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und V^issen Lselrsiscke Voitcsreitunz ^slirxsnx 1927 Aus dem Inhalt. Kurt Siemers: Vergessen« Winkel am „unromantischen" Rhein. Wilhelm Meridies: Alstchied vom Lago Maggiore. Igna Maria: Wiedersehen im Alltag. Hellmuth Quast-Peregrin: Das Nachtlicht. Lisa Nickel: Am Fenster. <8 rigorjcw : Tschiaturi. Egon-Erich Albrecht: Birke im Herbst. Vergessene Winkel am „unromanlischen" Rhein Von Kurt Siemers. Man findet sich so leicht nicht hin. Zwischen Köln und Düsseldorf, von der Gegenwart halb vergessen, leben sie ein Leben stiller Zurückgezogenheit. Dort liegt Monheim, die alte Feste, unerweckbar in Traum und Versunkenheit. Jahrhunderte haben ihre farbigen Gespinste darüberhin gewoben. Zwischen den niedrigen Häuserwänden ruft der Schritt verschlafenes Echo wach. Kein toter, aber alt ge wordener Ort. Ein Stück alter Befestigungsschönheit des 15. Jahr hunderts: der Schelmenturm mit seinem schwärzlich ver gitterten Ziegelwerk, von bräunlichem Efeu umschlungen. Spatzen rascheln zankend im Rankengewirr. Die alten Tanten von Monheim trippeln mit gekreuzten Armen drunter durch. Kinder laufen drunter her und rufen: huhh! — Aber das Echo will nicht antworten. Drähte führen nach dem Turm, der heute einem Elektrizitätswerk als Transformator dient: die Romantik wird dem praktischen Bedürfnis untergeordnet. Am Rande des Ortes eine kleine Kapelle, etwa aus »er Zeit nach dem 30jährigen Kriege: entgegengesetzt, am Nanndeich, noch eine aus Backsteinen, mit einem kecken Oachreiter. Hier ist die Straße und damit auch Monheim plötz lich Ende. Der Weg schlängelt sich durch die Niederung des Rheins. Im ausgetrockneten Sumpf struppige Weiden, braungrünes Bruchland. Hinten stehen Pappeln, mit seltsamer Klarheit gegen den vergilbten Himmel gezeich net, jeder einzelne Ast wie mit schwarzer Tusche nach- gezogen. Ein Rest hochgebauten alten Befestigungswerkes trennt Niederung und Ortschaft. Auf diesem festen Unterbau er hebt sich eine Kirche. Wo die Mauer nach dem Strome zu abfüllt, ragt ein altes Steinkreuz mit einer verwitterten Inschrift über den Boden. Man sieht von dort aus mitten in die Weidenwirrnis hinein, wo Abendnebel wie wunder liche Gedanken langsam aufsteigen. Um Monheims Willen haben sich die Grafen von Berg und die kölnischen Erzbischöfe manches Mal bei den Haaren gehabt. Als 1288 jenseits des Rheins, gerade gegenüber dem Felde von Worringen, die Herren gegen einander ritten, zogen schließlich nach Lärm, Getöse und Blutvergießen am Abend dl« belgischen Sieger durch Monheim: und es war den Monheimern ein« große Ge nugtuung, daß sie den kölnischen Bischof für eine Nacht in ihre Kirche einsperren konnten. Die Festung ward wieder aufgebaut, bis die Kölner einmal wieder die Oberhand gewannen und Kaiser Sigis mund 1416 entschied, daß Monheim fortan ein offener Ort sein solle. Aber die Herren von Berg waren auch aus hartem Holz geschnitzt: sie haben die Mauern von Monheim ein drittes Mal aufgerichtet. Denn der Ort war ein gutes Bollwerk gegen Köln. Aus bösen Franzosenzeiten erzählt man, und von den tapferen belgischen Landschützen, die 1702 vor. Monheim bis nach Mülheim herauf sich am Rhein gegeü die Fran zosen verschanzt hatten und dem General Tallard bei Bonn eins auszumischen suchten. Doch der setzte über auf die andere Rheinseite, und in Monheim, Flittard und Schle busch ging damals manches Haus in Flammen auf. Das sind mit der Elle der Weltgeschichte gemessen, keine gar großen Begebenheiten. Aber sie haben zu ihrem Schauplatz eine lebendige Beziehung bewahrt. Nahe der Kirche grüßte ein Gasthäuschen in oker gelbem Anstrich. Eines Brunnens dünner Strahl springt auf den kleinen Markt: seine Gotik ist nicht echt: und seine Heiligenfigur kein Kunstwerk. Aber er macht doch den kleinen Platz lebendig. Ich gehe durch den Schelmenturm davon zum Tor hin aus. Ein Dohlenflug fällt schreiend aus den hohen Bäumen. Hitdorf hat keine Eisenbahn, sondern nur eine elektrische Ueberlandbahn, mit der man leicht nach Köln, Düsseldorf oder Solingen fahren kann. Im übrigen fließt ja der Rhein vorüber. Auf seinem breiten Rücken kam den Hitdorfern einstmals Wohlstand und fröhliches Leben zugeschwommen. Einstmals nämlich, als Hitdorf noch eine Hafen- und Handelsstadt war, die sogar den Kölnern und Düsseldorfern unbequem ward. Da legten hier Kähne an mit Schleifsteinen für die Solinger und Nemscheider Kotten. Treckschuten mit Korn und Gemüse. Was auch vorüberfuhr, na Köln oder nach dem Tulpen- und Windmühlenlande zu, das lies immer sein Flöckchen Abschied vom Lago Maggiore Verwandelt schau ich von der Brüstung See und Berg, die stolzen Palmen noch einmal, den Sonnenglanz, den Himmel wie ans Stahl und sinne, daß ich hier als Wanderer steh, Der, einem Wald von Steinen kaum entflohn, dahin doch wieder kehren muß, die Fron der Arbeit und des lauten Tags ein Jahr zu tragen, bis zum andernmal ich fahr Gen Süd, das Leuchten dieses reinen Landes in meine Seele cinzutrinken, Dust von bunteren Blumen einzuatmen und die Brust mir auszuweiten in der Lust gesegneter Gefilde, voll des Randes, den Becher Glück zu fülle» jede Stund'. Wilbelru stlerickies. Wolle in der Hecke zu Hitdorf hängen. Und mancher qing damals mit einer dicken Geldkatze gewichtig durch die still gewordenen Gassen. Dazumal brannten die Hitdorfer auch Ziegel und verkauften sie für gutes Geld den Rhein hin unter. Auch hatten die Hitdorfer ihren Nachbarn ein fettes Privilegium weggeschnappt. Sie durften die Fabrikate aus dem Solinger Hinterland, die zur Messe nach der Mainstadt Frankfurt geladen werden sollten, sämt lich allein verfrachten. Sogar einen Zoll hatten sie ein gerichtet und zogen von den vorübergehenden Schiffen ihre Abgaben ein. Wenn der Herbst die Wälder bräunte, fuhren di« Fischer auch zum Salmfang. Wenn der Abend dann über den Strom fiel, saßen die Schiffer, die Rheinhalfen (die schleppten die Schiffe bei Windstille stromauf) und die Fuhrleute zusammen, schlugen mit den Fausten krachend auf die Wirtschaststische, rauchten holländisch« Knaster aus langen Tonpfeifen und fluchten in allen Mundarten zwischen Rotterdam und Straßburg. Ach, das war eine lustige Zeit für das kleine Nest am Rhein. Dazu wurde gefeilscht, geschrien, ge schimpft und gesungen, und die Kinder wuchsen dazwischen auf mit wachen Augen und neckten die mohrenschwarzen Kerle, die die kostbare Kohle für Solingen in ihre schweren, zweirädrigen Karren luden. Ja, das war das goldene Zeitalter für Hitdorf. Als 1822 die ersten Dampfschiffe die grünen Fluten stampfend aus der Tiefe herausschaufelten, da blieb das lockere, fröh liche Leben aus. Noch immer zieht der silberne Strom vorbei, und die Schiffe fahren bis auf den heutigen Tag. aber an Hitdorf fahren sie heute alle vorüber . . . Es war ein wundervoll goldener Sonntag, als ich mich in Hitdors vor Anker legte. Am anderen Ufer ver schwamm im kühlen Grau Jangel, die Landungsstelle des Führbootes auf der linken Rheinseite. Ulmen und Pappeln standen in malerischer Düsterheit. Ockerfarbene Dämme rung spiegelte sich vlinkend in der fast unbeivegten Flut. Eine Zunge Land- schmal wie ein Brett, schiebt sich weit und lang in das Wasser. Das ist der Hitdorfer Hafen von heute. Es lagen aber nur ein paar kleine Segelboote hier in Hut und Geborgenheit. Am Rhein entlang spazierte man unter den Wipfeln großer, alter Bäume. Rechts der Strom, link steil ab fallendes Steinwerk gegen die Hochflut. Davor Häuser, sehr fest aus Stein gefügt. Nur selten, in der Mitte des Ortes, sieht man Fachwerk. Di« Häuser wenden ihre braunen und grauen Steingiebel dem Strom zu. Oft durch Torbogen miteinander verbunden, bilden sie eine lange Mauer nach der Wasserseite zu. Nicht gerade ärmlich, aber doch recht einfach, niedrig und schmucklos lehnen sie an einander. Winzige Blumengärten sind karger Zierrat. Nur das schmucke, kleine Rathaus gleicht in Anlage und Stil einem Sommersitz. Es hat gar nichts von Amtlichkeit und steifer Würde an sich. Auf dem Fußweg nach Rheindorf läuft die Böschung in verschilftes Sumpfland aus, wo Rispen und Rohr bei jedem Windhauch knistern und Weidenbüsche sich ans Ufer krallen. Da sitzen junge Burschen um die Schummerstunde im Kreis zusammen und hören den spukhaften Geschichten der Aelteren zu. Einer spielt die Ziehharmonika. Das erfüllt den dunkelnden Tag mit leiser Melancholie, und vorjähriges Laub fliegt raschelnd über den Weg. Eine Ziegelbäckerei oder Ziegelei, wie wir heute sagen, begrüßt mit ihrem ragenden Schornstein vor Rhein« Wiedersehen im Alllag Von Zgna Maria. Wie das Losgelöstfein vom Alltag di« Menschen manchmal zusammenfiihrt! Man fühlte sich ja förmlich verjüngt vor Ferienfreude. Alles schien so leicht, es gab kein« Hindernisse, nichts beschwert« die sonnigen Tag«, die man weitab vom ewigen Einerlei d«s Broterwerbs verbrachte! Marianne Wendt verlor mehr und mehr von ihrer Un nahbarkeit", wie cs di« Kolleginnen nannten. Sie vergaß, daß sie die erste Buchhalterin eines großen Berliner Modehauses war, sie vergaß vollends ihr« sechsunddreißig Jahr«, die zarten Silberfäden, die sich zwischen dem dichten Rostbraun hier und da hervorwagten, sie war plötzlich wieder jung, nur Mädchen. Ein bißchen im Lampenfieber, wenn sie auf der weiten, von alt«n Kastanienbäuinen beschatteten Hotelterrasse allen Aug«n ausgesetzt war. Heimlich hofft« sie, unter den Dielen eine gleichgestimmte Seele zu finden: das Alleinsein am Strand, bei der Iaulse, bei den Dampferfahrten empfand sie als Last. Bis der Zufall ihr zu einem honetten, gediegenen Begleiter ver- half, der über den neuen Kameraden ebenso froh schien wie sie. Wenn der Inselwirt venetiamsche Nacht mit Hilf« von bunten brennenden Lampions veranstaltete, so ruderten sie hin über. und er hielt einen langen Bortrag über den gesundheit lichen Wert des Ruderns, erzählte aus feinen Flegeljahren, wie er im selbstgezimmerten Kanu auf dem heimatlichen Fluß ver unglückt und beinah ertrunken sei. Und sie wußte von einer verbotenen Bootsfahrt auf dem Rhein, wo ste drei Pensionä rinnen sich eigenmächtig Ferien verschafft und ein Boot ge« mietet hatten. St« trafen sich immer und überall und ohne Der abreduiH: schließlich war es nicht anders, als daß sie auch di« Mahlzeit«» zusammen einnahmen. Sie sahen nicht die viel sagenden Blick«, da» leise Lächeln der Gäste, wenn ste zusammen auf der Seeprom«nade spazierten. Sie führten sehr ernsthafte Gespräche, er fand irgendwie einen Anlaß anzuknüpfen und über diese, und jene» Thema seine eigenen Ideen zu verbreiten. Sie gab eine geduldige, gläubige Zuhörerin ab. Er registrierte gleichsam jedes Vorkommnis, denn er war Bibliothekar just in der nämlichen Stadt, in der auch Marianne Wendt wohnte. Die jüngere, flirtfreudige Generation spottete über di« seltsamen „Liebesleute", die so gar wicht ein bißchen verliebt waren und durch ihr unverändertes Benehmen langweilig wurden. Da boten sich weit bessere Objekte: die kleine tem peramentvolle Ungarin, die stundenlang beim Tarock faß und sich »ach jedem Spiel mit ihrem Partner zankte. Da war der ältere weißhaarige Herr mit der jungen, weißblondgefärbten Dame, die man trotz des Eheringes nicht anerkenne» wollt«: da gab es fo manclzes und so vieles darüber zu lästern es sich bester lohnte, als über diese beide» Steifleinenen. Zum alten Schloß waren sie hinüber gegangen, Dr. Gott hold Braun und Marianne Mudt. Im stimmungsvollen Brahmshof hielten sie Umschau, und diesmal war es Marianne Wendt, die wußte, daß hier Brahms seine Regensonate ge schrieben Hab«. Daher di« Brahmsstatue im Hof, daher di« schmal« Vrahmsstraße, di« zum See führte. Märchenhaft« Stille um sie her. Klingend rannen Wasser tropfen aus dem alten Brunnenrohr, weise und lila Winden nickten von der dunkelbraunen Holzgalerie, wilder Wein >un- rankte üppig das Treppengeländer. Kaum vermocht» der steinerne Löwe, der Geländerknauf, sich feiner Umarmung zu erwehren. Holzläden verbargen blank« Fensterscheiben. Die heiße, sengende So-mmersonn« fiel fast senkrecht in den Hof und malte lustige Schatten von großen und kleinen Blätterhänden der Kastanie, die den Kos beschützte. Man sollte Schluß machen mit dem Junggefellendasein, dachte Gotthold Braun. Ob sie Ja sagt, wenn ich sie fragte? — Ader dann stand warnend das Beispiel der unharmonischen Ehe seines Freundes ihm vor Augen. Eine Ehe, besonders in späte» ren Jahren, wollt« wohl überlegt fein. Und Marianne grübelte, weshalb ihr schweigsamer Begleiter so lange allein gebliebe« sei. Gewiß hatte er eine unglücklich« Lieb« gehabt oder war st» her Jugend von einer Frau ent täuscht worden. „Wem, wir das Motorboot erreichen wollen—" GMHold Bram, brach jäh de» Schwelgen, da» ihn bedrückt«. „Der Hof verführt zum Grübeln", Marianne lachte. Aber l«s Thema wurde doch besprochen, als sie mit dem letzten Dampfer zurücksuhren. „Ich habe eigentlich nie an ei-ne Heirat gedacht", gestand Marianne ehrlich, .vielleicht habe ich auch den „Richtigen" nicht getroffen." Und er gab zu. daß nur die böse Erfahrung seines Freundes ihn kopfscheu gemacht habe. Und als er gerade die entscheidende Frage stellen wollte, stürmte kichernd und lär mend ein Rudel Backfische auf das Deck und zerriß ungewollt di» feinen Fäden. Die alte Weisheit, daß man stets im schönsten Augenblick scheiden muß, bewahrheitete sich auch hier — Mariannens Urlaub neigte seinem Ende zu. Der Abschiedstag war da, ohne daß Gotthold Braun das wichtige Gespräch de« Schiffes zu Ende geführt hatte. So schieden sie als gute Freunde, auf ein Wieder sehen in der Heimat hoffend. Mährend der langen D-Zug- Fahrt durchlebte Marianne noch einmal die wonnigen Ferien tag«. Wirklich schön und genußreich waren sie erst durch die Bekanntschaft des guten Kameraden geworden. Und der Alltag legte sein« kleinen und großen Ent täuschungen, sriire Sorgen auf da» Leuchten der verflossenen Ferienwoche,,. Die srisechn Farben oerblaßten.: neue Freuden verdrängten langsam die Erinnevuiqp Wieder mit des blinden Arfalls Hilfe trafen sich Dr. Gott- hold Brau» und Marianne Lvendt im Foyer eines Kino theaters. Er hatte ste zuerst erkannt, begrüßte st«. Für kurzen Augenblick wurden Sommertag« lebendig. Sie standen sich gegenüber, juchten nach Worten, unbehockfon Sott hold Braun, darob kühlfrenndlich Marianne Wendt. Dann schrillte di« Klingel. Ein flüchtiger HtstHedr-uck. er eilte in den verdunkelten ZusckMkrrrawm. Ste trat in di« Hell« des Großstadt abends. Wie er sich vevckrdert hat! Die Erkenntnis schmerzt« Akariann». Man hätte sich nicht Wiedersehen dürfen. Nicht die Illusion zerstören .... Me fremd st« mir geworden ist, «npfmtd Gotthold Braun. Und dann mit stillem Aufatmen: es ist doch bester fo. — Und keiner wußte, daß der Alltag sie verwandelt hait«.