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Zweites Blatt Sächsische Bolkszeitunft vom i3. September tvtl Nr. 2V8 Sozialdemokratischer Parteitag. A k»ach»ru«derdotea.» Opo Jena, den II September 19ll. Nachdem auf der dem Parteitage doraufgegangenen Krauenkonferenz gewissermaßen schon das Stigma der dies- jährigen roten Heerschau gegeben war: „Gegen den blau- schwarzen Block, vor allem gegen das verhaßte Zentrum!" kann man sich von dem. was auf dem diesjährigen Partei tage vor sich gehen wird, schon vorher ein Bild machen, ohne zu der Zunft der Propheten zu gehören. Den Streit im eigenen Hause wird man bei der Nähe der Reichstagswahlen nach Möglichkeit nicht an die Oeffentlichkeit zerren, freilich ganz ohne Nackenschläge werden die württembergischen Re bellen wohl nicht wegkommen. Aber den Arbeitermassen jetzt wieder das Schauspiel von Magdeburg oder gar Dres den zu wiederholen, das dürfte den Genossen angesichts der NeichStagswahlen nicht opportun erscheinen. Uebrigens bie tet sich dieses Jahr genügend Gelegenheit, uw die Aufmerk samkeit der Massen von dem häuslichen Streite abzulenken. Nach dem. was die Genossen bisher schon an verlogener Hetze gegen den „blau-schwarzen Block" geleistet haben, kann man sich schon ungefähr einen Bers auf die Melodie machen die diesmal gesungen wird. Vor allem wird natürlich gegen daS Zentrum Sturm geblasen, weil die Ilmsturzpartei dieses mit Recht als ihren unversöhnlichsten und unbezwingbaren Feind ansieht. Die ganze sozialdemokratische Lllgenkunst wird zur Entfaltung kommen. Aber uns kann das nicht weiter ansechten, denn wir sind unserer Wähler gewiß. Wir wissen, daß sie sich von den .roten Lügnern nicht betören lassen. Wenn wir eines bedauern, so ist es das, daß die im sozialdemokratisckzen Banne stehenden Arbeitermassen die Wahrheit nicht kennen lernen, weil die rote Presse sie unter einen Berg von Lügen begräbt und die bürgerliche Presse in Jena nicht gelesen wird. Neben der Hetze gegen „Junker und Pfaffen" wird natürlich auch die Wahltaktik eine be deutsame Rolle spielen und schließlich wird auch der „Ma rokkorummel" einen großen Raum in der Debatte der kom- inenden Tage einnehmen. Unter großem Andrange namentlich der Jenenser Ge nossen und Genossinnen fand heute abend der Begrü ßungsabend statt. Anlvesend waren 378 Delegierte. Es ist „alles" da. Auch die Reichstagsfraktion ist nahezu vollständig vertreten. Heute sitzen sie noch alle friedlich bei einander, Radikale und Revisionisten, aber schon werfen die kommenden Tage ihre Schatten voraus: auf den Plätzen der Delegierten liegt eine umfangreiche Druckschrift: „Zur Stuttgarter Delegiertenwahl — ein unerhörter Gelvalt- ftreich." Als Bebel kurz vor Eröffnung der Versammlung den Saal betritt, wird er mit stürmischem Händeklatschen begrüßt. Der „Alte", wie er von den Genossen gern ge nannt wird, sieht recht frisch und munter aus. Der Be- grüßungsabend lvird Punkt 7 Uhr eröffnet. Dann begrüßt namens der Jenenser Parteigenossen Reichstagsabgeordnetcr Leber den Parteitag. Er prophezeit, daß von den 15 thü ringer Wahlkreisen die Sozialdemokratie im ersten Anhieb mindestens die Hälfte erobern werde. Sodann wirst er einen Rückblick auf den Parteitag von 1906: die damaligen Erörterungen über den Generalstreik haben der Genossin Rosa Luxemburg eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten ein gebracht. Rosa Luxemburg hat die Strafe abgebüßt, aber gebessert — im guten Sinne — hat sie sich nicht. Dann ergreift, mit lebhaftem Beifall begrüßt, Bebel das Wort. Er erinnert daran, daß im Jahre des letzten Jenenser Parteitages, also 1906, mit der Kaiserreise nach Tanger das Marokkoabenteuer seinen Anfang genommen habe. Nach der Tangerreise sei Algeciras gekommen und jetzt liege die Algecirasakte zerrissen am Boden. Daran, be- hauptet Redner, trage das Deutsche Reich die größte Schuld. Mit den. Verlaufe der Marokkofrage Hab? die gesamte curo- päische Situation ein ganz anderes Gesicht bekommen: „Mit der Frage der Abrüstung," sagt Bebel, „ist's endgültig vor bei. Nicht abrüsten heißt es künftig, sondern zurüsten. Wir bekommen eine neue Flottenvorlage, und wenn man dies jetzt zehnmal bestreitet — laßt es euch nicht ausreden! Und mit der neuen Flottenvorlage werden neue Steuer« kommen. Aber mögen dafür diesmal gefälligst die Reichen sorgen, deren Reich das Reich ist." (Beifall.) Tann streift Bebet kurz die Aufgaben des diesjährigen Parteitages. „Es sind Anzeicizen zutage getreten, als ob die Genossen teilweise mit ihrer Parteiregierung nicht zufrieden sind - man will mehr Dampf, man will Feuer dahinter haben. Ich bin neugierig, was dabei herauskominen wird! In jedem Falle ist es ein Zeiclzen von innerer Kraft, wenn kritisiert wird. Daß eine Negierung einmal zu bequem wird, kommt nicht bloß bei den Sozialdemokraten vor. (Heiterkeit.) Im übrigen sind wir für jede Anregung dankbar. Wir gehen schweren Kämp fen entgegen und ich möchte sagen: Lieber Leber, nicht gar zu optimistisch! Es ist vorgekommen, daß mancher Genera! schon glaubte, den Sieg in der Tasche zu haben und hinter her gab es eins gewaltige Ohrfeige. (Heiterkeit.) Also tüch tig arbeiten, das ist die Parole! Zusammengeschlosscn zum Ikampfe und zum Siegel" (Lebhafter Beifall.) Zu Vorsitzenden niit gleichen Rechten werden hieraus Dietz-Stuttgart und Leber-Jena gewählt. Dich widmet dem verstorbenen Singer einen Nachruf. Es folgt die Fest stellung der Tagesordnung: Eine Reihe von Anträgen ver langt die auswärtige Politik Deutschlands lezw. die Ma rokkopolitik als besonderen Punkt auf die Tagesordnung zu letzen. Bebel übernimmt das Referat. Hierauf werden sämtliche Anträge zurückgezogen. Dasselbe geschieht mit den übrigen Anträgen — Wahlrechtsfrage, Jugendbewegung, Jmpffrage. Der Rest des Abends lvird ausgefüllt durch Musik- und GesangSvorträge. * * * Als man am Montagmorgen den Saat betrat, konnte man glauben, in eine internationale Versammlung geraten zu sein, denn die Idiome aller Länder schlugen an unser Ohr. Ueberwiegend war das russisch)? Element unter den Ausländern vertreten. Der Vorsitzende Dietz eröffnet die Versammlung, indem er sofort eine Anzahl von Be grüßungstelegrammen und Schreiben zur Verlesung bringt. Tann marschieren der Reihe nach die ausländischen Genossen auf, um sich der ihnen übertragenen Aufgabe, den Gruß der ausländischen Sozialdemokraten zu überbringen, zu entledigen. Daß das gerade kurzweilig war, kann man nicht behaupten, und der Versammlung merkte man denn auch die Langeweile deutlich an. Etwas mehr Leben kam in die Bude, als der österreichisch)? Genosse Adler von der durch Krieg, Hunger und Pestilenz bedrohten Kultur sprach. Aber das änderte sich bald, als auch dieser Redner sich wieder in langatmigen Ausführungen über die österreichische Sozialdemokratie erging. Etwas mehr Interesse brachte man den Vertretern der französischen und englischen Sozial demokratie entgegen. Unterhaltsam war die Sache bei dein gebrochenen Deutsch der beiden Redner allerdings auch nicht und noch weniger amüsant war die Uebersetzung, die Frau Klara Zetkin mit ihrer knarrende» Stimme über die Ausführungen eines belgische» Genossen lieferte. Dann kam der Geschäftsbericht des Parteivorstandes. Sehr ein gehend verteidigt der Berichterstatter den Parteivorstand gegen Angriffe, die wegen seiner Lauheit in der Marokko frage gegen ihn gerichtet worden sind. Dann erstattet E be r t-Berlin den Kassenbericht, der außerordentlich günstig ist. Nach Erledigung einiger Gesckmftsordnungs- fragen tritt die Mittagspause ein. Nach der Mittagspause tritt man in die Diskussion des Geschäftsberichtes des Parteivorstandes ein. Gleich zu Beginn fuhr die blutige Rosa schweres Geschütz gegen den Parteivorstand ans, indem sie ihn der Lässigkeit in Sacl)en des Marokkorummels zieh und mit Ausdrücken wie „grobe Irreführung", „grobe Indiskretion", „Pflichtverletzung", „Unterschlagung von Tatsachen" usw. nur so um sich tvarf. Die scharfen Ausdrücke der Rosa riefen wiederholt Wider st ruch wach und Zurufe wie: „Höre doch auf" und Ge lächter wurden um so häufiger, je länger Rosa sich erhitzte. In das gleicl)? Horn stieß auch Dr. Leutzsch von der „Leip ziger Volkszeituug", in der Rosa Luxemburg ihren ersten Angriss gegen den Parteivorstand unternommen hatte War Rosa scharf, so war es Lintzsch nicht minder. Er schloß mit den Worten: „Tie Kritik am Parteivorstand war ein verdienstvolles Werk und diese jkritik umr nur der Ausfluß des Unwillens, der sich in langen Jahren ange sammelt hat." Der schwack)e Beifall zeigt erneut, daß die Mehrheit der Versammlung sich dem sckzarseu Vorstoß gegen die Parteileitung nicht anschließen will. Und auch die Ge nossen Dittniann-Solingcn, Hoffmann-Elberfeld und selbst Ledebour. der alle seine Vorgänger an Schärfe weit über traf, vermochten nicht, einen Umschwung der den: Parteivor- stande günstigen Stimmung herbeizuführen. So hatte der alte Bebel einen leichten Standpunkt, den Parteivorstand rein zu waschen. „Liebe Kinder, kein Engel ist so rein!" rief er in die Versammlung hinein, und schon hatte er die Lacher auf seiner Seite. Mit Rosa Luxemburg und ihrem Anhang ging Bebel scharf ins Gericht. Nosä quittierte die heftigen Schläge durch fortwährende erregte Zurufe. Bebet verwahrte die Partei energisch gegen den vcn der rote» Rosa und von Ledebour zwischen den Zeilen gemachten Vor wurf, daß sie nicht treu zur Internationale hielten. Die deutsche Sozialdemokratie sei jederzeit der festeste Anhänger der Internationale gewesen. Dabei entschlüpfte Bebel da» interessante Geständnis, daß sic die russischen Revolutionäre mit einer halben Million Mark unterstützt hätten. Mit dem Auftreten Bebels »vor der Höhepunkt der Aktion über- 104 — — 101 Nock) immer zögert er. den entscheidenden Schritt zu tun. Regt sich noch ein letztes Fünkchen von Gewissen in ihm? . . . Da stört eines Abends sein Diener diesen scheinbaren Frieden. „Na, Herr, tvann wird'S denn?" raunt er Lorenz ungeduldig zu, als jngeborg sich soeben in ihr Schlafgemach zurückgezogen hat. „Wir verlieren viel kostbare Zeit!" Wie aus einem Traum erlyachend, fährt Lorenz in die Höhe. Die keusche Nähe jenes jungfräulichen Wesens, das er sein Weib nennt und das rhm trotzdem noch immer so fern steht, wie bei ihrem ersten Begegnen, ist nicht ohne Wirkring auf das verhärtete Gemüt des früheren Trunkenboldes geblieben. „Jo. ja —" murmelt er wie geistesabwesend — „du hast recht. Das (Held ... der totenähnliche Schlaf " „Hol Sie der Kuckuck mit Ihren: totenähnlichen Schlaf!" fällt Jakob roh ein. „Wollen Sie das Messer an den Hals kriegen? Unschädlich ge° nwcht muß sie werden — und zwar in allernächster Zeit." / 21. Während die drohende Wolke des Verderbens sich iminer dichter über JngeborgS Haupt zusammcnzicht. reist Erik Niels in der Welt herum, um daS arme, irregeleitete Mädchen zu finden. Der Spur, welche die falsche Erzählung des Bettlers Jakob bot, fol gend, fuhr er damals direkt nach London. Dort erfuhr er, daß das betreffende Paar bereits an demselben Tage nach Paris weitergereist sei. Er ihm nach. > Und von dort über Marseille, Nom und Neapel nach Kairo . . . Tage, Wochen vergehen . . . Immer noch jagt Erik einem Phantom nach. Es ist, als ob der böse Geist, der Lorenz Jejpersens Handlungen leitet, auch Besitz von jenem geheimnisvollen Paar ergriffen, damit cS Erik weite', auf falscher Fährte führen und ihn immer mehr von Jngeborg entfernen sollte. In Kairo endlich zerrinnt das Phantom in nichts: Der ausländisch auSsehcnde Herr und die blonde, zarte, junge Dame, deren Spur Erik wochenlang über Länder und Meere folgte, entpuppen sich als - der Kassierer eines großen Bankgeschäftes in St. Petersburg, der mit einem Teil der Kasse seines Prinzipals und einer Statistin der dortigen Oper entflohen ist und hier in Kairo endlich verhaftet wird. Völlig niedergeschmettert begibt Erik sich auf die Heimreise, nachdem er vorher an Sigrid folgenden Brief gesandt: - ., Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand, um Ihre Nichte aufzufinden. Tic berühmtesten Detektivs suchen nach ihr: sch selbst gönne mir weder Tag noch Nackt Ruhe. Da alles vergebens war, stimme ich mit Detektiv Jchannßcn über ein, daß jener Bettler uns absichtlich auf falsche Fährte gelockt hat — mn so mehr, als der Mensch, wie Sic mir schreiben, seit einiger Zeit ans Ihrer Gegend verschwunden ist. Detektiv Johannßen hat bereits begonnen. Nachforschungen über Len Verbleib dcS Bettlers anzustellen: Schristl.ck: fragt die Lcbcnsversick)ernrigSgesellsck)aft „Skandinavia" bei Dr NicolaS an. welches Zeugnis er dem allgemeinen Gesundheitszustand der Frau Karin Jespersen, geb. Lcivis, auSstellt — unter Geheimhaltung des Grundes dieser Anfrage. Umgehend erwidert der Arzt, der vor Monaten auf Lorenzens Wunsch die wirk:ick)e Karin Lewis einmal während einer vorübergehenden Erkältung behandelt hatte, Frau Karin Jesperseu besitze eine vorzügliche Konstitution. Nach diesem unpnrteiisck)en Zeugnis nehmen eS die Vertrauensärzte der „Skandinavia" nicht mehr sehr genau — zumal es sich um die Gattin eines Beamten der Gesellschaft handelt. Nur oberflächlich, gewissermaßen „pro 1«>'ma", nntersuckM sie Frau Jesperscns Herz und Lunge — und schon nach acht Tagen hält Lorenz die auf fünfzigtauscnd Kronen lautende Lebens- versicherungspolice in den Händen. Noch actzt Tage später - - und Jngetzorgs Leben ist bei zwei anderen Gesellschasten versickert, der „Union" und der „Norwegia", mit je der dop pelten Summe. Während noch die Verhandlungen mit einer vierten Gesellschaft, der „Exzelsior", schivcben, zieht Jngeborg sich eine leichte Erkältung zu. Sie hustet und klagr über Kopfschmerzen. Jakob macht seinen Herrn daraus aufmerksam, daß es gut wäre, gerade jetzt "Orige seiner Kollegen von der „Skandinavia" und den anderen Lebens Versicherungsgesellschaften cinzuladen. ...Kleine Ursachen haben oft große Wirkungeil, Herr. Uird wenn Frau Jesperseu plötzlich sterben sollte, so schadet es nichts, lvenn die Herren sich von hrer voihcrgegangenen Unpäßlichkeit selbst überzeugt haben." AlS die beiden Gatten an -einselben Abend am Teetisch sitzen und Jngeborg, den schmerzenden Kopf in die Hand gestützt, mit müdem Ausdruck in den lieblickw» Zügen vor sich hinblickt, äußert Lorenz plötzlich in bedauern dem Tone: „Es trifft sich recht unglücklich, liebe Karin, daß du dich so schlecht fühlst. Ich habe rin paar Kollegen für morgen zum Mittagessen eingeladen und möchte gern, daß mein Fraucklen so vorteilhaft wie möglich auSsieht." Mit mattem Lächeln liebt sie den Kopf. „Ich hoffe, es wird morgen besser sein. Lorenz." , Wirklich? Ich wollte nieinen Kollegen schon absagen." „Nein." Lorenz scheint noch unschlüssig zu sein. „Darf ich dir einen Rat geben. .Karin?" ..Bitte —" „Nimm ein paar Tropfen Arznei, damit du morgen wieder ganz frisch bist"' „Es ist wirklich nicht so schlimm, Lorenz!" „Dann ziwngst du mich, den Herren abzusagen. Ich darf meiner Fran nicht dis Pflichten der Wirtin aufbürden, tvenn sie sich nicht wohl fühlt. " Jngeborg ist stets bemüht, ihrem Gatten nach Kräften jeden Wunsch zu erfülle«: - zumal er sei», Versprechen, sie auch fernerhin nur als gut« Aoaue» radin zu behandeln und keinerlei Liebkosungen von ihr zu beanspruchen getreulich hält. So gibt sie auch diesmal seine«: Drängen nach.