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Sächsische Volkszeitung : 07.09.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192409074
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240907
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240907
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-09
- Tag 1924-09-07
-
Monat
1924-09
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 07.09.1924
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Sonntag, den 7. September 1924. Är. 208, Seite 9 Die neue parlamentarische Basis IlWMierim im 8««eni Unser parlamentarischer Vertreter schreibt uns: Der Reichskanzler Dr. Marx hat sich nunmehr auf Urlaub begeben. Er gedenkt etwa drei Wochen in Sigmaringen zu ver> bringen. Auch mehrere andere Minister weilen zu kurzer Erholung außerhalb Berlins. Man kann es ihnen allen wohl gönnen, daß sie nach den beispiellosen Anspaimamge», di« die Vorbereitungen für London, die Londoner Konferenz selbst uird schließlich der parlamentarische Kampf im Reichstag auch ein paar Tage ihrer eigenen Erholung widmen Ungestört wird diese Pause ohnehin nicht sei», denn für den 12. September ist jetzt schon eine Kabi- nettssitzung anberaumt, zu der die meisten Minister in Berlin anwesend sei» werden. Aber eine gewisse Ruhe ist in die innere Politik nun doch cingczoge», wenigstens so weit das nach außen hin in die Erscheinung tritt. Das hindert aber-nicht daran, daß nach innen gewaltige Kräfte am Werk« find, um eine innerpolitische Umgrup pierung vorzubcreiten. Es wird in diesen Kreisen offenbar er- ivartet, daß mit der Wiederaufnahme des politischen Betriebes nach der Rückkehr des Kanzlers und der Minister diese Dinge in Fluß kommen. Es hat allerdings nicht de» Anschein, daß der Reichstag bor Mitte Oktober zusammentritt, wenngleich die Negie rung ck- sich Vorbehalte» hat, gegebenenfalls zur Erörterung der Zollvorlage eine derartige frühere Einberufung vorzunehmciL, Es ist weniger dieser Zollvorlage, als das Bestreben, eine brei tere parlamentarische Basis und zwar in Auswirkung der Entsci-cibiins, des Reichstages über die Londoner Abmachungen zu schaffen, das di« inncvpolitischen Kräfte gegenwärtig in Atem hält. Man hört gegenwärtig wieder so viel vom Vürgerblock sprechen. Das ist ein abgeschmacktes Wort und als politischer Be griff im Zeichen der Volksgemeinschaft unhaltbar. Ein Vürgerblock als Kamvfgemeinschaft gegen solch« politische Kräfte, die an siel, arbeitswillig, ocrantwortungösreudig und opferbereit sind, die aber »ach herkömmlichen Begriffen nicht gerade als bür gerlich anzusprechen sind, wäre ein Verhängnis. Wir haben inner politische Entzweiung und Zerrüttung gerade genug erlebt, und wir triollen nicht noch ein« Vermehrung des inneren Unfriedens. Wenn wir Ruhe und Ordnung schasse» und halten wolle», dann müsse» alle positiv gerichteten Kräfte, wo immer sie stehen mögen, zn einer wirkliche» Volks- und SchicksalSgemeinschnst znsammeiigcfastt werden. Ter Lage unseres Landes nnd den Notwendigkeiten, die die Stunde erfordert, entspricht eS, daß wir alle diejenigen Kräfte zusammensassen, die dem «inen große» Ziele dienen wollen: Rettung und Erhaltung von Volk »nd Vaterland, Schutz der Wirtschaft »nd der Produktion, Schutz des Eigentums und des Lebens der Staatsbürger. Das aber bedingt, daß wir niemanden abstoßen, der mit- zilarheiten bereit ist .Gerade daS ist ja das Ziel der politischen Arbeit an verantwortlicher Stelle, auch diejenigen Kräfte zu be jahender staatsbewußter Arbeit beranzuziehen, die allenthalben in den verschiedenen Parteien zerstreut sind. Die Ueberwin- düng des Radikalismus ist eS, was erstrebt und er zielt werden muß, wenn wir z» einer Gesundung unserer inneren Verhältnisse kommen wollen. MWMs WMe w de« WWM Paris, 6. September. Gens. 8. September. (Drahtbericht.) Das „Journal de Genese" schreibt über den Eintritt Deutschlands in den Völker bund: Macdonald sagt: morgen, Herriot meint: übermorgen. Der Unterschied ist offenkundig, aber nicht unüberbrückbar. Tie Aufnahme Deutschland i» den Völkerbund steht augen blicklich im Vordergrund des politischen Interesses. Havas ver breitet nochstehenvc offiziöse Noie: Tic Stelle, der Rede Herriots, die sich auf die Aufnahme Teutsclilaiids in den Völkerbund bezieht, ist von den deutschen Pressevertretern in Genf lebhaft erörtert worden. Einige gaben ans der Erklärung Herriots gefolgert, daß die französische Re gierung die Absicht habe, die Tür des Völkerbundes der deut schen Regierung im gegenwärtigen Augenblick zn verschließen. Diese Auslegung widcrivricht dem Buchstaben und dem Geiste der Ausführungen Herriots. Diese lassen sich in den Worten: „Weder Ausnahme noch Bevorzugung" znsammen- fassc». Tic französische Regierung wünscht lediglich, daß sie be stehenden Vorschriften auf Teutschland angcwcndet werden, für den Fall, daß es beantragt, in den Völkerbund ausgenommen zn werden. In diesem Falle soll oas einzuschlagende Verfahre» dasselbe sein, das bei den vorhergehenden Anträgen um Auf nahme in den Bund zur Anwendung gelangte. Nach dem Genfer Sonderberichterstatter des „Echo de Paris" sicht man ans französischer Seite verschiedene Etappen bei der Ausnahme Tentschlands in den Völkerbund vor. Deutsch land richtet seinen Antrag an das Völkerbnndssckretariat, woraus die Bölkerbnndsversanimlung eine Abänderung ihrer Statuten vornimmt, wonach der Antrag auf Eintritt in den Völkerbund einen Monat vor Eröffnung der jährlichen Session oes Bundes cingcrcicht werden kann. Teutschland könne nicht ausgenommen werden, ohne da? über die Erfüllung gewisser Verpflich tungen des Reiches Nntersuchungcn in die Wege ge'eitet würde». I Ein Ergebnis würde dann wahrscheinlich erst im Januar ^ zustande kommen. Auf jeoen Fall seien Frankreich, Belgien und die Staaten der Kleinen Entente zu dem Beschluß gelangt, daß Teutschland, selbst wenn es einen Sitz im Vülkerbnndsrat erhalte, an der Neberwachung, die der Rat über die deutschen Rüstungen übernehmen wird, nicht teilnehmen dürfe. Die heikle Slrlegsfchuldfrage Paris, 6. September. (Drahtbericht.) Der „Quotidie»" schreibt: Herriot befürchte ernst« Störungen, wenn die deutsche Negierung gerade jetzt die Erklärung über die Kriegsschuldfrage, die sie kürzlich glaubte veröffentlichen zu sollen, den Alliierten offiziell zur Kenntnis brächte. Dies« Erkärung sei unter dem Drucke der Rechtsparteien zustande gekommen und die Rechtspar teien dräirgen unablässig darauf, daß die Uebermittlung an die alliierten Regierungen erfolgt. Es dürfe als sehr fraglich erschei ne», ob die Regierung sich stark genug fühle, sich diesem Dränge» zu widersehen Herriot sehe das Wachsen der Monarchisten mit Bedauern, weil es bedeut«, daß Deutschland dem militaristische» Geiste wieder weiteren Spielraum gewähre. Amerikanische Kre-iie für die Ruhrin-uslrle Essen, 8. September. Die Deutsche Bergwerkszeitung erfährt zu den ln Aussicht stehenden amerikanischen Krediten für die Ruhrindustrie, das; tatsächlich Kreditverhandlungen schweben. Es handelt sich um einen Betrag von 10 Mil lionen Dollar, der auf ein Jahr festgelegt werden soll, und zwar zu einem Zinsfuß von 8.8 bis 8,75 o. H. lieber die Höhe des Zinsfußes wird noch verhandelt. Die amerikanische Ban kengruppe verlangte zuerst 7 Prozent. Die deutschen Banken, welche die Bürgschaft sür den Kredit übernehmen wollen, for dern 8 v. H. Provision, so daß sich die Verzinsung des Kredit» auf 9.5 bis 9.75 o. H. stellen würde. MW-WU WlMWlIMIl Bon besonderer Seite schreibt man uns: Wir wiesen schon kürzlich darauf hin, daß es ratsam sei, wenn die deutsch-dänischen Minderhcitsverhältnisse südlich der neuen Grenze einer unparteiischen uns sachlichen Beobachtung und Aussprache unterzogen würden. Es handelt sich dabei ja in erster Linie uni die Ordnung des dänischen Schulwesens auf deutschem Boden. Inzwischen haben private und vertrauliche Besprechungen über die Schulsrage bereits in Lyon stattgesun- deu ans der Tagung der Völkerbundsliga, wobei von dänisches: Seite ein besonderes Memorandum überreicht wurde. Dieses ist inzwischen auch in der deutschen Presse zur Diskussion ge stellt. Selbstreveno enthält es neben Richtigen und Beachtens werten auch Einseitigkeiten, worauf von deutscher Seite mit Nachdruck hingewiesen woroen ist. Im ganze» aber kann man es nur begrüßen, daß hier der ernsthafte Versuch zu einer gütlichen Regelung der Sache gemacht worden ist. Sicher haben die Nachrichten, die durch einen Teil der Zentriunspresse gingen, ihren Emornck ans die deutsche und die dänische Regierung nicht verfehlt, wonach eine persönliche Füq- lnngnahme zwischen Neichsdänen und Reichsdeutschen, die ein Urteil in der Frage an sich als nationale Angelegenheit wie in der Schularbeit im besonderen habe», dringend erwünscht sei. Die deutsche Regierung ist dieser Anregung nun gcsolgt; sie hat mit dem 4. September auf Anfang Oktober eine R.'ilfe solcher reichsdeutscher und reichsdänischer Persönlichkeiten nach Kopenhagen zu einer vorläufig persönlichen Fühlungnahme eni- geladcn. Tie Einlaoung soll später in Berlin fortgesetzt werde». Man hat also offenbar den Weg innegehalten, den auch wir für den besten und erwünichten bezcichneten, so nämlich, daß keine Kommiision eingesetzt werden solle, und daß die Anregung von dänischer Seite ausgehen müsse, nachdem man dort zuerst einen in dieser Richtung deutenden Wunsch ausge sprochen habe. Gutes kann sich aus diesen Verhandlungen ent wickeln, wenn nun die Leidenschaften jedweder Art draußen ge lassen tverden, Gutes sür die Minderheiten auf deutschem und a»r dänischem Boden, Gutes namentlich auch im Blick auf unser Verhältnis zum Noroen. Wir werden mit Aufmerksamkeit und Zntereste den weiteren Schritten und Verhandlungen folgen. Die Probefahrt deS Amerika-Zeppelins. Das Luftschiff „Z. R. 3" ist heute vormittag 8 Uhr 10 Minuten bei schönem klaren Wetter zu seiner ersten Probefahrt aufgestiegen, die sich über Süddeutschland erstrecken und falls, während der Fahrt keine anderen Bestimmungen getroffen werden, München, Augsburg, Nürnberg und Stuttgart berühren soll. Die Tauer der Fahrt ist «ruf 6 bis 8 Stunden berechnet. Wetterbericht -er Dresdner Wetterwarte W itt er n n g s a u § si cht en für de» 6. September abends bis 7. September abends: Vorwiegend wolkig mit Tendenz zum zeitweise» Aufklckren, stellenweise starke Bewölkung und neblige Trübung der Luft besonders im Gebirge, später (vor aussichtlich erst am Abend des Sonntags Eintreffen einer neuen Regenfront, gemäßigte Temperatur, hohe Lagen kühl, schwach bis mäßige östliche bis westliche Winde. Seipel, der als Diplomat und Staatsmann heute wohl in der ganzen Welt restloses Ansehen genießt. Der Gedanke der Volksgemeinsckiaft, des Solidarismus. der der Grundzug der katholischen Welteinstellung ist, verbietet die Extreme von rechts und links. Der katholische Staatsbürger kennt keine Rassenfrage im deutschen Volke, er kennt keinen Haß und darf keinen Haß kennen gegen Andersgläubige. Dazu ist der Katholik an sich zu objektiv und er ist objektiv, weil er an Absolutem mißt. Er anerkennt deshalb auch nicht die Vorherrschaft einer Rasse oder irgendeiner Klasse. Ab gesehen davon, daß cs wirklich schwer sein dürfte, den „nord deutschen Edelmenschen" nach Ludenüorss zu definieren und, ab gesehen davon, daß es eine Unmöglichkeit darstellt, rassenmähig sestzustellcn, wer deutsch ist — diejenigen, die am meisten schreien, haben bekanntlich sehr viel slawisches Blut in ihren Adern — wird ihm ein derartiger Standpunkt durch das Gebot der Gemeinschaft verboten. Was sür die Rasse gilt, gilt auch für di« Klasse. Den Be griff des Klassenkamples kann es bei einem Katholiken nicht geben, nicht etwa weil der Katholizismus politisch ist, sondern weil sich in der Politik, wenn anders eine Religion überhaupt einen Wert haben soll, die Stellung zu der Gesamtheit des Vol kes auswirken muh. Es ist ein Ruhmesblatt gerade sür di« Katholiken, daß sie es waren, die die soziale Gesetzgebung in Deutschland, die vor dem Kriege an erster Stelle in der Welt stand, wesentlich beeinflußt haben. Ein Bischof Ketteler hat den sozialen Gedanken inhaltlich und formal zu einem Zeitpunkt vertreten, als an soziale Gesetzgebung noch niemand gedacht hat, und ein Mann wie Hitze steht in der vordersten Reihe der Männer, die praktisch und theoretisch ungeheuer viel zum Aus gleich der sozialen Gegensätze getan l)aben, den Ausgleich zu fördern, das Verständnis in den weitesten Kreisen des Volkes für die Lage des materiell schlechter gestellten, des Proletariers, zu wecken, war er unablässig bemüht und seine Arbeit hat, wenn auch nicht meh- und wägbar, herrliche Früchte getragen. Katho lische Weltanschauung kommt hier am reinsten zum Ausdruck. Ein Klassenkampf ist niemals mit dem katholischen Gedanken vereinlxir, widerstrebt vielmehr im innersten Kern den: katho lisch» Gemeinschaftsgedanken. Dabei macht es gar keinen Unterschied, ob der Klassenkampsgedanke theoretisch aus gesprochen oder ob die Handlungsweise des einzelnen oder gan zer Stände ihn verwirklicht. Streben nach Ausgleich der Gegensätze durch Opfer, das ist die selbstverständliche Folgerung aus katholischer Auffassung über Ursprung und Ziel jeder Men- schenseele. Mit dem Ausbau der nationalen Staaten waren Aufgaben bedingt, die einem primitiven Staatswesen fernliegen, Ausgaben ans kulturell-sittlichem Gebiet. Hier treten die Wech selwirkungen zwischen Religion und Politik am deutlichsten her vor. Ehe. Familie, Kindererziehung, darum kämpft man und der Kampf wird in der politischen Armee ausgetragen. Tren nung von Kirche und Staat? Dieser politische Kamps ist z. B. in der Schulsrage wahrhaft ein Kamps um die Seele des Kin des. Und man denke weiter: Das Verhältnis des Staates zur Kirche unterliegt ebenfalls der politischen Machtfaktoren. Durch die Regelung dieser Stellung können die schwersten Eingriffe in die Bewegungsfreiheit der Kirche oorgenommen werden, Ein griffe, die ihre Sendung zum mindesten ungeheuer erschweren können. Aus diesen kurzen Andeutungen geht zur Genüge hervor, daß die Politik sür den Katholiken Gewisscnssache ist und Ge wissenssache sein muß. Es geht aber auch weiter daraus her vor, baß der Katholik auch in seiner Politik den Maßstab an legt und anlegen muh, den er bei seinem sonstigen Handeln anlcgt. .W WW" Die bisherigen Ergebnisse in Gens . Paris, 6. September. Wie der Sonderberichterstatter des «.Petit Parisien" aus Genf meldet, geht der Eindruck in fran zösischen Kreisen dahin, daß in den Verhandlungen des Völker bundes bereits ein entschiedener Fortschritt zu ver zeichnen sei. Der Grundsatz des obligatorischen Schiedsgerichts, de» Herriot in London zum Siege führte, fand schon jetzt ein stimmige Billigung aller Teilnehmer. Auch die Frage der Sank tionen, die von der des Cchiedsgerichtsentivurss getrennt wer den könne, sei in klarer Weise aufgeworfen worden. Man sei sich jetzt darüber einig, durch den Völkerbund eine allgemeine Enlivasfnungskonserenz cinberusen zu lassen. Es sei aber ebenso selbstverständlich, daß die Verpflichtung zum Schiedsgericht und die Verhandlungen über die Entwaffnung mit der Sicherheits frage eng verknüpft seien. Es handle sich jetzt darum, die näheren Einzelheiten dieser Fragen zu untersuchen. Gens, 6. September. (Drahtbericht.) Herriot und Mac- donald sollen am Sonnabendabend gemeinsam nach Paris zu- riickreisen. Polen baut eine Kriegsflotte. Die polnische Regierung hat beschlossen, eine Kriegsflotte zu bauen. Das Bauprogramm wird einen Zeitraum von 12 Fahren umfassen und führt auf: 3 Kreuzer, 6 Zerstörer, 12 Torpedoboote, 12 U-Boote und 36 sonstige kleine Fahrzeuge. Die Gesamtausgaben werden sich auf rund 600 Millionen Goldfrankcn belaufen. Die Ausführung der E-Moll-Messe für Chor und Blas orchester (ohne Orgel) von Anti» Bruckner in der Hoflirche o»i heutigen Sonntag S/i,l1 Uhr steht naturgemäß im Mittel punkte der künstlerischen Veranstaltungen anläßlich der großen Akadeinikcrtaguilg. — Tic Teilnehmer werden die seltene Gelegenheit haben, dieses Großwerk der Brucknerschen Kunst in Verbindung zu hören mit der katholischen Meßliturgie, zu deren Feier es anläßlich »er Einweihung der Votivlapelte Lee Linzer Tomes (bereits 1866 geschrieben) aufgeführt worben ist als das 65. Werk des große» Meisters, am 30. September 1869, nach 28 (!) Proben. Bruckner nennt diesen Tag de» !>crr- lichsten seiner Lebenstagc. Bis in oie neueste Zeit hinein tonnten mnjikliebenoc Katholiken oieses Werk nur in Konzertjälen, be- zietzentlich bei Kirche,iciustühruiigcn in fremden Gotteshäusern zn hören bekommen. Endlich ist das Eis gebrochen und die katho lischen Kirchcnvcrwaltnngen in Breslau, Berlin, Köln, Augs burg wissen, daß es auch aus dem Gebiete der katholischen Kirchenmusik Verpflichtungen gibt, deren sich der katholische Glau- benstcil nicht entziehen darf, wenn es gilt, der eigenen Kirche zu Ansehen zn verhelfen und Gott die Ehre zu geben durch Ausführung von Meister», deren Glaubcnsinnigteit und Hoheit ihres Geistes leuchte» werden hinaus iu Jahrhunderte. Dresden besitzt in Karl Pc mb anr einen Tirigcnten, ocr zur rechte» Zeit kam, um der Kultusstätte der kathliscken Kirche die Kunst zu wahre», oie nun einmal zur Liturgie gehört w> eine große Opserslamme, oie das weihevolle Ceschche» an Pl,eiliger Stätte beleucht:! mit jenem geheimnisvolle» Scheine ohne den eine tiefere seelische Wirlung sich wohl nur schwer eiuzustcllcn vermag. Musik und Religion — sie haben c»g- Vcrivandtc Seelen. So iß auch diese E-Moll Messe eine einzige religiöse Vision, deren nur ein Bruckner fähig war, mit dein reinen, jungfräu lichen Herzen eines Gott ergebenen Priesters der Kunst. Sic ist diirchtränlt mit jener sich selbst vergessenden Innerlichkeit, in der er das ewig Kind gebliebene Genie, in ein inniges per sönliches Verhältnis trat zu seinem Herrn und Gott. Er ist der Apostel der Gotteslicbe unter den Künstlern — nnd es bleibt schließlich eine offene Frage, wer von beiden de: deniuts- vollere, der ichlosece ist: Bruckner oder Palestrina. Man beachte, daß es zu Palestrinas Zeiten (gestorben 1494) noch keine Musik im Sinne von Jndividualkunst, im Sinne von Expressionismus, also von Ausdruckskunst, gab. Uno nur wer eS als modern empfindender Hörer vermag, geistig die Kluft zn überspanncn, die dk Tonkunst eines Bruckner von der seines großen Zeit genossen Richard Wagner trennt — es liegen Welten dazwischen - nur der findet den Weg zum Verständnis der heiligen Größe eines Bruckner. Bruckner kennt auch die Linienführung der Motivwe.lt. Aber in ihm wird der Motivgedanke unmittelbar zum leuchtenden Farbenfeuer. Tie Schwarzweißkunst der Themenwelt oer hinter ihm liegenden Zeit gestaltet sich in seinem Geiste um in eine Farbenpracht, wie sie bis dahin nur von seinem Zeitgenossen Wagner erreicht worden war. Aber Bruckner bietet dem Zuschauer das im»,er neu sich gestaltende Wunder, daß er, obwohl er sich der Musiktechnik eines Wagner mit seinen Wort-Tou-Dramen stark nähert, doch in seinem Wesen sich selbst treu bleibt und jenen Gcstaltungsformen einen Hauch einzugießen vermag aus einer Welt, in die ein Wagner, trotz seines Parsifal, nicht ge langt ist. Man denke sich Wagner, entsprechend ausgewählt, in die Kirche verpflanzt — eine seelische Unmöglichkeit. Man erinnere sich bei den einzelnen getragenen Stellen oieser E-Moll» und der großen F-Moll-Messe eines Bruckner an die Heils- Vorgänge im Gral — und man wird in Zweifel geraten können, wer der Größere von beiden deutschen Künstlern ist. Bruckners E-Moll-Messe darf man nicht hören wollen, elwa, weil inan lange keine Musik mehr gehört hat, und es einen zu ihm „wieoer mal" hinzieht. Bruckner verstehen wollen in seiner E-Moll-Messe ohne weitere Vorstudien, ohne ihn sonst weiter zu kennen, wird kaum eine restlose Befriedigung anfkommen lassen. Bruckner wäre der Große nicht, wenn ihn jeder Mnsilausübende ohne weiteres zu erfassen vermöchte. Er will, wie ein BrahmS, wie oer „letzte" Beethoven ausgesucht, studiert, ausgeprübt, abgelauscht sein. Hat man einmal oen Zugang zn diesem Gebirge gefunden, dann lohnt der Aufstieg, wie es niemand vorher ahnen konnte. Wer Bruckner nicht ver steht, der suche die Schuld nicht bei diesem großen Meister. Sich seelisch klein machen, das. bringt den einzelnen Hörer diesem Riesen näher o' c ( .> K Bruckner ist noch immer nicht von denen allen verstanocn, die bas künstlerische Rüstzeug dazu besitzen. Bruckners Kunst ist nicht von dieser Welt. Es ist nicht ohne weiteres jedermanns Sache, sich von allem, was zur Erde zieht, loszulösen und weltverloren, sich selbst vergessend, von den Wogen der Bruckuer- schen Klänge sich tragen zu lassen an das ferne Gestade, wo seine hartverkannte Seele Ruhe fand vor Mensche,meid und Seelenelend. Sein ganzes Leben bleibt ja die eine große Frage: wie konnte ein solches Menschenkind bei all seiner Erdenarmut solchen Reichtum bergen? Sein Schicksal bleibt so unfaßbar wie seine Eigenart — und beide so unbegreiflich wie seine Größe. Möchte es ein gütiges Geschick fügen, daß die kommende Ausführung in der katholischen Hoskirche wieder unter einem günstigen Stern stehe. Es hat an ernsten Mühen nicht gefehlt, sie tüchtig vorzubereiten in ehrlicher Studierackbeit. Möge ihre Aufführung auch diesmal gelingen, damit auch diese Dar bietung ihren Teil oazu beitrage, die arbeitsreichen Hochstunden der Verbandstage unvergeßlich zu gestalten. Dr. Hugo Löbmann. G Die Missa brevis von Palästina Beim Levitenamt am Sonnabenovormittag 11 Uhr kam die „missa brevis" von Palästrina zur Ausführung anstelle oer ur sprünglich geplanten „missa vapae Marcelli". Bekanntlich ist diese Messe benannt nach der Mtvis, mit der das erste Thema des Kyri« anfängt. Gesungen wurde die Messe von einem Teil« des kleine» ck- capella-Chores aus Paderborn, unterstützt von einigen Dame» oeS Mucker,nannschen Chores ans Münster unter Leitung von Musik- ' direktor Kieslich. Die vierstimmige Messe ist in mixolydijcher Tonart geschrieben. Ter Text entstammt einem Erstdruck nuS dem Jahre 1570, dessen Korrekturbogen Palestrina selbst in den Händen gehabt hat. Zu bewundern war der sichere Einsatz »nd das wundervolle Piano und Pianissimo der Sänger. Keinei Stimme suchte sich aufzudrängen. Das Benedictus ist einer der technisch am schwersten zu bewältigenden Sätze. Das zweit« Agnus Tel ist siinfstimmig, mit zwei kanonisch geführten So pranen. Es gehört zu den herrlichsten Sätzen von Palestrinat Voll Nnoacht lauschten die zahlreich erschienenen Gläubigen^ "eider mußte Gloria ,„,o Credo wegen der Liturgie äussallen. - —e— 3«r MeimW M« UMrs
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