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Silvesterzauber Bon „Prosit Neujahr!" I. Adam». und mir hatten so fest aus Euch gerechnet!" sagte Annemarie schmollend, was zwar ihren zweiundzwanztg Jahren reizend stand, aber dennoch wenig Eindruck auf Maria machte. Die wehrte lächelnd ab mit jener anmutigen Gelassenheit, die so wohltuend abstach gegen das etwas nervöse Wesen de: jüngeren Freundin. „So werdet Ihr eben einmal ^Hne uns gehen." entschied Maria freu,Irlich, „falls Ihr überhaupt für solchen Silvester zauder sNimörmt." „Siincsterzauber!" die kleine Frau geriet ordentlich in Hitze, ..Du betonst das gerade so. als wenn Dir die Sache überhaupt keine Freune machte!" ..Ti>« sie auch nicht!" bestätigte Maria freimütig, „das ist ja schon der reinste Karneval!" „Ja. nicht wahr" meinte Annemarie begeistert, „das sagte ich auch meinem Manne. „Es geht doch nichts über solch eine sidele Silnesterseier im Hotel! Da ist meist schon vor zwölf Uhr eine Stimmung, die stark an Fastnacht erinnert, die Luft schlangen stiegen und der Sekt schäumt nur so! Kannst Du Dir denen eine reizendere Art denken, ins neue Jahr hinüber zukommen! Ich wenigstens nicht!" „Aber ich" gestand Maria und Wer die frauliche Reife ihrer klaren Züge legte sich ein leichter Ernst. „Ich weih nicht," meinte sie dann sinnend, „aber es will mir nicht in den Kopf, diese letzten Stunden des Jahres so zu beschließen. Dafür sind sie mir denn doch zu kostbar. Irgendwie muh ich doch einen Rückblick aus das vergangene Jahr werfen, wie aber soll ich das in solchem Trubel tun? Immer habe ich Silvester das Gefühl, eine Tür fällt hinter uns zu, ein« andere öffnet sich, zwar erst nur ein winziger Spalt, aber dahinter steht, ein unbekanntes Etwas, di« Zukunft!" „An so etwas habe ich noch nie gedacht," erklärte Anne marie ehrlich, „aber warum sich auch mit solch düsteren Ge danken quälen, man ist doch nur einmal jung!" „Ich kann nicht finden, dah das düstere Gedanken sind," meinte lächelnd Maria, „aber ich mache mir nun einmal nichts aus Euren sogenannten Hotelsilvefterfeiern mit Tanz. Sekt und Ueberraschungen"!" „Mir scheint, Du bist schon ein halber Philister!" spöttelte Annemarie, „was sagt denn eigentlich Dein Mann dazu?" Ein klein wenig Neugierde klang durch di« Frage. Maria aber blickte die andere ruhig an: „Das ist ja gerade das Schöne," sagte sie still beglückt, „auch Ernst fragt nichts nach diesem über triebenen Silvestertrubel." „Dann legt Ihr Euch wichl gar zu Bett?" erkundigte sich Annemarie ganz erschreckt, dieser Gedanke schien ihr unfahbar. Maria aber lachte: „Ach nein." meinte sie fröhlich, „unsere Silvesterfeier lasten mein Mann und ich uns nicht nehmen!" „Wie und dann feiert Ihr so ganz allein? Ja. wie macht man denn das?" fragte Annemarie ganz naiv. Maria sah die andere einen Augenblick erstaunt an: „Dafür gibt es kein Rezept, lieb« Annemarie," verdächtig zuckte es um ihre Mund winkel. „wi- sagt doch Faust: „Wenn Jhr's nicht fühlt — Ihr werdet's nicht erjagen!" so ähnlich ist das auch mit unserer Silvesterseier! Wer vielleicht probiert Ihr es auch einmal da heim, still bei einem Glase Punsch und einer traulichen Unter. Haltung." Aber Annemarie wehrte erschreckt ab: „Allein mit mei- nein Manne brr! Wie langweilig!" Da schwieg Maria und man sprach von etwas anderem und begann eines jener Verlegenheitsgespräche, mit denen Men, scheu, die sich nichts mehr zu sagen haben, versuchen, einander darüber hinwegzutäuschen. Bald danach trennten sie sich. „Nein, Maria fängt wirklich an, alt zu werden." stellt« Annemarie bei sich fest, „ich werde doch lieber mehr mit Alice verkehren, die paßt bester zu mir! Uebrigens, Silvester Pik Solo zu feiern — auf solch einen ausgefallenen Gedanken kann aber auch bloß Maria kommen!" Und sie muhte noch in der Erinnerung lachen. „Schade." dachte Maria, „sie ist doch sonst ein so reizender kleiner Kerl, die Annemarie, wirklich schade, daß sie so ober flächlich ist!" ... In einer sternklaren, schneeweißen Silvesternacht aber war es, daß zwei Frauen, grundverschieden, wie das Gewand, daß sie trugen, in das neue Jahr hinüberglitten. Maria im schlichten Hauskleid, dem aber ein zartduftender Veilchenstrauß eine warme Festlichkeit verlieh und die kleine Annemarie in großer Toilette Welten trennten sie in diesen Stunden! Die eine aufrauschend, im wilden Lustakkord überschäumenden Jubels die andere im still-beschaulichen Rückblick auf Lust und Leid eines verflossenen Jahres! Langsam hob Marias Gatte das Glas mit dem gliihheißen Punsch: „Ich danke Dir. Maria," seine Stimme klang wie draußen der warme Ton der Silvesterglocken in der kristall klaren Nacht „ich danke Dir für das Jahr des Glücks, das Du mir wieder geschenkt hast!" Maria aber sah ihn an, mit einem Blick so innig-tiefer Liebe, wie ihn nur Frauen besitzen, die Weib im besten Sinne des Wortes sind. Und dann gingen beide in das Zimmer, wo friedlich ihre Kinder schlummerten! Wie viele Glückwünsche zum neuen Jahr hat man schon er halten und gespendet: wie viel« Silvesterabende wird man noch erleben? Manch' einer wird die Frage an sich vorüberziehen lassen, wenn er di« Reihe der Jahr« hinabblickt, von jenen Tagen an, da man auf dem Arme der Mutter mit den Erwachsenen mit- gejubelt hat. bis heute. Die ersten Tage der Schulzeit, da man sich vorsorglich einen mit möglichst bunten Blumen geschmückte» Briefbogen mit Doppel-Bleististlinien richtete, um dann in steifen Lettern den ebenso steifen Glückwunsch aufzumalen, der der ganze» Klasse gemeinsam vordiktiert und den gerührten Eltern am Neujahrsmorgen überreicht wurde, zu ihrer Freude, trotz des Kanzleistils, der verunglückten kalligraphischen Versuche und der ausradierten Tintenflecke! Phantasievolle Gemüter würgten an den unverstandenen Begriffen: „Jahreswende, unvergängliche Dankbarkeit, oder glücklicher Lebensabend", während das Eros der Schüler ruhig nachbuchstabierte, was da vorgesagt wurde oder in schwierigen Fällen auf die Tafel ge kreidet wurde. Auch der „Silvesterabend" war einer der unge bräuchlichen Ausdrück, der kindlichen Gemütern etwas ganz Wunderbares vorspiegelte: wenn man da in seiner dunklen Schlafstube im Bettchen das Lachen und Sprechen der Er wachsenen vernahm, di« sich bei Punsch und — hierzulande — Berliner Pfannkuchen vergnügten, wachte man mit Gruseln auf das „Geheimnisvolle", bis man ganz sachte hinübergefchlummert war und nun im Traumlande Märchenhaftes erlebt«. Ein paar Jahre später ließ man seinen Gedanken keinen Zwang mehr antun, sondern schrieb sauber und glatt den selb ständig aufgesetzten Neujahrsbrief. Wie manches verräterische Zucken auf dem Antlitz der Eltern, wenn der neun- oder zehn jährige Stropp seine Epistel großartig begann: „Ich ergreife wie das Neue Zain den Antel kostla erlöste! Ein slawisches Volksmärchen von Old. Antek Kostka ging durch den Wald, der über und über mit Schnee bedeckt war. Und die Kälte war so stark, wie sich di« ältesten Leute im Dorf nicht entsinnen konnten. Der eben unter die Füße fallende Schnee bruzelte, darunter aber war er hart wie ein Stein und drückte die Mutter Erde, daß ein eiserner Reifen nichts dagegen war. Der Himmel war rein und alänzte mit den Nägelköpfen seiner Sterne. Und der Mond schwamm hin und her und lachte, daß die Kälte den Menschen so zusetzte. Antek Kostka marschierte dahin und meditierte: - He! Oder: — Na. ja! Was sollte er auch besseres ersinnen? Er war ein armer Schlucker, hatte keine Arbeit, keine Hütte, kein Weib. Er wandelte eben darauf los, hierhin und dorthin, von Dorf zu Dorf — nur den Gendarmen ging er aus dem Wege, denn sie fragten: - Wer bist du? Woher kommst du? Dein Paß? Paß? Wer würde Antek auch einen Paß ausstellen? Als Zu der frischen Lust ires Aeujahrsmorseus begrüßen sich unsere Schornsteinfeger und wünschen jedem Rauch fang. Herdfeuer und F»milt« d«r Stadt vi«l Glück im Jahre 1SL8. die Feder" oder „Unmöglich kann ich den heutige» Tag vorüber gehen lasten," übrigens ein sehr beliebter Anfang. Oder man hatte einen alten Briefsteller aus Großvaters Zeiten erwischt und schrieb etwas Schwungvolles daraus ab. von des Lebens Rosenpfaden, di« immer dornrnlos sein möchten, oder von Hymens Banden, die niemals reißen sollten, und war höchst indigniert über das Gelächter der älteren Geschwister, die laut einige Perlen unserer Stilblüten zum besten gaben. Wieder ein Paar Jahre später, und man fand sich zu groß für einen Schriftlichen Glückwunsch oder zum Gcdichteaufsagen. . . . Und dann war man auf einmal mitten im Kreis der Er wachsenen, wartete am offene» Fenster aus den Klang der Weihnachtsglocken und goß Blei oder warf Pantoffel, wie die anderen auch: natürlich tat man möglichst groß, daß man solchem Aberglauben keinen Wert beimeste, war aber heimlich doch voller Sehnsucht nach dem Großen und Wunderbaren, das so selten in ein Menschenschicksal tritt. Wie mancher vergißt über dem Schauen nach den Sternen, dem Unerreichbairen, all das Schöne und Begehrenswerte, das zu seinen Füßen sproßt und nur aufgehoben zu werden braucht! Silvesternacht reiht sich an Silvesternacht: frohe und schlimme Stunden geben sich di« Hand, und auf einmal sind aus den Kindern, die mit stammelnder Lippe ihren Gliickwunschvers stammelten, selber Eltern, selber Großeltern geworden, die die Briefe und Wünsche der Ihren entgegennehmen. Es ist etwas Schönes und Patriarchalisches um diese alten Sitten, die die Familien im Wechsel der Zeiten Zusammenhalten. Neujahrsgeschenke wie in Frankreich kennt man heute selbst auf dem linken Rheinufer nicht mehr: aber allgemein ist die Begrüßung von groß und klein in dem Wunsche Prosit Neu jahr! bi. v. Vieser. er im Herbst vollkommen abbrannte, ging er in die Stadt, um Arbeit zu suchen. Er fand nichts. Er ging weiter, von Dorf zu Dorf — ohne Erfolg. Wer braucht auch etwas im Minier? Im Sommer braucht man schon eher einen Knecht — und im Winter bruzelt die Armut überall: wozu soll man da einen neuen hungrigen Mund ins Haus nehmen? So pilgerte Anlek Kostka durch diese Welt. Hier fütterte ihn ein Pfarrer einen Tag lang durch, dort gab ihm ein Bauer ein Stück Brot — und so lebte Antek recht und schlecht als armer Teufel, denn er war ein harter Mensch und die Armut konnte ihn nicht unterkriegen und ihm nicht bei- kommen; so war es nun einmal. Antek stapfte so vor sich hin, stapfte und rechnete sich plötzlich aus, daß heut, tatsächlich heut — Silvester war. Neujahrsnacht. — He! Du Neues Jahr! Du meine Hoffnung! Länger kann ichs nicht tragen, schwer ist mein Los! So singt er in die Ferne hinaus, schreitet durch den Wald, und die Tränen ziehen eine Kruste über seine Augen: Leid bohrt in seiner Brust, daß er gar nicht weiß, was es ist: es ist nicht die übliche Sehnsucht, auch kein Eigensinn des Bösen, noch sonst etwas — ja, so war es! Und er setzte sich unter einen Baum auf den Schnee. - He! Du Winter, du kalter. He!. Du hast harte Klauen. Alter! Was du packst, das hältst du fest, und ich bin so müde! Er schloß die Augenlider unter den brennenden Tränen — und grübelte, daß er so einsam ist, wie jener Pfahl dort, aus der ganzen Welt, und daß er schon keine Lust und keine Kräfte hatte zu einem Leben, das sich in solches Herumlungern verwandelt hatte. Da sieht er plötzlich etwas. Doch was ist's? Furchtbare Helligkeit wälzt sich durch den Wald! Antek will sich schnell aufraffen, weil ihn Angst packt, aber er kann nicht. Die Füße sind hart wie Steine am Flutze, und die Erde hat sie so sehr in den Schnee hineingezogen, daß er unmöglich aufspringen kann. Also sitzt er weiter, still, und nur das Herz schlägt: »nd er schaut und beobachtet, was sich ihm eigentlich nähert. Offen lag das Feld vor ihm, über das die Hasen sprangen und jetzt voller Angst davonliefen. Antek schaut hin, und sieht, wie in dieser fürchterlichen Helligkeit ein kleines Kind hervorkommt, stehen bleibt — und umherblickt, aus die Sterne schaut und wartet. Was mag dies nur für ein Kindchen sein? Antek strengt sein Hirn an, kann aber nichts ausdenken. Also seufzt er nur in seiner ungeheuren Verwunderung: — He! Und das in weiße, leuchtende Kleider gehüllte Kindchen steht auf dem Schnee, blickt umher und wartet. Plötzlich erblickt Antek etwas wcues — von der anderen Seite schleppt sich wieder etwas daher, nur ohne jede Helligkeit, und stöhnt, ächzt und zerbricht die Aeste. Wer mag dies nun wieder sein? Auf das Feld humpelt ein alter gebückter Bettler, und doch