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Nummer SS — 27. Jahrgang 5ri»e>», «mal wöchenll. mit den lllustr. Gratisbeilagen .Di« keil" und .g-tir »nsere Ilcinen Leute', sowie den Tellbeilagen Tt. Venno-Blatt'. Unterhaltung und Wissen'. .Dte Welt der llrau'. „Nervlicher Ratgeber'. .Das gute Buch. -8> E'nd. !chau'. Monatlicher Bezugspreis 3 MI. einschl. Bestellgeld. Anzelmnumcr 1» Sonnabend, u. Soimiagnummer 4« Hauptichristlelter, Dr. w. DeSezhk, Dresden. SachMe Dienstag, den 1.Mai 1828 iverlagSsrt, Dresden Anzeigenpreise, Die Igespaltene Peitlzetie tltt l.tZamillett- anzeigen und Stellengesuche !j<, Die Petitreklamezcil«, 89 Millimeter breit, t ^c. Ofscrlengebiihr !k<» z. Im galle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigen.Aufträge» u. Leistung v. Schadenersatz. Geschäftlicher Teil: Artur Lenz, Dresden. oolrssenun (fleschästSstelle. Drucku.Verlaa: Germania. N.>G. sur Verlag und Druckerei,slstliale Dresden. DreSden-A.1. Poliers,ratze >7. Femr„,2l0>2. Postscheck,onto Dresden Bauktoi tri ^tadtban* Dresden Für christliche Politik und Kultur r.-LÄL^ und Siegerwald in Dresden Die erste Wahlrede des geschästssiihrenden Parleivorsitzenden des Zentrums Leistung und Eigenart -er Zentrumspolilik Dresden, den 89 April. Die Ortsgruppe Drcsac» der Z e n ! r u », S Pa r t e l l,gf am Sonnabend in, Saale dcS Kolpinghauses eine Wöhlerver- sannnlung abgchalle», für die M i » i st e r p r ä s i d e u t a. D. St cg er wald das Referat übernommen Halle. Dieses Referat war besonders bemerkenswert schon deswegen, weil es die erste grosse Wahlrede war, die Siegerivalo in diesem Wahlkampf gehalten lxit. Dr. Stegcrivald, der bekanntlich stellvertretender Vorsitzender der Reichspartci des Zciilrums und der Reichstagsfraktion ist, hat es übernommen, in allen Teilen Deutschlands in den zentral ge legenen Städten auszuirclc» und die Staatspolitik des Zeistrmns repräsentativ zu vertreten. Er spricht dabei in Vertretung des Parleivorsitzenden Dr. Marx und des Fraktionsvorsitzcnden von Gunrard, die beide bekanntlich mit Rücksicht ans ihre Gesund- beit am Wahlkampfe nicht tcitnchmen können. Tic Vcrsammlnng irxrr gut besticht, der Saal des Gesellen- Hauses war bis znin letzten Platz gefüllt. Der Vorsitzende der Orts gruppe Dresden, Regierungsrat a. D. D r. Flüglcr, sprach herz liche Worte der Begrüßung, in der er die großen Verdienste Dr. Stegerwalds mn die Zenlrumspnrtei n,,d uni die Führung der deutschen Staatspolitik in den letzten Jahren hervorhob. Ministe» Präsiden! a. D. Skegerwald dcr dann an das Rednerpult trat, wurde mit lebhaftem Beifall begrüßt. Seine Ausführung«», die etwa l!4 Stunde ausfütlten, wurden mit größter Aufmerksamkeit und stellenweise »nt spontanem Beifall entgcgcngenommcn. Er eniwars in großen Zügen ein Bild der Arbeit für Volk und Staat, die die ZenlrumSpartei in dem letzten Jahrzehnt geleistet hat. Er gab zunächst ein Bits der Ent wickelung. die Deutschland im 19. Fahrt,lindert genommen hat, die voll der Zersplitterung im Deutschen Bunde bis zu dem autokratisch- militärischcn Spstem des neuen Kaiserreiches geführt hat. Das Kaiserreich sei in militärischer Beziehung unvergleichlich organisiert gewesen, aber die politische Organisation habe mit der militä rischen nicht Schritt gehalten. Das Kaiserreich habe eine bcachlcus- wcrie sozialpolitische Arbeit geleistet, aber dieses sozialpolitische Werk sei nicht eingelmut gewesen in die S taa t s p o l i t i k. Diese Staaispotitik sei vielmebr ihrem ganzen Wese» narb antisozial gewesen: dafür seien Zeugen das alte Drcrklasfcmrmhlrccht, die da malige Gestaltung des Steuerwcsens und Schulwesens, die Vernach lässigung der Wohnungs- und Siedlungssrage. Diese Mängel der Entwickelung hätte» sich im Kriege gerächt. Kein geringerer als Lloyd George habe bekannt, daß das deutsche Volk nicht zu besiegen gewesen wäre, wen» cs politisch gleich gut entwickelt gewesen wäre wie militärisch. Nach dem Zusammenbruche von 191b sei eine un geheure Arbeit geleistet worden. Die Versöhnung mit den ehema ligen Kriegsgegnern sei in vielen Fragen erreicht, das schwierige Reparationsproblei,, durch den Dawcsplan wenigstens zu einer vor läufigen Lösung gebracht. Putsche von links und rechts seien über wunden worden. Die Stabilisierung der zerbrochene' Wäbrnng habe man in kurzer Zeit erreicht. Auch der wirtschaftliche Zusam menbruch, der das .Kriegsende bedeutete, sei verhältnismäßig rasch überwunden worden. Daß ab dar nich ohne Härten geschaffen wer den konnte, sei fraglos. So sei die Regelung der Aufwerinngsfragen in der Pstfchose der Stabilisierung vorgenoinmen worden. Eine Rendcrnng dieser Regelung sei aber heute unmöglich, und sie würde euch dann »»möglich sei», wenn die AnfwertnngSglänbigcr im Reichstag die absolute Mehrheit erlange» würden. Erfreulich sei die Neubildung von Kapital, die seit der Stabilisierung in Deutsch land wieder begonnen habe. Diese Kapitalbildung sei die Grund lage für die Industrie, von der 75 Prozent der deutschen Bevölke rung leben. Wenn die 59V 999 Mensche», um die das deutsche Volk jährlich znnimmt, Lcbensraum haben sollen, dann muß daS deutsche Nationalvermögen- jährlich um 12 Milliarde» Märk vermehrt werden. LÜaS in den letzten Jahren sn Deutschland geschaffen worden ist, wäre nicht möglich gewesen ohne eine starke Zentrumsparlei. Over glaubt jemand, daß „ul einem Politische» System, wie es i» Dachsen vorlMidcn ist, ohne «ine starke Mille im Parlament, bi« großen politischen Ausgaben häiicn durchgesuhrt werden können? Die Z e n t r n m s pa r t e i m a ch e Politik aus der Idee heraus, für ibre Haltung sei praktisch maßgebend, wie das ideenmäßig als richtig Erkannte an, besten i» die Wirklichkeit »mgcsetzt werden könne. In der VortricgSzcil sei das Zentrum meist mit oer Rechten ziisammengegangen, weil damals üic Sozialdemokratie den Siaat nno die Staatssorm grundsätzlicb abgelchnt habe. Nach der StaatS- umwälzuiig sei ei» Zusammengehen mit Lini-.- das natürliche ge wesen. solange die Rechte zu dem neuen Staat kein Verhältnis fin den konnte. Seitdem auf der R echte n sich die reatpoliti - scheu Er w ä g n n gen d n rchgesctzt hätten, habe die politische Szenerie ständig gewechselt, meist habe man mit der Rechten in außenpolitischeil Fragen, mit der Linken in innenpolitischen Fragen nicht Zusammenarbeiten können. Die S o z ia l d e in o k ra t i e sei in den letzte» Jahren ständig zwischen Agitation und Poli - t i k hin- und hcrgeschwankt. Ohne die ZcntruinSpartei wäre eine stetige Entwickelung der deutschen Politik in den letzten Jahren überhaupt unmöglich gewesen. Wir habe» in de» letzten Jahren viel geleistet, über den Berg aber sind wir noch nicht. Es ist jetzt die Frage, ob wir wieder zu rück zu 1911 wollen, oder ob wir eine bessere Volksord- nnng im Innern schassen wollen. Welle Kreise unseres Volkes habe» es noch nicht begriffen, daß das Unteranenzeitalter endgültig vorbei ist und daß im 29. Jahrhundert Diktatur nur eine Episode aber niemals Dauerzustand sein kann. Die Zentrumsparlei stellt sich resolut auf den Boden des republikanischen Staates, in dem festen Willen, diesen Staat zu einem wahre» Volksstaate anszubancn. Wir wollen nicht wie der Liberalismus dem Staat auf wirtsckmstlichem Gebiet die Nachtwächtcrrollc zuwciscn, aus kulturellem tstelnet aber die StaatS- allmacht proklamieren. Es gibt im liberalen Lager Menschen, die selbst keine Kinder wollen, die aber darüber bestimmen mochten, wie die Kinder der anderen erzogen werden sollen. Gegen derartige Gefahren für die künftige Entwickelung der Staatsordnung in Deutschland wenden wir uns mit aller Schärfe. Die Zenlrnmsparlei sicht die großen Schwierigkeiten, die snr die nächsten Jahre ans außenpolitischem Gebiet bevor- stehen, vor allem für die Fortentwickelung dcS Verhältnisses zu Frankreich, für die Regelung der A b r ü st u n g s s rag e und für die Revision des Dawes plan es. Jin Zentrum besteht aber der ernste Wille, diese Probleme z» meistern. Zwischen deut schem Lebenswillen und europäischer Verständigung muß der Aus gleich gesunden werden. Die reale Erkenntnis dessen, was ist, hat den Ausgangspunkt zu bilden für die Nenordnnng, Europas. W i r t s ch a f t s p o l i t i s ch kann die ZenlrumSpartei ein Stück mit der Sozialdemokratie Zusammengehen; der Ausgleich zwischen kapitalistischer und sozialistischer Wirt- sckmftsauffassung muß in absehbarer Zeit gesunden werden. Ohne Mitarbeit der christlichen Arbeiterschaft ist dieses Problem nicht zu lösen. Gemeinsam mit der Sozialdemokratie wün schen wir auch eine bessere Volksordnnng im Innern, Znrück- drängiing des Kastengeistes und so Beseitigung des K l a s s c n ka m p f e §. Wir unterscheiden uns aber von der Sozialdemokratie nicht nur in der kulturpolitischen Auflassung, son der,' auch in wesentlichen w i r t s cha f t l i ch c n E r w ü g n n g e n. Der Sozialismus will Vergesellschaftung der Produktions mittel, das bedeutet Verbeamtung der Wirtschaft. Wir wollen die persönliche Initiative, das Inter esse des einzelnen und seiner Familie in der deutschen Wirtschaft er halte» wissen. Die Sozialisten wolle» Vermassung, wir wollen Entmassnng. Die Sozialist«» strebe» die klassenlose Gesellschaft an, wir halten eine» solchen Zustand für unmöglich; die Sozialisten nehmen die materielle» Interessen znni Ausgangspunkt, wir die Blutsbande, die Verknüpfung durch die Familie, die die Zel len des Volkes und des Staates bilden und beleben. Die Sozialisten wünschen eine staatliche Zwangsversichernng, wir wollen soziale Fürsorge mit weitgehender Selbstverwaltung. Nach unserer Auffassung ist der Staat keine allgemeine Fürsorge anstalt. Wir wollen Hebung des Srlbstbewußtseins der Arbeiter schaft, dadurch, daß der einzelne instand gesetzt wird, für sich und seine Familie zu sorge,,, durch Hebung des Reallohncs. Wir wen den uns gegen eine überspannte Sozialisierung der Löhne durch zu hohe Ab z ü g e. Der Arbeiter soll sich bei Schicksalsschlägen nicht bloß ans die Leistungen der Sozialver sicherung verlassen, die Arbeiterschaft darf sich nicht nur immrr als Kostgänger des Staates fühlen. Wir wünschen eine selbst bewußte Arbeiters ck aft, die sich auch in diesen Dingen in erster Linie ans sich selbst verlassen kann. Wir wollen keine Klassciiporteicn, sonder» sozinl orientierte Bolkspartcicn. Für eine neue soziale Ordnung ist die Boranssetznng, daß ein ganz anderer G e i st in das E r z i e h u n g s l e b e n h'.neingebrachr wird. Die Schule hat im 19. Jahrhundert tüch tige Gelehrte und Fachleute hervorgebracht, den sozialen Men schen aber, der sich am Ganzen orientiert, Hai sie nicht herv-r- gebracht. Wenn mir eine besser« Volksordnung wollen, don» müssen wir dafür sorgen, daß di« tatsächlich Tüchtigsten in alle Stellungen hineimvachsen können. Wenn eine endgültige Regelung des Rermrationsprabtsra» erreicht sein soll. — denn hier liegt die stärkste Gefahr für aen sozialen Fortschritt in Deutschland, — eine Zusammenfassung des Arbeitsrcchtes und eine endgültige Regelung der ArbeN«- zeitfrage erreicht ist, dann ist der Bau der staatlichen Sozialpolitik bis Z» einem gewissen Grade abgeschlossen, und alle Kräfte werden sich dann der Schaffung einer soziale» Staatspolitik zuwenden müssen. Aus diesem Wege sehen wir drei Schwierigkeiten: die Ueberorganisation der Privat. Wirtschaft, die Ueberorganisalion der Slaatswirtsckicstt und da» Fehlen der richtigen Rangordnung in Produktion und Konsum. Die staatliche Zwangswirtschaft ist in den letzten Fahren be- festigt worden. Statt dessen hat sich aber eine privat« Zwangswirtschaft heransgebildet, die in den vcrschie- densten Formen organisiert ist. Der Vergleich der Erzeuger, und Berbrancherpreise zeige deutlich, daß unsere Wirtschaft a» Kops und Herzen krank sei. Es besteht die Gefahr, daß an Steile der früheren fürstliche» Dpnastien sich eine Reihe von I n d u st r i e h e r z o g t ii in e r n heransbildcten. — Di« S t aa l s w i r t s cha sk zeige nicht geringere Fehler. Die Heu- tigcn Bezirksbehörden sind entstände» in einer Zeit, in der der technische Fortschritt von heute in keiner Weise erreicht ivar. Hier ist dringend eine Reform notwendig. Am wichtigsten aber sei eine Reform inder Frage von Produktion und Konsum. Für Alkohol und Tabak gebe das deutsche Volk jährlich 7 Milliarden Mark ans. Wenn diese Summen richtig verwendet würden, könnte der Reallohn ganz wesentlich ge steigert werde». Wenn wir in Deutschland nicht zu einer geistigen Despotie, iondern znm Schulsrieden gelangen wollen, dann müsse die Schnlsorm gleichberechtigt sein. Tie Kräfte der Weltanschau ung müssen in der Schule eingesetzt werden. Gewiß ist eine Kontrolle des Staates über die Schule notwendig, wir wollen aber lein staatliches Erziehungsmonopol. Es wäre eine Despotie schlimmster Art, wenn der einzelne Mensch über die Erziehung seiner Kinder, also über die Gestaltung seiner eigenen Le-benslortsetznitg nichts mehr mitzureden haben sollte. Der seelischen Verkümmerung. die sich schon heute als Ergebnis'der fortschreitenden Verweltlichung der Schule zeigt, müsse cntgegengearbeitel werden. Dr. Stegerivald schloß seine Ausführungen mit der Feststellung: Wenn wir die Gesamtleistung der Zcnlrunis- politik zusammcnfassenö betrachten, so müsse» wir sagen: was von rechts und links gegen diese Politik vorgebracht wird, sind kleine Traktätchen. Wer will, daß die deutsche Politik sich weiter an den großen Lebensgesetze» des deutschen Volkes orientieren soll, der wählt am 20. Mai Zentrum. Lebhafter Bestall lohnte am Schluß die verstanöeskiaren und inhaltreichen Ausführungen des Redners. Der Vorsitzende Dr. Flügier faßte diesen Dank in Worte und gal, dem Wunsche Ausdruck, daß dies« Rede im größten Saale Dresdens