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»2 Ilses Blick gewann wieder Leben, und ihr roter Mund schürzte sich zu einem bezaubernden Lächeln. „Sie täuschen sich mein Herr, ich habe nichts zu verbergen, und meine liebste Freundin ist mein Mutti. Als einzige Tochter des Hauses werde ich weit über Gebühr verzogen und verhätschelt. Mama und Papa wetteisern mit ihren Liebesbeweiseu gegen mich, und selbst mein Bruder Theodor be weist mir aus der Ferne, das; er mir zärtlich zugetan ist. Ich denke, mit einer solchen Fülle von Glück und Liebe kann mau wohl zufrieden sein, nicht wahr?" Jetzt war es au ihm. zu erblassen, sein Gesicht war tiefernst geworden. „Sie besitzen Eltern und Geschwister, o, wie glücklich können Sie sein! Ich — bin ein einsamer Mensch. Ach. es ist lange her. das; mich mein Mütterchen hegte und mich ihren Bubi nannte. Sie ging gar zu früh von mir. und bald genug mußte ich die Wahrheit eines alten Sprichwortes au mir erfahren, das da sagt: Tie Mutter verloren — die Eltern verloren." „O. wie traurige Gedanken habe ich da in Ihnen angeregt, bitte, ver- zeihen Sie mir." Ilse seufzte, „das Leben ist oft so schwer und trostlos, das müssen wir alle erfahren, mein Herr, und einmal kommt wohl für jeden die Prüfung, wo es den Beweis zri führen gilt, das; der Sinn lauter und der Wille stark ist." „Ja." sagte er ansatmend. „und wer sich bewährt, für den kommt auch wieder blauer Himmel und Sonnenschein; jedes Leid nimmt ein Ende, und alles ist dem Wechsel unterworfen." Ilse dankte ihm in ihrem Herzen für diese Worte, die ihr wie eine Verheißung klangen, und dann, dicht vor der Stadl, verabschiedete sie sich von ihm. Die Sterne funkelten mit all dem Glanz, der ihnen im Frühherbst eigen, eine weiche Luit strich über die kahlen Felder. n»d hier, wo bereits Gartenland war, blühten rote und weis;e Georginen, bunte Astern und gelbe Strohblumen, ei» freundlicher Anblick, der Ilse aber heute wehmütig stimmte. Ihre Hand lag in der des Fremden. Beider Blicke wandten sich zu gleich einem bestimmten Punkte zu. und als Ilse den fragenden Ausdruck des jungen Mannes sah, erläuterte sie: „Schloß Blankenstein — wie romantisch es von hier aus steht!" Der imposante Bau, in der Nähe hinter dem Gewächshause und Buschanlagen fast versteckt, kam erst ans dieser Entfernung zur Geltung. In den hohen Bogenfenstern spiegelten sich die Mondesürahleu und die Erker und die Türen schienen einer Burg, einer altbewährten Beste an- zngehören. „Schloß Blankenstein", wiederholte der Fremde weich, und wie selbst vergessen ruhte sein Auge auf dem grauen Schieferdach, das jetzt fast weis; erschien. „Lind glückliche Menschen dort?" „Der Besitzer ist ein Greis, arm und beklagenswert trotz seines Reich tums. Er verzehrt sich in Sehnsucht nach seinem einzigen Sohn, den er einst, vor langen Jahren verstieß." „Wie, er wünscht ein Wiedersehen?" über die bärtigen Lippen. Fast ungestüm kam die Frage Das junge Mädchen ging still, die Spuren vergossener Tränen im Gesicht, neben ihm her; sie erkannte recht wohl, daß diese Abreise um ein Haar einer Flucht glich. Wie konnte der Pater sie jetzt verlassen! Was sollte ans der Verlobung werden? Würde Waltcnberg, wenn er die Ver zögerung erfuhr, die Schale seines Zornes nicht über die beiden schutzlosen Frauen ausschütten? Ach, sie hatte eine unüberwindliche Furcht vor dem Manne, welchem sie ihr Leben anvertraucn sollte! Lukado ahnte, was in seiner Tochter vorging. „Vertraue aus Gott, mein teures 5Und", sagte er, seinen Arm um ihre Taille legend, „und glaube nicht, das; ich planlos handle. Hoffentlich bringe ich bei meiner Heimkehr gute Nachrichten mit." Sie sah ihn aus fragenden Augen an. „Aber Walteuberg wird nicht warten wollen," entschlüpfte es ihr. „Verlobe dich. Ich gebe dir hiermit ausdrücklich meine Erlaubnis." Ilse senkte die blauen Augen, um die heroorslürzenden Tränen zu ver bergen. Der Hoffnungsstrahl in ihr erlosch, es war dunkel, um sie her. „Verlobe dich!" Tie Worte, so kübl und bestimmt gesprochen, wollten ihr nicht wieder aus dem Sinn. Längst, nachdem sie Abschied vom Vater ge nommen und der Zug ihn entsühn batte, löiuen sie ihr noch im Ohr wieder. Sie kannte den Vater ja so genau und mntzte alles verloren geben. Seiner vornehmen Natur widerstrebten laute Szenen und lange Auseinander setzungen. Er ging all den Widerwärtigkeiten einfach ans dem Wege, die Verheißung der guten Nachrichten hatte offenbar mit der Verlobung nichts zu tun. Ilie wählte einen ganz einsamen Weg. Niemand sollte ihr ins ver weinte Gesicht sehen dürfen, selbst die Stimmen anderer verursachten ihr Pein. Trüben blinkte ein kleiner See. Erlen und Haselnntzstauden nm- sämnten ihn. Ilse halle oft träumend neben der blauen Flut gesessen, auch jetzt zog es sie dorthin. — Derselbe Zug, welcher Herrn v. Lnkado entführte, hatte einen Passagier gehabt, der in Erlau ansslieg. Ilse bemerkte ibn nicht; sie nickte und grüßte den Vater, ließ ana, ihr weißes Tuch wehen, ein Lächeln ans den Lippen, den Tod im Herzen. Der Fremde aber sah das blütenweiße tckleid und dann das iiolde, blasse Antlitz, und ein freudiger Schreck dnrchbebte ihn. „Ilse", flüsterte er selbstvergessen, seine Augen schimmerten in wundersamem Glanze. Sein Diener mochte schon vorher Weisungen erhalten haben, er ordnete das zahlreiche Gepäck, ohne seinen H rrn mit Fragen zu belästigen. Ter Fremde folgte Ilse in gemessener Entfernung; ein tiesnmeres Glücksgefüh! mochte ihn dnrchströmen, denn seine großen Angen strahlten ein Helles Licht ans. und wie trunken ruhten die Blicke ans der vom Abend rot verklärten Landschafl. Aber auch die Zeichen des nahenden Herbstes fehlten nicht; leise begann ein durchsichtiger Nebel zu weben und ans den Blättern der Erlen am See lag es wie Silberglanz. Tie Tämmernng nahm rasch zu. Ilse konnte sich einer wachsenden Niedergeschlagenheit nicht erwehren. Aller Mut wollte sie verlassen. Znm ersten Male wohl vergegenwärtigte sie sich alle »ousegneuzen dieser ihr ansgedrungenen Verlobung. Ach, wenn es einen Weg gegeben hätte, alt diesem Elend ansznweichen — einen Weg — Aoinanbrito^e ;ur „«sachs. VoltSzciuing".