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OnterkaltunL und Säcks.scke Vollcsre.tunz ^r^rix 1923 Aus dem Znhali. Ku»i Tremel-Eggert: Am Ziel W1,, l> imir Lidin: Aus den Spuren des Blaufuchses. Else Dudnowski' Stimmen aus der Tiefe. Henri Borel: Kunst und Nackiahmung. Max Hayek: Märchen st in Minulen Kopfzerbrechen »VM! Am Ziel Die Geschichte einer Mutter. Bon Kuni Tremel-Eggert. M« die im Dorf« merkten, da» sie einander liebhatten, lachten str und machten die alt« Rechnung, daß nichts und nichts zweimal nichts Ist. Sie wunderten sich aber nicht, da» er die Eva nahm, son dern sie schüttelten die Köpfe über das dumme Ding, das den Bauernsohn stehen lieh und den Taglöhner vorzog. Die Eva wußte recht genau, wie sie im Dorfe über ihre Llahl redeten und dachten, aber sie lachte nur. hing an ihres Liebsten Hals und sagte es ihm immer wieder, daß er allein, der Beste, der Liebst« fei Und wenn erd zaghaft sagte, daß er halt nichts habe, dann lachte sie ihn aus, streifte di« Aermrl zurück und streckt« ihm di« nackten, runden braunen Arm« entgegen und fragte lachend: „Was brauchen wir sonst?" Und wenn sie das so sagt«, kam rin solches Glück über ihn. daß er nichts anderes konnte, als sie stumm aber sest, fest an sich zu pressen. Das war sein« Sprach«, denn er war einer von den Stillen. Aber manchmal redete er doch, das war in den ersten Mo nate» ihrer jungen Ehe. di« Ueberfiille ihres Glücks zwang ihn dazu. Sein Verwundern äußerte er. daß er nicht und nicht be greifen könne, daß das Leben nun mit einem Male wie ein einziger Sonntag sei. wo es doch vordem, als Frau Eva nicht da war. so karg war und schwer Wenn er soredte, küßt« sie ihn jauchzend, lachend wie «in recht recht junges Ding, und war doch schon ein« Frau — seine — Frau. Immer waren feine Gedanken bei ihr. auf dem Weg bei der Arbeit droben im Walde Am zweiten Jahr ihres Beisammenseins kam eine große Hoffnung zu ihnen, und nun stand »m Frau Evas Mund ein Gliicksläckzeln. das nach innen ging. Lstenn er an all dies dachte, mußte er ganz beklemmt atmen und seine Lippen formten die zwei Worte „unser Kind" wie ein Gebet. Es war ein Bub! „Ein Bub!" schrie Frau Eva jubelnd, und wäre beinahe aus dem Bett gesprungen. Und was sür «in Bub — es zeigte sich im Lause der nächsten Monate immer mehr. Rund war er und rosig, hatte die stillen Augen des Vaters und die krausen Haare der Mutter, lachte und schri« und schlief durch seine Tage wie nur einer, der ge sund ist und vielversprechend. Und wie er die ersten selbstgemachten Höschen trug, da war ein solcher Feiertag, wie nicht einer im Kalender steht Es kamen noch viel« Festtag« in der kleinen Familie, denn jede schwere Arbeitswoche schenkte ihren Sonntag und dann zogen drei glückliche Menschen hinaus in den Wald, der dunkel und in voller Schönheit hinter dem kleinen Dörfchen stand Tag um Tag sah ihn der Vater, wenn er zum Holzfällen ging, und sah ihn doch nur Sonntags, sah ihn dann mit den Augen der Frau Eva und ihres Buben und fragte sich's jeden Sonntag mit neuem Staunen: »Ist das der gleich« Wald?", sragt« es auch die Sonnige, di« da mit dem Buben auf dem schmalen Weg Fangen spielt«, selbst ein Kind mit ihrem Kinde. Und jedesmal gab sie ihm ernsthaft die Antwort: ,/ver Wald? Nein, das ist rin anderer Wald, ist ein Sonntagswald — unserer —" So gingen di« Jahre. Der Vater war beim Holzfällen, dir Mutter arbeitet« in den sonnendurchgliihten oder regennassen Feldern Tag um Tag. und bald sand sich auch für den Ferdinand rin« Beschäftigung als Gänsehirte. Und der klein« Kerl schritt mit seinen -erschundenen Füßen über die harten, spröden Stop peln und halte Augen wie noch einmal einer. Und siehe, die Füße schmerzten nicht, und die Armut tat nicht weh. satt und gesund waren st« alle drei, und jede Arbeits woche schenkte ihnen einen Sonntag. An einem dieser Sonntage wuchsen aber nun auf einmal große Pläne in der kleinen Stube. Der Herr Lehrer war schuld. Er hat die Frau gerufen und hat Ihr s gesagt, daß der Ferdinand nicht nur sein bravster, sondern auch sein klügster Schüler sei, und daß es eine Sünde wäre, dereinst aus dem Ferdinand «inen Holzarbeiter oder Bauernknecht zu machen. Und de» Ferdinand höchsten Wunsch kannte der Lehrer auch. Lehrer wollte er werden wie er. Frau Evas Gesicht wurde ganz klein, als st« so große Dinge hörte, und sie fragte cs aus gepreßter Kehle: „Aber da» Geld dazu. Herr Lehrer, die paar ersparten hundert Mark —" — ..reichen fürs erste", siel ihr der Lehrer ins Wort. „Nachhilfe- ober sagen wir Vorhilsestunden gebe ich ihm unentgeltlich, der Herr Pfarrer, mit dem ich darüber sprach, gibt auch fein Echerf- lcin dazu, und wenn Sir gewillt find, das Ihre zu tun —" Da kollerten der Fra« di« Hellen Träne« über'» f-nnen- Auf den Spuren des vlausuchses Von W'.ayrmir tMri Das Motorboot war voll rohen Fleisches. Das Fleisch roch, große blaue Fliegen fetzten sich darauf. Wir fuhren in die Taiga, die Eebirgswälder Sibiriens, in das Cchongebiet, um die kost baren Schätze der Taiga zu sehen. Unser Führer war ei» Tierarzt, der der sibirischen Wildnis die Waldgeheimnisse der Tiere geraubt Halle Die blaue Dwina erstarb unter der Glut des Herbsttages. Wir fuhren in das Märchenreich der Tiere, und der Zauberer am Steuer erzählte uns Geschichten von Blaufüchsen, von Silber- füchsen »nd von seinem Leben, das er den Tieren gewidmet hatte. Dreißig Jahre lang lebte er mit den Tieren und dreißig Jahre seines Lebens hatte er den Tieren hingcgeben. um deren Gewohnheiten, Neigungen und Charakter kennenzulernen. Und diese Tiere waren das Pelzherz de» Nordens. Bor Jahrzehnten war der Deutsche Rosen in die Tiefe der Taiga an das Ufer des Zolotinfees gekommen. Er hatte groß« Hoffnungen und viel Lebenskraft wie jeder deutsche Kolonist. Der Deutsche Rosen war ein Agent Hagenbccks, des berühmten Königs der Tiere und Beherrschers der Wüsten in Hamburg. Hagenbeck rüstete Jagdexpeditionen nach Tibet und der Mon golei aus und umgiirtete dir Weltkugel mit Agenten — und Hagenbeck hatte schon lange Sehnsucht nach dem kostbaren, seltenen Tiere des Nordens — nach dem Silberfuchs, dem Blau fuchs und dem roipelzigen Vielfraß. Rosen blieb in die Taiga auf dem Ufer des einsamen Zolotinfees leben: der einsame Zolotinsee liegt in der dämmrigen Tiefe der Wälder, und der Deutsche richtete ,n den Schluchten der Taiga eine Schonung ein: er sammelte kostbare Tierpaare, ihre Jungen gingen zu Hagenbeck nach Hamburg. Und von Hagenbeck nach Neuyork und Chikago — und die schönen Frauen Chikagos und Neuqorks trugen aus köstlichen Schulter» den russischen Pelz. Und die schönen Frauen wußten nichts von dem Fang im russischen Nor den, von seinen Tieren und von den eisigen Weite» der Taiga, der Tundra und des nördlichen Eismeeres. Der Deutsche Rosen starb unter dem Eis des Zolotinsees, und mit ihm starb seine Frau, die über das schmelzende Eis lief, um ihn zu retten - denn es war März, und das Eis taute. Von dem Deutschen Rosen blieb nur eine Sage übrig, und aus die Sagengerüchte hin kamen neue Menschen und begannen mit neuer Hartnäckigkeit wieder eine Schonung in der Taiga zu bauen und kostbare Tiere zu züchten. Sie stahlen der Taiga das Tier und entführten es in das abgeschlossene Waldreich —- und der Znuberer am Steuer des Bootes erzählte uns Tier geschichten. Er erzählte uns, daß er dreißig Jahre lang die Tiere gepflegt und über die Zuchtergebnisse genau Bescheid weiß. Er erzählte uns. wie er junge Füchse einer gewöhnlichen Hündin hinlegt, und sic nährt die Füchse wie ihre Kinder. Er erzählte uns. daß der Juchs mit einem fremden Jungen spielt und sür es sorgte, während die Füchsin ein fremdes Junges sofort aussrißt. Und sie frißt auch di« eigenen Jungen, wen» ein Menschenauge sie bald nach der Geburt gesehen hat. Wir fuhren einen Arm der Dwina kilometerlang hinauf. Dann stiegen wir aus und gingen über eine hölzerne Drücke aus hohen Pfählen, die unter den Fügen wie Schilfrohr schwankte. Ueber dem Zolotinsee war Urstille, ein schweigsamer Nebel lag ans dem Wasser, die Waldmücken tanzten in Schwär men. Der Sec war finster und verzaubert, und traurig knarrten die Klampen des schweren Bootes. Der Zauberer ruderte »ns in sein Reich hinein. Wir fuhren lange schweigend über den See, stiegen dann einen steilen Berg aus einem breiterbelegten Pfad hinauf. Oben war eine Bretterwand, und diese Wand war die Mauer des Tierreichs. Der Arzt befahl uns, nicht zu sprechen und nicht zu lähmen, weil die Tiere sonst in ihre Häuser gehen und wir nichts sehen würden. Wir gingen schweigend durch die Stille — und plötzlich erschallte hinter der Mauer zweimal ein lautes, heiseres Gebell — es bellte ein junger Fuchs. Unser Führer nahm ein schweres Schloß von der Tür seines Reiches herab, und wir gingen hinein. Hinter den hohen Netzen war Stille, Siräucher, Bäume und Holztröge der Futterkästen. Wir gingen zwischen den Netzen und wieder begann dahinter der junge Fuchs zu bellen. Er stand in einer Lichtung und bellte mit der heiseren Stimme eines Hundes: er war eine Kreuzung des Blau- und Weißfuchses. Er erblickte uns »nd verschwand augenblick lich. Und sofort sahen wir vor uns einen Blaufuchs: er war tiefblau, beinahe schwarz und blickte uns neugierig an. Dann zeigte uns der Waldzauberer seinen Stolz — einen prachtvollen Silberfuchs-Rüden Er kletterte hinter das Netz und srbreckte das Tier durch Klatschen in die Hände aus. Das Tier raste auf uns zu. stellte sich auf die Hinterpfoten, ohne uns zu sehen, und spähte: es war wunderschön, federnd und zitterte von Schreck und Vorsicht, seine Ohren waren scharf gestellt, die Nüstern vibrierten, die Seiten glänzten ihm wie schwarzes Silber — und ich verstand in diesem Augenblick, wie das Herz des ein geborenen Jägers wahrscheinlich klopfte, als er die schwarze Perle der Taiga lebendig sing. Am Ende des Weges aber hing am Netz ein zärtliches, zahmes Tierchen, ein Weißfuchs, den eine Hündin aufgezogen hntte. Er war zahm wie ein Hündchen, leckte uns die Finger durch das 'Netz und quietsch!« vor übermäßiger Freude — es war ein prachtvolles Junges, das noch nicht die Gefahren des Lebens und die Grausamkeit des Menschen erfnhren hatte. (Uebertragcn von M. Charol.) verbrannte Gesicht, nnd sie konnke nicht anders, lachend schrie sie es heraus: „Ob ich will, ob wir wollen. Herr Lehrer? Di« Nägel will ich mir blutig schinden, wenn cs dem Ferdinand den Weg machen Hilst." Als sic heimkam. saß der Bub im schwachen Schein der kleinen Petroleumlampe, halte den Kopf in beide Hände gestützt und las. So sah er nicht den Blick, der über ihn hinging, merkte auch nicht das Zittern in der Mutter Stimme, als sie ihn nun bat. er möge in sein Bett gehen, es sei Zeit. Auf der breiten Bank neben dem Ofen bereitete sie ihm allnächtlich sein Lager, während der Vater und sie in der engen Kammer neben der Stube schliefen. Dahin ging nun die Mutter auch, nachdem fi« das Licht gelöscht hatte. 8trn»nreiA aus ^er Heke Der du so sicher auf deiner Höhe stehst. Der du im bliitenweißen Gewände gehst, Säume nicht! Säume nicht! Steige zu uns herab. Leg deine ftcrnenbeseßte Krone ab. Wollest ein Mensch, ein helfender Mensch nur sein. Siehe, wir strecken die Hand — wir harren dein! Denn — wer sich selber des Lebens Ruder zerbricht, Findet den Weg zum ruhigen Hafen nicht. Findet nicht heim zu Ehre und Ansehn und Gliick. Immer reißt ihn die Woge des Elends znriick. Bis er in finstere Mauern eingeengt, Durch di, sich niemals ein Strahl der Sonne drängt, Und nie ein Baum seine blühenden Zweig« nickt, Durch die das Granen mit irren Augen blickt! — Hörst du nicht unser» zermarterten Hilfeschrei? Gehst auch du lächelnd an unserer Not vorbei? Lächelnd zu deiner Ruhe, zu Spiel und Rast. Der du uns mit auf dem Gewissen hast! Siehst du nicht, daß unser Fuß tiefer und tiefe, versinkt? Rührt es dich nicht, wenn dein Brnder im Schlamm des Sumpfe» ertrinkt? Beuge dich! Beug« dich von deiner Höhe herab. Steige in unsere dunkelsten liefe« hinab, Daß wir an deiner Hand aufwärts zu« Lichte gehn. Seele, »i« »Ulst du «inst »o« deine« Richter bestehn? AI», AnckvvMNdl. Eine Weile war es still, der Bub schlief wohl, und so be gann Frau Eva: „Das Leben ist schwer, und wenn man könne, solle man halt seinem Kinde Helsen, daß es einmal leichter und besser durch di« Welt komme, als man selbst." Ais der Mann erkannte, wohinaus das wollle. saß er hoch aus und sprach cs klar in di« dunkle Kammer hinein: „Das ist Größenwahn für uns Leute, und darum dürfen wir an jo etwas gar nicht herumdcnken." In der Stubc lag einer, der hielt den Atem an. Zuerst hatte er nur reden gehört, aber nun verstand er, denn der Vater sprach, entgegen seiner sonstigen Art, laut und erregt. Und er fuhr nun >n gleichem Tone fort: „Mit Verstand allein geht's nicht, und als Knecht oder Holz arbeiter steht ihm auch jederzeit der Weg zu Besserem offen, wenn er das Zeug dazu in sich Hot." Ader nun redete di« Mutter. Und Diug« wurden ihr ge läufig, di« sie vordem nicht gekannt. Sic redete von Stipendien, und sic tat, als ob alle die nötigen Studienjahre nichts seien, «1s ein Graden, den einer nur mit dem richtigen Schwang überspringen müsse. Und wenn der Vater fragt«. „Woher nimmst du Kleider?" dann wußte fiie von einem abgelegten Anzug des Herrn Pfarrer», den zurechtrichten würde, und Hemden machte sie aus dem Zügel Leinwand, de, in der Truhe lag. und den der Ferdinand vergangenen Sommer selbst gebleicht halte. Und als der Vater immer noch Einwönde hatte, wie Bückier und Heft«, Essen und Schlafen, da setzt« sich Fra» Eva o is im Bott und hielt ein« lange Rede, sie hielt sie nur sür den einen, der da zögert« «nd den Mut nicht fand, aus der Armut heraus. Und als die Lied« nutzlos redete, da sprach sie von Pflicht, und als auch da der Mann anderer Meinung war und seine Zweifel an di« Kraft hing, di« bis zur Vollbringung nötig war. da griff die Frau zum Allerletzten und schwur es bei ihrer Lcel« Seligkeit, sie würde ihrem Kinde Helsen, und wenn der Vaier zag sein wollt« und klein, so tat sie. des Pude» Mutter, es allein. Darauf ward es still in der kleinen Kammer, in der noch lange di« feierlichen Worte der Mutter schwangen. In der Stube aber lag einer, der grub dos Gesicht tief in di« Kiffen und schluchzte es immer wieder: „Mutter, Mutter, nie will ich es dir vergessen", und sein junges Herz war voll Liede zu d«, Frau die sein« Mutter war Und wie cs die Mutter wollte, so kam's. Viel« Sonntage ivaren stc nicht in den Wald gegangen