des Staates sitzen aber heute die anderen, die sich nicht von den Sehnsüchtigen der „Prominenten", sondern von den Rücksichten auf das Allgemeinwohl leiten lassen. Das ist eine Todsünde, die an erster Stelle im radikalen Katechismus steht. Darum müssen jene Männer verschwinden, damit di« Bahn dem Gesinnungs- tiichtigen wieder frei werde. Der sozialistische Landesvartsitag für Sachsen rückt näher — er findet am 2ä. und 26. Oktober in Leipzig statt — und da mit die höchste Zelt, Kabalen zu spinnen. Zuerst warf Herr Linpinski die Fangschnur. Herr Linpinski, einst der große Führer der Unabhängigen in Sachsen und heule fast vergessen. Zweierlei wollte er erreichen: sich wieder in den Gang der ra dikalsozialistischen Katrastrophenmiihle einzuschalt.-n und dem jetzigen Kabinett ein Bein zu stellen. Und packte es dort an, wo der meiste Erfolg zu winken pflegt, nämlich an den verletzten Krippeninteressen der Lipinski-Zeigner-Böttcherschen Aera. In zwischen sind nämlich einige „Herren" aus jenen Zeiten kalt- gestellt worden und an deren Stelle Männer getreten, deren Be gabung und Eignung nicht in dem Besth des roten Mitglieds zauberbuches besteht. Herr Lipinski hat freilich durch seinen Parteigenossen, den Ministerpräsidenten Heldt. eine so ver nichtende Abfuhr bezogen, daß ihm der Atem wegblieb. Der Zweck aber wird dennoch erreicht werden: denn die sozialistischen Zeitungen haben ihren „wissenschaftlich aufgeklärten" Lesern die Angelegenheit mit ihrem bekannten Geschick so vorgesetzt, daß der Herr Lipinski schon jetzt rechtbehält uns erst recht auf dem sozialistischen Landesparteitag vor den noch ansgcklärteren Funktionären als Triumphator einherwandeln wild. Inzwischen ist aber ein noch Größerer auf Sen Plan ge treten. Nämlich der jetzige Führer der radikalen sächsischen So- giademokratie, Herr Arzt, einst Volksschullehrer und dann Schulrat von Zeigners Gnaden. Ihm ging es um das Schicksal des Nationalhelligen der radikalen sächsischen Sozialdemokritie, den Herrn Ministerpräsidenten a. D. Dr. Erich Zeig» er. der nach dem Berichte des linksdemokratischcn Leipziger Tage blattes eine sehr feudale und vergnügte Samiiw-lrische hinter den schwedischen Gardinen des Leipziger Untersuchungsgefäng nisses verlebt, obwohl durch die Entscheidung des Neich-.ge- richtes das Urteil rechtskräftig geworden ist. Das war virklich ein großer Wurf: denn Herr Zeigner ivar der großmütige Gön ner all derer, die gleich ihm mit den Strafgesetzen in Konflikt gekommen waren. Also war sich Herr Arzt der Sympalhim weitester Kreise gewiß, wenn er im Interesse Dr. Zeigners et was tat. Er erschien bei dem Ministerpräsidenten Heldt und forderte die Begnadigung Zeigners. Der Ministerpräsident lehnte natürlich das Ansinnen, dessen Zweck so durchsichtig ist, rundweg ab. Die Unterredung war zwar vertraulich, aber die Herren Radikalen wußten sie in die bürgerliche Presse zu lan cieren, so daß dann die ganze Sippe der Krippenkranken ein haken und das nötige Geschrei erheben konnte. Daneben hat aber Herr Arzt noch den Fall Arzt selbst. Der Landtagsabge ordnete und Schulrat Arzt wollte einstmals ein bißchen August den Starken spielen. Doch die Sache schlug fehl, dafür kam aber die Geliebte als Regierungsrätin in die 4. Abteilung des Mini steriums des Innern. Der Schulrat mußte gegen die Zeitung, die die sehr undelikate Angelegenheit veröffentlicht hatte, Straf antrag stellen. Das Gericht jedoch hat nach sehr umfänglicher und eingehender Beweiserhebung den Antrag abgelehnt, also die mit geteilten Tatsachen als erwiesen betrachtet. (Siche den Artikel: „Nochmals der Fall Arzt" in der heutigen Nummer. D. Red.) Das ist zwar etwas peinlich, aber die Herren Genossen um Herrn Schulrat Arzt nehmen es in puncto „Liebe" nicht so genau. Sie sind ja erhaben ob Prüderie und bürgerlicher Engherzigkeit. Und doch waren alle Anstregungen nicht nölig gewesen. Wenn nicht schon früher das Ergebnis des Parteitages festge standen hätte, so wären die Vorgänge im Reiche bei der Aoslim- mung über das Sachverständigengutachten schon Grund genug gewesen, die gemäßigten Genossen in die Wüste zu schicken. Marx verhandelt FWUtlMllM Mn ile MleliiiWMileriW Berlin, 1. Oktober. Wie es in parlamentarischen Kreisen heißt, wird Reichskanzler Dr. Marx, nachdem die Beschlüsse des Deutschnationalen Vertretertages vorliegen, die Verhand lungen mit den Parteiführer» aufnehmen. Diese Verhandlungen über die Frage einer Erweiterung der Reichsregierung werden zunächst sowohl nach rechts als auch nach links mit der Sozialdemo kratie geführt werden. Die Besprechungen nehmen am Mittwoch ihren Anfang und werden voraussichtlich die ganze Woche in Anspruch nehmen. Tie SMiiiillWleli m »I» bereu Eine Entschließung des gestrige» VertretcrtageS. Berlin, 1. Oktober. Auf dem Vertretertage der Dentichnationalen Volkspartei wurde eine Entschließung gefaßt, in der die Partei ihre» Willen zur Aufrechterstaltnng der Geschlossenheit der Partei bekundet und cS a.s Pflicht der Partei bezeichnet wird, sich Einfluß ans Aus legung. Handliabnng und Verbesserung der Gutachtcngesetze zu verschaffen. Die Parteivralretung billige es daher, daß die NcichStagsfraktion sich den vom Reichskanzler i» Aussicht ge stellten Verhandlungen über die Beteiligung der Tentschnationalen an der Regierung nicht entziehe. In einem vom Parteivorstand ausgcgebeuen Bericht über die Sitzung heißt eS: Die Partcivertretnng der Deutschnationalen Volkspartci trat am Dienstag im Reichstage unter anßcroeoentkich zahlreicher Beteiligung zusammen. Ter Parteivorsitzcndc Statts- »linistcr Hcrgt erstattete Bericht über die NeichStagsberatnngen zum Sachverständigengutachten und über die inzwischen statt gehabten Besprechungen über den Eintritt der Tentschnationalen in die Reichsregierung. Es gelangte in der eingehenbenA ussprachc zum Ausdruck, daß auf Grund der Knndgcbnngen der Deutschen Volkspartei sich eine Verstänaigung über eine gemeinsame na tionale Arbeit mit den anderen in Betracht kommende» Parteien finden lassen könne, bei der die Deutschnationale Bolksparlel ihr vornehmstes Ziel, die politische und wirtschaftliche Freiheit Deutschlands unter allen Umstänoen weiter zu verfolgen, ent schlossen ist. I» der Aussprache wurde ferner auch in vollster Würdigung der schwierigen Lage die Bemühungen des Partei- Vorsitzende» anerkannt, unter Wahrung des eigenen ablehnenden Standpunktes einen Ausgleich unter oen abwechselnde» Auf fassungen der Neichstagsfraktion herbeiznsnhrcn und dadurch die Geschlossenheit der Fraktion zu erhalte». Am Schlüsse der Tagung sprach der Vorsitzende des Landesverbandes Bremen, Buff, den Tank oer Partei an ihre»-Vorsitzende» Erellenz Hergt für die be währte Führung aus, dem die Versammlung mit stürmischen Bei fallsrufen zustimmte. Glossen von rechts und links Berlin, 1. Oktober. Der „Tag" erklärt: Sie ist ein biß chen für tot gesagt worden, die Deutschnationale Volkspartei. Der Vorwärts zimmerte ihr vor zwei Tagen einen Sarg. Es geht ihr wie allem so oft totgesagten: Sie lebt. Das „Berliner Tageblatt" schreibt: Schon heute kann man behaupten, daß die demokratische Partei für eine einseitige Erweiterung nach rechts nicht zu haben ist. Der „Vorwärts" meint: Macht dach lieber gleich die Bude zu und laßt das Volk entscheiden. Die „D. A. Z." enthält sich jeder Stellungnahme, berichtet jedoch, daß der deutschnationale Entschluß über die Regierungsumbildung mit einem Stimmenverhältnis von tü:1 aiigenoininen wurde. Vor her war eine von der Opposition eingedrachte Entschließung mit etwa fünf Sechstel aller Stimmen abgeichnt worden. Die „Bör senzeitung" meint: In außenpolitischer Hinsicht hat der Ber- tretertag der Deutschnationalen den Weg für eine nach rechts er weiterte Regierung freigemacht. Schwierigkeiten in der Regie rungsumbildung könnten daher eigentlich nur noch von der Innenpolitik Herkommen. Sie dürften aber nicht unüberwind bar sein, wenn sich die Deutschnationalcn in der nun einmal cin- geschlagenen rcalpolitischcn Richtung bewegen. Die „Deutsche Tageszeitung" hebt die „Einigkeit" der Dcutschnationalen Boiks- partei hervor, jedoch nur in der Ueberschrift ohne Kommentar. Um was es ging Berlin, 1. Oktober. Unser parlametarischor Mitarbeiter schrieb uns gestern bei Beginn des dcutschnationalen Vertreter« tages: „Der stärkste Kampf vollzieht sich um die Führung. Die Entschließungen fast aller Landesorganisalionen habe» die Mangelhaftigkeit und Energielosigkeit der Führung, die es nicht vermocht-hatte, die Einigkeit bei der Abstimmung im Reichstag zu erhalte», schroff getadelt. Gegen den Parteivorsitzenden Hergt hat es auch persönliche Mißtrauensvoten gegeben. Und nun handelt es sich bei der Tagung der Deutschnationalcn in Berlin offenbar darum, auch diese Frage zu klären, und das wäre nicht möglich gewesen mit gewählten Vertretern, sondern ist nur durchzuführen mit ernannten Delegierten. Hergt hat ein unzweideutiges ausdrückliches Vertrauensvotum ver langt und starke Kräfte innerhalb der Partei sind auch am Werk, um das, allerdings hinter verschlossenen Türen, zu erzielen. Als Hauptredner ist der rheinische Ab geordnete Dry ander bestimmt. Auch dieses deutet daraus hin, daß der Versuch gemacht werde» soll. Hergt nach einmal zu retten. Es fragt sich aber, u m welchen Preis das möglich ist. Bezüglich der künftigen Politik bestehen innerhalb der deutsch- nationalen Volkspartei die allergrößten Meinuiigsverschiedcn- heitcn. Neuerdings begegnet man der Parole, daß die Deutsch nationalen nicht in die Negierung eintreten dürften, wenn nicht auch eine grundsätzliche Abkehr van der gesam ten bisher cingehaltencn innen- und außenpolitischen Linie er- lolgt. Diese Auffassung steht in schroffstem Widerspruch zu den tatsächlichen Verkältnissen. aber auch zu den Auffassungen, wie sie in der Deutschen Volkspartci maßgebend sind. Jetzt hat Stresemann in einer öffentlichen Rede in Berlin wieder ausdrücklich ausgesprochen, daß die Dcutschnationalen als Partei die Verantwortung für die Ausführung der Sachver- siandigengesetze übernehmen müßten und datz nur in diesem Fall den Deutschnationalcn eine angemessene Vertretung inner halb des Neichskabinetts zu gewähren sei. Außerdem, so bc- tonnte Stresemann. müsse die Führung bei der Mitte verbleibe n." Das Ergebnis der deutschnationalen Tagung Kat die Vor aussagen unseres Gewährsmannes in soweit bestätigt, als Hcrgts Führerschaft durch eine sehr geschickte Regie tatsach- lick gerettet worden ist. — Um welchen Preis, das ist aus den offiziellen Berichten nicht zu ersehen, die kommenden Verhand lungen werden uns das lehren. Wenn einer nicht Order pariert Berlin, I. Oktober. Ter Leiter der „Deutschen Zig." M rx M c. n r e n b r e ch c r teilte gestern i» seinem Blatte mit, daß er mit dieser Nnmincr die Leitung der „D.mticlieii Ztg." niedec- gelegt hake, aber in Zittiinft als freier Mitarbeiter weiter an dem Blatte wirken werde. ttNanrenbrechcr kalte in lewer Zeit einen politischen Kurs verfolgt, der von dem der Parteileitung stark abwich. Er trat nnenlivegt für die „große nationale Opposition", also ein Ziiiammengclien von Tentschnationalen und Völkischen, ein. Seine niiarsen Angrisfe ans die Parteileitung, zumal ans .Hergt, dursten oie letzte Ursache seines Rücktritts sein. T. Red ). Tie M««!! -kl SkMÜkckll Berlin, 1. Oktober. Als erste der Fraktionen hat die demo kratische eine Sitzung auf nächsten Dienstag anderaumt. Der Reichstagsabgcordnete Erkelenz, der zweite Vorsitzende der demokratischen Neichstagssraktion. fordert ii^ einer demokrati schen Zeitschrift die Deutsche Balkspartei auf. den Deutsch- nationalen bei der Erörterung ihres Eintritts in die Reichs- rcgiernng folgende sieben Fragen vorzulegcn: 1. Erkennen Sie die Weimarer Verfassung an? 2. Sind Sie bereit, jede gewaltsame Aenderung der Ver fassung abzuwehren und alle Mittel der Staatsgewalt gegen Verfasiungsverbrecher anzuwenden? 3. Sind Sie bereit, die Londoner Abmachungen als die Grundlage für die deutsche Außenpolitik anzu erkennen? 4. Sie Sie für eine demokratische und nationale Auhen- politik Deutschlands im Rahmen des Völker bundes? 5. Sind Sie bereit, jegliche Förderung der versas- sungsfei üblichen Organisationen zu unterlassen? 6. Sind Sie bereit, den Ausbau der Reichswehr als einer verfassungstreuen republikanischen Wehrmacht zu fördern? 7. Sind Sie bereit. Verächtlichmachungen der Verfassung und der verfassungsmäßigen Einrich tungen im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung ent schieden zu bekämpfen? Erst nach Beantwortung dieser Fragen, so erklärt der Abgeordnete Erkelenz, könne man berurteilen. was der Eintritt der Deutschnationalcn in die Regierung innen- und anhenpali- tisch bedeuten würde. Man hat dem ganzen Bilde nur sozusagen noch ein gewisses sächsisches Kolorit gegeben, um die Absägung nicht zu giob in die Erscheinung treten zu lassen. Den Kabale» der Herren Arzt und Genossen wird das Kabinett Heldt mit aller Bestimmtheit zum Opfer fallen. Ganz also wie einst an den Höfen und Höschen der Vergangenheit. Aber, wie gesagt, ohne Grazie, ohne kavaliermäßige Geste und ohne Esprit.