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Sächsische Volkszeitung
- Erscheinungsdatum
- 1927-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192711034
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19271103
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19271103
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-11
- Tag 1927-11-03
-
Monat
1927-11
-
Jahr
1927
- Titel
- Sächsische Volkszeitung
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Beneschs ^Zeichen der Zei!" Vrlmo über die Wichten ves Staatsbürgers (Von unsere ln Korrespondenten.) VV, Madrid. 3». Oktober. Bei der häufigen politischen Beteiligung, die große Teile des spanischen Offizierskorps ausüb«», ist ein Vertrag von Interesse, den der Diktator in den Räumen der spanischen Unter- o-ffiziersschule über die Stellung und die Pflichten des Bürgers mit besonderem Hinblick aus die politische Tätig keit des Militärs im Frieden gehalten hat. Primo de Rivera teilt die Pflichten des Menschen gleichwertig in staatsbürgerliche-, Familien- und berufliche ein, mit der Einschränkung, das; alle Personen, die für die Aus übung eines öffentlichen Amtes vereidigt sind, wie Soldaten, Priester und andere, die Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten als ihre vornehmste Ausgabe ansehen mühten, was aber natürlich nicht ausschließen soll, das; sie auch ihren Obliegen heiten als Staatsbürger gerecht werden müssen. Bezüglich der politischen Betätigung meint der Diktator, das, sie in allen , Ländern in Widerstreit steht mit dem Wesen des Militarismus, wenn auch .wie zum Dcipfiel in England, Offiziere selbst niedrigen Grades Mitglieder der beiden Häuser des Parlamentes sind uizd sich aktiv an der Politik des Reichs beteiligen, dabei müsse man aber das Temperament des Engländers berücksichtigen und die absolute Trennung, die in England zwischen der Persönlichkeit als Soldat und seiner politischen Tätigkeit bestehe. Hinsichtlich des polilsierenden spansck^n Militärs ist Primo der Auffassung, das; sie sich im Kreise ihrer Kameraden keiner besonderen Beliebtheit aus Gründen der Tradition erfreuten, die eine Kräftezersplitterung des Soldaten für unerwünscht an sieht. Das hat aber nichts mit der Erfüllung der Bürgerpflicht zu tun. Seit dem 13. September, dem Tage des Staatsstreichs, hat das Heer bei verschiedenen Gelegenheiten in die .zivilvoli- tischen Verhältnisse in einer Weise eingegriffen, die der Vor tragende als exemplarisch bezeichnet und erinnert dabei an Heerführer wie O'Donnell, Narvaez und Primo, die die Politik in die Kasernen einführtcn und andere ähnliche Fälle in Amerika, wo glücklicherweise solche „Pronunciamientos" all mählich verschwanden. Die Politiker des früheren Regimes hält Primo de Rivera für geläutert durch den Verlauf der letzten vier Jahre, damals bestand die Gefahr der nationalen Ohnmacht, und deshalb stellte sich das Land sofort dem halben Dutzend Generäle zur Seite, als diese die Zügel der Negierung in die Hand nahmen. Neuer Konflikt zwischen Sejm und Negierung Warschau, 31. Oktober. Heute mittag, am Tage des Ablaufs der verfassungsmässig vorgeschriebencn Frist, ist vom polnischen Finanzministerium in der Kanzlei des Landtags der S t a a t s v o r a n s ch l a g für das kommende Finanzjahr 1928/29 eingcbracht worden. Er sieht Einnahmen in Höhe von 2350 Millionen und Ausgaben von 2228 Millionen Zloty vor. Gegenüber dem vorjährigen Budget bedeutet dies eine A u s g a b c n st c i g e r u n g von 237 Millionen. Unter diese Ausgabenstcigcrung fällt auch der ungefähr 70 Millionen Zloty betragende Dienst sür die jüngst abgeschlossene S1 a b i l i s i e r u n g s a n l e i h e. Der heute von der Negierung cingebrachte Staatsvoran schlag erschöpft nicht, wie cs bisher der Fall war, alle Positio nen, sondern enthält bloß allgemeine Einnahmen- und Ausgabenzifsern. In Eejmkreifcn, vor allem aber in seinem Präsidium, ist man jedoch der Ausfassung, das; der Voranschlag vollständig sein niüssc. Es entsteht somit hier die Möglich keit eines neuen Konflikts zwischen der Negierung und dem Landtag. Das Abendblatt „A. V. C." hält sogar eine neue Vertagung oder eine Auslösung des Sejm sür möglich. Das Serum gegen di« Kinderlähmung entdeckt? Der ,,Herald Tribun e" wirb aus Indianapolis berichtet, daß Dr. Rosenow von der Mayo Foundation zum Kampfe ! gegen ansteckende Krankheiten ein Serum gegen di« jetzt unheimlich wütende Kinderlähmung gefunden und 10 000 Ein heiten desselben bereits an die Spitäler geliefert hat. Dr. Rosenow ist ein Kapazität, die auch der ersten Produktion von Insulin nicht fernsteht. «eranIwortU» lür de» poli ische» Teil: De. Gerhard DeSczhl, Dresden, sür den ISchfllchen Teil und dnS srcmlleloii' »r. Mar Domichle. Dresden, Nir Anzeigen: Artur Venz. Dresden. Seine Kriegsmemoaren (Von unserem Korrespondenten.) 6.1. Wien, 29. Oktober. Es mag Manches geben, was uns Deutschen am tschechoslo wakischen Staat nicht gefällt; vor allem daß drei Millionen Erenzdeutsche von dreieinhalb Millionen deutschen Staats bürgern der Tschechoslowakei im Zeitalter des Selbstbestimmungs- rechtes ohne Volksabstimmung dem neuen Staat eingegliedcrt wurden. Auch die ersten Nachkriegsjahre konnten unseren Bei fall nicht finden. Jnnerpolitisch standen sie im Zeichen der all tschechischen Koalition, deren Füllhorn ein gerütteltes Matz von Ungerechtigkeiten über unsere sudetendeutschen Volksgenossen ausschllttete. Außenpolitisch waren es die militärischen Ab machungen mit Frankreich und Polen, welche die tschecho slowakische Armee einem französischen Oberostkommando unter stellten, dem ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl gegen das Reich zukam. Auch der Abschluß des tschecho-französischen Schutz- und Trutz-Bündnisses, Dezember 1923, siel in ein« Zeit, in der die Gemüter durch den Ruhrkampf erregt waren, so daß man weniger durch die vertragliche Bekundung tschecho-französischer Freundschaft — die man als gegebene Tatsache betrachtete — als durch die Wahl des Zeitpunktes der etwas militanten Art der Veröffentlichung vor den Kopf gestoßen war. Auch die Pläne einer „Wirtschafts-Union der Don a u sta a t e n", welche be sonders im Jahre 1921 die tschechoslowakische Außenpolitik zu interessieren schienen und zwangsläufig in einer politischen Donaufördcration geendet hätten, da Wirtschaft und Politik keineswegs zu trennen sind, mußten das dentsche Volk unan genehm berühren, zuinal sich damit eine scharfe Gegnerschaft gegen den Anschluß Oesterreichs an das Reich verband, die im Zeitalter des Selbstbestimmungsrechts zumindest rückschrittlich und inopportun anzusehen ist. Seit den Herbstwahlen 1925 änderte sich das Bild — dar um soll nicht das Trennende der Vergangenheit, sondern das Verbindende in den Vordergrund gestellt werden. Die Mitwirkung der Sudetcndeutschen in der tschechoslowakischen Staatsregicrung scheint ein Zeichen zu sein, daß das wohlver standene Eigeninteresse des tschechoslowakischen Staates eine weitherzige und liberalere Behandlung der Nationalitäten bedinge, von denen insbesondere die Sudetendeutschen sowohl der Zahl nach als durch wirtschaftliche Geltung und kulturellen Einfluß den Nahmen eines normalen Minoritütsbcgriffes weit überschreiten. Auch außenpolitisch wandte sich manches zum Besseren. Als Gradmesser der Verflachung des ersten Nach- kricgschauvinismus mag angesehen werden, daß Dr. Benesch einstmaliges Anschluß-Nein vor Jahresfrist die Immerhin be merkenswerte Einschränkung aufwies, man könne darüber reden, „wenn dadurch der Bestand des tschechoslowakischen Staates nicht bedroht" würde. Daß durch diese Aeußerung des tschecho slowakischen Außenministers der Preis genannt ist, unter welchen Umständen die Tschechoslowakei sich einstmals mit dem Anschluß absurden werde, ist klar— er heißt: Verzicht auf Förderung einer Jrredenla, was in der Epoche der Rothermerc-Aktion sür die Tschechoslowakei gewiß keine kleine Errungenschaft wäre, würde sie als Entschädigung für eine doch auf die Dauer unwirksame Anti-Anschluß-Haltung eingetauscht. Vor kurzem erschienen nun die K r i e g s m e m o i r e n Dr. Beneschs. Einen breiten Raum innerhalb derselben nehmen die Schilderungen ein, wie der alte Donaustaat seitens tschechoslowakischer Nationalrcvolutionäre unterwühlt wurde. Historisch und leidenschaftslos betrachtet, war der Ursprung tschechischer Nationalrcvolution darin zu suchen, daß man in Altösterreich genau erkannte, „daß etwas geschehen müßte". Dieses Erkennen verdichtete sich sogar zu schriftlicher Ausarbei tungen, „Ausgleich" genannt. Im Kronland Mähren be gann der „Ausgleich" sogar Leben zu sprießen, während !m Kronland Böhmen sich immerhin Ansätze der Verwirklichung be merkbar machten. Im großen und ganzen blieb aber die Ent- Wicklung beim Erkennen, beim Entschluß stecken — ein große« Reich zerfiel, weil die Zeichen der Zeit nicht in die Wirklichkeit umgesetzt wurden. Ob Dr. Benesch nicht doch ein wenig an All das dachte, als er seine revolutionäre Betätigung beschrieb? Fast scheint cs so, worauf die eben im auswärtigen Ausschuß des Prager Parlamentes gesprochenen Worte Hin weisen, daß ähnliche Aktionen, wie diejenige Rothermercs, „e i n 3 e i ch e n d e r Z e i t" seien, der man durch Zusammenarbeit der Staaten und Völker, durch eine liberale Politik gegen die Natio nalitäten sowie durch enge wirtschaftliche Zusammenarbeit be gegnen müsse. Daß es dieser sehr wichtigen Erkenntnis Dr. Beneschs nicht ähnlich ergehen wird, wie der oben geschilderten, gleich laufenden Erkenntnis Altösterreichs — das liegt ausschließlich bei den Führern der tschechoslowakischen Nation! Auch mit dem deutschen Volk besaßt« sich Dr. Benesch in seinen Memoiren, in denen er folgendes wörtlich schrieb: „Ich pflegte während des Krieges gegenüber den Deutschen den Standpunkt eines festen, entschiedenen, leidenschaftslosen und nicht chauvinistischen Widerstandes einzunehmen. Ich wünschte aus voller Seele ihre Niederlage; ich war aber nicht blind dagegen, was di« Deutschen vor und im Krieg« Groß artiges geleistet hatten; ich schätzte es. Ich empfand niemals gegen sie das, was man das Gefühl des Hasses gegen eine Nation nennen könnte. Es war mir klar, daß man während des Krieges alles Recht und alle Gerechtigkeit, alle Schuld und alle Gewalt nicht auf der Eoldwage wägen könne, und daß man nach dem Kriege manches Urteil revidieren würde. Während des Krieges mußte man den Krieg gewinnen, nach dem Kriege mußte man sich aber über eine vernünftige und loyale, friedliche Zusammenarbeit einigen." Daß der im Gegenlagcr stehend« nunmehrige Außenminister den eigenen Sieg und daher die Niederlage der Kriegsgegner wünschte, ist begreiflich. Daß er den Glauben an Kriegsschuld und Kriegsgreuel bereits historisch verleugnet, hebt ihn wohltuend aus der auch heute noch flunkern den Masse der Kriegspsychotiker hervor. Daß es nach dem Kriege — insbesondere neun Jahre nach dem Krieg« — an der Zeit ist, „über vernünftige Zusammenarbeit zu sprechen", wird jedem Friedensfreunde aus der Seele gesprochen sein trotz oder gerade, wenn er für das Recht und die Ehre seiner Nation eintritt, zwei Begriffe, die nicht auf den Ruinen einer anderen Nation, sondern im wohlmollenden Ausgleich begründet werden. Dr. Benesch spricht — so kann man gewiß annehmcn — in diesem Kapitel seiner Memoiren weniger als revolutionärer Historiker, sondern als zeitgenössischer Politiker und Außenminister, weshalb man den Wert dieser Darlegung zur Kenntnis nehmen kann. In seinem kürzlich«» Exposö befaßte sich Dr. Benesch haupt- lämtlich mit der R ot h e r m « r,e- A k t 1 on, deren terirtorialen Revisionsbestrebungen er den lapidaren Satz entgegcnstellt, daß ein Konflikt zweier Staaten über ein und dasselbe Territorium nicht durch eine Grenzänderung beseitigt werden könne, sondern daß die Lösung des Konfliktes innerhalb der gegebenen Grenzen zu suchen sei. Ueber die Richtigkeit dieser Entgegnung Dr. Beneschs an Rothermere und Ungarn läßt sich streiten — gegenüber dem deutschen Volke und dessen sudetendeuischen Stamme wäre aber die Probe aufs Exempel durchaus angebracht. Wenn Dr. Benesch vor Jahresfrist Anschluß und Jrredenta-Absag« miteinander in den Konnex weiterer Ent wicklung gebracht hat, wenn Dr. Benesch in seinen Memoiren die Visiikarte abgibt, die als Untertitel „kein Deutschenfeind" enthält, wenn Dr. Benesch in seinem Expos«; die Lösung des die Tschechoslowakei durchziehenden Nationalkonsliktes innerhalb d«r Grenzen anstrebt, so können wir Deutsche ihm darauf ruhig erwidern: „Erreiche für Sudetendeutschland ein« Autono mie, die sich ungefähr in dem Rahmen des ehemaligen Dualis mus Oesterreich-Ungarns hält; laß die A n s ch l u ß g c g n e r - schaft fallen und verständige dich mit dem großen Nachbar, Deutsches Reich und deutsches Volk genannt; verständig« dich außenpolitisch und wirtschaftlich — der Schaden des tschccho- slowakischen Staates wird cs nicht sein, denn di« polnisch- , ungarische Annäherung gibt zu d e n k - r> k" Kleider machen Leute Eine Erzählung von Gottfried Keller. <3. Fortsetzung.) Nur Melcher Böhni, der Buchhalter, als ein geborener Zweif ler, rieb sich vergnügt die Hände und sagte zu sich selbst: „Ich sehe e» kommen, daß es wieder einen Goldachcr Putsch gibt, ja, er ist gewissermaßen schon -a! Es war aber auch Zeit, denn schon sind eS zwei Jahre seit dem letzte»! Der Mann dort lml mir so wunder lich zerstochene Finger, vielleicht von Praga oder Ostrolcnka her! Nun, ich werde mich hüten, den Verlauf zu stören!" Die beiden Partien waren nun zu Ende, auch das Sauser- gelüste der Herren gebüßt, und sic zogen nun vor. sich au den alten Weinen des Amtsrates ein wenig abzukühlen. die jetzt gebracht wur den; doch war die Abkühlung etwas leidenschaftlicher Natur, indem sofort, um nicht in schnöden Müßiggang zu verfallen, ein allgemei nes Hasardspiel vorgeschlagrn wurde. Man mischte die Korten, jeder warf einen Brabantertalcr hin, und als die Reche an Stra- pinski war, konnte er nicht wohl seinen Fingerhut auf den Tisch setzen. „Ich habe nicht ein solches Geldstück," sagte er errötend: aber schon hatte Melcher Bölmi, der ihn beobachtet, für ihn eingesetzt, ohne daß jemand daraus acht gab, denn alle waren viel zu behaglich, als daß sie auf den Argwohn geraten wären, jemand in der Welt könne kein Geld haben. Im nächsten Augenblicke wurde dem Schnei der, der gewonnen batte, der ganze Einsatz zugeschoben; verwirrt ließ er das Geld liegen, und Vöhni besorgte für ihn das zweite Spiel, welches ein anderer gewann, sowie das dritte. Doch das vierte und fünfte gewann wiederum der Polacke, der allmählich auf wachte und sich in die Sache fand. Indem er sich still und ruhig verhielt, spielte er mit abwechselndem Glücke; einmal kam er bis auf einen Taler herunter, de» er setzen mußte, gewann wieder, und zu letzt, als man das Spiel satt bekam, besaß er einige Louisdors, mehr als er jemals in seinem Leben besessen, welche er. als er sah, das; jedermann sein Geld rinsteckte. ebenfalls zu sich nahm, nicht ohne Furcht, daß alles ein Traum sei. Vöhni, welcher ihn fortwährend scharf betrachtete, war jetzt im klaren über ihn und dachte; Den Teufel fährt der in einem vierspännigen WagenI Weil er aber zugleich bemerkte, daß der rätselhafte Fremd« Uine Gier nach dem Gelde gezeigt, sich überhaupt bescheiden und ' iNE'u.'M« N.'L'.W' Aber der Graf Strapinski, als man sich vor dem Abendessen im Freie» erging, nahm jetzt seine Gedanken zusammcn und hielt den rechten Zeitpunkt einer geräuschlosen Beurlaubung sür gekom men. Er hatte ein artiges Reisegeld und nahm sich vor, dem Wirt zur Wage von der nächsten Stadt aus sein ausgcdrungenes Mittags mahl zu bezahlen. Mso schlug er seinen Nadmantcl malerisch um, drückte die Pelzmütze tiefer in die Augen und schritt unter einer Reihe von hohen Akazie» in der Abendsonne langsam ans und nieder, das schöne Gelände betrachtend, oder vielmehr den Weg erspähend, den er einschlagen wollte. Er »ahm. sich mit seiner bewölkten Stirne, seinem lieblichen aber schwermütigen Mundbärtchen, seinen glän zenden schtvarzen Locken, seine» dunkeln Augen, im Wehen seines faltigen Mantels vortrefflich auS; der Abendschein und das Sänscln -er Bäume über ihm erhöhte den Eindruck, so daß die Gesellschaft ihn von ferne mit Aufmerksamkeit und Wohlwollen betrachtete. All mählich ging er immer etwas weiier vom Hause hinweg, schritt durch ein Gebüsch, hinter welchem ein Feldweg vorübcrging, und als er sich vor den Blicken der Gesellschaft gedeckt sah, wollte er eben mit festem Schritt inS Feld nicken, als um eine Ecke herum plötz lich der Amtsrot mit seiner Tochter Rettchen ihm cntgegcntrat. Nettchen war ein hübsches Fräulein, äußerst prächtig, etwas stutzer haft gekleidet und mit Schmuck reichlich verziert. „Wir suchen Sie, Herr Graf!" ries der Amtsrat, „damit ich Sie erstens hier meinem Kinde vorstclle und zweitens, um Sie zu bitten, daß Sie uns die Ehre erweisen möchten, einen Bissen Abendbrot mit uns zu nehmen; die anderen Herren sind bereits im Hanse." Der Wanderer nahm schnell seine Mühe vom Kops« und machte ehrfurchtsvolle, ja furchtsame Verbeugungen, von Not übcr- gosscn. Denn eiire neue Wendung war cingctrcten, ein Fräulein beschrttt den Schauplatz der Ereignisse. Doch schadete ihm seine Blödigkeit und übergroße Ehrerbietung incht bei der Dame; im Gegenteil, die Schüchternheit. Demut und Ehrerbietung eines so vornehmen und interessanten jungen Edelmonnes erschien ihr wahr haft rührend, so hinreißend. Da sieht man, fuhr es ihr dnrch den Sinn, je nobler desto bescheidener und unverdorbener; merkt eS euch, ihr Herren Mldfänge von Goldach, die ihr vor den jungen Mädchen kaum mehr de» Hut berührt! Sie grüßte den Ritter daher auf das holdseligst«, indem sie auch lieblich crröictc, und sprach sogleich hastig und schnell und vieles mit ihm, wie eS die Art behaglicher Kleinstädterinnen ist, sich den Fremden zeigen wollen. Strapinfli dagegen wandelte sich in kurzer Zeit um; während er bisher nichts getan hatte, uni im geringsten in die Rolle einzugchcn, die inan ihm ausbürdctc, be- gann er nun unwillkürlich, etwas gesuchter zu sprechen, und mischte allerhand polnische Brocken in die Rode, kurz, das Schneidcrdlülchen fing in der Nähe des Frauenzimmers an, seine Sprünge zu machen und seinen Reiter-davon zu tragen. Am Tische erhielt er den Ehrenplatz neben der.Tochter des Hauses; denn die Mutter war gestorben. Er wurde zwar bald wieder melancholisch, da er bedachte, nun müsse er mit den andern wieder in die Stadt zurückkehrcn oder gewaltjam in die Nacht hin- aus entrinnen, und da er ferner überlegte, wie vergänglich das Glück sei. welches er jetzt genoß. Aber dennoch empfand er dies Glück und sagte sich im voraus: „Ach, einmal wirst du doch in deinem Leben etwas vorgestellt und neben einem solchen höheren Wesen gesessen haben." Es war i» der Tat keine Kleinigkeit eine Hand neben sieb glänzen selten, die von drei oder vier Armbändern klirrte, und bei einem flüchtige» Seitenblick jedesmal eine» abenteuerlich reizend frisierten Kopf, ein holdes Erröten, einen vollen Augcnausschlag zu jehcn. Denn er mochte tu» oder lasten, was er wollle, alles wurde als ungewöhnlich und nobel ausgelcgt und die Ungeschicklichkeit selbst als merkwürdige Unbefangenheit liebenswürdig befunden von der jungen Dame, welche sonst stundenlang über gesellschaftliche Ver stöße z» plaudern wußte. Da inan guter Dinge war, sangen ein paar Gäste Lieder, die in de» dreißiger Jahren Mode waren. Der Graf wurde gebeten, ein polnisches Lied zu fingen. Der Wein überwand seine Schüchternheit endlich, obschon nicht seine Sorgen; er hatte einst einige Wochen in; Polnischen gearbeitet und wußte einige polnische Worte, sogar ein Volksliedchen auswendig, ohne ihres Inhaltes bewußt zu sein, gleich einem Papagei. Mso sang er mit edlem Wesen, mehr zaghaft als laut und mit einer Stimme, welche wie von einem geheime» Kummer leise zitterte, aus polnisch: Hunderttausend Schweine pscrcheir Von der Des»« bis zur Weichsel. Und Kathinka, dieses Sarimensch, Geht im Schmutz bis an die Knöchel! Hunderttausend Ochse» brüllen Auf WollN,niens grüne» Weiden, Und Kathinka, ja Kalbinka, Glaubt, ich sei i» sie verliebt! (Fortsetzung folgt.)
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