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Onter^altuns und V^i886n Ssoksiscl.- Vollcsre.tunz 1928 Aus dem Lnhatt. ^rl^ricki Berka: Die Well vor hundert Jahren. Heinrich Leis: Schneeglöckchen. ^ sch rö» g h a m c r - H c i m d a l : Unsere Ahn«. Otto Rust: Urmnldzauber. Ernst Roeldechen: Musik der Stille. 9 ° t „ r Klcin: D i rektrur Jlgener. ^ rank Liane: Die wahrhaft Annen. Sie Weil vor hundert Zähren Von Friedrich Berka. Man feiert hundertste Geburtstage, Todestage und dilarn aller Art — warum sollte man also nicht auch mime: das Jubiläum der Zeit selbst feiern, den Blick ein Siikuluin weit zurückwerfen, um zu sehen, wie weit die Welt inzwismrii gekommen ist, welche Erfolge der Fortschritt ge- nmchi hat? Schlägt man die Annalen der Geschichte auf, in» sich zu vergewissern, was sich im Jahre des Heils 1828 lmj dem Erdenrund zugetragen hat, so drängt sich, wenn »mn bei dem Nächstliegenden beginnt, gleich eine Parallele ! zwischen dem Damals und dem Heute auf. Heute tagt in I Berlin die Konferenz der Regierungen des Reiches und der Länder; man erörtert das Problem, wie die Struktur des Deutschen Reiches den Erfordernissen der neuen Zeit ohne ! im-jälirdnng seiner kulturellen Vielfältigkeit angepasit wer den könne Vor hundert Jahren gab es noch kein einiges > Tenlsches Reich, und wenn Goethe im Jahre 1828 zu Ecker- mnnn sagte: „Mir ist nicht bange, daß Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisen bahnen werden schon das ihrige tun," so mar ihm solche Zu versicht durch die damals herrschenden innerdeutschen Zu stände nicht gerade leicht gemacht. ,.Es sei eins", fuhr er fort. ..dag der deutsche Taler und Groschen im ganzen Reiche gleichen Wert habe; eins, daß mein Reisekoffer durch ftiü Staaten ungeöffnet passieren könne." Die 86 souveränen s Staaten die sich zum Deutschen Bund zusammengeschlossen Saiten, sind nicht mehr; 1928 besteht Deutschland nur noch aus 18 Ländern, von denen einige daran denken, in dem Mereu Ganzen aufzugehen, und der Zustand ist glücklich 'überwunden. der den Deutschen durch Zoll- und andere ! Schikanen die Freude an ihrem Vaterland vergällte. Da- i mals musste die deutsche Einheit schrittweise durch Zoll- tmiveiltilmen vorbereitet werden; das Jahr 1928 verzeich- s net mehrere solcher Abschlüsse. Auf die Zollanschlüsse nord deutscher Kleinstaaten an das preußische Zollsystem in den ssabren vorher folgte am 14. Februar 1828 die Zolleinitzung zwischen Preußen und dem Großherzogtum Hessen — be zeichnenderweise war Hessen auch damals der erste süd- s denische Staat, der am stärksten zur Einheit drängte. Am stx. za,mar 1828 hatten sich bereits Bayern und Würltem- ^ dem zum Süddeutschen Zollverein zusammengeschlossen, dem im nämlichen Jahr die hohenzollernschen Fürstentümer bei- iraten. während Hannover, Kurhessen, Braunschweig, Lachsen, Nassau, die sächsischen Herzogtümer, die schwarz durgischen und die russischen Fürstentümer sowie Bremen nid Frankfurt a. M., am 24. September 1828 den Mittel Unsere Ahne Von F. Schrönghamcr-Heimdal. Manchmal sah Mutter sinnend am besonnten Fenster und ! sah gegen Süden hin wie in weite Fernen. Dabei hatten ihre Züge etwas Versöhntes, ihre Lippe bewegten sich wie in leisen Erbeten und zuweilen seufzte sie auf wie in stiller Ergebung in s ein wehes Geschick. Ha fragte ich Mutter einmal von meinem Spielzeug am j trtiibenboden her: „Mutier, was hast du denn?" llnd die Gut« sprach: „Das verstehst du noch nicht; da bist ! du noch zu klein dazu. Wenn du einmal größer und verständiger I bsl, werde ich es dir sagen." Aber in mir war ein leises Mitleid mit meiner Mutter und Irlich nicht los mit bittendem Gefrage, bis sie mir Bescheid >«°b: .Ich denke an dein« Ahne." „Ahne! Was ist das. Mutter?" „D,s ist deine Großmutter, deiner Mutter Mutier..." „Großmutter — ah, wie im Märchen?" >Jo, wie im Märchen: „Es war einmal..." »lind diese Ahn« ist deine Mutter?" meine Mutter." sich wunderte mich sehr in meinen, Unverstand«, daß meine I Kuiler auch eine Mutter habe. Für nuich gab es eben mir eine I Mutter. „Worum ist denn die Ahne nicht bei uns, Mutter? Laß sie sdoch zu uns Herkommen, daß sie bei uns wohne un§> bleibe." >Tas geht nicht, Kind. Dafür ist die Ahne schon zu alt. I^e ko»,, den weiten Weg nicht mehr machen. Es sind wohl liwols T,„ndcn von der Heimat an der Donau bis in unsere s^oldbcrgc her. Ach Gott, ich werde mein altes Mutterl bet 'Zetten wohl nicht mehr sehen..." »Eo gehet» doch w i r zur Ahne!" schlug ich tapfer vor. „Auch da-geht nicht. Denn ich kann nicht sott wegen euch Indern. Aitils kostet so eine Reise mit dem Postwagen viel und da- haben wir nicht. Wir müssen sparen für euch, deutschen Handelsverein bildeten. Auf diesen Konventionen sollte sich der spätere Zollverein aufbauen. Ein anderes bemerkenswertes Ereignis des Jahres war das Ende der sogenannten Zentral-Untersuchungskommission in Mainz, jener Organisation vom Geiste Metternichs, deren Aufgabe es seit dem Karlsbader Kongreß gewesen war, alle die Kräfte in Deutschland niederzuhalten, die man der „Dema gogie" bezichtigte, weil Deutschlands Einigung und Frei heit ihre Sehnsucht war. Die behördlichen Kampfmaß nahmen gegen die Studenten wurden jedoch nicht abgebaut; in Heidelberg und in München wurden Studentenverbin dungen abermals verboten. 1828 erschien Wolfgang Men zels „Deutsche Literatur" ein umfassendes Werk, das damals ungeheures Aussehen erregte, heute aber fast ver gessen ist, und das sich namentlich gegen die „blinde An betung Goethes" wandte. In Berlin hielt Alexander von Humboldt dem großen Publikum Vorträge über physische Geographie, in Wien Friedrich von Schlegel Vorlesungen !ber die Philosophie der Geschichte, dort dichtete Grillparzer ein Drama „Ein treuer Diener seines Herr" und Raimund einen „Alpenkönig und Menschenfein": im selben Jahre tarb Franz Schubert, der letzte Klassiker der deutschen Musik, unt trat Paganini zum erstenmal in Wien auf. Es war die Zeit des Biedermeier, die Epoche des nach unaufhörlichen Kriegen verarmten Bürgertums, das in seinen Lebensgewohntheiten anspruchslos geworden war, und dessen Horizont sich mit den trostlosen politischen Ver hältnissen im damaligen Deutschland verengert hatten. Auf die großen Weltereignisse reagierte es mit Bänkelsang. Noch immer stand die orientalische Frage im Vordergrund. Rußland und die Türkei befanden sich im Krieg. Der Zar hatte Friede mit Persien geschlossen und sein Gebiet in Asien erweitert, nun ging es gegen die Türkei. Auch damals verstand man sich schon beim Kriegfuhren auf jene Dialektik, die uns aus dem Krieg so wohl vertraut ist. Das Kriegsmanifest des Zaren erklärte, es gelte, die von der Pforte verlebten Verträge wieder in Kraft zu setzen, während die Türkei ihrerseits beteuerte, daß sie stets ihr 8eürrAee§IöelLe!rSrL Die Erde lag in Frost erstarrt, Der Winter stapft noch durch die Fluren, Da unter schneevcrwehten Spuren Sasttreibcnd schon das Leben harrt. Wohl grauveryangcn schleicht der Tag, Doch ist ein sanfterer Wind gekommen, Hat Siidensonne mitgenommen Und überkost den Buchenschlag. Da regt sich aus dem Dämmcrtraum Ein neues, sacht erwecktes Raunen, Und kleine Blütenaugen staunen Noch schlummertrunken in den Raum. Sie halten scheu den Silberschein Im halbgetanten Schnee verborgen, Doch mit dem frühsten Sonnenmorgen Wird weißer noch ihr Leuchten sein. Llelorlok l-ots. Verhalten nach den Vorschriften des reinen und heiligen Gesetzes geordnet habe; Rußland habe sich aber in Serbien, in der Moldau uud Walachei heimtückisch und lügenhaft gezeigt. Die Russen zogen über die Pruth und bemächtigten sich der rumänischen Fürstentümer, wo sie keineswegs will kommen waren. Die Bauern flüchteten vor den Requisitio nen ins Oesterreichische, und bald wütete im Land die Pest, die man von der Donaumonarchie durch die strengsten Sanitätsmaßnahmen abwandte. Das ganze Jahr stand im Zeichen des Festungskrieges an der Donau. In Griechen land, dem europäische Offiziere, darunter der preußische Major von Schornhorst, wertvolle Dienste leistete, gelang die endgültige Befreiung des ganzen Peloponnes. Der neuerwählte Präsident Kapodistrias traf in Aegina ein, berief die Nationalversammlung und begann die Organi sation des neuen Griechenland. Ein Held des griechischen Freiheitskampses, Fürst Alexander Ppsilanti, dem Wilhelm Müller eines seiner berühmten Gedichte gewidmet hat. starb in Verona. Die Türkei, die sich in schwerer Gefahr sah, er lebte unter der Führung ihres zu den radikalsten Reformen entschlossenen Sultans Mahmud II. eine unerhörte Neue rung. Zum erstenmal wurde eine große Versammlung der Notabeln des ganzen Reiches nach Konstantinopel berufen; gleichzeitig ging man, nachdem die Janitscharen endlich voll kommen vernichtet waren, an die Reorganisation des Heeres nach europäischem Muster. Portugal war der Schauplatz erbitterter Parteikämpse, in deren Vordergrund der Usurpator Dom Miguel stand. Auch England hatte große innere Schwierigkeiten zu be stehen; der Streit um die Emanzipation der Katholiken und die Abschaffung der gegen diese geltenden Ausnahmegesetze beherrschte das ganze Jahr. In der vordersten Front dcr Katholiken stand der irische Rechtsanwalt O'Lonnell, der zum ungeheuren Jubel seiner Anhänger ins Unterhaus ge wählt wurde. Frankreich, das nach der Wiedergewinnung verlorenen Kriegsruhmes strebte, unternahm eine Expe dition nach Morca, wo allerdings billige Lorbeeren zu bolen waren, und begann den Feldzug in Algier, dcr erst im Jahre darauf zu einem weltgeschichtlichen Erfolg führen sollte. Die allgemeinen kulturellen Verhältnisse in Frank reich werden durch die Tatsache beleuchtet, daß von secbs Millionen schulpflichtiger Kinder nur zwei Millionen die Schule besuchten Der berühmte Entzifferer der Hiero glyphen. Champollion. begann eine Expedition nach Äegnv- ten, Eaills kehrte von seiner abenteuerlichen Durchquerung Afrikas zurück. Es war die Zeit, dam man noch an der technischen Aus wertung der Dampfkraft arbeitete, die das Gesicht der Welt in den nächsten Jahrzehnten so gründlich verändern sollte; man konstruierte Dampfwagen und verschiedene Eisenbahn typen. In London wurden die Arbeiten am Tunnel inner der Themse fortgesetzt. Eine Gasexplosion beschädigte das Theater von Eovent-Earden in London, was freilich der Gasbeleuchtung keinen Abruch tat In England waren längst Theater, Kirchen, Spitäler und Siaatsgebäude mit Gas beleuchtet. Man zählte im Lande bereits 200 Gas werke. Wie in Berlin, so war auch in Paris — hier aller dings nach vorübergehendem Rückschritt — die Gasbeleuch tung durchgedrungen. In Dresden und München wurde sie vorbereitet. In der Schweiz baute man an der neuen Straße über den St. Gotthard, die den bisherigen Weg um die Halste abkürzen sollte. In Amerika stand der Bau von Kanälen und Landstraßen in hoher Blüte In den Bereinigten Staaten befehdeten sich fünf Par damit wir euch einmal ein paar Kreuzer mitgeben können ins Leben." Ich war stille nnd bedachte das Leid der Guten, die in der Liebe zu »ns Kindern nufging und dabei auch di« heilig« Kindesliebe zur eigenen Mutter so tief im Herzen trug, daß sic heiße Sehnsucht nach ihr litt. So verging die Zeit und ich dachte oft an die ferne Ahne in der Mutterhcimnt an dcr blauen Donau draußen vor den Waldbergcn. Da kam einmal der Postbote und brachte einen Brief. Mutter erkannte die Schriftzüge sogleich und ries in freu diger Bewegung: „Vater, Kinder, kommt! Ein Brief ist gekommen — von de, Ahne! Was wird sie wohl schreiben? Wie mag es ihr wohl ergehen?" Mutter schnitt den Brief rasch auf und las Ihn uns vor: Liebe Tochter! Lieber Schwiegersohn! Liebe Kinder! In Gottes Namen ergreife ich die Feder und mache euch zu wissen, daß ich am Samstag vor dem Frauentag zu euch komme. Ich muß euch noch einmal sehen und segnen, denn ich bin alt und wer weiß, wieviel Lebenslage mir noch be schicken sind- Ich fahre mit dem Postwagen bis Schönberg, wo ihr mich «Holen möchtet. Denn ich habe einen großen Korb voll Weintrauben bei mir, die Heuer so wohlgeraten sind wie noch nie. Gotte behüte uns alle bis -um freudigen Wiedersehen! In aller Liebe grüßt euch eure alt« Ahn«. Mutter wischte sich mit der Schürze die vorquellenden Freudentränen von den Wangen. Vater sagte: „Das ist recht, daß die Ahne kommt, damit sie die Kinder auch einmal sehen kann. Ich werde sie selbst in Schönberg abholen, damit sic wohlbehalten herkommt." Wir Kinder jubelten ans: „Die Ahne kommt! Die Ahne kommt!" „Und einen Korb voll Weintrauben bringt sie mit!" ries ich begeistert, obwohl ich gar nicht wußte, was das wäre. Denn die Rebe war bei uns im Waldland unbekannt. Die Gegend war zu winterlich, allzu unwirtlich für den Wuchs der edlen Weinrebe. Aber daß die Traube etwas Köstliches sein müsse, erriet Ich gleich, weil es di« Ahn« t» ihrem Brief eigens er wähnt«. Ich rannte gleich ins Dorf »nd rief es überall ans: ..D-ie Ahne kommt! Die Ahne kommt! Und einen Korb voll Wein trauben bringt sie mit!" Wir konnten es kaum erwarten, bis der Sonntag vor dem Frauentag kam. der uns die Ahne und die Weintrauben bringen sollte. Aber endlich kam er doch, und Vater nahm den Gehsiecke» aus dem Herdgestnngc, um dcr Ahne entgegenzugchcn Mutter scheuerte alle Stuben und Kammern noch einmal so gründlich wie sonst an Samstagen. Wir Kinder aber drückten uns die Nasen an den Fenstern platt vor lauter Ausschaucn nach der Ahne. Und jetzt kamen sie! Ich erkannte sie sogleich, als sie ülier den Bühl heraufpilgerten. In dcr einen Hand trug Vater den großen Korb mit den Weintrauben, mit der andern führte er ein gebücktes Weiblein, die Ahn«. Jetzt mußten wir auf das Geheiß der Mutter still »m den Tisch sitzen, damit die Ahne sähe, daß wir auch brav sein könnicn, und ihre Freude an uns habe Ach' wie gern waren wir da brav — der Ahne zuliek»«. die unserer Mutter Mutter war. Ueber eine Weile ging die Siubeniüre auf und die Ahne trat herein, ein liebes Lächeln auf den Lippen. Mutter nahm sie sogleich in di« Arme und ich sah, wie die beiden Frauen vor Freude weinten. Erst nach einer Meile begann das Begrüßen nnd Fragen, wie es gehe. Und die Ahne sprach: „Gott Lob und Dank, daß ich euch noch einmal sehen darf." Obwohl Vater den Korb mit den Weintrauben schon auf die Herdbank gestellt hatte, mußte ich dock, immer nur nach der Ahne sehen mit ihrem lieben, alten Gesichte und den gütigen Augen, mit denen sie uns betrachtete. Das also war meiner MuiNer Mutter. Nun saß sie Im Ahnenstuhlc vor dem Eßtisch, aber sic kounle nichts essen vor Freude. Mir Kinder mußten eins nach dem andern vor sie lrelen und unsere Namen nennen. Sie nahm jedes auf den Schoß, legt« uns die zitternden Hände auf den Scheitel und sprach etwas Liebes und Leises dabei. Heule weiß ich, daß cs dcr Ahnensegen war. Dann teilte sie uns von den Weintrauben, die so wunder- / e 1