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Sächsische Volkszeitung : 30.10.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192710303
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19271030
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19271030
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-10
- Tag 1927-10-30
-
Monat
1927-10
-
Jahr
1927
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 30.10.1927
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(krmnik. rvicksu, Plauen Lehrervereins-Polittk Chemnitz, 29. Oktober. Angelockt durch de» Ruhm, den sich der Dresdner Lehrer verein mit seiner großangelegten Kundgebung gegen den Reichs- schulgesetzentwurs erworben hat. veranstaltete der Chem nitzer Lehrerverein am Donnerstag eine ähnliche Ver sammlung. Hier hatte man den demokratischen Reichstags abgeordneten Brodaus, den sächsischen Landtagsabgeordneten Rötscher. Dr. Mennicke, den Direktor der Hochschule für Politik in Berlin, Lehrer Fröhlich und Stadtverordneten Kulig als Redner gewonnen. Den in Dresden so arg mißlungenen Versuch mit einem Zentrumsredner hat man hier bedachtsamerweise nicht gemacht. Die Quintessenz der Versammlung ivar eine fast blut- -ünstige Entschließung folgenden Wortlautes: Der Keudellsche Ncichsschulgesetzentwurf nimmt dem Staate das Recht der Schulhoheit, und gibt es an nicht staat liche Mächte ab. Dieser Entwurf ist keine wort- und sinn gemäß« Ausführung der Reichsverfassung, er zertrümmert die Einheit unseres Schullebens. Dieser Entwurf verhindert die staatsbürgerliche Erziehung der Jugend und senkt die Bil dungshöhe. Dieser Entwurf gefährdet die pädagogischen und staatsbürgerlichen Rechte der Volksschullehrer und stellt diese im Religionsunterricht unter dreifache Ueberwachung. Dieser Entwurf trägt den Unfrieden in Staat, Gemeinde und Familie und führt zu einem dauernden Kulturkampf. Dieser Nesolutionsentwurs darf nicht Gesetz werden. tz. Neues Anskuuftöbureau auf dem Chemnitzer Hauptbahu- hof. Dank der unermüdlichen Arbeit des Chemnitzer Vereins für Fremdenverkehr und der tatkräftigen Unterstützung des Rates der Stadt ist im Hinteren Lichthos des Hauptbahnhoses ein Auskunsts- bureau mit Wohnungsnachweis eingerichtet worden, welches von den zahlreichen durchreisenden Fremden dankbar begrüßt werden dürfte. tz. Verurteilung eines KindeSmör-crs. Das Schwurgericht Freib erg verurteilte am Freitag nach zweitägiger Verhandlung )cn 28 Jahre alten Arbeiter Chnert ans Blumcnau bei Olbcrnhau wegen Totschlags zu 10 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehren- rechtsvcrlust Der Verurteilte hatte ini Februar dieses Jahres seiir uneheliches Kind in Blumenau in de» Mühlgraben geworfen, um ich seinen Unterhaltspflichten zu entziehen. h. Die Sächsische Schuhmacher-Fachschule in Siebenlehn soll, da sie den gestellten Anforderungen nicht mehr genügt, aus gebaut werden. Dem Nossener Anzeiger zufolge ist die Regie rung um eine Staatsbeihilfe von 32 000 Mark zur Beschaffung von Geräten und Einrichtungsstücken, sowie um ein unverzins liches Darlehen von 60 000 Mark für einen Anbau ersucht worden. Tie sächsischer! Handelskammern setzten sich gleichfalls dafür ein, daß die Schule im Interesse der heimischen Schuh industrie vergrößert werde. tz. Einweihung einer Fachschule. Freitagmittag hat i» Reiche »bach unter Teilnahme einer großen Zahl von Ehren gästen der Neubau der dreistöckigen höheren Fachschule für Tex tilindustrie in der Klinkhardlstraße seine Weihe erhalten. Nach Nordosten zu schließt sich das dreistöckige Waren-Priifungsamt an. Gegen Westen folgt der Saal für Spinnerei. Weberei und Appretur. Weiter sind Räume vorhanden für das Garnlager, die meclmnische und Handmeberei, für die Vorbildersammlung sowie ein großer Zeichensaal. tz. Zusammenstoß zwischen Lokomotive und Güterzug. Donnerstag gegen 17 Uhr stieß in Penig eine Lokomotive mit einem ousfahrenden Küterzng zusammen. Ein Güterwagen wurde schwer beschädigt, ein anderer entgleiste. Ein Mann des Tüterzuges sowie der Lokomotivführer und Heizer der Maschine wurden verletzt. «ier l-surilr Ein D-Zun auseinandergerissen Bautzen, 29. Oktober. Am Freitagabend riß der von Breslau kommende, in Dresden fahrplanmäßig gegen 20 Uhr eintressende D-Zug zwischen Kubschüh und Bautzen infolge Bruches der Kuppelung auseinander. Der erste Zugteil setzte die Fahrt bis Bautzen fort und wartete dort das Eintreffen des zweiten Teiles ab. der von einer Ersahlokomolive nackgclchobe» wurde. Mit 11l-stündiger Verspätung trat der wieder- vereinigte Zug die Weiterfahrt nach Dresden an. Personen- und Materialschaden ist nickt entstanden. l. Turnkursus in Sohland a. d. Spree. Ein orthopädischer Turnkursus wird durch die beim Bezirksoerband Bautzen-Land angestellte Heilgymnastin in Sohland a. d. Spree abgehalten. Geturnt wird zweimal wöchentlich je 2 Stunden. Aus Soh land selbst kommen zirka 20 Kinder in Frage, die Anlage zu Rückgratverkrümmung haben. l. Neue Krastverkehrslinl«. Sonntag, den 30. Oktober wird die Kraftverkehrslinie Bautzen—Neukirch eröffnet. Die Fahr strecke führt vom Wendischen Haus über den Siautzner Bahnhof nach Preuschwitz. Dobersäiau. Schlungwitz, Gnaschwitz, Weiß naußlitz nach Neukirch. l. Mit dem Auto in den Kemuitzbach. In der Donncrstaguacht gegen 3 Uhr fuhr ein Chauffeur aus Lauban. der die Kurve am Kemnitzberge zu schlecht aussiihr, mit seinem Auto in de» Kemnih- bach. Der Besitzer des Autos, ein Herr Werner aus Lauban, wurde schtvervcrlctzt in das Zittaucr Krankenhaus gebracht. Der Chauf feur wurde 5 Meter weit fortgcschleudert und kam mit leichten Ver letzungen davon. Gemeindeversammlung in Schrrgiswalde Am Sonntag, den 30. Oktober (Christiköniqssest) findet in Schirgiswalde im großen Saale des Erbgerichts eine Ge meindeversammlung statt, die eine große Kundgebung katholischen Zusammengehörigkeitsgefühls werden soll. Ge sänge und Vorträge werden die Veranstaltung umrahmen. Es sprechen Reichstagsabqeordneter Dr. Krone, Berlin, über „Christus König des össentlichen Lebens" und Hauptschriftleiter Dr. Desezyli. Dresden, über „Christus König der Schule". Alle Gemeindemitglieder sind zu der Teilnahme an der Ver sammlung herzlich eingeladen. Windkhorstburid-Tagunq in Dresden Am Sonntag, den 30. Oktober, 11.30 Uhr. findet im Katho lischen Jugendheim Dresden. Schlotzstraße 32. eine Tagung der sächsischen Windthorstbunde statt. Die Tagung soll die Grund lage schassen zu einem völligen Neuaufbau. Der Reichsqeschästs- stihrer der Windthorstbunde, Dr. Krone. M. d. R.. wird aus der Tagung anwesend sein. Alle Mitglieder der Windthorstbunde. ebenso aber alle Nichtmitglieder, die für politisch« Fragen Interesse haben, sind zur Teilnahme an der Sitzung «ingeladen. Di« Windthorst- Kunde stehen allen politisch aufgeschlossenen Menschen, die der Generation zwischen 20 und 35 Jahren angehören und sich zur Zentrumspartei bekennen, offen. l. Eröffnung einer »euerbauten Kleinbahnftreike. Die neuerbaute Kleinbahnstreckc Nikolsdorf—Schönberg O.-L. wird am heutigen Tage durch eine Eröffnungsfeier für den öffentlichen Ver kehr frcigegebcn, l. Gemeindeverordnctensitzung in Seitendorf. Die letzte Sitzung war sehr kurz und befaßte sich — nachdem für den ausgeschicdencn Herrn Jakob Herr Joh. Seifert als Verorbneter verpflichtet worden war — mit der Straßenpflastcrung im Niederborf. Es sollen näch stes Jahr 800 Meter mit einem Aufwand von 70 000 Mark, wozu der Bezirk die Hälft« gibt, gepflastert werde». Zwecks Klärung ver schiedener Punkie soll mit dem Amtsstraßcnmeistcr und dem Stra- ßenbauausschttß verhandelt werden. Der evangelische Kirchcnvor- stand wünscht die Erweiterung seines Friedhofes. Da es ein kon fessioneller sein soll, werden keine Mittel bewilligt, wohl aber soll der Bauausschuß mit beiden Kirchenvorständen die Anlage eines Ge- meindesriedhoses erörtern. Der Dresdner Taubstummenanstalt wer den 20 Mark überwiesen. Den Bund der Kinderreichen wird im Wohlstchrtsansschuß H. Mensel Nr. 303 vertreten. Eine» Antrag, das Auto am Sonnabend und Sonntag um 18 Uhr und 20.30 Uhr verkehren zu lassen, wurde zugcstimmt. l. T»e Wohnungsnot. Dem „Kamenzer Tageblatt" wird ausKindisch bei Elstra berichtet: Infolge des Wohnungsmangels hat die hiesige Gemeinde von der Reichsbahndirektion Halle einen nicht mehr gebrauchsfähigen D-Zug-Wagen gekauft. Der selbe ist am Montag hier eingetroffen und findet seine Auf stellung am sog. „Fichtelberg". Der Wagen ist für eine Familie bestimmt, die schon mehrere Monate auswärts untergebracht werden mußte. Infolge der Wohnungsnot besteht große Nach frage nach solckxm Wagen und sind dieselben nur schwer zu er langen. Der Preis soll sich ans etwa 600 RM. stellen. Kirchenmusik Katholisch« Hof- und Propstrikirche. 30. Oktober 11 Uhr von mittags Missa brevis von Pembaur. Gradual« Ave Mari«». Offertorium Non nobis von Reißiger. Tres-ner Konzerte Donnerstag. 3. November, 7.30 Uhr. im Künstlerhaus. Liederabend von Gladys Greene mit Karl Maria Pembaur am Bechstein-Flügel. Karten bei F. Ries. Seestr. 21. Montag. 7. Rov., 7.30 Uhr. im Palmengarten. Einmaliger Liederabend von Anna Gottlieb mit Dr. A. Chitz am Flügel. Karten bei F. Ries. Seestr. 21. Montag, 7. Nov., 8 Uhr, im Künstlerhaus. Kammermusik- abcnd vom Speisebecher-Vokal-Quartett (Speisebecher, Wolf, Weiske. Robertsons. Das Strieglerquartett wirkt mit. Karten bei F. Nies. Seestraße 21. Montag. 7. Nov., 7.30 Uhr, im Vereinshaus. Liederabend Senta und Prof. Kurt Nösel. Karten bei F. Ries, Seestr. 21. Dienstag, 8. Nov.. abends 8 Uhr, im Harmonisaal, Land- hausstr. 11. Einziger heiterer Biedermeierabend. Hans! Stad ler. Eugen Kny mit neuem Programm. Heitere Lieder zur Laute. Duette. Konzertzither und heitere Plaudereien. Karten bei F. Ries. Seestr. 21. Kapellmeister Siegmund Wittig, der Dirigent des „Dresd ner Orpheus", ist vom polnifcksen Ministerium aufgefordert worden, am 30. November in Leipzig eine Kammermusik mit Werken lebender polnischer Komponisten zu veranstalten. Gleich zeitig wird er den Klavierpart der betr. Kompositionen über nehmen. Zu de» Lindner Sinsoiiie-Konzertcn im Zoo Hai die Konzert direktion Nämsch, Waiscnhausstraße 24, von jetzt ab den Karten- Vorvcrkauf übernommen. Für das Konzert am nächsten Sonntag haben ihre Mitwirkung zugesagt: Emil Klinger, der das Gricg-Kon- zert mit Orchester spielt, und der Tenor Karl Jörn, welcher u. a. das Liebeslied aus der Walküre singt. Kumor Kunstkritiker. Nicht jeden wird es bekannt sein, wie das bekannte Gemälde des berühmten französischen Malers Horace Vernet — Kunstkritiker — zustande kam. Bernet hatte, als er noch weniger bekannt, mehrere Gemälde, die er einer Kunst ausstellung gesandt, von der Kommission als ungeeignet zu rückerhalten. Der Künstler beschickte die nächste Ausstellung wieder mit einem Gemälde, und zwar nannte er das Bild „Kunstkritiker". Dieses Gemälde stellte einen Maler dar, der eine Landschaft malt, während ihm drei Esel aufmerksam über die Schulter mit zuschauen. Dieses Bild wurde von der Kom- Mission angenommen. Wie man Unbequeme los wird. Talleyrand hatte ei» ziem lich drolliges Verfahren, auf der Straße von unbequemen Be kannten loszukommen. Konnte er einem Schwätzer nicht mehr ausweichen. so begrüßte er ihn freundlich, drückte ihm plötzlich mit einem mephistophelischen Lächeln die Hand und sagte mit einem Seitenblick aus den ersten besten des Weges kommenden Spaziergänger leise: Vergebung, ich rette mich, ich will einem Unbequemen entkommen, und der angeführte Stehengelassene lächelte verständnisinnig. Essen mit Musik. Bernard Shaw ist kein Freund des Diners mit Operettenmusikbegleitung. Als er unlängst in ein Lokal geriet, wo eine Zigeunerkapelle die Csardasfürstin zum Besten gab, bat er den Primas zu sich. — „Würden Sie, Ver ehrtester, einwilligen, etwas anderes zu spielen?" — Der Zigeu ner war mit Freuden zu allen Konzessionen bereit: „Was Sie befehlen, Meister." — „Dann spielen Sie doch bitte Poker ..." Kirchennachrichlen Dresden. Montag, de» 7- November, nachm. 3 Uhr, Psarr- konfercnz in Dresden-Löbtau, Tharandtcr Straße 5. Dresden-Iohannstadt. Sonntag, 30. Oktober (Christi Kö nigsfest): abends 6 Uhr Segensandacht. — Montag. 31. Oktober: hl. Messen 6. 7. 8 Uhr. abends 7 Uhr Rosenkranz. — Dienstag, 1. Nov. (Allerheiligen): hl. Messen 6, 7.30 sohne Ansprache), 9.30 Uhr Hauptgottesdienst, 11.15 Uhr: abends 7.30 Uhr Segens- andackt. — Mittwoch, 2. November sAllerseelen): hl. Messen 5.30. 6. 6.30, 7. 7.30, 8. 8.30, 9 Uhr: abends 7.30 Uhr Segens andacht. Wetterbericht -er Dresoner Wetterwarte Witterunqsaussichten. Zunächst lebhafte, später abflanende Winde aus westlichen Richtungen. Vorwiegend heiter, sehr mild. Kleider machen Lenke Eine Erzählung von Gottfried Keller. (1. Fortsetzung.) Während dieser umständlichen Zubereitungen befand sich der Schneider in der peinlichsten Angst, da der Tisch mit glänzendem Zeuge gedeckt wurde, und so heiß sich der ausgehungerte Mann vor kurzem noch nach einiger Nahrung gesehnt hatte, so ängstlich wünschte er jetzt, der drohenden Mahlzeit z» entfliehen. Endlich faßte er sich einen Mut, nahm seinen Mantel um, setzte die Mühe auf und begab sich hinaus, um den Ausweg zu gewinnen. Da er aber in seiner Verwirrung und in dem weitläufigen Hause die Treppe nicht gleich fand, so glaubte der Kellner, den der Teufel be ständig umheriritb, jener suche eine gewisse Bequemlichkeit, rief: „Erlauben Sie gefälligst, mein Herr, ich iverde Ihnen den Weg weisen!" und führte ihn durch einen langen Gang, der nirgend anders endigte, als vor einer schön lackierten Türe, auf welcher eine zierliche Inschrift angebracht war. Also ging der Man.'eliräger ohne Widerspruch, sanft wie ei» Lämmlein, dort hinein und schloß ordentlich hinter sich zu. Dort lehnte er sich bitterlich seuszend an die Wand und wünschte der gol denen Freiheit der Landstraße wieder teilhaftig zu sein, welche ihm jetzt, so schlecht das Wetter tvar, als das höchste Glück erschien. Doch verwickelte er sich jetzt in die erste selbstlätige Lüge, weil er in dem verschlossenen Raun, ein wenig verweilte, und er betrat hiermit den abschüssige» Weg des Bösen. Unterdessen schrie der Wirt, der ihn gesehen hatte im Mantel dahingehen: „Der Herr friert! Heizet mehr ein im Saall Wo ist die Liese, wo ist die Anne? Rasch eine» Korb Holz in den Ofen und einige Hände voll Späne, daß es brennt! Zw» Teufel, sollen die Leute in der Wage in, Mantel zu Tisch sitzen?" Und als der Schneider wieder aus dem lange» Gange hervor- gewandelt kam, melancholisch wie der umgehende Ahnherr eines Stammschlosses, begleitete er ihn mit hundert Komplimenten und Haudreibnngcn wiederum in den verwünschten Saal hinein. Dort wurde er ohne ferneres Verweilen an de» Tisch gebeten, der Stuhl zurechigerückt, und da der Duft der kräftigen Suppe, dergleichen er lange nicht gerochen, ihn vollends seines Willens beraubte, so ließ ec sich in Gottes Namen nieder nnd tauchte sofort den schweren Lössel in die braungoldcne Brühe. In tiefem Schweigen erfrischte er seine matten Lebensgeister und wurde mit achtungsvoller Stille und Ruhe bedient. Als er de» Teller geleert halte und der Wirt sah, daß es ihm so wohl schmeckte, munterte er ihn höflich auf, nach einen Löffel voll zu nehme», das sei gut bei den, rauhen Wetter. Nun wurde die Forelle aufgetragcn, mit Grünen, bekränzt, und der Wirt legte ein schönes Stück vor. Doch der Schneider, von Sorgen gequält, wagt« in seiner Blödigkeit nicht, das blanke Messer zu brauchen sondern hantierte schüchtern und zimperlich mit der silbernen Gabel daran herum. Das bemerkte die Köchin, welche zur Tür hereinguckte, und sie sagte zu den Umstehenden: „Gelobt sei Jesus Christ! Der weiß noch einen feinen Fisch z» essen, wie eS sich gehört, der sägt nicht mit dem Messer in dem zarten Wesen herum, wie wenn er ein Kalb schlachten wollte. Das ist ein Herr von großem Hause, darauf wollt' ich schwören, wenn es nicht verboten wäre! Und wie schön und traurig er ist! Gewiß ist er in ein armes Fräulein verliebt, das man ihm nicht lassen will! Ja, ja, die vornehmen Leute haben auch ihre Leiden!" Inzwischen sah der Wirt, daß der Gast nicht trank, und sagte ehrerbietig: „Der Herr mögen den Tischwein nicht, befehlen Sie vielleicht ein Glas guten Bordeaux, den ich bestens empfehle» kann?" Da beging der Schneider den zweiten selbsttätigen Fehler, Indem er aus Gehorsam ja statt nein sagte, und also verfügte sich der Wagwirt persönlich in de» Keller, um eine ausgesuchle Flasche zu holen; denn cs lag ihn, alles daran, daß man sagen könne, cs sei etwas Rechtes im Ort zu habe». Als der Gast von dem cingeschcnk- ten Wein wiedcrum aus bösem Gewissen ganz kleine Schlücklein nah,», lies ser Wirt voll Freuden in die Küche, schnalzte mit der Zunge und ries: „Hol' mich der Teufel, der versteht's, der schlürft meinen guten Wein auf die Zunge, wie man einen Dukaten auf die Gcldtvage legt!" „Gelobt sei Jesus Christ!" sagte hie Köchin, „ich hab's be. hauptet, daß cr's versteht!" So »ahm die Mahlzeit denn ihren Verlauf, und zwar sehr langsam, weil der arme Schneider immer zimperlich und unent schlossen aß und lrank und der Wirt, um ihm Zeit zu lassen, die Speisen genugsam stehen ließ. Trotzdem war cs nicht der Rede wert, was der Gast bis setzt zu sich genommen: vielmehr begann der Hunger, der immerfort so gefährlich gereizt wurde, nun den Schrecken zu überwinden, und als die Pastete von Rebhühnern er schien, schlug die Stimmung des Schneiders gleichzeitig »m, und ein fester Gedanke begann sich in ihn, zu bilden. „Es ist jetzt einmal, wie cs ist," , sagte er sich, von einem »clien Tröpflein Weines er wärmt und aufgestachelt: „nun wäre ich ein Tor. wenn ich die kom mende Schande und Verfolgung ertragen wollte, ohne mich dafür sattgegessen zu haben! Also vorgesehen, weil es noch Zeit ist! Das Türmchen, was sie da ausgestellt haben, dürfte leichtlich die letzte Speise sein, daran will ich mich halten, komme was da wolle! WaS ich einmal im Leibe habe, kann mir kein König wieder rauben!" Gesagt, getan: mit dem Mute -er Verzweiflung hieb er in die leckere Pastete, ohne an ein Aufhörcn zu denken, so daß sie in weniger als fünf Minuten zur Hälfte geschwunden war und die Sache für die Abendherren sehr bedenklich zu werden begann. Fleisch. Trüf feln, Klößchen, Boden. Deckel, alles schlang er ohne Ansehen der Person hinunter, nur besorgt, sein Nänzchen voll zu packen, che das Verhängnis hereinbräche; dazu trank er den Wein in tüchtigen Zügen und steckte große Brotbissen in de» Mund; kurz es war eine so hastig belebte Einfuhr wie wenn bei aufsteigendem Gewitter da» Heu von der nahen Wiese gleich auf der Gabel in die Scheune ge flüchtet wird. Abermals lief der Wirt in die Küche und rief: „Köchin! Er ißt die Pastete auf, während er den Braten kaum be rührt bat! Und den Bordeaux trinkt er in halben Gläsern!" „Wohl bekomm' es ihm," sagte die Köchin, „lassen Sie ihn nur machen, der weiß, was Rebhühner sind! War' er ein gemeiner Kerl, so hätte er sich an den Braten gehalten!" „Ich sag'S auch," meinte der Wirt, „es sieht sich zwar nicht ganz elegant an; aber so Hab' ich, als ich zu meiner Ausbildung reiste, nur Generäle mflr Kapitelsherren essen sehen!" Unterdessen hatte der Kutscher die Pferde füttern lassen und selbst ein handfestes Essen eingenommen in der Stube für da» untere Volk, und da er Eile halte, ließ er bald wieder anspannen. Die Angehörigen des GosthofeS zur Wage konnten sich nun nicht länger enthalten und fragten, eh' es zu spät wurde, den herrschaft liche» Kutscher geradezu, wer der Herr da oben sei, und wie er heiße? Der Kutscher, ein schalkhafter und durchtriebener Kerl, verseht«: „Hat er es noch nicht selbst gesagt?" „Nein," hieß eS. und er erwiderte: „Das glaub' ich wohl, der spricht nicht viel in einem Tage; nun, es ist der Graf Stra- pinski! Er wird aber heut und vielleicht einige Tage hier bleiben, denn er hat mir besohlen, mit dem Wagen vorauszufahrcn." Er machte diesen schlechten Spaß, um sich an dem Schneioerlein zu rächen, das, wie er glaubte, statt ihm für seine Gefälligkeit ein Wort dcS Dankes »nd des Abschiedes zn sagen, sich ohne Umsehen in das Haus begeben hatte und den Herrn spielte. Seine Eulen spiegelei aufs äußerste treibend, bestieg er auch den Wage», ohne »ach der Zeche für sich und die Pferde zu fragen, schwang die Peitsche und fuhr aus der Stadt, und alles ward so in der Ordnung befunden und dem guten Schneider aufs Kerbholz gebracht. (Fortsetzung folgt,)
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