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Sächsische Volkszeitung : 07.06.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192406078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19240607
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19240607
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1924
-
Monat
1924-06
- Tag 1924-06-07
-
Monat
1924-06
-
Jahr
1924
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 07.06.1924
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Oie W'elt äer Orsru Caterina von Sienas Sendnnq Alle Glocke» von Siena läuteten an einem 28. April ihr Fest ein; die dnmpfe, feierliche Glocke von St. Domenico, das stürmische Glöcklcin aus der Contrada dell'Occa. Ich ging dem ungestümen Rufen nach. Es dunkelte schon, und ich kannte Siena noch nicht; da wurde mir plötzlich eine unerwartete Führung Anteil: eine Lichterrcihe führte die Straßen entlang zu ihrem Hause: bunlgeschnitzle Tauben trugen aus ihren Häuptlein kleine Fackeln. St. Caterinas Stcrbezimmer ist zu einer Kapelle verwan delt, und hier fand sich Siena ein, uin durch eine feierliche Ma laiin das Fest ihrer Heiligen einzuleiten. Mit großen bunten Frühlingsblumensträußen zogen die Sänger ab; ja, Siena weiß, wie sehr die Heilige die Blumen liebte, darum dankt es mit Blumen denen' die ihr Fest verschönen. Siena weiß auch, wie unter Caterinas Händen weggeworfenes Mehl sich zu köstlichem Brot für die Armen verwandelte, darum erhalt jeder Pilger an ihrem Festtag in ihrem Hause „il pane die St. Caterina", „das Brot der heiligen Caterina" Siena liebt seine Heilige, und darum ist der große Fcstzug in S. Domenico, ihrer Kirche, wie der Iubelruf eines Volkes, das immer wieder und immer wieder singt: „Heil dem Stern, der in Siena anfging!" Ja, Siena hat eine Seele, und das ist jene jugendliche Frau, dis 1817 in seinen Mauern geboren wurde, und die heute noch der Stolz und die Liebe ihrer Heimatstadt ist. Die bedeutendsten Bauten, so schreibt Picro Misciattelli, der 1913 ihre Briese neu herausgab, drücken den Hauch ihres Geistes aus und können i» ihrer Feinheit am besten ersaßt werden, wenn sie im Lichte von Caterinas Eigenart betrachtet werden. Der herbe, strenge Dom, der in Richard Wagner das Wunder des Parsivnl er weckte, läßt sein Beten zum Himmel steigen mit verhaltener Glut und scheint mit dem weißen Gewände und dem schwarzen Mantel der Tochter S. Domenicos bekleidet. Der Turm, Man gln genannt, der neben dem Rathaus emporschnellt, schlank und stolz wie ein Schwert, ist das lebendige Abbild ihres wachsamen Willens, der ihrem demokratischen Verantwortungsgefühl bei gesellt ist, und das jenen politischen Feinsinn verrät, welcher im 13. Jahrhundert die italienische Stadt zu so großem Ruhme brachte. Wenn wir, von Florenz (der großen Rivalin) kom mend, in Siena einziehen, so verweilen mir sinnend vor der Inschrift der Porta Camollia, die in eigenartigem Widerspruch zu. den Empfindungen steht, die der Sieneser dem Florentiner gegenüber fühlte. „Cor inngis tibi Sena pandit" — „weiter als -das Tor öffnet dir Siena sein Herz". Es scheint, als ob jener Willkommengruß den Erbauern der Porta Camollia von der Heiligen eingeflößt worden sei, denn feiner laßt sich die Schön heit der Gastfreundschaft nicht ausdrücken, jener Tugend, welche der Seele Caterinas ebenso eigen mar wie der Seele jeder gro ßen Frau. Es war wie selbstverständlich, daß der katholische Frauen bund Sienas an ihrem Feste eine kirchliche Feier veranstaltete und wie selbstverständlich schien es mir, daß auch dort Bundes jugend zugegen war. Heute noch danke ich ihr einen Liebes dienst, denn eine der jüngsten reichte mir auf meine Bitte ihr Vundesgebct, das feinsinnig und klar die Sendung Caterinas ausdrückt. Mit Wärme und Bewunderung rufen sie ihr zu: „Du Kluge, du Starke, du Engelreinc, du bist so groß, weil du so viel und so heilig geliebt hast, Deiner Liebe zu Christus, deiner Liebe zur Kirche, deiner Liebe zur Heimat entsprang jenes wunderbare Frauenapostolat, das Vorbote unseres heutigen Wir kens ist. Dieses dein Apostolat zwang dich mit sanfter Stimme zu rufen: Friede, Friede, Friede! Gib, daß inmitten der Stürme des Lebens eine jede von uns zu ihrem eigenen Frieden im In nern gelange und daß dann unser Wort und unser Leben Frie densbotschaft für die anderen werde. Erwirke, daß in der gan zen katholischen Welt die Morgenröte des Friedens aufleuchtc zwischen arm und reich, zwischen Arbeitnehmer »nd Arbeitgeber und zwischen allen Menschen, die guten Willens sind." Daß sie eine Euphrosina, eine „Fröhlichkeit" war. das ist die erste Kunde, die uns aus Caterinas Leben bekannt ist. Fröh lich unter den kleinen Spielkameraden, deren Nachkommen heute noch mit federnder Behendigkeit ihr Spiel in der Contrada dell' Occa in der Nähe des Färberhauses Benincnsa treiben, wählten sic Caterina zur Leiterin ihrer Spiele — und ihrer kleinen An dachten '). — Schon in diese Kinderjahre fallen die ersten Strah len ihrer gnadenvollen Berufung.. Sie, das viernnduvanzigste Kind der Familie Benincasa, ist der besondere Liebling ihrer Mutter, deren Zärtlichkeit fast lebenslänglich im Widerstreit gegen Caterinas Sendung und Heiligkeit steht. Ihre verhei rateten Schwestern, bei denen sie oft zu Gast ist, bemühen sich vergeblich, sie auf gleiche Lebenswege zu führen. Aber schon früh erwacht Caterina zum Bewußtsein der Schönheit jungfräulicher Hingabe. Ihr Vater ahnt die Gnaden, die sich in die Seele sei nes Kindes senken und deren Entfaltung das eigentliche, über reiche Leben Caterinas bildet. Nach langen Kämvsen wird sie Mutier lacht . . . Skizze von Else Krafft. (Nachdruck verboten.) Konnte man das Lachen verlernen? — Nur weil das Leben ein bißchen drückte? Mutter hatte nicht Muhe zum Nachdenken. Taumelte von einer Arbeit zur anderen, reihte eine erfüllte Pflicht an die zweite. Waschen, Bügeln, Kochen. Einkäufen, die Woh nung blank halten, Strümpfe stopfen, Wäsche flicken . . . Dieweil man ganz auf die Kinder angewiesen war, und sich von ihnen ernähren ließ, hatte man bei alledem nicht viel zu sagen. Da mußte man dankbar und still sein ... Ja, wenn es auch oft weh tat. . . irgendwo ... Und man das Lachen verlernte. Aber gut waren die Kinder doch. Heute hatten sie zusammen einen Zchn-Rentcnmarkschein auf den Küchentisch gelegt. Für eine neue Hutgarnierung. Der alte Kniff sei entsetzlich, mit dem Mutter bei dem schönen Wetter herumlief, behaupteten sie. Ein Stück neue Seide solle sie sich kaufen, Band oder Blumen. Und das Stroh aufbügeln, das ver regnete. Man schämte sich beinahe schon, ivenn sie noch länger mit der Kiepe ging. Zehn Rentenmark . . . Ja, dafür bekam man sicher ein Stück wundervolle'Seide. Oder buntes Laub, rote Rosen oder ganz breites, schwarzes Nipsband. Aber es war doch ein Jammer, das viele Geld so fortzu- werfcn. Für eine Hutgarnierung. Eine neue Hutgarnierung war Leichtsinn. Mutter hatte die Wohnung blank gemacht, das Mittag essen angesetzt und trennte die alten Blumen und verblichenen Bänder von der „Kiezre" ab. Dann bürstete sie draus los, goß sich heimlich von Cläres kostbarer Myrrhentinktur ein Teil chen ab und pinselte. Davon sollte altes Stroh wie neu wer den, hatte sie einmal sagen hören. Und nun begann Mutter zu kramen. Irgendwo würde ihr ein guter Geist schon eine Hntgarnierung hingezaubert haben. Damit sie die zehn Rentenmark nicht sortzmversen brauchte. Aber es war alles altes verbrauchtes Zeug. Bis ihre Hönde mit einem Male einen ganzen Berg zusammengeknäultcr sn «Ney, Farben schillernder Webereien fanden. in den Dritten Orden des hl. Dominikus ausgenommen. Sie verbleibt im Hause der Ihren und führt mitten im bewegten Familienkreis ein Leben der Sammlung und arbeitssreudiger Ticnstbereitschast. Als im Jahre 1374 in Siena die Pest aus brach, steht Caterina rastlos im Dienste pflegender Karitas. Aber sie hat nicht nur die Hingabe, Kranke zu pflegen und Ster benden beizuslehcn, die tiefe Zerrissenheit ihrer Zeit löst in ihr die Fähigkeit aus, Streit zu heilen durch Friedenskunst. Heute noch stehen die Mauern von Sienas Palästen einander gegen über wie in sich abgeschlossene, abwehrende Bollwerke und der kriegerische Sinn der alten Patriziersamilien läßt sich an diesen trotzigen Fassaden ablesen. Dieser Geistcsrichtung stellt sie die Worte gegenüber: „Ich liebe euch mehr als ihr euch liebt, und ich liebe euren Frieden und eure Rettung wie euch!" „Die Liebe, die ich zu euch, Herren von Siena und zu allen anderen Bür gern trage, und der Schmerz, den ich über eure ungeordnete Haltung gegen Gott empfinde, entschuldigt mich vor ihm und vor euch: Ich habe Lust, über unsere Blindheit zu weinen"-). Stefano di Corrado Macconi fühlt an sich und seiner Fa milie die Macht ihres Friedenseinslusses. Er wird ihr Schüler, ihr Sohn. Nikolaus Tuldos hochfahrende Seele ergibt sich freudig in das Los seiner Hinrichiung, als Caterinas Liebe in seine letzte Stunde die Ruhe innerer Ergebung bringt. Durch ihre große Liebe zu den mit Christi Blut erlösten Seelen wurde Caterina eine politische Großmacht in ihrer Stadt. Am Mor gen ging sie nach ihren Gebeten aus, um zwischen politischen Feinden Frieden zu stiften. Wo eine Mutter ratlos der Ent wicklung ihrer Kinder gegenüberstand, wo eine Gattin die Seele ihres Mannes retten wollte, wurde Caterinas Hilfe angerufen. Tie städtische Negierung Sienas erkannte bald die Wichtigkeit dieses beruhigenden Einflusses und suchte sich diesen Schatz zu erhalten. Als Caterina einst eine kleine Reise in das toska nische Städtchen Montepulciano unternahm, da übersandte ihr die Signoria ein Schreiben, das sie bat, sogleich umzukehren, um in Siena eine wilde, gefahrdrohende Feindschaft zu schlich ten-Z. Trotz ihres Einflusses ließ sich Caterina nie als politisches Werkzeug gebrauchen. Das, ivas ihr Sendung gab, war die über natürliche Liebe zu den Seelen, die große Einheit der Menschen, die sie in der Erlösungstatsache schaute, der unbeirrbare Glaube an den Sieg der Gnade über die Sünde. Diese Gesinnung, getragen von ihrer heißen Liebe zur Kirche, gaben ihr allein den Mut, Siena und Italien zu ver lassen und in Avignon bei Gregor XI. um Gnade zu flehen für Florenz. „Heiligster und ehrwürdigster Vater in Christus, dem süßen Jesus, Eure unwürdige Tochter Caterina. Magd und Sklavin der Diener Jesu Christi, schreibt an Eure Heiligkeit in seinem kostbaren Blute mit dem Wunsche, Euch in Frieden mit Euren Kindern vereinigt zu sehen. Gott verlangt diesen Frie den von Euch und er will, daß Ihr, um ihn zu erhalten, alles tut, was Ihr tun könnt. Ueberwindet ihre Bosheit durch Eure Güte!" Der Papst empfing die Heilige mit aller Auszeichnung. Auf seinen Wunsch mußte sie zwei Tage im vollen Konsistorium über den Frieden mit Florenz sprechen. Ihre Pläne hatten viele Gegner, aber der kleine, bleiche Mann auf dem päpstlichen Throne blickte ties hinein in eine andere Welt des Friedens und der Freiheit. Leise stand er auf und ging zu Caterina, „damit Ihr klar erkennt, daß ich den Frieden will, so lege ich ihn ganz einfach in Eure Hände und empfehle Euch nur die Ehre der Kirche"'). Florenz hat ihr schlecht gedankt. Aber Gregor XI. will der Kirche den Frieden geben und kehrt nach Rom zurück. Als er jeinen feierlichen Einzug in der ewigen Stadt hält, weilt die Färberstochter wieder schlicht, wie ehedem, im Kreise der Ihren. Immer wieder ruft ihre Sendung sie ans der häuslichen Stille heraus, bis sie, glühend für die bedrohte Einheit der Kirche, ihr Leben mit 33 vollendet hatte. Heute noch spricht ihre liebende Seele zu uns aus den Briefen, die bis auf uns gekommen sind. Wir lauschen dem Geheimnis ihrer Kunst, jeden anzusprechen in der Sprache, die ihm verständlich ist, sich jedem hinzngeben, dem einen in Milde und Güte, dem anderen in fordernder Kraft. So steht sie vor uns, jene Caterina von Siena, „welche so sehr gewünscht hatte, Liebhaberin und Künderin der Wahrheit zu sein, jener Wahr heit. die schweigt, wenn es Zeit ist zu schweigen, und die schwei gend ruft mit dem Ruse der Geduld." Marie Buczkowska. (Aus Iugendzielo, herausgegeben vom Iugendsekretariat des K. D. F.) '), '), ')- Katharina von Siena, von Dr. Maresch, Volks vereinsverlag. M.-Gladbach. Außer Dr. Mareschs Katharina von Siena ist erschienen: „Die hl. Katharina von Siena", ein Zeitbild aus dem italienischen Mittelalter von Helene Riesch, Verlag Herder-Freiburg, — „Leben der hl. Katharina von Siena", von Bertha Pelican, Innsbruck, Verlag von Felician Rauch, — „Die Briefe der hl. Katharina von Siena", von Dr. Maresch, Volksvereinsverlag, M.-Gladbach. Mein Gott, wie das leuchtet! Waren es wirklich Cläres zerrissene, ansrangierte Sridenstrümpfe? Grüner, brauner, lachsfarbener Flor, nur Spitzen und Hacken durchlöchert und die Längen dehnbar, heil und hundertmal schöner als Seidcnband? Mutter lcegann wieder zu trennen. Den Hutrand zu über ziehen mit braun, um den Strohkopf eine flotte Geschichte herum in Grün, immer wieder mit braun abgetönt. Konnte ein Mensch dabei Strümpfe ahnen? Nein . . . kein Mensch konnte das. Es war mehr als wundervoll. Es war . . . Und nun lachte die Mutter. Ganz laut und vergnügt. Woher kam das Bild plötzlich? Die schmerzvolle Kindheits erinnerung, über die man heute lachte? die jäh die Stube mit Helle und Fröhlichkeit erfüllt« . . . Strümpfe auf dem Hut In so schwerer Zeit wie heute waren noch lange nicht so verwunderlich, wie Handschuhe auf einer Kappe in seligen Kindhcitstagen. Zivölf Jahre war Muster damals alt gewesen, und viele Kinder waren im Hause und die Mama eine sehr sparsame und praktische Frau. Die wilde Acnnc trug im Winter eine weiße, gehäkelte Kappe zur Schule, darin froren wenigstens die Ohren nicht. Aber iveil die anderen Mädels auf ihren Kappen bunte Seidenschleisen hatten, sie selber aber nichts, begann das Ge- quäle zu Haus um so einen Kopsputz. Die Mama wollte zuerst nichts davon wissen. Seiden schleifen kosteten Geld und es ging nicht, fiir eins der Kinder mit einem Male unerhörte Ausgaben zu machen. Aber eines schönen Morgens war die wilde Nenne doch selig. Da hatte über Nacht die weiße schmucklose Kappe eine wundervolle Garnierung bekommen. Rosenrote Seidentusse, schöner, als sie alle anderen Mädels in der Schule hatten. Wie stolz man damit den Schulweg zuriicklegte! Und wie bewundernd die höheren Töchter das rosenrote Wunder an starrten! Man trug auf dem Heimweg von der Schule den Kopf darum auch besonders hach. Trotzdem man immer ein bißchen ins Schubsen und Hauen mit der Frieda Lipski kam. Das mar Acnnes Feindin, auch heute, mitten auf der belebtesten Straße. Bis mit einem Male Frieda Lipski quietschend ihre langen Finger hob und auf Aennes weiße Häkeikappe zeigte. „Hoch . -. . guck mal . . . hoch . . . was sie da oben drauf hat ..." Es war unsahlich. Man konnte sich das nicht er klären. . Die Mädels schrieen vor Lachen. Die vorübergehenden Selbstbeherrschung und Heuchelei In einer Vereinigung von Schülerinnen der obersten Klasse eines LsZcums bestand die Einrichtung des Fragckaslens. Elves Tages fanden wir darin die Anfrage: „Was ist der Unterschied zwischen Selbstbeherrschung und Heuchelei? Ist Selbstbeherrschung nicht überhaupt Heuchelei? Wir bitten um Antwort in der nächsten Sitzung, da nur uns nicht darüber eini gen können!" Diese Sitzung gestaltete sich sehr anregend: auch für die Lehrerinnen und sür die in der Vcreinsleitung sonst noch täti gen Damen. Aus dem rege» und klärenden Gedankenauslansch, der sicy von den alltäglichen Ereignissen bis ans die entlcgend- stci, Geoiete des Innenlebens erstreckte, interessiert vielleicht ein und das andere; mir leben ja heule in Verhältnissen, die jedem das Heilandswort: „Seid nlug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben" mehr als früher in die Praxis des Allings Hineinrücken. Die Fragestellerin war die Tochter eines Professors, die dennäcusl in die Gesellschaft eingesührt werden sollte, und die Forderung, gegen jedermann liebenswürdig zu sein, „iveil der gute Ton es verlange", für nicht vereinbar mit der vom Christen tum verlangten Aufrichtigkeit hielt. Unbewußt hatte sie den Kern der Frage nach dem Unter schied zwischen Selbstbeherrschung und Heuchelei berührt — die Lösung kann nämlich nur vom christlichen Standpunkt aus ein wandfrei gegeben werden. Im allgemeinen mag man sagen: S e l b st b e h e rr s ch n n g ist die Unterdrückung unedler, vom Christentum nicht erlaubter Leidenschaften, die ja seit der Ervjünde in jedem von uns schlummern. Heuchelei hingegen ist eine Vortäuschung gar nicht vorhandener guter Eigenschaften, säst ausnahmslos zum Zweck persönlicher Vorteile. Zum Beispiel: Ich erwarte von dem Verkehr mit einer mir innerlich verhaßten Person Vorteile sür das materielle Fort kommen und bin deshalb recht liebenswürdig zu ihr. so ist das Heuchelei. Trachte ich jedoch, die Empsindung des Hasses aus ethischen Beweggründen abzudämpsen und bin deshalb licbens- würdig, so sauer es mir auch werden mag, so ist das keineswegs Heuchelei, sondern Selbstbeherrschung. „Sei nicht liebenswürdig, iveil der gute Ton es verlangt, sonder» iveil Gott es verlangt." Mit dieser Losung wird kein junges Mädchen in Ge wissenskonflikte kommen, wenn es aus der umfriedeten Kindheit hinaustritt in die „falsche" Well. Damit kann !ich ruhig eine Warnung vor zu großer Vertrauensseligkeit, und eindringlicher Rat zu vorsichtigem Abwarten in der Eharakterbenrteilung ver binden, aber unverantwortlich ist es, die Jugend zu lehren, ihre Mitmenschen nur vom Nützlichkeilsstandpunkt aus zu betrachten und ihnen entsprechend zu schmeicheln oder sie abfallcn zu lassen. Diese leider so vielfach betätigte Art kann kein innerlich edles Gcschlccht hcrnnbiloen, das mit Großuiginkeit des Empfindens Menschenliebe — dazu gehört auch Freude an an derer Glück — verbindet. Die gegebene Losung wurde mit großem Beifall begrüßt. Daß sie auch innerlich erfaßt wurde, zeigte die spontan abgege bene Erklärung der Fragestellerin, sic wolle jeden Abend Nach denken, ob sie sich selbstbeherrscht oder geheuchelt habe. Auch uns Erwachsenen, im Lebenskampf reif, aber viel leicht auch rauh Gewordenen, könnte ein solches Nachdenken nichts schaden. Es wird uns allen Helsen, daß wieder mehr Men schenliebe unser Zusammenleben durchdringt, aufrichtiges Wohl wollen, „Leben und leben lassen" im edelsten Sinn des so viel mißbrauchten Wortes. Nur solches Handeln verbürgt menschliches Glück für den Staat und sür den einzelnen und adelt das Gemeinschaftsleben in der Familie. M. N. Büchertisch Mein Madonnenbüchlein. Gedichte von Eeo M ö n i n s. Paderborn, Iungfermannsche Buchhandlung. Ein Maienabend unter blühenden Kastanien, liebe Men schen, ein paar Lauten und die? Büchlein! Ein Gcdichtlein nach dem andern kommt zu uns durch die linde Luit, ohne Pathos, ohne rethorische Künste. Das würde auch nicht passen zu den einfache» schlicht-natürlichen Versen Wie der Frühling die Blumen aus der Mciicnwiese gestreut hat, so steht auch hier Vers bei Vers. Helle und dunkle Farben — die Hellen wirken vor —, und über allem Harmonie. Blatt um Blatt wendet sich wie von selbst. Wir trinken dies „Marienleben" mit Sehnsucht und An dacht. Hat doch jedes Ereignis dieses Lebens von der Geburt über die Erfüllung der Lebensaufgabe bis zum seligen Tod seinen feinen, fraulichen, eben Madonnenduft. Und dann wächst daraus des Dichters und auch unsere „Marienminne". Gar zu gern möchten auch wir wie das Dorfmägdelein ein Blümlein vom Maialmr mit auf unsere Ruhestatt nehmen. „Ich sehe Dich in lausend Bildern, Maria lieblich ausgedrückt." L. B. Leute öffneten Augen und Münder. Von der Pferdebahn grien ten die Menschen hernieder. Ein Trupp Jungen zog hinter Aenne her und johlte. Da hielt es die gehetzte Aenne nicht länger aus. Sie lief in das erste beste Haus, flüchtete ein paar Treppenabsätze herauf und riß sich die Gehäkelte vom Kopse. Was war denn geschehen? Was saß denn da oben zum Gaudium aller? Nichts anderes, als ein rosenroter Seiden handschuh. Oder waren es gar zwei? Die Maina hast« sie früher einmal als Ballzierde getragen. Und weil es eine so herrliche und glänzende Seide war. hatte man sie nach reif licher Ueberlegung geschickt und graziös als Schleifen und Schlappen auf Aennes Kappe genäht. Die kaputten Finger nach innen, das Seidige und Heile nach außen. Aber wenn man auf dem Schulwege das Hauen kriegt, können selbstverständlich so eilig um die Mitternachtsstunde an- gchestete Handschuhe nicht standhaft bleiben. Sie kamen ins Rutschen und standen dann kriegerisch, alle Finger mutig ausge streckt, zum Abwehrkampf aus, und die arme, kleine Aenne hatte den Schaden. — Lange, nachdem sich der lachende Schwarm ver laufen, wagte sie sich erst wieder aus dem fremden Hause auf die Straße. Den Kopfputz im tiefsten Winkel der Schulmappe, schluchzend und verzweifelt. Zu Hause aber lachte die Mama, der Papa, die Brüder, und selbst die gute milde Oma konnte nicht ernst bleiben bei der entsetzten Schilderung der unglück seligen Aenne. Und heute? Heute, nach achtundvierzig Jahren, lachte. Gott sei Dank, auch sie darüber. Hatte den Kindcrschmerz vergessen . . . Garnierte sich Strümpfe auf den Sommerhut und freute sich. Es konnte nichts passieren, wie damals mit den Hand schuhen auf der Kappe. Man lief nicht mehr wie eine Wilde durch die Straßen, man puffte, inan haute nicht mehr, man konnte auch über Menschenspott nicht mehr weinen. „Mutter lacht", sagten die Kinder, als sie aus dem Ge schäft kamen. „Mutter hat sich einen fabelhaften Hut ge leistet . . ." Ja . . . Mutter lachte . . . Den ganzen Tag und noch ein paar hinterher. Denn cs merkte keiner was mit den Striimpscn. Nur die Kindererinnerung mit den rosenroten Handschuhen ans der Häkelkappe gab sie zum besten. Und darüber freuten sich die Kinder, und lachten, ohne zu ahnen, daß unmittelbar vor ihren Augen das Kunststück mit den Ballhandschuhen in der Hutgarnierung aus Seidenslrümpfen seine Wiedcrauser- pehung erlebt hatte.
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