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Sächsische Volkszeitung : 08.09.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-190809080
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19080908
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19080908
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-09
- Tag 1908-09-08
-
Monat
1908-09
-
Jahr
1908
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 08.09.1908
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1. Kaiser und Papst. Eins sich fühlend mit den Millionen katholischer Oeslerretcher in der Liebe uno An- dä.iglichkeit zum erlauchten Herrscherhause HadSburg. er- neuern die am VII. deutsch-böhmischen Katholikentage >n Rumburg vom 5. bi« 8. September 1908 zur Zweier des 60jährigen Regterung-jubtläum« Sr. Majestät Kaiser Franz Josef 7. versammelten Katholiken au« Deutsch- böhmen da« Gklöbni» patriotischer Treue zu Kaiser und Reich, sich dessen wohl bemüht, dah treue katholische Ge- sinnung die beste Bürgschaft wahrer Laterland«liede und echt österreichischen Patrioti-mu« ist. In gleicher Weise huldigt der Jubiläumtz-Katholikentag in Rumburg dem Stellvertreter Jesu Christi auf Erden und Oberhaupte der katholischen Kirche Papst Ptu« X. zu seinem 50jährigen Prtesterjubiläum und fordert alle Katholiken Deutschböhmens auf. durch ihren Kräften entsprechende Liebesgaben beizutragen zur Verwaltung und Ausbreitung der Kirche Christi auf Erden und so gleich der grohen katholischen Völkerfamilie des gesamten Erdkreises ihre Liebe und Verehrung dem Nachfolger Petri zu bekunden. 2. Katholizismus und Nation. AIS treue Söhne und Angehörige des deutschen Volke« iin Denken und Handeln erblicken die am Katholikentage in Rumburg v.r- sammelten Katholiken im Katholizismus den gröhten Wohl- täter insbesondere der deutschen Nation in alter und heutiger Zeit und geloben, treu festzuhalten am alten katholischen Näterglauben, überzeugt, dah der Katholizismus den nationalen Gedanken erhebt und läutert und vor Ein seitigkeit bewahrt, aber auch die sicherste Grundlage für echtes und rechtes nationales Pflichtgefühl bietet. 3. Der moderne Kulturkampf. Der VII. deutsch- böhmische Katholikentag in Rumburg verurteilt den von finsteren Mächten in verschiedenen Staaten angestifteten Kampf gegen die katholische Kirche und protestiert gegen alle jene Bestrebungen des mit Unrecht so genannten Frei- sinnS und FreidenkertumS. welche dahin gerichtet sind, diesen Kampf auch im katholischen Oesterreich anzufuchen und ent brennen zu lassen. Insbesondere erhebt der Katholikentag energischen Einspruch gegen da« Beisetteschieben religiöser Uebungen der Volksschule, gegen die Verunglimpfungen der katholischen Lehre und Ueberzengung in Wort und Schritt durch staatlich angestellte Lehrer und Professoren, gegen die Vergewaltigung von Hochschülern wegen ihrer katholischen Ueberzengung und verlangt auf das entschiedenste strenge Durchführung und Wahrung deS 8 1 des ReichsvolkSschul- gesetzS betreffend die sittlich-religiöse Erziehung in der Schule, sowie die vollste Gleichberechtigung katholischer Lehrer und Hörer ans akademischem Boden. 4. Modernes Wirtschaftsleben und christliche Weltanschauung. Jedem wahren modernen Fortschritt im kulturellen und wirtschaftlichen Leben huldigend, bekennt sich der VII. deutsch-böhmische Katholikentag zur christlichen Weltanschauung auch im modernen Wirtschaftsleben. Erver urteilt daher alle jene Systeme und Lehren, insbesondere den Liberalismus und Sozialismus, welche daS wirtschaftliche Leben und die gesellschaftliche Ordnung auf eine unchristliche. atheistisch heidnische Welt- und Lebensauffassung gründen oder von der christlichen Religion ganz unabhängig erklären wollen. Der Katholikentag erkennt in der christlichen Welt- anschauung und in der aus ihr hervorgehenden christlichen Stttenlehre die allein auf die Dauer haltbare und gesunde Grundlage jedes modernen kulturellen, sozialen und wirt schaftlichen Fortschritts. Er begrüßt daher alle Bestrebungen, welche dahtnzielen, das industrielle und gewerbliche Wirt schaftsleben mit christlichen Grundsätzen zu durchdringen uno insbesondere das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeit nehmerschaft im Geiste christlicher Gerechtigkeit, Billigkeit und Nächstenliebezuregeln, sowie die im modernen Wirtschaft«- leben sich zeigenden sozialen Schäden nach den Grundsätzen praktischen Christentums zu heilen, von der Erkenntnis geleitet, datz das Christentum den kulturellen Fortschritt sichert. Zu gleicher Zeit mit der Versammlung im Schützen haus tagte ini Ltadtbahnhofe eine Versammlung der kalb. Arbeiter. Der Gewerkschaftssc-kcetär Spa'.oweky präsidierte. Lange vor Beginn war das Lokal bis zum letzten Platz gefüllt und Hunderte mutzten umkehren, weil sie keinen Platz inehr fanden. Es redeten Abgeordneter Gresbert- M.-Glad bach über Christentum und Arbeiterfrage, Dr. Hemala- unseres Landes ab. lim ihn auf alle mögliche Weise z« er leichtern. dürfen wir vor feinem materiellen Opfer Halt machen. Neben der Mission des Mobilisatiousschutzes haben die Grenztruppen noch die weitere zu erfüllen, gewisse Eisen bahnlinien, Brücken, Tunnel, Bifurkationen bis zur Ans nähme der Offensive zu verteidigen. Die Errichtung von Ein- zelfestnngen zu diesem Zwecke ist heute nicht mehr genügend. Der Schutz unserer drei grotzen Schienenwege Ebalons— Metz. Pari« Stratzbnrg und Paris—Basel kann nur mit dem Ban von Fortsgrnppen erreicht werden, die einen mehrwöchentlichen Widerstand ermöglichen. IO 000 Mann Besatzung würden ansreichen, während sich zur Stunde 200 <100 Mann in den befestigten Plätzen von Montmedy bis Besain.on einschlietzen. Die lleberlegenheit unserer Methode wird damit jedem sofort klar. Es bleibt damit kein anderer Answeg, als mit dem Ban der strategisch notwendigen Stützpunkte sofort zu be ginnen. Diese Reform setzt verhältnismätzig keine hohen Kosten voran«. Es wäre zu wünschen, datz man dazu die 15 Millionen verwendte. welche man jährlich znr Unter haltung veralteter Festungswerke verausgabt. Zugleich mutz der Klassifiziernngsentwnrf Freycinets vom Jahre 1800 »nieder ausgenommen nnd verändert dnrchgeführt wer den. Verdun. Beifort, Tonl würden heute mit den Forts von Manonviller, Eognelot, Fronard nnd Pont-Saint-Vin- reut allein der ersten Klasse zngeteilt. Epinal nnd die übri gen Befestigungen des Ostens gehören von nun ab der zweiten Rangstufe an, nnd Dijon, Langres der dritten. Ge boten ist ferner, das Augenmerk auf die bisher vernachläs sigte Nordgrenze zu richte»». Diese Matznahmen stelle»» mit der normalen Ergänzung der vorhandenen Strcitkräfte der Ostgrenze das Minimum dar, das die Sorge um nnsere Landesverteidigung erheischt . . ." Wie »vir von sehr kompetenter Seite erfahren, ist wm» im Kriegsministerinm ernstlich daran, den wesentlichen, vorstehend entwickelten Gesichtspunkten Rechnung zu trr.gen. Wien über die christliche Gewerkschaftsbewegung Die Ver- sammlung naym emen vegenrerten unv gltinzvuUeu Verlaus. Vorher halte ein Delegiertentag der christlichen Gewerk schaften getagt unter den» Vorsitz de» Albeiterftkretä S Röttig-Warnsdorf.' Die materialistische Zeitrichruna und unsere Sazaubühne. Von Listksrss äaxo. II. Es bedeutet keineswegs eine Höherentwickelung unserer deutschen Bühne, datz sie in einen förmlichen Kultus von Ibsen und Björnson, von Brandes, Gorki und Tolstoi ver- fiel; es »var dies zunächst nichts anderes als eine nndeutsche, ästhetisch-literarische Verirrung, die uns übel anstand, die uns aber auherdem auch schadete. Wer hätte 1871 nach Be- gründung des neuen deutschen Kaiserreiches, nach glor- reichen, weltbewegenden Heldentaten, wohl geglaubt, dah die Epigonen für jene nordische literarische Abart und Kleinmache die Werbetrommel rühren und den Wert ihrer eigenen strahlenden nationalen Geisteskleinodien über den wertlosen Straf; nnd die Similibrillanten jener literari schen Wickinger so rasch vergessen würden! Eine Kliqne von strebsamen Rcklamekritikern, Uebersctzern und Theater- dircktoren meistens »veit östlicher Herkunft haben dein deut schen Volke die vermeintlichen Herrlichkeiten jener Nord- männer so lange angepriescn nnd einsuggeriert, daß ihm dann auch die allerstunipfsinnigsten Trivialitäten als hoher Geist, nebelige Unklarheit als ein neues Helles Nordlicht, der Jargon der Straße als „Meisterlcistung des Realis mus", als eine großartige moderne Offenbarung vorkamen. Tie Jdeenassoziationen aber zwischen Nietzsche und Ibsen sind völlig offenkundig, wie auch die Fäden, welche sich von den Lehrstühlen vieler „Kraft- nnd Stoffphilosophen" in den wirren Taumel unserer neuzeitlichen Schaubühne hin- überziehen, nlischwer zu beobachten nnd nachznlveisen sind. Tie naturalistische Philosophie ging ja davon aus, die sitt liche Freiheit des menschlichen Willens zu leugnen und sie hat ans dieser willkürlichen Grundleugnnng eine Reihe von . Gesetze»»" abgeleitet, die, »nie znm Beispiel dasjenige der „Vererb u n g ", geradezu als eine Art von Zwangs vorstellung die gesamte moderne Welt beherrschen und rück wirkend ihren sittlichen Willen in die traurigsten Fesseln schlage»». Wie eine Nachtmahr liegt dieses ungebührlich aufgebauschte und verallgemeinerte Gesetz der Vererbung drückend ans den Seelen der jetzt Lebende»», es lähmt einem unheimlichen Dämon gleich ihre ethische Willenskraft und beschattet wie eine düstere Wolke auch die zeitgenössische Literatur und Kunst-, ans der Bühne treffen »vir dieses Ge spenst nur zu oft, und Ibsen, Björnson, Brandes, Gorki. Zola und ihre deutschen Nachahmer tntti gnanti tragen, ans die Erde niederstarreiid, im Staube wühlend, schwer an dieser trostlose»» Vererbimgszwangsvorstellung. Schon die ans der umstrittenen „Teszendenzhypothese" ans der Bühne und im Gesamtleben gezogenen gefährlichen Schluß folgerungen haben uns nichts als Zweifel, sittliche Erschlaf fung und Verzweiflung gebracht, aber die maßlose Aus- schlachtnng der „Vererbnngstheorie" für die Bühne hat wohl am »»eisten zerstörend gewirkt. Der „Freien Büh n e " in Berlin, dieser geschäftigen Hebamme des natura- listischeu Dramas, »var der traurige Ruhm Vorbe halte», ans die selbstverständliche Forderung zu verzichten, datz der Dichter doch mindestens einen Meter höher stehen iiintz als sei»» mehr oder weniger verehrliches Publikum, nnd datz die Bühne ästhetische, edle Vorbilder bieten, sowie erzieherisch wirken soll. Das naturalistische Drama aber verdrängte die kost baren Werke der Weltliteratur, der Monolog ward als „siimlos" geächtet, die gröbste Sprachweise der Gasse und der Kneive bürgerte sich ein, und die gemeinsten Vorgänge wnrdei» mit breitem Behagen vorgeführt. Außer der Ver rohung der Sitte»» und des Geschmackes »nntzte auch eine schwere Schädigung der höchsten schauspielerischen Knnst- i'ihuiig die weitere Folge sein, denn derjenige Künstler, welcher Rollen ans solch rohstofflichen, gemeinen Gebieten gewohi»heit«geinätz verkörpert, wird bald »»»»fähig werden, Ebaraktcre, Helden fein ziseliert heransznarbeiten, er wird Holzhacker, aber kein Bildhauer, denn die Devise des natu ralistischen Dramas lautet: „Nur forsch drauf los, immer recht derb natürlich und alltäglich!" Solch eine verwahr loste schlotterige Literatnrrichtung auf der Bühne mag wohl gewöhnliche Knlissenreitzer und Spezialisten für Triviali täten groß ziehen, der vornehme Kiinstler aber räumt das Feld und überläßt es dem brntalen Sansculotten. Der Vorwurf, »»schöne, widerliche, sittlich bedenkliche Stoffguellen zu wählen, trifft die bei weitem meisten schrift stellerischen Vertreter des natnralistischen Dramas: ihre Reihe ist allzu lang, als datz »vir hier »nehr denn einige Proben gebe»» könnten. In Sn dermal» ns „Sodoms Ende" zun» Beispiel wird Nietzsches Bestienphilosophie so illustriert: „Bestie»» sind »vir alle," ruft der schamlose Zu hälter Jailitzow ans, „es koinmt nur darauf an, datz unser Fell schön gestreift ist: ich kann alles, ich darf alles." In desselben Autors „Johannisfener" vergeht sich Hartwig am Tage vor seiner Hochzeit mit einer anderen und trotzdem führt er die Braut ohne Skrupel ganz vergnügt an den Altar. In seinem Drama „Tie Heimat" inalt er das lockere Leben eines ganz verworfenen Weibes und widert »ns an durch die ekle Zigennermoral. Das Stück ist ganz »iid gar im Geiste von Nietzsches Morallehre „Jenseits von Gut und Böse" geschrieben, es ist sittlich-sozialer Aanarchis- »ms, die Vorbereitung und vorläufig szenisch vorgcfiihrte Probe „des Krieges aller gegen alle," der an die Stelle des „religiösen Zeitalters" die modern heidnische Periode der individualistischen Anarchie, an die Stelle Gottes das schrankenlose menschliche Teufeltnin setzen soll. In G. Han pt n» an ns Dramen wiederum spielen Trunkenheit, alkoholistische Verlumpung und Unzucht die Hauptrolle. Abstoßende Szenen auS der Hefe des Volkes, die von Tolstois „Macht der Finsternis" und Gorkis „Nacht asyl" kann» nberboten werden, und die Ekel erregende, seelenlose Wiedergabe vcrabscheunngslverter Lebensvor gänge sind hier an der Tagesordnung. Sein Stück „Vor Sonnenaufgang" ist ein entsetzliches Dokument der Zeit, ein widerliches Gemälde von Blutschande, Ehebruch, Trunk sucht und Selbstmord; die verbrauchte»» Phrasen der mate rialistischen Philosophie der Gasse und Kneipe, Jbsenscher zersetzender Kritizismus und Tolstoischer ideologischer Mo- pismus reichen sich da dir Hände, kein Hauch edlen mensch lichen Geistes und Herzens weht uns daraus entgegen, die agierenden Personen können uns nur ein zoologisches In teresse abnötigen. Wer aber diese dramatischen Zerrbilder, diese Sumpf- und Höhlenszenen zu lesen oder sie zu Stu- dienzwecken im Theater anzuschauen gezwungen ist, der nehme vorsichtshalber das Riechfläschchen mit, um ohne Ohnmachtsanfälle und Vomitive Anwandlungen eine solche Schändung der Kunst vor sich abspielen zu sehen. Der Mo rast in vielen dieser modernen Dramen ist unergründlich, und wenn in H. Bahrs „Die neuen Menschen" die Verwor fene den Liebhaber auf offener Bühne vergewaltigt, so ist die jüngste Entartung in Paris und auch in der Reichs- Hauptstadt jetzt schon so »veit vorgeschritten, daß die spielen den Personen in schamloser völliger Nacktheit aufgetreten sind. Wenn Hauptmann und andere Vertreter des Natura lismus sich später der Romantik und dem poetischen Sym bolismus des Traumlebens in ihren Stücken zuwandten, so läßt sich diese interessante Wandlung psychologisch wohl damit erklären, datz ihnen der lange Aufenthalt in der übel riechenden Stickluft des gemeinen Naturalismus andlich selbst zuwider wurde und sie sich nach reineren, höheren Sphären sehnten. Wir sind weit entfernt von der Eng herzigkeit. Musterlverke nichtdeutscher Herkunft oder die Be handlung sozialer und ethischer Probleme von unserer Schaubühne ausschließen zu »vollen: nein, man zeichne und geißle die Fehler, Gebrechen und Laster der Zeit so scharf, wie es der Mcnschengeisl und eine reine, hohe, edle Kunst vermögen, aber man versöhne auch und heile, man baue ans und bessere, man zeige den Ariadnefaden, der heraus- führt aus dem Labyrinth der Sünde und Schande und leite das geistig-sittlich, sowie körperlich erkrankte Menschenge schlecht aus den Fiebersümpfen der Leidenschaft und des gottentfremdcten Taumels hinauf auf die Höhen mit fri scher Lebenslust, zurück und näher heran zu dem himm lischen Vater und Schöpfer. Man greift in der Tat wohl nicht fehl, wenn man diesen modernen Bühnennaturalis mus als die Kunst der krankhaften Nerven überreizung bezeichnet, die, ausgehend von einer Zer störung der religiösen und sittlichen Begriffe, also von der vollen Gottlosigkeit, nun in ihren Urhebern die psycho physische Erkrankung zeigt, die sich in den Delirien nur schwarz gemalter Lebensvorstellnngen Luft macht. Die so entstandenen Bühncnwerke sind psychopathische Krankheits produkte, sie fordern deshalb weniger die Kritik als die Klinik heraus, diese naluralistischen „Poeten" drohen den Parnaß in ein Krankenhaus zu verwandeln, sie sind auch gar nicht sattelfest, und ihr Pegasus lahmt in allen Akten auf allen Vieren, er gehört ebenfalls in eine Klinik, in die hippiatrische. Daß dieser naturalistische dramatische Hypermodernis- mns fast durchgängig nicht gesund ist, zeigt sich auch schon darin, datz er bar ist allen H u m ors; seine Phantomperso- nen können wohl grinsen und Lachgrimassen schneiden, aber sie kennen kein herzliches frohes Lachen. Selbst die gewag ten Dichtungen der Ne» aissance waren mit ihren kecken Sittenschilderungen noch lesbar nnd aufführungsfähig, »veil sie mit kernigem, gesundem Humor durchsättigt waren. Und ebenso die alten Griechen und Römer: Aristophnncs, Mar tin! und Jttvenal, ja selbst Petronius wird man nicht ohne Interesse lesen können, »veil ihre gesunde Satire und ihr Humor das Aergste in ihren Schriften reinigt. Der trost lose Ernst aber oder die zynische Eisenstirn, mit welchen so viele dieser Modernen gcist-, geschmack- und gefühllos ihre Ekelhaftigkeiten aufzutischen »vagen, läßt sie eben als geistig-körperlich krank erscheinen, und der verstorbene Wie ner Psychiater Professor Mcynert machte einmal den nicht üblen Vorschlag solche Autoren sollten ihre Unsauberkeiten doch gleich auf dem Titelblatte ihrer Werke als patholo gisch bezeichnen. Dann wisse man ja im voraus, »voran man sei. Ja, sie dichten in erkünstelter Selbstüberspannung, angeblich treu nach der Natur, in Wirklichkeit aber nach den Eindrücken, die ihre zerrütteten Nerven empfange»»: es sind wahre literarische Spitalbrüder, die uns glauben machen »vollen, das ganze Leben sei so elend, erbärmlich und düster, wie es ihren getrübten Angen erscheint. Das ist aber das Wesen dieses Naturalismus, er steht völlig unter der Skla verei des irdischen, materiellen Lebens und seiner banalen Stimmungen, die er nachher als „realistisch" be namset, »veil sic für den damit Behafteten eine traurige Realität, das heißt Wirklichkeit sein mögen. Erst feierte »»an mit jauchzenden Hymnen „das blühende Para dies der Natur", an dessen Ronsseanscher Sonnenseite es keine Nacht nnd keinen Schatten zu geben schien: als dann aber der Kult des Fleisches die Folgen der Sünde zeitigte, sah man und sieht man vermöge seiner eigenen Zer rüttung jetzt in der Natur und Welt nur noch die Nacht seiten, Elend, Verbrechen nnd Schande, Krankenhaus und Totenacker. Jener scbönfärberische Naturalismus, der keine Schat ten, keine Abgründe sehen wollte, nennt sich gern „ Idea - lisinus ", und dieser pcssimistisch schwarzseherische bezeich net sich mit „Realismus": sie sind Zwillingsbrüder und beide gleich »veit von der Wahrheit entfernt. Diese bie tet nur das E h r i st c >» t n »n , das keine Fata morgana von Licht oder Dunkelheit kennt, sondern alles im ewigen Lichte göttlicher Wahrheit sieht, nicht blotz irdisches Elend »nd Sünde, sondern auch darüber hinnusschaut in den Himmel Gottes, und den» Menschen Frieden gibt. An der inneren Friedlosigkeit aber leiden diese Natura listen. Die einen suchen sich durch einen imaginären, phan tastischen, innerlich unwahren Idealismus über des Herzens Friedlosigkeit hinwegzuhclfen: die Realisten dagegen sehen das Vergebliche dieses Strebend ein und schreien nun ihr ganzes friedloses, zerrissenes, hoffnnngs- und idealloscs Innere in die Welt hinaus und schreiben es in ihre Dra men nnd Bücher hinein. Darum sind diese letzteren wahrer und ehrlicher, aber auch noch viel unglücklicher als jene Idealisten. Erstklassige Dichter zu sein, wähnen die Ver treter beider Richtungen, sie sind cs aber doch nicht, denn sie sind nicht im Zusammenhänge mit den Traditionen wah- rer, echter, idealer deutscher Knnst, ihre Werke sind ephemer, und ihre Urheber dürfen von sich nicht sagen „nnn omnix »nortar", denn ihr Ruhm ist nur kurzlebiger Tagesruhm.
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