Volltext Seite (XML)
Und V^1886N 1928 Aus Javas Wunderwelk Von Frank Stoldt Die kurze Tropendämmerung war kaum vorbei, als ich aus dem Hotel in Djokjakarta trat und mein Motorrad be stieg. Dann ging es in den taufrijchxn Morgen hinein. muhte langsam fahren, denn trotz der frühen Stunde strebte die Landbevölkerung auf allen Wegen zur Stadt. Die Landstraße führte für einige Minuten an einem kleinen Fluh entlang, in dessen flachem Bett alt und jung badete. Der Javaner mag in mancher Hinsicht voll Energielosigkeit und Schwachheit stecken, eine seiner liebens würdigen Schwächen ist seine Vorliebe für fließendes Wasser. Fast zu jeder Tageszeit sieht man ihn in Kanälen, Flüssen und Bächen Kühlung und Sauberkeit suchen. Ein zweimaliges Baden am Tag ist den meisten liebe Gewohn heit. Bald durchfuhr ich die langen Kampongs, die Dörfer, die Djokjakarta umgeben, und kam auf das freie Land. Ich war gerade durch einen schmalen Hain von Kokos palmen gefahren, die ihre feingefiederten Wipfel im Wasser des davorliegenden Reisfeldes spiegelten, als ich unwillkürlich die Bremse anzog. Denn dort, hinter dem Feld ragt«, scheinbar zum Greifen nah in der klaren Morgenluft, der gewaltige Tempelbau. der mein Ziel war. Der Boro-Budur ist eigentlich kein Tempel, sondern ein Gedächtnissaal zu Ehren Buddhas, das in der Art eines Grabhügels, als sogen. „Stupa", gebaut ist. Er enthält lenie» Innenraum. Auf einem Quadrat von 120 Meter Seitenlange erhebt sich eine Stufenpmamide von vier Galerien, die ihrerseits wieder zu drei Kreisterrassen über leiten. In die Seitenwände der Umgänge sind, in Stein gehauen, mehr als 1300 Reliefs mit der Lebensgeschichte Buddhas und seiner Lehre eingelassen: Mit neunundzwanzig Jahren verläßt Gautama Buddha, der Königssohn, seine Familie und sein Heim, um die Zufriedenheit zu suchen, die ihm Rang, Eheleben und Reichtum nicht gewähren. Als Schüler und heimat loser Wanderer entsagte er der irdischen Herrschaft und be ginnt ein Leben als büßender Bettelmönch. Sechs Jahre kasteit er sich, bis er erkennt, dag keine körperliche Ent behrung und kein Opfer allein ihn den Weg des Heils fin den lassen. Da kehrt er zu geregelter Lebensweise zurück und setzt sich unter den heiligen Bo-Baum. er erkennt die Gewalt, die innere Erziehung und die Nächstenliebe auf das menschliche Herz auszuüben vermögen. Hinfort legt er den größten Wert auf den inneren Sieg die Selbsi- erlösung. So kommt er zum Nirwana, zum Frieden, sein Buddbatuin beginnt. Aus diesen Gedanken wuchs eine Religion, der vier Zehntel der lebenden Menschen noch heute anhäfigen. Freilich wurde das einfache Evangelium des Meisters überwuchert von Wundererzählungen und Ansichmückungen. Hinru kommt noch, daß die buddhistische Weltanschauung in Java viel vom Hinduismus und Schiwaglauben übernahm, neben denen sie sich ausbreitete. Aus dieser Verschcttung ergab sich ein Produkt über ladener tropischer Phantasie. Der Wunder von der Geburt bis zum Tode des Buddha waren viele. Die Bäume nei- ten sich bei seiner Geburt, bei seiner Empfängnis durch die Mutter stellen sich zweiunddreißig Vorzeichen ein. Die Blinden sehen, die Tauben hören, die Lahmen gehen usw. Die Feuer der Hölle sind ausgelöfcht, Erde und Himmel freuen fick. Ein alter, im Gebirge wohnender Heiliger be gibt sich bet diesen Vorzeichen eiligst nach dem Geburtsort des Kindes und huldigt ihm als dem Erlöser der Welt. Der junge Prinz übertrifft alle Zeitgenossen an Stärke und Geschicklichkeit, seine Versuchungen sind von ungewöhnlicher Art. Er besteht alle siegreich und bei seinem Begräbnis enden die Wunder noch nicht, sondern auf die Fürbitte eines Heiligen öffnet sich fein Sarg noch einmal, um den Toten ein letztes Mal seinen Gläubigen zu zeigen. Die meisten dieser Legenden finden wir wieder in den Reihenreliefs des Voro-Budur-Tempels. Die Darstellun gen werden unterbrochen von 432 Nischen mit sitzenden Buddhastatuen. Auf den Kreisterrassen befinden sich 72 sogenannte Dagoben, kuppelförmige, durchbrochene Stein- gehäuse, deren jede ein großes Bildnis des Gautama Buddha enthält. Die Statnc in der Spitzsndagoba, die den über vierzig Meier hohen Bau kröni. ist unvollendet geblieben. Wir kennen nicht den Namen des Stifters des Heiligtums, dessen Zroeck, neben der Heilighaltung der Er innerung an Buddha, der zu sein scheint, seine Lehren un verrückbar in Stein festzuhalten für die, die des Lesens in der eigenen oder fremden Sprache unkundig sind. Mehr als tausend Jahre nach Buddhas Leben und Lehren kamen die ersten buddhistischen Missionen nach Java. Wenige Jahrhunderte später entstand dieses mächtige Heiligtum. Seine Bauzeit ist uns unbekannt geblieben; fast wüßten wir überhaupt nicht von ihm. Als die ersten Anhänger des Islam geaen das Jahr 1400 n. Ehr. auf Java auftauchten und bald ansingen, die Lehre des Pro pheten mit Feuer und Schwert zu verbreiten, beriet man. wie man den Tempel schützen könnte. Man beschloß, ihn im Dunkel der Erde zu verbergen. In unendlicher Arbeit schütteten Menschenhände einen hohen Hügel um das Bau werk. Dann schwiegen die Gläubigen Buddhas, schwiegen, bis alles hergessen war. Gestrüpp und Bäume bedeckten in der üppigen Wucherung der D'open bald die Stätte, wo , einst die Prozessionen entlang gezogen waren. Der Islam, dessen Angriffskraft die sanfte, passive Religion Buddhas nicht gewachsen war, blieb im Lande Noch heute sind die 30 Millionen Einwohner Javas mohammedanisch mit star kem Hinneigen zu ihren alten Naturreligionen. Es gibt trotz Mohammed und Allah in Wald und Flur gute und ! böse Geister, verhexte Vögel, Bäume und Flüsse, wandernde § Seelen und Gespenster. Die Lehre Eautamas wäre auf i Java verschwunden, wenn nicht der Baumeister des Boro- Budnr seine Gedanken in Stein gemeißelt hätte. Fast vier Jahrhunderte lag das Heiligtum im schützen- j den Dunkel des Erdreichs, bis es durch Zufall am Ende des 18. Jahrhunderts wieder entdeckt wurde. Nur im j Volksmunde raunte noch die Sage vom alten Tempel, der mitten im Wald läge, die Stätte von Geistern und Dä monen. Vis unter Leitung von Europäern im Jahre 1814 die ersten Ausgrabungen begannen und das Bauwerk im Hellen Sonnenlicht wieder zum Dasein erwachte. An jenem Tropenmorgen, als meine Schritte in den leeren Umgängen hallten und ich von der Höhe der ersten Terrasse auf die Reisfelder und die Haine von Kokos- c Aus dem Inhalt. Frank Stoldt: Aus Javas Wunderweit Albert Leitich:Wien: Schubert Vision Ruth Schau n, ann : Nachtgebet Maria Meyer: Die Schulprüfung Di na Eardot: Aus der Tiefe Parabel von den vergangenen Dingen. palmen, über die Ebene hinweg bis zum Gebirgsrand sah, dachte ich daran, welch Leben in diesen Mauern geherrscht haben mußte, als noch Tausende von Anhängern dem sanf ten Gott Blumen und Früchte opferten, als noch kahl geschorene, gelbgewandete Priester und Mönche ihre Lita neien sangen und Glöckchen und Weihrauchfässer schwangen. Ich schaute mit Scheu in das Halbdunkel der Dagoben und sah im gedämpften Widerschein des Tages den ..Erleuchte ten" sitzen, leicht lächelnd, in Nachdenken versunken. Dachte er an den vielhundertjährigen Schlaf in der Verborgenheit, die seine Bildwerke geschützt hatte? Zeitlos fast, schien es mir. ragte der Tempel in den Hellen Sonnenglast des Vor mittags. Stumm saßen die Buddhastatuen in ihren Nischen und blickten auf mich herab. Ich konnte mich schwer aus der Bezauberung lösen und losreißen. Auf der Treppe traf ich den alten greisen Wächter des Heiligtums. Ich fragte ihn, ob es nicht möglich sei. bei Mondschein den Tempel zu besuchen. Weiche Zauberwelt mußte er im weichen, silbernen Vollmondlicht sein! Der alte Javane hob beschwörend die Hand, über sein verrunzeltes Geiicht lief es wie Schrecken. „Tuwan". sagte er -ögernd. b-'b bittend, „tu es nicht! Ich habe ihn nachts da oben klopfen gehört!" Er wies mit obgewand e: Augen aus die Spitzenoagobe. „Wen?" „Ihn, der die Statue nicht vollendete. — aber wenn der Vollmond genug Lich: ! . dann arbeitet er weiter! Nein, Tuwan, — Dämonen wan dern im Dunkel! Geh nicht!" Das grelle Sonnenlicht des Vormittags umflutete uns. und doch lief mir ein lei'es Frösteln über den Rücken. Hinter dem Kopf des Wäch ers hob sich dunkel die Krönung des Trepnenauiganges. der Kopf eines Ungeheuers mit Elefantenzähne» nnd mächn- gen, drohenden Augen, dessen Leib in Sch!angen,vrm endete. Ich stieg weiter hinab. Es war höchste Zeit, daß ich Abschied nahm, denn auf der Straps hielt ein g-oßes Auto mit einer Schar internationaler Reisenden, wie sie vom Reisebüro Cook Uber die ganze Welt geschleift werden. Der Voro-Budnr-Tempel gehörte zum Tagespensum, und „man mußte ihn gesehen haben". Die Schar verschwand im Treppenaufgang. Von den Mnden schauten regungslos die Buddha- statuen herab. So schreibt die Dhammapada, die Samm lung der Lehrsprüche Gautamas: .Mer mit erkenntnisrcichem und ernsten Geiste Der Eitelkeit hat entsank. Sttht von erklommener Höhe der Weisbeit unter Sich ties die Toren. Er blickt Lächelnd aus den sich mühenden Hausen, wie von Des Berges Gipfel ins Tal." Schuberl-Vision Von Albert Leitich-Wien. Käthe Fröhlich hatte eben den Kasfeet'isch abgeräumt, als Grillparzer sich erhob, steifbeinig ins andere Zimmer gksig, um Toilette zu machen. Erstaunt hörte sie drüben den alten Herrn rumoren und hastig Laden schieben und war noch erstaunter, als der Hofrat nach geraumer Zeit zurückkam und in tadelloser Besuchs- toilette war. Lin feierlicher Schlußrock umhüllte die ehrwürdige Gestalt des Dichters, und über «inen blendend weißen Kragen hatte er eine schwarze Schleife gelegt. Sie konnte das nicht begreifen; fünf Monate hatte der alte Herr das Haus nicht mit einem Schritt verlassen und nun ging er plötzlich in der Abenddämmerung aus. „Warum denn s« feierlich, lieber Freund, und warum fo geheimnisvoll?" „Käthe. Kätherle, nicht neugierig seinl" Und Hosrat Grill parzer legte den Finger an den Mund. Dann nach einer Pause: „Ich mutz einen Geburtstagsbesuch machen, es ist vielleicht ohnehin mein letzter. Aus Wiedersehen, Käthelein!" Und mühsam und langsam schritt der alter Herr durch den Korridor dem Ausgang zu. Als er gegangen war, zerbrach sich Käthe Fröhlich den Kopf, wohin denn Grillparzer gegangen sein möge; da fiel unver- üchens ihr Blick auf den Standkalender auf der Konsole und sü zuckte zusammen. Daß sie das hatte vergessen können! Noch nie war ihr da» passiert. Heute war ja der einunddreitzigste Jänner, der Ge burtstag des Schubert Franz' Run mutzte sie. wohin Grillparzer gegangen war. — Der stapfte unterdessen feierlich und gemessen durch di« Dämmerung und den fallenden Schnee und trug sein silberweißes Haupt gesenkt. Hinaus nach dem Himmelpsortgrund wandert« er, nach dem Hause „Zum Roten Krebsen", in dem vor vierundsiebzig Jahren Franz Schubert, sein armer, lieber Freund, geboren war. Es fing schon stark zu dunkeln an, keine Postschutsche, kein Zeiserlwagen fuhr mehr, nur ab und zu stand in den kleinen winkligen Gasten ein Werkelmann und spielte die deutschen Tänze von Schubert. So kam es. daß mancher von den vorbeihastend«n Passanten einen Moment stehen blieb und einen Blick nach dem kleinen, weißen Haus hinüberwars. Wie gut kannte es Grillparzer. Ein einstöckiges Alt-Wener- Haus. Zwischen einem Optikerladen und einer Tabak-Trafik wölbte sich ein breites, braunes Tor mit festen Messingklinkcn. Zwei Stufen führten hinauf. Dahinter lag einer jener Höfe, die rückwärts von einem Garten, aus dem sich einige Bäume tanten- Nun fährt der Nachen des Gebets Und nimmt dich auf und nimmt mich ei» Und steuert in die Nacht hinein. Ein Wölkchen kommt, ein Wind verweht's. Und von den Ufern ruft es stets Und will mit uns im Schifflein sein. Fahr zu. fahr zu zum Himmelreich Und nimm die fernen Rufer mit, Den Kranken, der in Schmerzen litt. Den Freund, von stummen Sorgen bleich. Das Knäblein, da» sich hell und weich Auf seinem Rötzlein müde ritt. , Schon sehe ich ein warme» Licht. * -- O Schisslein, leg in Frieden an! > Im Hafen ruht schon Kahn an Kahn < Und harrt aus Tstte» Angesicht. Das segnet alle Zuversicht Und wird uns gnädiglich empfahn. j (Ruth Schaumann, „Der Rebenhag", Gedicht«. Verlag Josef Kösrl L Friedrich Pustet.) hast und neugierig hinüberbeugten, abgeschlossci: wurden. Ei ie schmale Treppe führte zu einem schmalen Gang. In der Mauer neben der weißen Tür war rin Klingclzug. Wenn man anzog. läutete cs lange und so. wie man haben möchte, daß sich immer ein lieber Besuch ankündigen sollte. O, Grillparzer kannte den Ton, er hatte jedes Zucken der Schelle noch im Ohr. Und oben niedrige, dämmerige Zimmer. Der spiegelglatte Parkettboden, die Glasvurinen. die Bilder an den Wänden. Bestürzt blieb der alte Herr an der Schwelle stehen. Das blaue Auge suchte einen Gegenstand, der ihm bekannt war. und er fand endlich Franzls Klavier, einen langen, braunen Flügel, der stumm und geschlossen in einer Ecke beim Fenster stand. Dann trat er näker, beugte sich über die Vitrinen, trat an die Bilder heran, las Noten, sah Medaillen, vertiefte sich in Ur kunden auf vergilbtem Papier und vergaß eine Stunde lang die vielen, vielen Jahre, die über diese Gegenstände hingegangen waren. Da hing Schuberts Vater. O, Grillparzer hatte ihn noch gekannt, den guten, alten Schubert-Vater. Aus schwarzem Nahmen sah ein ovales, intelligentes Gesicht mit strengen, doch gütigen Augen. Auch wenn man es nicht gewußt hätte, daß er Schulmeister war. man hätte aus diesen Augen, die forschend und mahnend zugleich blickten, schließen können. Darunter in einer Vitrine war folgende Urkunde zu lesen: „Grundgcrichtliches Zeugnis. Von Seite der Gemeinde Himmelpsortgrund wird hiermit zur Steuer der Wahrheit be zeugt, daß der Herr Franz Schubert, seit neunzehn Jahren Schul lehrer daselbst, beym Antritte dieses Lehramtes nur etwelche wenige Schüler vorfand, sondern erst nach und nach durch Auf nahme armer Kinder zum unentgeltlichen Unterricht und der guten Behandlung sich das Zutrauen und hiedurch einen über dreihundert Schüler starken Zugang erwarb. Er fügte sich mit einer seltenen Aufopferung in die Lokalumstände, daß er sowohl am Vor-, als auch am Nachmittag, zum Wohl der Jugend und zur Bequemlichkeit der Eltern zwey mal Schule hielt. Sein beispielvolle» Benehmen und seine Brauchbarkeit bewoaen die Gemeinde, ihn zum Gerichtsbeisitzer zu ernennen.