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Nr. 8S - Ltt. Jahrgang DienStag den LI. April 1V11 erscheint täglich nachm, mit Ausnahme der Sonn- und Festtage. Audgabe X mit .Dte Zeit in Wort und Bild' vterteljabrltch 2,10 4e. In Dresden durch Boten 2 40 In ganz Deutschland frei Haus 2 52 4^: in Oesterreich 4,4» lO AuSgabe N ohne illustrierte Beilage dtertelitihrlich I.XO 4t. In Dresden durch Bote» 2,10 4t. In ganz Deutschland frei Haus 2,22 4t; in Oesterreich 4,07 L. - Linzet-Nr. I« 4 Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserate werden dte Sgespnitene Petilzeile o»er deren Raum mit 15 4. Rellamen mit 5» 4 die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechende» Rabatt. Bnchdrnikeret, Redaktion und Veschäftsstellr! Dresden, Ptllnttzer Strafte 4». — Fernsprecher ISS« J8rRückgabe unverlangt. Lchrtftstückekeineiverbtudltchkett Redaktion«.Sprechstunde: II btS 12 Uhr. Sotiokolaclon, dlarripuo, äokotrolacivn, diureipan, L'onrtaai., (4vloo sie. oio. ::: ^iirappsn ot.L. oiv. ::: «8r«« «IL« «8VK« Qonkvn»»«^«» «1e. ßs08okm»ekvoN IQ »Hon Urviültt^vn. «LLQIXN L »<»OLL8r««LL in »llon 8t»ät.t.o»Ivn. I4K1 Die Nolwendigtett der konfessionellen Standesvereine auf dem Lande. Je mehr sich die Industrie aufs Land hinausschiebt, je leichter und billiger die Verkehrsbediugungen vom Lande in die Stadt werden, desto mehr siedelt sich auch in den länd- iici>en Gemeinden industrielle Bevölkerung an. Unsere Jndustriebevölkerung ist in einem gewissen Dezentrali- jationsprozeß begriffen. Das ist im Interesse dieser Be völkerung gar sehr zu begrüßen; denn ein gut Teil sozialer Unzufriedenheit stammt aus der entsetzlichen Wohnungs not, die sich in unseren Großstädten breitmacht. Wenn z. B. in Rixdorf im vorigen Jabre 60 Prozent der Schul kinder aus Mangel an Licht und Luft nicht bloß schwächlich, sondern wegen Krankheit in ärztlicher Behandlung wai i, so wirft diese Tatsache auf das großstädtische Wohnuirgs- clend ein geradezu erschreckendes Licht. Und wenn in der Großstadt auch der gut entlohnte Arbeiter sich mit einer Wohnung begnügen muß, welche nicht einmal den be scheidensten Ansprüchen an Licht und Luft entspricht, so ist klar, daß dadurch die Zufriedenheit mit den Lebens- öedingungen nicht gerade gefördert wird. Dadurch aber, daß jetzt eine stets wachsende industrielle Bevölkerung sich aufs Land hinausschiebt, wird eine gewisse Beunruhigung in die ländlichen Kreise hineingctragen. Neben der eingesessenen Bevölkerung taucht ein neues Ele ment auf, das sich geltend machen will; es kämpft um Ein fluß und Ansehen, es ist fortschrittlich und bildet deshalb einen Gegensatz zu der friedliebenden, in den Wegen des Herkommens wandelnden Landbevölkerung. Daraus er geben sich dann nicht selten Reibungen und Schwierigkeiten. Sind solche Schwierigkeiten notwendig? Es wird ja in dieser harten Welt niemals ohne Kämpfe und Reibungen abgehen: aber wir denken, daß da, wo noch christlicher Sinn in der Bevölkerung lebendig ist, dieser christliche Sinn über alle Schwierigkeiten schließlich hinweghclfen muß: daß da ein Wort der vernünftigen Aufklärung und der gute Wille, sich gegenseitig zu verstehen, das beste Mittel ist, ein fried liches Zusammenleben und ein einträchtiges Zusammen wirken zu ermöglichen. Seien wir uns also zunächst klar darüber, wie sehr es zu einer gesunden Entwicklung unseres Gesamtvolkes bei trägt, daß die weitere Massenansammlung in den Groß städten mit ihren engen Arbeitervierteln verhütet wird, daß unseren Landkindern, die in die Industrie abwandern, die Möglichkeit erhalten bleibt, daheim noch ihr Häuschen und ihre Scholle zu besitzen, daß ihren .Kindern noch die Mög lichkeit bleibt, sich in Gottes Natur zu tummeln! Seien wir uns ferner klar, daß der i n d u st r i e l l e Arbeiter — und nur von diesem spreckfen wir, em anderer Mensch ist als der landwirtschaftliche! Er steht in keiner persönlichen Fühlung mit seinem Arbeitgeber: man verlangt bloß von ihm, daß er seine bestimmte Zeit einhalte, die bestimmte, festumgrenzte Arbeit tue: im übrigen ist er frei, sich selbst überlassen. Niemand fragt nach seiner reli giösen und politischen Betätigung, fragt, wo und wie er den Sonntag verlebt, kümmert sich um seine Familieverhält nisse. Dazu kommt, daß der ständige Verkehr mit der Stadt und der fortschrittlichen Stadtbevölkerung ihn sicher macht im Auftreten, daß das Disputieren aus der Arbeitsstätte ihm Routine bringt in der Aeußcrung seiner Meinung. Er hört und sieht, daß die städtischen Arbeiter sich in Politik und sozialer Bewegung selbständig betätigen. Er fühlt das Bedürfnis der Weiterbildung. Das tut ihm zunächst mal die ganze Art seiner Arbeit an. Die Jndnstriearbeit ist ja an sich viel mechanischer, viel geisttötender als die land wirtschaftliche: was sie interessant und zu menschlicher Ar beit macht, das ist die Kenntnis ihrer Gesetze und Zu sammenhänge. Der denkende, bessere Industriearbeiter wird danach streben, diese kennen zu lernen. Daneben bildet Politik und Sozialpolitik ein Gebiet, für das sich der auf- strebende Arbeiterstand naturgemäß interessiert. Endlich sind die religiösen Fragen der Gegenwart so zahlreich und treten infolge der sozialdemokratischen und freidenkerischen Hetze so unmittelbar an den Arbeiter heran, daß er unbe dingt Belehrung suchen muß. Dazu kommt endlich, daß die wirtschaftliche Organisation auch die ländlichen Industrie arbeiter in immer stärkerem Maße erfaßt und erfassen muß. Die Sozialdemokratie bemüht sich um dieselben, wollen sie nicht fortwährenden Agitationen und Schikanen a,lsgesetzt sein, so müssen sie sich der Organisation anschließen, und wollen sie nicht an ihrem christlichen Glauben und an ihrer christlichen Lebensführung Schiffbruch leiden, so kommen für sie bloß die christlich-nationalen Organisationen in Betracht. Der unorganisierte Arbeiter bildet je länger desto mehr die unterste, zurückbleibende Schicht des Arbeiterstandes. All diese Dinge führen dazu, daß auch im ländlichen Industriearbeiter das Standesbewußtsein hereinreift, daß er sich bewußt wird: ich gehöre zu einem prächtigen, empor strebenden. leistungsfähigen Stande, der ein gewichtiges Glied in der Gesamtheit bildet. Daß damit der Arbeiter auch Rechte beansprucht, welche für andere Stände unbe stritten sind, ist selbstverständlich. Er fordert seinen Ein fluß im Gemeinderat. Er will mitplanen z. B. in Schul angelegenheiten, in Fragen des Wohnungswesens, der Ver- kehrseinrichtungen: er ist besonders an de» gemeinnützigen Veranstaltungen der Gemeinde interessiert, am Bau eines .Krankenhauses und dergleichen. Nicht weniger interessiert ihn auch die Schule: er hat ja das Bewußtsein — und mit Recht —, daß es seine Schule ist; er will auch Freude daran haben, mich kundgeben, daß er gerne für die Schule seine Opfer bringt. Darum möchte er seine Vertreter im Ge meinderate und Schulvorstande haben. Das Gefühl der Unabhängigkeit läßt ihn sodann for dern. daß er bei politischen Wahlen nicht bloß an der Wahlurne gern gesehen wird, sondern daß er auch mitratet, daß er zur politischen Organisation seine Vertreter stellt. Endlich fühlt auch der ländliche Industriearbeiter, wie notwendig ihm die tiefere religiöse, soziale, poli tische Schulung ist, daniit er draußen auf der Arbeits stätte gegen sozialdemokratische und freidenkerische Angriffe und Anwürfe gewappnet sei. So entsteht aus der Lage des Industriearbeiters die Notwendigkeit eines alle Arbeiter umfassenden konfessionellen Standes vereins, auch in ländlichen Gegenden. Auch dafür müssen dis anderen Stände Verständnis haben, daß der Arbeiter verein einfach ein dringendes Erfordernis der neuen Zeit ist. Und wo er nicht möglich ist, da sollen und müssen sich die Industriearbeiter wenigstens zu einer losen Gruppe, etwa im Anschluß an den Volksverein, zu- fammenschließen und von Zeit zu Zeit ihre Meinung über wichtige Zeitfragen austauschen, ihre konfessionelle Zeitung lesen ilnd besprechen, damit sie für ihre Aufgaben, nicht in letzter Hinsicht auch für ihre religiösen Aufgaben geschult werden. Polltische Rundschau. Dresden, den 10. April ISl l. — Der Kaiserbrsnch iu London erfolgt aus Grund einer handschriftlichen Einladung des Königs von England; das Schreiben an unseren Kaiser war sehr herzlich gehalten. — Die Kronprinzessin in Aegypten. In einer Anzahl von Zeitungen wird behauptet, daß die Kronprinzessin während ihres Aufenthalte in Kairo nur mit Engländern verkehrt und nur englisch g sprachen habe. Diese Meldung ist, wie man unS au« Kairo mittetlt, unzutreffend; die gesamte deutsche Kolonie wurde eingeladen. — Die silberne Hochzeit de« wiirttembergischru Königs- paare«. In Gegenwort der hier anwesenden Fürstlich- leiten, darunter des Großherzogpaares von Baden, des Herzogpaares von Sachsen-Altenburg, de« Prinzen Johann Georg von Sachsen, des Fürsten und der Fürstin zu Waldeck-PyiMont, der Mitglieder der standeSherrlichen Familien, der Minister, der Generalität, des Hofstaates, der Diplomatie usw. sand am 8. d. M. vorm. lO'/z Uhr im Großen Marmorsaale des RestdenzschlosscS die kirch liche Feier der silbernen Hochzeit des KönigSpaareS statt. Oberhosprediger Dr. v. Kolb hielt die Ansprache auf Grund der Worte: Bis hierher hat uns Gott geholfen. Nach der kirchlichen Feier fand im Thronsaale die große GratulationS- cour und um Uhr Familienfrühstücks- und Marschall. tafcl statt. Nachmittag trat das Königspaar im Gala- wagen eine Rundfahrt durch die festlich geschmückte Stadt an. Im zweiten Wagen folgte das Fürstenpaar zu Wied mit seinen Kindern. Der Verkehr auf den Straßen von Stutt gart. wo au« Anlaß des JubeltageS aller Orten Musikchöre spielten, war so gewaltig, daß zeitweise der Verkehr völlig stockte. Das Publikum brachte dem Königs- paar überall stürmische Ovationen dar. Nachdem die Fürstlichkeiten in den Wilhelmpalast zurückgekehrt waren, versammelte sich eine nach Tausenden zählende Menschen menge vor dem Palast. DaS Königspaar erschien wieder- holt auf dem Balkon, um für die Huldigungen zu danken. Der preußische Gesandte v. Below hat dem König und der Königin zur silbernen Hochzeit ein sehr herzlich ge haltene» Glückwunschschreiben de« deutschen Kaisers überreicht. Abends fand da» große Galadiner statt. Der Großherzog von Baden brachte den Trinkspruch auf das Jubelpaar; ihm antwortete der König. Nach Aufhebung der Tafel fand im Marmorsaale großer Empfang statt, hierauf die Huldi- gung der dem Schwäbischen Sängerbund angehörenden Vereine Groß-Gtuttgart» im Schloßhof unter Leitung de« Professor« Förstler. In da» auf das König-Paar auSge- brachte Hoch stimmte die auf dem Schloßplatze angesammelte ungeheure Menschenmenge begeistert ein. Den Abschluß des Festtage» bildete da» von der Stadtgemeinde auf dem Schloßplatze veranstaltete großartige Feuerwerk. — Staatssekretär v. Kidrrleu-Wächter reist am kom- menden Mittwoch nach Stuttgart in die Osterferien ab. Die neuere Entwicklung der Marokkofrage gestattet nicht daß er außer Landes geht. — Der General brr Infanterie Graf v. Kirchbach, kommandierender General des 5. Armeekorps, ist zum Präsidenten des ReichSmilttärgerichts und Generalleutnant v. Strantz, Kommandeur der 2b. Großherzoglich hessischen Division in Darmstadt, unter Beförderung zum General der Infanterie zum kommandierenden General des b. Armee- korps ernannt worden. — Da« preußische Herrruhau« erledigte am Sonntag die Etatsberatung. Die einzelnen Etatstitel wurden in rascher Folge erledigt und Io konnte das Hau» in dte Osterferien eintreten. Die nächste Sitzung soll in der zweiten Hälfte des Mai stattfinden. — Drutsch-schwrdischer HaudrlSvertrag. Am Donners- tag wurde laut amtlicher Mitteilung der Entwurf eine« neuen deutsch-schwedischen Handelsvertrages von den beider- fettigen Delegierten unter Vorbehalt einiger noch unerledigter Punkte paaphiert, über welchen die beiden Regierungen sich die Regelung im Korrespondenzwege Vorbehalten haben. Es handelt sich noch um vier bedeutsame Fragen: Zoll auf Pflastersteine, Rand- und Bordsteine, Fensterscheiben rahme». Preiselbeeren und Ausfuhr der schwedischen Eisen erze. Die Verhandlungen hierüber werden noch mehrere Wochen dauern. — Dermi« brr Reich«ta»«wahleu. Nach der Meldung liberaler Blätter soll ein „zuständiger BundeSratSausschuß" beschlossen haben, daß die Neuwahlen im Oktober statt finden. Diese Meldung ist rundweg erfunden; einen solchen BundesratSauSschuß gibt es gar nicht. Selbst wenn der Reichstag aufgelöst würde, hat nur das Plenum de» Bundes zu entscheiden. — Eine Regel«», be« Buchmacherwese«« haben die Zentrumsabgeordneten Speck und Erzberger im Reichstage verlangt, da die Auswüchse sich mehren. Nach dem be stehenden Gesetze sind die Buchmacher straffällig, da es verboten ist, bei diesen Wetten anzumelden. Nunmehr sind Konferenzen eingeleitet, um gegen die Buchmacher scharf vorzugehen. — Lassrrmau» soll abgesiigt werbe«. Die „Alldeutsche und Deutsche Tageszeitung" erklärt: „In der Tat glauben wir denn auch au» bester Quelle zu wissen, daß nicht nur dte rheinisch-westsälische Großindustrie aus einen Wechsel in der Führerschaft der Partei hindrängt. Wir glauben recht unterrichtet zu sein, wenn wir sagen, daß die Abg. Friedberg und Schiffer als Gegenkandidaten gegen Herrn Bassermann ernstlich in Frage stehen. Daß die rheinisch- westfälische Großindustrie mit der gegenwärtigen im jung liberalen Fahrwasser segelnden Führung der Nationallibe ralen und mit deren Annäherung an die Linksliberalen und die Sozialdemokraten nicht einverstanden ist. war längst bekannt, auch in der rheinisch-westfälischen national- liberalen Korrespondenz mit ausreichender Deutschlichkeit und wiederholt kundgegeben. Auch in anderen Kreisen wächst die Rebellion und immer größer werden die Fähn lein im nationalliberalen Lager, die sich gegen Bassermann erheben. So meinen jetzt dte „Schlesischen Nachrichten", ein nationalliberales Parteiorgan, im Hinblick auf die retchsländischen VerfaffungSfragen: „ES ist zu hoffen, daß dte leider nur zu sehr begrün deten nationalen Besorgnisse innerhalb der nationalliberalen Partei noch deutlicher sich bestätigen und endlich auch der nationalliberalen Parteileitung zum Bewußtsein bringen, was hier in der elsaß-lothringischen VerfassungSsrage an nationalen positiven Werten in Frage steht. Wir können uns gar nicht vorstellen — damit möchten wir nun eine besorgte Frage der nationalliberalen „Dortm. Zeitung" beantworten —. daß die immer stärker werdenden natio nalen Proteste au» nationalliberalen Kreisen ungehört und unbeachtet im großen Papierkorb der Berliner Zentral- leitung verschwinden und daß der nationalliberale Führer Bassermann glauben kann, damit wirklich der national liberalen Partei einen Dienst zu erweisen. ES ist ein Werk einer jedes WirklichkettSstnnS entbehrenden nationalen Ver trauenSseligkeit, was da in Frage steht, ein schwerer Fehl gang deutscher Politik, dessen Scheitern eher Nutzen, sicher lich aber keinen wirklichen und nicht wieder gutzumachen den Schaden bringen kann, wie sein Zustandekommen solchen sicher voraussehen läßt." Wie wir in dieser Angelegenheit erfahren, wollen die Nationalliberalen nach Ostern in der reichsländischen Ver- fassungsfrage total umschwenken; sie machten die Sache mit, solange sie sahen, daß das Zentrum durch die Wahl- kretSeinteilung entrechtet werden sollte, wenn nun eine ge setzliche und gerechte Einteilung der Wahlkreise zustande kommt, so wollen die Nationalliberalen der Opposition im eigenen Lager nachgehen und sich gegen da» ganze Werk aussprechen. Der Reichskanzler ist von dieser Ent wicklung der Dinge wenig erbaut. — Eine erneute Mahnung der Regierung in der elsaß- lothringischen VerfassungSsrage. Die „Nordd. Allgem. Ztg." schreibt zu der Rede des Herrn v. Köller im Herren hause über die elsaß-lothringische Frage: „Die Kritik, die Herr v. Köller auf Grund seiner Straßburger Verwaltungscrfahrungen an der Aktion der Neichsregierung geübt hat, wird voraussichtlich auch bei den weiteren Reichstagsverhandlungen erörtert werden. Sein«