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geteilten Plan, während der nächsten 6 Jahre Kirchenkollekten für den Bau einer evangelischen Kirche in Rom zu veranstalte». — Ueber die Ergebnisse der Finanzminister Llonferenz in Berlin bringen die offiziösen Blätter und Korrespondenzen wortreiche Mitteilungen, ohne jedoch klar und deutlich zu sagen, was die versammelten Erzellenzen beschlossen haben. Verstehen wir die Orakelsprüche der Offiziösen richtig, so sind über eine Reichsfinanzreform im großen Stile noch keine Beschlüsse gesagt worden. Man will erst abwarten, wie sich die Finanzlage auf Mund des neuen Zolltarifs und der künftigen Handelsverträge gestalten wird, (trägere Steuerpläne sind daher einstweilen auch nicht in Aussicht genommen worden. Dagegen hat inan sich zunächst über die Bilanzierung des neuen Etats verständigt und eine provisorische Finanzreforni beraten, durch welche einige Mängel des heutigen Systems, die sich ohne Rücksicht auf größere neue Einnahinen beseitige» lassen, abgestellt werden. Worin diese Mängel bestehen sotten, wird nicht verraten, und ebenso wird verschwiegen, ob und welche kleineren Steuern eine Veränderung erfahren sollen. Nur von einer Herabsetzung der vom Reichstage erhöhten Börsensteuer wird gesprochen und vorsichtig auch eine Milderung oder der gleichen der Schammveinslenec in Aussicht gestellt. Doch bleibt es unklar, ob diese Angaben mehr sind als Versuchs ballons und Wünsche der Interessenten. Jedenfalls wird man sich darauf gesagt machen dürfen, das; der Reichstag derartigen Wünschen, die nicht auf eine Entlastung der breiten Massen des Volkes abzielen, nicht allzu »villfähig sich erweisen wird, und dies umso weniger, als umgekehrt neue Belastungen gerade der ärmeren Volksschichten doch im Hintergründe lauern. Das Gleiche gilt von der liberaler- seits immer wieder an die Wand gemalten RückwärtSrevi- dierung des Börsengesetzes. — Der Vortrag des Professors Ladcnburg über den Einflug der Naturwissenschaften auf die Weltanschauung, der auf der Kasseler Versammlung der Naturforscher und Aerzte gehalten wurde, liegt jetzt gedruckt im Wortlaut vor. Bei einem Vergleiche desselben mit den seinerzeitigen Zeitungsberichten macht man die überraschende Wahr nehmung, das; bei den vielfach kritisierten Hauptstellen über die Unsterblichkeit und über den persönlichen Gott die Ver sionen erheblich von einander abweicheu, bezw. der jetzt ver öffentlichte Wortlaut stark abschwächend wirkt. Professor Ladenbnrg hat seinerzeit die Berichterstattung als unrichtig bezeichnet. Professor Bachmann in Erlangen bemerkt nun zutreffend, das; Professor Ladenbnrg mit dieser Behauptung uns vor das wundersamste der Wunder stelle, obwohl er sonst Wunder im ganzen Universum für ausgeschlossen er kläre. Denn der Zeitungsbericht bringe mehrere Sätze, die die offizielle Drnckausgabe gar nicht enthält, so z. B. die Erwähnung der Kant Laplac,'-schen Hypothese, und dag die Zeitimgsberichterstatter übereinstimmend dieses Mehr geradezu erfunden haben, wird Professor Sudenburg als nnabweisliche Konsequenz wohl selbst nicht im Ernste ver treten »vollen. Daraus folgert mm Professor Bachmann: Ladenbnrg hat die entscheidende Stelle seines wirklich ge haltenen Vortrages nachträglich geändert, ja dem Tone nach — und der Ton macht bekanntlich die Musik ins Gegenteil verkehrt. Das behaupten »vir solange, bis er mit besseren Beweisen, als mit einer bloßen Behanp- tnng. das Anrecht seiner Ausgabe auf Authentik erhärtet. Was soll man aber von der Wissenschaftlichkeit und was von dem Mut der Konsequenz in einer Weltanschauung sagen, die heute in mündlicher Rede die Vorstellung eines allmächtigen persönlichen Gottes für unvereinbar mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft erklärt, einige Wochen später aber im Druck den Glauben an einen allmächtigen Weltenschöpser für dnrchanS berechtigt angibt? - Weitgehende staatliche Fürsorge hat der vrenßische Eisenbahnminisler Budde einer Abordnung von Eisenbahn arbeitern in Aussicht gestellt. Ter Minister sagte ihnen besondere Berücksichtigung ihrer Interessen bei der gegen wärtigen Umformung der Eisenbahn-Pensionskasse zu, auch wollte er der Frage einer Anfbessernug ihrer Löhne näher- treten. Es ist ferner bekannt, das; alle deutschen Regierungen sich noch mit sehr »veitgehenden Plänen tragen, die. wie die Arbeiter Witwen und Waisenversicherung, eine auf richtige Anteilnahme an dem Wohle der deutschen Arbeiter schaft bekunden. Ob sich die vielfach befürwortete Ver sicherung der Arbeiter gegen Arbeitslosigkeit mit Hilfe des Reiches oder der Einzelstaaten wird durchführe» lassen, das lägt sich eiuslweilen iioch nicht vorhe»sehen; jedenfalls aber sind die Regierungen vom besten Willen beseelt, alle billigen Ansprüche der Arbeiterwelt zu befriedigen, und es liegt nicht an ihnen, wenn die den sozialen Frieden erschwerenden Gegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern noch nicht beglichen sind. Das sozialpolitische Verhalten der Neichsregiermig und der Regierungen der Einzelstaaten findet denn auch bereits in einzelnen Arbeilerkreiseu die ihm ge bührende Würdigung. Erst vor einigen Wochen traten Angehörige der Danziger Arbeiterschaft an den Kaiser heran, um ihm zu danken für seine aufrichtige Förderung des Arbeitenvohles. Jetzt sind die Eisenbahnarbeiter ihrem Beispiele gefolgt, die freilich außerhalb der gros;eu organisierten Arbeiterbewegung sieben. — „Der Zweck heiligt die Mittel." In der bekannten Streitfrage über diesen angeblich jesuitischen Grundsatz, welche zwischen dem Grafen Paul von HoenSbroech und dem Abg. Dasbach vor Monaten aufgeworfen ist. soll nach einer Mitteilung liberaler Blätter das Landgericht in Trier eine Entscheidung treffen. Die Klageschrift wird schon iu den nächsten Tagen an die zuständige Stelle abgehen. — Begnadigt wurde der frühere Oberleutnant Nueger. welcher durch das Oberkriegsgericht am 30. März 1901 zu einer Zuchthausstrafe von «l Jahren verurteilt worden war. durch den Kaiser für den verbleibenden Rest zu gleichdanernder Gefängnisslrase. Rneger hatte seinerzeit den Ehef der !>. Kompagnie. Hauptinann Adam, erschossen. — Dir politische Debatte im bayerischen Landtage ist nnn geschlossen. Wenn wir auf den Verlauf derselben zuiückalicken, können wir mit Genugtuung feststelleu. bah das Z-ntrnin sehr gut abgeschnitteu hat. Seine 3 Redner, II»'. Schädler, I)r. Pichler und I)r. Heine, haben vorzüglich gesprochen und nicht allein die Angriffe der Liberalen scharf Pariert, sondern auch eine ganze Reihe wertvoller Erklärungen sich vom Negierungstische geholt. Das Auftreten der Zentrmnsabgeordneteu einerseits und die Antworten der Minister anderseits lassen uns hoffen, daß in Bayern die Katholiken fortan mit wirklicher Parität behandelt werden und die Tage vorüber sind, wo der Liberalismus „die Wahrung der Personalien" nicht nur als seine Hauptaufgabe betrachtet, sondern auch diese tatsächlich iu der Hand hatte, so dag den überzeugten Katholiken der Zugang zu manchen Staatsstelleu einfach verriegelt war. Es sind deshalb die Ausführungen des protestantischen Ministers des Innern, Freiherrn v. Feilitzsch, doppelt zu unterstreichen. Sie lauten: „Der rechte Mann am rechten Ort! Ob er Katholik oder Protestant ist. darum kümmert sich die Regierung nicht und die Bevölkerung kümmert sich auch nicht darum, ihr kommt es auf die Tüchtigkeit der Beamten an." Auch der neue Kultusminister v. Wehner versichert wiederholt, das; volle Gleichberechtigung beider Konfessionen der Mag- stab seiner Amtsführung sein werde. Nnn müssen diesen Zusicherungen die Taten folgen. Wir zweifeln nicht im Mindesten, das; das bayrische Zentrum gerade darauf sein Augenmerk richten wird. Man hat in der letzten Zeit so viel geschrieben über die Haltung des bayerischen Kabinetts. Eines ist durch die Verhandlungen klargestellt: Die neuen Minister haben die Absicht, sich gegenüber dem katholischen Volke freundlicher zu stellen, als ihre Vorgänger und den bestehenden Beschwerden abzuhelfen. Hoffentlich hindert sie nicht das Bleigewicht der Tradition und die Ueber- bleibsel des früheren Ministeriums an der Ausführung dieser Vorsätze. Dem Freiherrn v. Feilitzsch und dem Herrn v. Riedel wird es nicht leicht fallen, der Praris von Jahr zehnten zu entsagen: deshalb müssen sich um so strammer die neuen Minister ins Zeug legcn. Das katholische Volk aber kann aus dieser Debatte ersehen, das; seine einmütige Stellungnahme nicht ohne Wirkung ist. Wir sind der festen Ueberzeugung, das; ohne die Kundgebungen desselben vom Ministertisch ein andrer Ton erklungen wäre, für die Katholiken weniger angenehm zu hören. Heutzutage er reicht im politischen wie im wirtschaftlichen Leben nur der jenige etivas, der sich rührt und bei Gelegenheit auch die Ellenbogen gebraucht, um sich die nötige Freiheit zu ver- schaffen. — Die Partcigründung der Anhänger der „Christ- lichrn Welt" wird in der „Allgem. evaugel.-lutherischen Kirchenzeitung" <Nr. 13» als sehr bedenklich angesehen. Das Blatt schreibt darüber: „Es gehöre seit Jahren zum eisernen Bestand der „Ehristlichen Welt", alles iu ihre Spalten aufzuuehmeu, was geeignet war. den alten Ehristenglaubeu zu untergraben; die Weitherzigkeit kannte in dieser Beziehung keine Grenzen. Hier galt nicht Alter und Jugend, nicht Gelehrsamkeit oder Halbbildung, nicht Mann oder Weib: jeder war zur Mitarbeit willkommen, der an diesem Werk der Auflösung sich beteiligte, »venu er nur gewisse Salouformen halbivegs zu beobachten wus;te." Die „Evang. Kirchenzeitung" urteilt also: „Was die Ritschlianer »vollen, ist ja auch bekannt; sie »vollen au Stelle der evangelischen Bekenntnisse ihre Anschauuugeu setzen, statt der Heiligen Schrift soll ihr kauonisches Buch. Harnacks Wesen des Ehristentnius, Geltung haben, auf Katheder und Kanzel soll statt des Evangeliums der Nitschlsche „Glaube" herrschen; mit einem Worte, statt des christlichen Glaubens soll der Unglaube, wie zu den Zeiten des alten Rationalismus, die Herrschaft haben. Mau rüstet sich zu neuen, entscheidenden Angriffen. Dazu hat man sich straffer organisiert. Und die Zeit hält man für „reis". — Es ist wohl nur ein Kampf innerhalb der theo logischen Kreise, allein es ist ihm vollste Aufmerksamkeit zu schenken, »veil dieser Kampf zwischen Glauben und Unglauben im deutsch protestantisch-'u Volke entschieden wird. Oesterreich-Ungarn. Graf Tisza und sein Programm. Was bis zur Stunde ans der liberalen Partei verlaulet, und namentlich Aeiißerimgen von Männern wie Szell und Lukacs, die bisher immer für sehr weitgehende nationale Forderungen Plaidierten, lassen das Schlimmste befürchten. Szell ver sicherte gestern bezüglich des Tiszaschen Programmes, „jeder ungarische Patriot könne dasselbe mit dem ruhigsten Ge wissen akzeptieren", und Herr v. Lukacs erklärte sogar das Programm als ei»»e „große nationale Errungenschaft, welche alle gehegten Erwartmigen übersteige. Es sei dem Grafen Tisza gelungen, dieses Programm mitzubringen, und man könne dasselbe nur dankbar akzeptieren." Die Zugeständ nisse, welche die Krone machen will, sind noch nicht bekannt geworden. Allein sie scheinen nicht gering zu sein. Es soll sogar der Satz darin enthalten sein, das; der Gesetz gebung die Rechte der Feststellung der Konunandosprache zustehen. — Als einzelne Minister werden im Kabinett ge nannt: Tisza, Inneres; Hierouymi, Handel; LukacS, Finanzen; Berzeviczy, Kultns; Kolossvary, Honved. Belgien. — Ueber die Ursachen der sozialdemokratische» Nieder lage bei den belgischen Gemeindcwahlc» schreibt man der „Kreuzztg." folgendes: „Vor vier Jahren eroberten die Sozialdemokraten unter einem wahren Triumphgeschrei eine ganze Reihe von bedeutenden Jndustrieorten in den beiden Provinzen Hennegan und Lüttich, und da in Belgien die kommunale Gewalt sich fast in einem völligen Unabhängigkeitsverhältnis zur Regierung befindet, so waren diese wichtigen Gemeinwesen den gefährlichen sozialistischen Erpenineiiten schonungslos preisgcgeben. So kam es, daff in den von Sozialdemokraten beherrschten Gemeinwesen der Versuch gemacht wurde, kollektivistische Zustände einznführen. Beamtcngehälter wurden willkürlich herab- und heranf- gesetzt, die Reichen durch Konnnnnalstcncrn ansgeplündert, die Kinder der Arbeiter in den Gemeindeschnlen nicht nur unterrichtet, sondern auch genährt und beherbergt. Die Gemeindekasse wurde zur Unterstützung von Ansständen herangezogen. Schließlich trat natürlich in der Gemeinde kasse der sozialdemokratischen Kommunalvcrwaltnngen eine derartige Ebbe ein. daß - die Gemeindebeamten, Polizisten, Lieferanten und so »veiter nicht mehr bezahlt werden konnten. Der Bankerott stand vor der Tür. Da vereinigten sich Liberale, Radikale und Katholiken zu einein antisozialistischen Bündnis, steckten ihr Parteiprogramm vorläufig in die Tasche und warfen bei den Wahlen die sozialdemokratische Mehrheit aus den Rat häusern hinaus. Die Sozialdemokraten verloren so wieder alle Mandate in den wichtigsten Industriestädten. Den Verlusten steht nicht der geringste Gewinn gegenüber und die Genossen ziehen ab wie die nassen Pudel!" Frankreich. — Die radikale Linke der Deputirteukammer will die Aushebung der Ermächtigung zum Schulunterricht verlangen, welche einzelnen Kongregationen gegeben wurde. Gnglanv. — Ans Kanada kommt die Nachricht, die dortige Negierung »volle der Kapkolonie dieselben Zollvergünsti gungen gewähren, »vie England, wenn es Gegenkonzessionen mache. — In vielen Gegenden Englands sind durch außer gewöhnlich heftige Negenfälle Hunderte von Onadratmeilen unter Wasser gesetzt. Die Landwirte sind schwer geschädigt. Die Hanptflüsse traten über ihre Ufer und verursachten ge waltigen Schaden. Die mittleren und nördlichen Graf schaften haben ganz besonders gelitten. Spanien. — Die Konsuln der Mächte ersuchten den Mliltär- gonvernenr von Bilbao für die Sicherheit der im Hafen liegenden ausländischen Schiffe Sorge zu tragen. — Der Generalverband der Grubenarbeiter hat Fortsetzung des allgemeinen Ansstandes beschlossen. Zwischen Arbeitern und dem Militär kam es zu heftigen Znsammenslößen, bei denen zahlreiche Personen Verletzungen erhielten und 5 Arbeiter getötet wnrden. Die Truppen bewachen die Banken und öffentlichen Gebäude und halten strategische Punkte in der Umgebung der Stadt besetzt, mn die anSständischen Gruben arbeiter am Betreten der Stadt zu verhindern. — Auf eine Anfrage über die Vorgänge in Bilbao gab der Minister präsident im Senat eine Schilderung der von den Aus ständigen verübten Ausschreitungen und rechtfertigte die ge troffenen strengen Maßnahmen. In der Kammersitznng gab Villaverde eine ähnliche Erklärung ab und stellte den Antrag auf Vertagung der Verhandlung, dein die Kammer znstimmte. Balkan. — Dem Blatte „«tampa" zufolge befindet sich der serbische Oberstleutnant Mihailo Jankowitsch in der Garnison Kujazeivatz wegen disziplinwidrigen Verhaltens in Unter suchung. Er soll den Offizieren gegenüber den Plan ge äußert haben, »nan solle sich durch einen Handstreich der Festung Schabatz oder Nisch bemächtigen, um eine neue Aktion gegen die alten Verschwörer zu inszenieren. In Offizierskreisen wird die Sache nicht ernst genommen und Jankowitsch als überspannt hingestellt. — Das österreichisch- russische Neformprogramin schreibt u. a. anch die Ernennung österreichischer und russischer Beisitzer für die Verwaltung Mazedoniens vor. Darüber soll die türkische Regierung wenig erbaut sein, sie meint, dadurch würde der türkische Einfluß ans Mazedonien ganz heransgedrängt werden. Aber anch in Bulgarien ist man damit nicht zufrieden und behauptet, daß die beiden Großmächte sich nicht im ge ringsten um die bulgarischen Interessen kümmern würden. Das dürfte nicht unrichtig sein. Aus Stadt und Land. Dresden, den 29. Oktober 1903. * Nach aus Sybillenort eingegangenen Nachrichten ge denkt Ihre Majestät die Königin-Witwe am 3. November, vormittags, von dort wieder abznreisen und nach Dresden- Strehlen zurückznkehren. * Ungiltige Wahl? Im 29. ländlichen Landtags wahlkreise (Rochlitz nsiv.) soll in einein Dorfe die Wahl auf Grund der alten Hebelisten stattgefnnden haben und deshalb beanstandet werden. Gewählt war Fritzsching lkons.). * Im Kath. Bürgerverein hielt Mittwoch abend Herr Schulleiter Salmann einen Vortrag über die Frage: „Was soll ein Arbeitgeber und Familienvater vom Kinder- schntz wissen?" Vorher brachte der Vorsitzende Herr Andersch dem genannten Herrn die Glückwünsche des Bürgervereins zu seiner Wahl zum Schulleiter an der 3. Bezirksschnle dar. Vortragender verwirft durchaus nicht die Kinderarbeit im allgemeinen, da diese sehr wohl erzieherisch wirke, die Kinderarbeit habe aber einen Umfang angenommen, der erschrecken lasse. So seien z. B. in Sachsen 23 Prozent der Kinder bereits tätig. Landwirtschaftliche Arbeit sei noch die erträglichste, viel schlimmer sei es iin Hausge werbe. in der Schankwirtschaft lKegelanfsctzen), in Handel und Industrie. Fast keine Erlverbsbranche sei mehr vor handen, die nicht starke Prozentsätze an Kinderarbeit auf weise. Außer ganz unpassender Arbeit wirke die lange Arbeitszeit verderbenbringend. So waren in Chemnitz allein über 1200 sehr jugendliche Kinder über 4 Stunden tätig; am Sonntag ist die Kinderarbeit vielfach noch länger als an den Wochentagen. Das, was dem Kind für Wachsen und Gedeihen unbedingt nötig ist, »vird ihm durch die ständige Arbeit meist entzogen: genügender Schlaf, freies Spiel, gesunde Luft nsiv. DaS ist der volle Raubbau an den künftigen Generationen. Schlimmer noch wirkt jeden falls die geistige Abschlaffung der Kinder durch die Ueber- anstrengnng. Die sittliche Abstumpfung liegt in vielen Kinderbernfen auf der Hand, z. B. bei Schankwirtschaft und Laufbnrschcndicnsten, wo das Kind nur zu leicht in die Unehrlichkeit fällt. Ein arbeitendes Kind wird aller dings sehr früh selbständig, aber gerade das ist sein Ver- derb, denn reif ist eS doch nicht, eS besitzt vielinehr meist eine vergiftete Frühreife. Wie schnell der Familienzu- sammenhang dann aufgegeben »vird, bedarf keines Beweises. Redner erläutert dann die Geschichte der AgitationS- und GcsetzeSarbeit zum Schutze der Kinder, die durch das neue Gesetz, giltig vom 1. Januar 1904 an, zu einem vorläufigen Abschluß gekommen ist, und erklärte die Bestimmungen des Gesetzes ausführlich unter Anfügung erläuternder Beispiele. Zum Schluß gibt Redner seiner Zuversicht Ausdruck, daß noch weitere Schntzbestimmnngen für die Kinder sich mit der Zeit finden lassen würden; dann sei aber auch ein Schutz der Frauen gegen übertriebene Fabrikarbeit nötig. Die Hauptaufgabe für endgültige Lösung dieser Fragen falle in erster Linie dem steigenden sozialen Verständnis des Volkes und seinem Mitwirken zu. Durch Erheben von den Plätzen dankten die Anwesenden für die ebenso instruk tive wie zeitgemäße Aufklärung. Herr Andersch gab noch