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Nummer 290 — 23. Jahrgang «mal wöchtl. Bezugspreis: f. Drzber. L R.-M. ailS'ckl. «estellgeld. Berechnung der «azetge» nach Rent.>Mark. Lce-se: Tie eingstpattenc Petitzeilr 30^. f. Familien« a. PereinSanz., Gcsuck)« 20 Tie P-t't-Reklamezell« tb» min breit. 1 Offertengebllhr für Selbstabholer LS bei Uebersendung d l». Bost außerdem Porto« »«schlag. Preis s. ». Einzelnummer 10 Rtotea-Psennt«. »«Iltzüsrltcher Letli Joses Fohmann. DreSda«. SiicklMbe Dienstag, 16. Dezember 1924 Im Falle höherer Gewalt erlischt sede Bervfltcht'Mg ans Lieferung sowie Erfüllung o. Anz.-Austeüaen u Leistung o. Sckavenersatz Für uuveutstch u k>. Fern'pr. übermittelte Luzeigen übernehmen w<r leine Ber« aulmortung. Unverlangt eingesanotk u nilt Rückvorta nicht versehene Mauuslrtpte nxroe» nicht aufbewahrb Sprechstunde »er cktevaktion S bis 0 Udc nachmittag«. HauPtschrillletter: Dr. Joses Liber«. »rgSde«. volfsmiung NrsNiaii-iieUr der rüchtttch.n Vu,»«>»,»> ua "»» Irnck und Veilaa> Saronia-Buchdnicker«, «mbH, rre»de»-A. is. eoloemstrahk 46. Nernrii« S2lee. Polt« «ä>eMo»«i>2're?!xn I47g? Kür okristlioke Politik unä Kultur inrvaktto» der Sailiilsni«» ^ollSzeit»»« Dresden A. IS Holbemllrahrt^ gerur» NS7.-3 n„d > ,N3N Neuer Aufstand in Marokko Spanien am Voraben grotzer Ereignisse Von unser m besonderen Mitarbeiter. Madrid, irn Dezember 1024. Mit dem Winter ist nicht nur die sonst so trockene, so kristallische Luft in Spanien dicker, sondern auch das spanische öffentliche Gemüt schwerer und gespannter geworden. Die Miß- zufrieidenheit mit der diktatorischen Militärregierung Primo de Riveras trat in einen nervösen Zustand. Vorgänge, von denen die Ausländer mehr als die Inländer erfuhren, erregten mehr als sie besänftigten. Sie waren aufrührerischer Art. In Navarra l>andelte es sich um den Putsch bei Vera mit nur 81« Alan». Er endigte mit 3 Todesurteilen. Im katalanischen Barzelona ivar es ein Anschlag gegen eine Kaserne, wofür zwei Rädelsführer die Todesstrafe erlitten. In Madrid wur den Versammlungen von früheren Politikern, bekannten Ge lehrten, Schriftstellern und Generalen entdeckt. Die Generale Bcrenger und Saravia wurden in längere Festungshaft geschickt. Außerdem sollen in Madrid an 200 Personen verhaftet worden sein, und ähnlich massenhaft soll man auch in Zaragoza. Bilbao und Barzelona verhaftet haben. Die seit mehr als einem Jahr ununterbrochen scharf ausgeübte Zensur wurde noch verschärft. Der erst vor einigen Monaten aufgehobene Paßzwang an der portugiesischen und französischen Grenze wurde wieder einge führt. Der Rekrutenfcchrgang von 1924 wurde beschleunigt ein- gezogen und die Entlassung der im letzten Jahre dienenden Klasse von 1021 hmausgefchobeir. Die Polizisten und die Gen darmen erhielten Befehl zur strengsten Aufsicht. Das spanische öffentliche Gemüt aber ist gespannter als je und lebt in einer Gmvtttertemperatur. wo Revolutionen gedeihen. Mer ist sie nahe? Und wodurch stärkt sie sich? Wer zurzeit die Macht in Spanien ausiibt, ist das Militär- Direktorünn. Es wird gestützt von der Mehrheit der Beruis- militärs, vom Klerus und einem großen Teil der kapitalkräf tigen Stände. Im Anfang genoß es sehr viel Kredit auch in weiten Teilen des Volkes. Es versprach das glorreiche Ende des Marokkokrieges und es begann allerlei Maßnahmen, die deu Verkehr sicherten und verbesserten, die das Bankwesen, den Handel und auch das Beamtentum wieder ordneten. Während der Herrschaft des Liberalismus war die vorherige Negierung zu einer Günstlingswirtschaft entartet. Der Weltkrieg, der man- ckem Unternehmer im modernen Svanien zu Reicktümern ver helf, lockerte die Sitten, und der Liberalismus erschien als der unfreiwillige Förderer der allgemeinen Anarchie. Dazu komm', daß der Liberalismus zwar nicht durchaus religionsfeindlich, ater doch ein offener Gegner der Kirche ist. Das Direktorium schützte die Kirche und den Traditionalimus und erdrückte den Anarchismus. Das waren Handlungen, die auch dem gesunden und mäßigen kleinen Mann das Leben erle'ckterten Deslzalb war auch der kleine Mann lange für das Militärdirektorium, den großen Mann gewann es durch den Ausbau und die Be festigung des Steuersystems. Außerdem lmt sich der König snolcns volens. behaupten viele), auf die Seite der Mili'ä"dik- tatur gestellt, was die zahlreichen Freunde der spanischen Ueber- lieferung ebenfalls zu Freunden der Militärdiktatur machte. Die Gegner der Diktatur befinden sich besonders in Katalonien. Das ist die rührigste, die modernste Provinz Spaniens. Ihre Bewohner glauben an ihre unbedingte Ueber- lepenheit über alle anderen Spanier. Den Kastilier aber, senen Aolksstamm. der durch seine Sprache und seine Führereiacn- schaften Snanien erobert und dann auch die snanifche Halbinsel zum MAtelpunkt eines Weltreiches gemacht hat. den lzakt der Katalonier, weil der Kastilier sekt erschlafft und ein Schlen drian geworden sei. Sich selbst hält er für bestimmt, Szxinicn zu erneuern und zu modernisieren. Daran aber wird er durch d'e lzarten militärischen Maßnahmen der kastilischen Regierung immer wieder gehindert. Nicht mal die Selbstverwaltung be willigt man ihm. Zwar hatte Primo de River a, der Mili tärdiktator, Lei Uebernahme der Macht versprochen, die Pro vinzen, und namentlich auch Katalonien, selbständiger zu machen: dock) er hat es nicht gehalten, sagen di« Katalonier: er lzabe es zur Sicherheit der Ordnung nickt halten können, sagen die Freunde der Diktatur. Doch die Diktatur hat gerade in Ka'a- lonien, dem geschichtlichen Lande des Aufruhrs, die Ziioel schnr- ser aimemgen. Professoren der Universität und Förderer der katalanischen Freiheitsbewegung, wurden ihres Amtes entsetzt oder gemaßreaült, ihr Institut für katalanische Sprache. Sitte. Geschichte wird eingeengt und in seinem Dasein bedroht, sa. der national« Tanz ist den Kataloniern verboten. Jeder Kata lonier ist deshalb umso mehr ein Gegner des Militär-Direk toriums. se echter, leidenschaftlicher er sich als Katalonier suhlt. Die nordöstlichen Provln'en Snoniens: Na-varra und di« drei des Baskenlandes, alle sehr stolz auf ihre geschichtlichen Sonderrecht« In der Verwaltung, fühlen sich nicht minder be droht dnrch die „zu lanae" dauernd« militärische Zentralreale- rung. Dazu sind die Basken, ähnlich wie die Katalonier, fleißig und modern industriell geneigt. lieberall im Lande aber hat das Militärdirektorium. sich nach und nach Gegner aus drei besonderen Gründen geschaffen. Alan wirft ihm vor. dasMilitärzu sehr zu begünstigen. Nicht nur das Volk, sondern auch die Studienkommission zur Ab rüstung beim Völkerbund, findet, daß -i« Anzahl der General« Le!m MeWM Parks, 18. Dezember. Die Pariser Morgenblätter bringen Meldungen über eine neue Ausstandsbewegung des Stammes der Andsaras, die sich am Freitag gegen die Spanier empörten und durch einen Handstreich eine spanische Position überrumpelt haben. Nach dem „Petit Parisien" sollen die Auf ständischen den Vormarsch aus Tetuan vorgenommen haben. Die Stadt gelte als bedroht, da die Andsaras nur 30 Kilometer von dem Schienenstrange Tetuan—Ceuta seien. Man rechnet damit, daß der Stadt die Lebensmlttelzufuhr abge schnitten wird. Nach dem..Matin" äußerte eine Persönlichkeit der Pariser spanischen Botschaft über den Ausstand, daß die neue Bewegung das Ergebnis der großzügigen Propaganda sei. die ln Aegypten eingesetzt habe. Spanien sei der Gefahr ausgesetzt, seinen letzten Halt in Marokko zu verlieren. Paris, 18. Dezember. Der „Quoditlen" berichtet: Infolge des spanischen Rückzuges in Marokko sei das Gerücht im Um lauf gewesen, daß die französische Negierung sich anschicke, die Im Riffgebiet durch die Truppe» Primo de Rive- ras geräumten Gebiete zu besetzen. Der „Quoditien" glaubt zu wisst», daß in Paris niemals die Rede davon gewesen sei. die französische Besatzungsarmee über die durch das lebte Abkom men festgesetzte Grenze hinaus zu vergrößern. Eine franzö sische Expedition in das Risfgebiet würde, unter welchem Vor wände sie auch vorgenommen würde, sicherlich nicht die Zu stimmung des Parlaments erhalten. Primo -e Rivera geslehl seinen Rückzug ein Paris, 15. Dezember. Nach einer Meldung aus Madrid hat General Primo de Rivera an die spanischen Truppen in Marokko einen Befehl erlassen, in dem die spanische Nück- zugsbeivegung zugegeben wird. London, 18. Dezember. Biättermeldungen aus Kairo zufolge hat die Untersuchung bezüglich der Ermordung des Sir- dar ein weitverzweigtes Komplott enthüllt, das sich nicht allein auf Aegypten beschränkt. Paris, 18. Dezember. Nach einer Meldung aus Kairo sind drei Abgeo dnete und sieben andere Personen, die im Zu sammenhang mit der Ermordung des Sirdar verhaftet worden waren, weaen Mangels an Beweisen wieder in Freiheit geletzt worden. Die übrigen Angeklagten, darunter drei Abgeordnete in keinem Verhältnis zum Offizierkorps und baß das Offizier korps nicht !m nötigen Verhältnis zur Soldatenzahl stehe, das heißt, es gebe zu viele Generale und zu viele Offiziere. Schon allein die Kosten dieses Apparates verhinderten einen Ausgleich im Staatshaushalt und machten die Lcbenskosten in Spanien so hoch. Diese Unkosten vergrößere unerträglich der Krieg In Marokko, der nur im Interesse eben dieser Militärvartci, und der Kriegslieferanten geführt werde. Von den kleinen Leuten will jetzt in der Tat niemand inehr etwas von diesem Kriege wissen. Selbst uxnn er glücklich zu Ende geführt wäre, hätte niemand vom Siege einen Vorteil, der den großen, gebrachten Opfern entspräche. Marokko etiva so zu kolonisieren, wie es der Franzose schon mit glücklichem Erfolge in seinem Teil Marokkos vermochte, 'dam fehlt dem Durchichnitts-Svanier die Lust. Seine geringe Schätzung der Arbeit hemmt ihn so. daß ihm eigene größere Unternehmungen nicht einfallen. Noch in stärkerem Maße als im Inlande würden vor allem erst die Aus länder und dann erst Katalonier und Basken die Unternehmer der marokkanischen Kolonie sein. Lieber erleidet der heutige Sanier im Inlcmde sein schlechtes Los. Muß er schon aus- wanbern, dann zielst er Länder nstt modernem Führeraeiste vor, denn dort hat er selbst weniger Verantwortlichkeit, seine Arbeit wird demnach bester belohnt und auch sein Leben höher bewertet. Der alte Kampfgeist geaen den Islam und das Arabe-stum ist in Ihm erloschen. Er ist müde und wist nur leben. Eine Re gierung die ihn» Marokkokriege anfhalst, wird er vorläufig nicht lieben. Der mächtiqste Gegner des Militärdirektoriums Ist der Liberalismus, eben jener, der durch das Direktorium aus der Macht vertrieben wurde mit dom Grunde, daß er Spanien versumpfe. Aber wie das immer so geht, iver regiert, zeigt, was er kann, und — nicht kann. Indem er zeigt, ivas er kann, bekämpft er jene, deren Schwäche ihm die Macht überließ: in dem er z«igt, was er nicht kann, ermuntert er sein« Feinde. Sein Ausleben stärkt das Wachstum der Gegner. Das eigen artige an dem Direktorium ist deshalb nicht er selbst, sondern sein unsichtbar gemachter Feind. Ihn mutz jeder, der offene Augen hat, als ««ugekrästigt erkennen. Man sieht es schon am werden heute vor Gericht erscheinen. Stach Zeitungsmeldungen hat ein Polizist zwei von de,, Verhafteten als Teilnehmer an der Ermordung des Sirdar erkannt. Es wird daraus hinge wiesen. daß nunmehr vier Täter von einem europäischen Augenzeugen des Verbrechens identifiziert worden sind. WMWS M London. 18. Dezember. Laut „Sunday Times" ist das Ergebnis des Besuches Chamberlains in Paris und in Rom eine festere Entente. Er werde zweifellos zu einem freundschaftlicheren und engeren Zusammenwirken zwischen England. Frankreich und Italien beim politischen Ausbau Europas führen. London, 15. Dezember. In einer Uebersickst über die Reise Chamberlains nach Paris und Nom schreibt der diplomatische Berichterstatter des „Daily Telegraph" u. a.: Chamberlain werde villeicht in der Lage sein, den Bericht zu bestätigen, der Herriot die Absicht zuschreibt, Großbritannien über alle neuen Entwickelungen in den französisch-russischen Beziehungen aus der Grundlage der Gegenseitigkeit unterrichtet zu halten. Es sei begreiflich, daß die britische Regierung möglicherweise in der Lage und bereit sein werde, in bestimmtem Maße dem italie nischen Wunsche bezüglich Tangers entgegenzukommcn. Eine solche Siegelung dürste keine außerordentlichen Schwierigkeiten bringen. Bezüglich der Frage der Verlängerung der britischen Be setzung Kölns, bemerkt der Berichterstatter, vorbehaltlich der Beobachtung legaler Formen durch die Alliierten sowie der Fortdauer der versöhnlichen Haltung Deutschlands gegenüber müsse die französische Regierung die Bereitschaft der englischen Negierung erkannt haben, nicht den französischen Befehl im Rheinland durch britische Zurückziehung aus Köln vor der Zu rückziehung der französischen Truppen aus dem Ruhrgebiet innerhalb angemessener Zeit in Schwierigkeiten zu bringen. Trvyki reist nach -er Krim Moskau, 18 Dezember. Bei der Abreise Trotzkis nach der Krim sollen ihm große Ovationen dargebracht worden sein. Im Anschluß daran hätten Demonstrationen stattgefunden, die bis in die Nachtstunden gedauert und an verschiedenen Stelle» der Stadt zu blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Gegendemonstrantcn einerseits und den Demon stranten andcrcrseits' geführt hätte». Erfolg ihrer Zeitungen. El Impareial. La Libertad und die Informaciones werden viel gelesen. Für den Liberalismus wirbt auch der Erfolg des Buches ..Las Respoiisabilidndes de! anüauo Regimen (Die Verantwortlichkeit der bisl>erigeii Rechen,»,)), worin der ehemalige Ministerpräsident Graf von Romanones über die Leistungen der früheren parlamentarischen Regierung ausführliche und dokumentierte Rechenschaft gibt. In Paris arbeiten die liberalen Schriftsteller Nüchel von Unamuno und Blas ko Ibauen, die zu den bedeutendsten von Spanien zählen, für die Republik. Kein Zweifel besteht, daß die Gegner des Miliiürdirek- toriums zahlreicher und stärker sind, als es scheine» möchte. Kein Zweifel auch, daß es trotz besten Willens weniger geleistet hat als erivartet wurde, und daß seine Tage ge zählt sind. Zivar hängt zunächst alles davon ab. wie sich das Direktorium aus der Marokkaaffnre herauszieht. In welcher Form es beseitigt wird, ist nicht sehr wichtig in einem Lande, das so leicht wie kein anderes Staatsstreichen versä'lt. Aber Revolution? Dazu scheint das Volk zu skeptisch, zu müde zu AeNderungen und zu wenig erfüllt vom wahrhaf tige» Geist zu tatkräftigen Dingen, mögen sie nun gut oder böse sein. Von einer sozialen Revolution im russiscknn Snne kann schon gar nicht die Rede sein. Es wäre mehr als anders wo die blutigste und brutalste Herrschaft der — Anarchie. Für den deutsche» Gesichtspunkt ivüre daran n, erinnern, daß das spanische Offizierkorps seinerzeit den Eintritt S'a niens in den Weltkrieg gegen Deutschland zu verhindern wusste, und daß der spanische Klerus deutschfreundlich ist und viel sür die hier interniert gewesenen Kamerundeutschen getan hat. Von den Führern -es äußersten republikanischen Liberalis mus sind Unamuno und Ibanez deutschfeindlich. Letzterer ist der berüchtigte Verfasser des ungeheuer verbreiteten und ver filmten Romans „Die vier Reiter der Apokalypse", worin alles Deutsche auf geschickte aber verlogen« Weise als widerlich un gemein hingestellt ist, wie denn überhaupt dieser Schriftsteller seine glänzenden Gaben oft sehr einseitig gebvaucht. gegen alles, was seinem Freigeiftertum nicht liegt.