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Vtr. — V. Jahrgang D»»»«er-tag de» »V. September 1V1V SilWscheUolksMunA erscheint t-glich mich«. «U «lutn-chme der «onn- und Jesltage. «»--ab» I-, MU .Die ZeU in Wort und Md" dterleljLhrllch. ».IO In Dresden durch Bote,, »40 In gaiu Deutschland stet Hau« S,SS »LSSLZ Mr Wahrheit, Recht und Freiheit Unabhängiges Tageblatt Inserat» werden die ««eipaltene Petitzeile oder deren kaum mit tt Reklamen mit SO I die geUe derechnc», bet Wiederholungen entsprechenden Rabatt «uchdruckeret, Redaktlou und «esckiäft«ftelle- Lr«»d»o, Villuttzrr Strafte 4». — Fernsprecher I»«« JürGüikgabe unverlangt, Schriftstück» »« Redaktion«-Sprechstunde: II— keine «rrbtudltchketl I» Uhr. kitte probieren 5ie unseren ttoeliieinen ^Zmilien-l^Zffee per psuncl /^srk 1.35. ^eriing L stocßZtroti, Orescien. Uloctsi-Iastvn In allsn 8ds6ttsIIsn. liib 23. Generalversammlung des Evangelischen Bundes. Chemnitz, Len 27. September 1S10. Die Weltaufgaben des deutschen Protestantismus — bilden das Thema der Referate, die am Dienstagvormittag in der zweiten Mitgliederversammlung erstattet wurden. Sie gliederten sich in eine Darlegung der Verhältnisse in der deutsch-evangelischen Diaspora im Auslande und der evan gelischen Mission in den deutschen Schutzgebieten. Das erste Thema behandelte Universitätsprofessor Dr. M-i r b t - Marburg, das zweite Universitätsprofessor Dr. H a u ß le i t e r - Halle a. S. Nach Mirbt ist der Prote stantismus eine Weltreligion geworden, die den Erdball umspannt. Er folgert diese Tatsache aus dem dicsjähri m Edinburger Weltkongreß, den er als das erste ökumenis ,e Konzil des Protestantismus bezeichnet. Aus seinen Aus führungen interessieren uns einige Bemerkungen, die auf die Missionstätigkeit des Katholizismus Bezug nehmen. Referent meint, daß die katholische Kirche gegenüber den Deutschen im Auslande zu wenig deutsches Wesen berück sichtigt, und daß erst in letzter Zeit in dieser Beziehung ein Umschwung eingetretcn sei. Das habe namentlich der Augsburger Katholikentag dargetan, der in einer Reso lution nachdrücklich darauf hingewiesen habe, „aus reli giösen, nationalen, kulturellen und karitativen Gründen ist es wichtig, daß wir mit diesen über die ganze Welt zer streuten Stammes- und Glaubensbrüdern innige Verbin dung unterhalten und, wo diese gelöst ist, wieder Herstellen. Wir müssen in ihnen das Andenken an die Heimatfamilie und Heimatkirche erhalten, müssen sie mit den geistigen Pro dukten der heimatlichen katholischen Literatur bekannt machen, sie in ihren religiösen Bedürfnissen unterstützen und ihnen neben der gewissenhaften Erfüllung aller Pflich ten gegenüber dem Lande ihrer Wahl die Liebe zum Ur sprungsland und zur Muttersprache pflegen und stärken". Wir können die Behauptung, daß die katholischen Missionen das deutsche Wesen vernachlässigen, nicht unwidersprochen lassen. Wenn der Referent die parlamentarischen Verhand lungen des Reichstages über unsere Kolonien nachblättert, wenn er die Geschichte unseres Missionswesens studiert, so wird er finden, daß unsere deutschen Missionare stets deutsches Wesen, deutsche Kultur und deutsches Empfinden in das Ausland hineingetragen haben. Daher haben sie auch die Schule stets als Träger und Pionier der deutschen Sprache in den nationalen Dienst gestellt, und cs ist dies nicht etwa eine spezifische Eigentümlichkeit der evangelischen Missionstätigkeit, wie Referent meinte. Daß er für die konfessionelle Auslandsschule eintrat und die Simultan schule verwarf, muß von unserem Standpunkte begrüßt werden. Der zweite Referent. Dr. Haußleiter, beanspruchte insofern ein besonderes Interesse, als er der Inhaber des einzigen Lehrstuhles für Missionswesen in Deutschland (Halle) ist. Er beschäftigt sich in seinem Vortrag vornehm lich mit statistischein Material unter stetem Vergleich init -er katholisckM Missionstätigkeit, namentlich in Afrika. So führt er zunächst aus: „Von den l.3 Millionen Eingeborenen auf deutschem Kolonialgebict sind 83 000 Glieder der evangelischen, 86 000 der katholischen Mission. Jene hat 439, diese 908 männliche und weibliche Missionsarbeiter draußen, Loch darf man mit Fug und Recht die Ehefrauen unserer Missionare — etwa 260 — mit hiuzurcchnen. In den evangelischen Missions schulen werden 60 000, in den katholischen 43 000 Kinder unterrichtet, denen 4800 Regierungsschüler zur Seite stehen. An evangelischen Missionsgesellschaften arbeiten in Ostafrika 7 auf 14 getrennten Gebieten, die englische Universitäten mission seit 1869, die englische Kirchcnmission, die Biele- felder Ostafrika-Mission, die Berliner Mission, die Brüder gemeinde, die Leipziger evangelisch-lutherische Mission und andere." Was speziell die katholische Missionstätigkeit anlangt, so faßt er seine Beobachtungen in folgenden Sätzen zu sammen: „Die katholische Mission, seit 1869 in Ostafrika, hat sich über die ganze Kolonie ausgebreitet, so daß von den 22 Be zirksämtern nur noch zwei unbesetzt sind. Unter fünf apostolischen Vikariaten wirken die Väter vom heiligen Geist, die Benediktiner, die Missionare unserer lieben Frau von Afrika, vom Kardinal Lavignerie in Algier gegründet und für gewöhnlich „weiße Väter" genannt. Noch ist das Netz der katholischen Mission weitmaschig, aber mit der Zeit wird man sich überall begegnen müssen. Redner verwahrt sich gegen die Behauptung, daß die katholische Mission da» „ora ol lador», bete und arbeite" besser zu vereinigen wisse als die evangel., wie vielfach ein schädliches Vorurteil ange sichts der festungsartigen Klosterbauten mit ihren landwirt- schastlichen und gewerblichen Anlagen glaubt, wenn auch ge sagt werden muß, daß sie höchst Anerkennenswertes geleistet hat." Betreffend die Errichtung von Stationen und Schulen führt er aus: „Die Evangelischen, beweglicher als ihre Partner, haben bei einem Personal von 174 Missions arbeitern 73 Hauptstationen besetzt, die Katholiken bei 395 Ordensleuten nur 67 Niederlassungen. Trotz der dreifach kleineren Zahl von Gemeindegliedern hält unsere Mission mit 23 000 Schülern der anderen nahezu das Gleichgewicht." Seine weiteren Allsführungen gelten dem Nachweis, daß das Christentum im Islam einen zielbewußten, hart näckigen Gegner habe und daß für die Anfangszeit den Heiden gegenüber die konfessionellen Unterschiede in den Hintergrund treten müßten. Er befürchtet, daß die völlig religionslosen Regierungsschulen die Ausbreitung des Is lams unterstützen werden. Bei einer statistischen Zusammen fassung aller afrikanischen Missionen stellt er fest, daß sich auf evangelischer und katholischer Seite gegenüherstehen 342 und 595 Missionsarbeitcr, 47 000 und 54 000 Christen, 46 000 und 36 000 Schüler. Das unbedingte Ueber- gewicht hat die evangelische Mission in Kamerun, das tat- sächliche bei geringerer Arbeiterzahl in Südwest. In Togo haben wir uns überflügeln lassen, in Ostafrika, dem be deutendsten Missionsfeld, können wir zwar nicht mehr er drückt. aber doch an vielen Stellen an den großen Ver bindungsstraßen abgeschnitten werden. In der Südsee stehen sich hier 34 000 und 28 000 Missionschristen gegen über bei einer Zahl von 81 und 288 Arbeitern." (Hört, hört!) Redner schließt seinen Vortrag init der Bemerkung: „Wir hätten weiter sein können und müssen darum unsere protestantische Ehre wirksam verteidigen mit Beiträgen und Gaben!" (Lebhafter Beifall.) Während der Vorträge ist ein Antworttelegramm Sr. Majestät des Königs eingelauseu, in welchem er für die Huldigung des Bundes danken läßt. An die Referate schloß sich eine Diskussion an. Am Dienstagabend fand die zweite Volksver sanrmlung statt, die wie die erste eins starke Beteiligung aufwies. Den Auftakt zu dem Abend gab Amtsgerichtsrat P a r z e r - Chemnitz, der die Hörer mit dem Popanz deS Zentrums schreckte. Er erzählte geradezu Wunderdinge von dem Katholizismus: Daß in Deutschland die katholische Kirche zur Vorherrschaft dringen wolle und daß es dem Staate die Gleichberechtigung mit der Kirche streitig mache. Woher mag Herr Amtsgerichtsrat Parzer in Chemnitz diese Kenntnis haben? Aber auch vom Evangelischen Bunde er zählte er Wunderdinge: Daß er kein Hetzbund sei und den konfessionellen Frieden nie störe. Mit diesen Ausführungen hatte sich der Redner den Beifall gesichert. Den ersten Vortrag hielt Pfarrer Proebstling Lüdenscheid über das Thema: Mehr Verständnis für die Organisation! Unter dieser Organisation verstand er die Kräftigung des Evangelischen Bundes. Seinen Worten suchte er dadurch eine festere Resonanz zu geben, daß er die Organisationstätigkeit der deutschen Katholiken als eine schwere Gefahr für den Protestantismus hinstellte. Wir wollen diese Sätze hier nur hervorheben: „Die moderne Entwicklung hat neue Formen in Ge stalt der Vereine gefunden. Das Vereinswesen der katho lischen Kirche hat die Laienwelt mobilisiert. Da gibt es Bonifatiusvereine, Canisiusvereine, Borromäusvereine, die eigentlichen Caritasvereine, die Standesvereine, eine unübersehbare Masse; die katholischen Edelleute und Juristen, die Krieger und Kaufleute, die Industriellen und Aerzte, die Studenten uird Gesellen, die Arbeiter und Ar beiterinnen, die Männer und die Mütter, Kutscher und Dachdecker. Bauernburschen und Ladnerinnen — wer zählt sie alle? Dazu weiter kommen der Windthorstbund und die glänzendste und umfangreichste Vereinigung von allen, der „Volksvcrein", mit 652 848 Mitgliedern. Nicht zu ver gessen die Kongregationen, Bruderschaften und Sodali- täten." Dann kam er auf das Ordenswcsen in Deutschland zu sprechen. Hier malte er grau in grau, um seine Zuhörer zu schrecken und die Macht des Zentrums zu erhöhen. Redner sagte: „Das Ordens- und Klosterwcsen übertrifft bei uns in Deutschland, dem überwiegend protestantischen Lande, bereits das des katholischen Oesterreichs. Nach der kirchlichen Aufstellung gab es 1907 im Gebiete des Deutschen Reiches 55120 Ordenspersonen. Die Seelenzahl der Ka tholiken in Deutschland stieg in den letzten 40 Jahren um 77 Prozent, die Zahl der Ordensnicderlassungen aber um 423 Prozent und die der Ordenspersonen gar um 516 Pro zent. Auf dem Grunde eines solchen Unterbaues erhebt sich die große parlamentarische Organisation deS katholischen Volkes, das Zentrum. Und das letzte Ziel ist bei alle dem nicht der Wettstreit mit dem Protestantismus, sondern seine Ueberwindung und „Unschädlichmachung", um daS alte Wort von Professor Buß in Freiburg zu gebrauchen. Dem überstarken Ultramontanismus vermag nur ein starker Protestantismus das Gegengewicht zu halten. Ein schwacher, uneiniger Protestantismus provoziert geradezu den Angriff. Seine Schwäche ist die beständige Ursache deS konfessionellen Unfriedens. Rom hat von jeher nur vor einer realen Macht Respekt gehabt. Aber der Protestantis mus organisiert sich nicht so leicht wie der Katholizismus. Nachdem Redner so für seinen Vortrag die Basis geschaffen, ging er zum zweiten Teile desselben, der eindringlichen Mahnung zu einer starken Organisation des Protestan tismus über. Der zweite Redner des Abends, Professor I». Schi an-Gießen ging auf die Organisation speziell in der Gemeinde ein. Allerdings bildeten diese Darlegungen nur den geringeren Teil seines Vortrages; sein Haupt bestandteil bezog sich auf das Erstarken des religiösen Empfindens und die Kräftigung des Zusammenschlusses der Protestantei, in den Kirchengemeinden. Es erübrigt sich daher für uns, hierauf näher einzugehen. Politische Rundschau. Dresden, den 28. September 1S10 — Prinz Adalbert in Südamerika. Die Londoner Daily Mail erhält aus Berlin die Nachricht, daß Prinz Adalbert zu Anfang des Jahres 1911 mit dem Panzer kreuzer „Von der Tann" eine längere Reise nach den süd- amerikanischen Häfen unternehmen werde. — In der ReichstagSkommission für die ReichSver- sicherungSordnung gab am 27. d. M. Staatssekretär Delbrück die Erklärung ab. daß die Regierung den größten Wert darauf lege, daß die Reichsversicherungsordnung noch in dieser Session zustande komme, und zwar nicht nur einzelne Teile, sondern das ganze Gesetz. — Die Justizkommisiiou des Reichstages hat die erste Lesung der Strafprozeßnovelle gestern beendet. — Die „Tägl. Rundschau" meldet: Wie unS mitgeteilt wird, legt die HeereSverw«ltu«g diesmal ganz besondere» Gewicht auf den Verlaus der aviatischeu Flugwoche in Johannistal, die am 9. Oktober ihren Anfang nimmt und zu derlbekanntlich daS KriegSministerium sehr hohe Preise gestiftet hat. Von den Leistungen und Ergebnissen der Flugwoche, an der nur deutsche Flieger teilnehmen, werde« die nächsten wichtigen Entschließungen der Heeresverwaltung hinsichtlich der Ausgestaltung der Aviatik für militärische Zwecke abhängen. — Der 52. Sozialdemokrat kommt aus Frankfurt a. Q.» das die Genossen init 172 Stimmen Mehrheit erobert haben. Der bisher nationalliberal vertretene Kreis geht dadurch zu,n zweiten Male an die Sozialdemokraten verloren; 1903 siegte hier der Revisionist Braun erstmals. Der „Vor wärts" schreibt triumphierend: „Die Hoffnungen der Gegner auf Magdeburg haben sich als trügerisch erwiesen» Magdeburg war kein neues Dresden! Ter leidenschaft liche, aber würdige Austrag der Budgetfroge hat sich als Agitationsmittel gegen die Sozialdemokratie nicht ver werten lassen! Die liberalen Unglücksraben, die schon die sozialdemokratische Niederlage beschrien, werden nun vollends verstummen müssen! Nach Zschopau-Marienberg nun auch noch Frankfurt-Lebus! Der Vormarsch der Sozial demokratie vollzieht sich auf der ganzen Linie. Ein Sieg folgt dem anderen — die Empörung der Wählermassen ent lädt sich Schlag auf Schlag. Das Volk hat erkannt, wie schmählich es durch die Vorspiegelungen des Hottentotten blocks hinters Licht geführt worden ist. Und es macht für diese Täuschung nicht nur die Konservativen, die ja durch ihre Mitwirkung bei den Faschingswahlen des Jahres 1907 den Volksbetrug erst ermöglicht und die brutale Steuer ausplünderung des Jahres 1909 mit vorbereitet haben. Die geeinten Gegner haben in Frankfurt bei der Stich- wMl mit Hochdruck gearbeitet. Sie hatten sich in die Arbeit geteilt: die Konservativen bearbeiteten mit riesigem Eifer das Land, die Liberalen wühlten in der Stadt. Und dis Wahlbeteiligung war denn auch eine weit stärkere als bei der Hauptwahl. Von den Reserven wurden fast noch 3000 Mann bei der Stichlvahl mehr an die Urne gebracht. Aber von diesen Reserven entfiel der größte Teil auf die Sozial- dcmokratie! Sie gewann gegenüber der Hauptwahl 1479 Stimmen, so daß die Sozialdemokratie gegenüber 1907 nunmehr einen Zuwachs von 3409 Stimmen zu verzeichnen hat." Die Nationalliberalen scheinen den Kopf ganz ver loren zu haben; denn sonst hätte am Abend der Wahl ihr Abgeordneter Fuhrmann nicht sagen können: angesichts dieses Wahlresultates könne man bezweifeln, ob Bismarck recht getan, als er dem deutschen Volke das allgemeine, gleiche Wahlrecht gab. Daß ein Man», der sich doch mit dem Worte „liberal" drapiert, dergleichen sagt, ist wirklich ein starkes Stück und selbst die nervöse Erregung am Abend eines Stichwahltages ist kein genügender Entschuldigungs grund. — Arme reiche Leite. Die deutsche K-'Ionialgesellschaft sucht abzuflauen, nachdem sic 64 Prozent Dividende eben verteilt hat. Jetzt wird offiziell und inoffiziell die Sache so dargestellt, als sei der Diamantensegen gar nicht so groß, wie Dernbürg ihn berechnet hat: auf 1000 Millionen. Diese Zahl geht ganz allein auf den früheren Staatssekretär zurück. Das Interesse des Volke» an der Diamantenfragc ist besonders durch ErzbergerS Schrift Millionengcscl)enkc gesteigert worden; man sieht ln allen Kreisen ein, daß eine Remedur eintreten muß. Der Kriegskostenantrag ErzbergerS hat die Sympathie der weitesten Volkskreise; die Regierung widersetzt sich ihm nicht inehr. Eine Vorlage ist zu erwarten. Da ist eS kein Wunder, 1