Volltext Seite (XML)
Nummer 2S2 — 26. Jahrgang Srlihelnl Sinai wöchentlich «it den Illustrierten NrattSbetlanen .Die Well' und »Mir unsere «eine» Leute", sowie den Ter«, betlagen .St. «enno-Blatt', .ltnterbaltung und Wißen'. .Die Welt der Frau", .Aerztlicher lltalgeber'. .Da» gute Buch" .Fllmrundschau'. Monatlicher ivezng-PretS 3.- Mk. einschl. Bestellgeld. Einzelnummer I«» Z. Sonnlagnummer »tt 1. Hauvtschrtstletter! De. (S. Deöcztik. Dresden. SüchMe Sonnabend» 29. Oktober 1927 Slnzeigenpretser Die »gespaltene Pettlzctlr SV 1, Famtliea an,eigen und Stellengesuche SV 4. Die Petitreklamezelle «9 Millimeter breit. I Offeriengebllhr !tv 1. bet lieber- sendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Im Fall« höherer Ncwait erlischt jede Verpflichlung auf Lieferung sowie Erfillluug v. Slnzeigen-?suflrögcn u. Leistung v Schadenersatz, tiieschüftlicher reit: Artur Leu», Dresden. «» (Geschäftsstelle. Druck«.»versag : Nermania. «l.-G. tür Verlag und Druckerei. Filiale Dresden. DreSden-Sl. I. Polierstratzel?. Fem>»s2lM2. Vosllchecklonto Dresden 27N3. Vaussonto Stadtbant Dresden Vr giltst Für christliche Polilik und Kultur Redaktion der Sächsischen Aolk-zettuna Dresden-Altstadt l. Polierstrobe >7. Fernrin Mil und rillt». Konjunktur und Währung Die Aussprache im Kaushattausschuh -es Reichstages — Die Aeutzerungen -es Reichsbankpriisi-enten und -es Reichswirtschaftsminifkers Zehn Jahre Sowjetstaat i. Das politische System -es Bolschewismus Sowjet-Rußland rüstet sich, den Zehnten Jahrestag des Sieges der Bolschewisten-Nevolution mit pompöser Feierlichkeit zu begehen. Der 7. November (nach dem russischen Kalender der 25. Oktober) darf als der eigent liche Geburtstag der Sowjet-Regierung gelten. Nachdem schon vorher die gesamte russische Presse die nahe bevor stehende bewaffnete Erhebung der Bolschewik« angekün- digr hatte, bemächtigten sich die Bolschewiken am 6. No vember des Haupttelegraphenamtes in Petersburg. Am 7. November 1917 wurden von den revolutionären Sol daten und Matrosen das Hauplpostgebäude und die Staatsbank besetzt. Die demokratisch-sozialistische „pro visorische" Regierung Miljukow-Kerenski, die im März 1917 den o-ren und mir Abdankung gezwungen hatte, wurde jetzt ihrerseits für abgesetzt erklärt. Das Winterpalais, in das sich die provisorische Regierung zu rückgezogen hatte, wurde beschossen und besetzt. Kerenski flüchtete. Der russische Bürgerkrieg, der bis 1922 das Land durchtobte, war entfesselt. Wladimir Iljitsch Ouljanow, seit etwa 1900 Lenin genannt, der mit Hilfe der damaligen deutschen Regierung im April 1917 im plombierten D-Zug-Wagen aus seinein Exil in Zürich (Schweiz) nach Rußland zurückkehren durfte, trat an die Spitze des Rates der Volkskommissare. Nach einem kur zen demokratischen Interregnum von kaum einem halben Jahre mar die Herrschaft des „roten Zaren" über Ruß land angebrochen. Es ist ein eigen Ding um den Erfolg. Und den „Er folg", die Zarenherrschaft radikal beseitigt und eine völlig neue Macht ans Ruder gebracht zu haben, wird den Bol schewisten niemand absprecken. Dieses Rußland hat der Welt immer seine besonderen Rätsel aufgegeben, von Iwan dem Grausamen und Boris Godunoff angefangen über Peter den Großen und Katharina bis auf Lenin. Der unendlichen Weite der russischen Ebene entsprach seit je derHana zum Extrem, -um Unausschöpflicben im russischen Menschen. Und es ist, als ob dieser Länder koloß im europäischen Osten trotz seiner unendlichen Weite in seiner seelischen Struktur doch stets zu eng ge wesen sei, um dem ganzen russischen Volke eine Heimat zu bieten. Zum Begriff Rußland scheint untrennbar die Emigrantenfrage zu gehören. Gestern so gut wie heute müssen große Teile dieses Volkes im Exil leben. An dieser Emigrantenfrage hat auch der Bolsche wismus grundlegend nichts geändert. Nur daß die Rol len seit Oktober 1917 vertauscht sind. Waren es vor dem Weltkrieg die radikalen Neuerer, Nihilisten und Sozia listen, denen Sibirien oder das Ausland drohte — auch die bolschewistische Partei ist bekanntlich 1903 auf dem im Ausland, in Brüssel, tagenden ersten Kongreß der russi schen Sozialisten geboren worden, und Lenin, der geistige Vater des Bolschewismus, war zunächst als Verbannter in Sibirien, in Krasnojarsk, später lange Jahre bis in den Weltkrieg hinein als Emigrant in der Schweiz. — so sind heute die konservativen Kräfte vom Boden Rußlands ver bannt und auf die Gastfreundschaft des Auslandes ange wiesen. Nach zuverlässigen Angaben aus Lmigranten- kreisen leben heute nicht weniger als etwa zwei Mil lionen Russen im Auslande. 400 000 davon allein in Deutschland. Was dieses Problem der Emigration für Rußland in kultureller Hinsicht bedeutet, mag man dar aus ermessen, daß noch heute — zehn Jahre nach Antritt der Sowjet-Regierung — fast das ganze früher maß gebende und repräsentative geistige Rußland in künstle rischer, wissenschaftlicher und vor allem literarischer Hin sicht unter den Emigranten zu suchen ist. Die Emigrantenfrage ist für Rußland ein Problem. Dem Auslande gegenüber bleibt sie ein untrüglicher Maß stab für die I n t o l e r a n z des jeweiligen russischen R e - g i e r u n g s sp st e in s. Die Höhe der heutigen Emi grantenziffer ist der beste Beweis dafür, daß das bolsche wistische Herrschaftssnstem an Despotie und geistiger Un freiheit — von dem Wirtschaftssystem der Sowjets noch ganz zu schweigen — die dunkelsten Epochen aus der Ge schichte des Zarenreiches bei weitem hinter sich läßt. Schließlich macht der Bolschewismus auch keinerlei Hehl daraus, daß seine Herrsäjaft „Ochlokratie" im aus gesprochensten Sinne des Wortes ist. Hinter dem Rat der Volkskommissare steht eine organisierte Partei von nur etwa 700 000 Mitgliedern (die in sich noch dazu uneinig W), mit deren Hilfe heule die Stalin, Djerschinski und Genossen das 100-Millionen-Volk absolut ..regieren". Die Theoretiker des Kommunismus — Karl Marx, Rodber- Die heutige Nummer enthält das S». Benno-Vlatt. das Sonntagsblatt kür dl« DiSzes« Melken. Berlin, 26. Oktober. Der Haushaltausschuß des Reichstages setzte gestern die Ausspraä-e über die Finanz- und Wirtschafts lage fort. Einleitend betonte Abg. Dr. Hilfcrding (Sog.), daß seine Fraktion den Standpunkt vertritt, daß bei der Behandlung der Fragen unserer Finanz- und Wirtschaftspolitik jede Agitation ausgeschaltet werden müsse. Auf die Rede des Finanzministers kritisierend eingehend, hielt es der Redner für notwendig, bei der Aufstellung des Etats des nächsten Jahres die gegenwärtige gute Konjunktur nicht als absolut sicher weiterbestehcnd zur Voraussetzung zu nehmen und auch für Deckung der außer ordentlichen Ausgaben zu sorge». Es sei unveraniworilich, wenn das in der letzten Zeit im Ausland aufgetretene Miß trauen von deutschen Kreisen grotzgezogen werde. Im Anschluß daran nahm Reichswirtschafts minister Dr. Curtius das Wort: Der Hauptausschuß hat mir die Aufgabe gestellt, über die Wirtschaftslage zu sprechen. Wir hatten uns innerhalb der Reichsregierung vorgenommen, aus Anlaß der Beantwortung der Jntercpellation der Sozialdemo kratischen Partei im November nach Beratung aller beteiligten Ressorts über die Wirtschaftslage eingehend Auskunft zu er teilen. Ich erkenne aber an, daß der Hauptausschuß ein b e - rechtigtesJnteresse daran hat, jetzt nicht nur die Finanz fragen und die Fragen des Etats, mit denen die Besoldungs vorlage in Zusammenhang steht, zu erörtern, sondern auch Wirtschaftsfragen, da diese von den anderen Fragen kaum zu trennen sind, und da mit der Besold ungs vor tage und der Be urteilung der künftigen Etatsgcstaltung auch die Fragen der künftigen Gestaltung unserer Wirtschaftslage sich aufwerfen. Daher ist die Reichsregierung bereit, schon hier im Hauptausschuß die Wirtschaftslage zu behandeln. Ich werde mich nicht darauf beschränken, einzelne Fragen zu behandeln, die vom Abgeordneten Dr. Hilferding aufgeworfen sind, sondern ich glaube versuchen zu müssen, den Nahmen für diese Erörte rungen etwas weiter zu fassen. Dabei möchte ich nicht den Konjunkturpropheten spielen. Ich halte es für gefährlich, in der Oeffentlichkeit mit Schlagworten die Konjunktur zu klassifizieren. Unsere Konjunktur hängt, wenn ich dieses Bild gebrauchen darf, in zwei Angeln; auf der einen Seite der Kaufkraft, auf der anderen Seite der Kapitalversorgung. Was die Kaufkraft anlairgt, so glaube ich, daß von dieser Seite aus der Konjunktur die geringste Gefahr droht. Die Wiederaufnahme von fast zwei Millionen Arbeitsloser in tus — haben einstens die Ansicht verbreitet, daß die Dik tatur des Proletariats (nicht die ochlakratische Diktatur der Leniu-Stalin und ihrer Thronfolger) nur ein Ueber- gangsstadium zur reinen Form des sozialistischen Zu kunftsstaates sein solle. Anzeichen dafür, daß in diesem Sinne die Sowjetführer chre Aemter demnächst dem be freiten russischen Volke zur Perfügung stellen werden, hat allerdings am östlichen Horizonte, wo sonst immer die Sonne aufzugehen pflegt, noch niemand wahrgenammen. Die Geschichte hat das Urteil gesprochen: Rußland bleibt vorläufig in politischer Hinsicht das ausge- sprochensteLand derDespotie. Nur daß die schon unter dem Zarenregime sprichwörtlich gewordene russische Knute dadurch noch erheblich schmerzvoller geworden ist, daß man den Sowjet-Stern in ihre Riemen eingeflochten hat. Es ist bekannt, daß sich freie politische Meinungen in diesem kommunistischen Paradies überhaupt nicht mehr regen dürfen. Neben den organisierten Mitgliedern der bolschewistischen Partei gibt es nu): noch die große Masse der „Parteilosen". Die Furcht vor der Tscheka hält jede nicht bolschewistische Regung von Grund auf nieder. Und das nur, weil in diesem Punkte der Bolschewismus konsequenter vorgeht, als ehedem das Zarentum in der Bekämpfung der ihm gefährlichen poli tischen Kräfte. Schließlich wird aber die Geschichte das Urteil darüber sprechen, ob selbst bei einem so un politischen Volke wie dem russischen auf die Dauer eine derartige Unterbindung der politischen Denksreiheit auf recht zu erhalten ist. Zehn Jahre sind in dieser Frage noch nicht die Weltgeschichte. Stalin und seine Traban ten haben vielleicht allen Grund, sich möglichst weitgehend auf die agrarischen Massen des russischen Volkes zu stützen, die der bolschewistischen Negierung ohne Zweifel ein Aktivum, die endgültige Bauernbefreiung, die Auf hebung längst überlebter Gerechtsame und unerträglicher persönlicher Höriakeit verdanken. Es ist vielleicht kluge den Wirtschastsprozeß, die Lohnerhöhungen, di« ln der rück liegenden Zeit seit der Stabilisierung durchgesührt wurden, auch die Erhöhung der Beamtengehälter, wie sie vorgeschlagen wird, sichern von der Seite der Kaufkraft aus die Konjunktur noch auf längere Zeit. Wenn in diesem Zusammenhänge die Preisfrage aufgeworfen werden sollte, so darf ich. wenn ich die Lage im Großen und Ganzen betrachte, annehmen, vel der Feststellung keinem Widerspruch zu begegnen, daß die Preisbewegung keineswegs schon übersteigert ist. sondern daß sie sich im Großen und Ganzen nur langsam aufwärts bewegt hat und bewegt. Vielleicht darf man auch hinzu- sügcn, daß die Depression des Auslandes, das für unseren Export in Frage kommt, allmählich einer gewissen Aufwärts- bewegung zu weichen scheint, so daß, wenn unser Export wieder stärker werden muß. auch das Ausland wied-r kaufkräftiger wird, als es noch vor wenigen Monaten und Jahren, vor allem unter der Auswirkung der Währungszerrüttung, ge wesen ist. Aber aus der anderen Seite drohen der Konjunktur Schwie rigkeiten aus der Frage der K a p i t a l b e s ch a s s u n g. Es ist durchaus richtig Herrn Abgeordneten Dr. Hilferding dar gelegt worden, daß die Maßnahmen, die Ende Dezember des vergangenen Jahres mit der Abstoppung des Ausländsanleihen getroffen sind, dis Herabsetzung des Re-ichsbanbdtskonts. die Abschöpfung des deutschen Jnlandsmarktes, die sehr starke Emissionstätigkeit in den Monate» Januar und Februar 1927, die Ausgabe der Reichsanleihe von 1927 gezeigt haben, daß der deutsche Kapitalmarkt allein keineswegs mehr in der Lage ist, die Konjunktur zu sinanzieren, die seit Ansang des Jahres sich -entwickelt hat. Wir müssen uns auf den Standpunkt stellen, daß die deutsche Wirtschaft nicht nur noch ausnahmesähig ist, sondern daß auch weiterhin eine Zufuhr von Austandskapita! zur Durchführung der Ausgaben, die die Konjunktur stellt, not wendig sein wird. Jedenfalls aber scheint es mir unerläßlich zu sein, daß wir uns das gegenwärtige Auslandskreditvolnmen erhalten. Der Minister stellte dann fest, daß die Ausfuhr von Fertigwaren seit 1921 dauernd gestiegen sei. Bei Ver gleichen mit der Vorkriegszeit dürfe man sich nicht immer aus das Jahr 1913 berufen; wenn man weiter zurückgreife. dann er gäbe sich beispielsweise, daß die Ausfuhr des Jahres t92l> die des Jahres 1910 eingeholt habe. Die Ausfuhr vom September 1927 komme ungefähr den Zahlen zwischen 1912 und 1913 gleich. Die Entwicklung unserer Exportbilanz sei alio keineswegs Taktik, die "schon Lenin geübt hat, die Wünsche des bol schewistischen Industrieproletariates nach Weiterführung der Weltrevolution vorläufig znrückzustellcn und den Ein fluß der Opposition, die von Trotzki und Sinowjew ge führt wird, rigoros zu unterdrücken. Ob inan jedoch auf die Dauer mit diesen Methoden ein Millionenvolk regie ren kann, wird die Zukunft lehren. Die mit bloßen Machtmitteln niedergehaltenen innerpolilischen Regun gen werden zu ihrer Zeit reagieren, dafür weist die Welt geschichte bereits zuviele lehrreiche Musterbeii'viele auf. Das werden die Regiernngsgewaltigen in Moskau nie aus deni Auge verlieren dürfen, mögen sie auch mit einer gewissen Befriedigung auf die außenpolitischen >.> der letzten Jahre zürückblicken, die Sowjet-Nußland staatsrechtlich die Anerkennung fast aller Großstaaten der Erde eingebracht Kat. Für die Völker ist und bleibt die Weltgeschichte das Weltgericht. Sie birgt um so gefahrliäzere Keime zu neuen Katastrophen in sich, je freier sich die Lenker der Staaten über die ewigen ungeschriebenen Gesetze des Menschen- und Staatenlebens hinwegsehen. Das Volk ist um seine Rolle zu bedauern, das zu derartigen Experimenten aus- erwählt ist, deren Ausgang die Theorie mit ziemlicher Sicherheit Voraussagen kann. Und diese Erve-imente werden dadurch nicht besser, sondern nur noch grausamer wenn sie zehn- oder mehrjährige Jubiläen erleben. Wenn man in diesem despotischen Staatssnstem des Bolschewismus auch nur einen letzten Rest von Sinn ent decken will, dann müßte er darin liegen, daß nur mit die sem Mittel der Willkür der Lebensstandard und das Kul turniveau eines Volkes ans die gewünschte Höhe gehoben werden könnte. Diese Frage nach dem Volkswohlstand aber leitet notwendig vom staatspo itischen auf wirtschaft liches Gebiet. Wir werden daher in einem zweiten Auf satz der wirtschaftlichen Seite de« Bolschewiitenregimes einiqe Aufmerksamkeit schenken. IK. v.