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Nummer 63 — 25. Jahrgang Sinai wöch. Bezug-prei» für März S— «inschl. Bestellgeld, «nzeigenprrife: Die Igesp. Petitzeile SSL. Stellengesuche 8ü Die Petitreklamezeile, 89 Milli meter breit, 1 Ossertengebiihren für Selbstabholer 20 L, bei Uebersendung durch di« Post außerdem Portazuschlag. Einzel-Rr. lg Sonntags-Nr. II Peschäftlicher Teil: Io/es Fohmann. Dresden. v msrdeilung Keperetur ^ukdevekrung ih. Voniei» vrosäen LtreklenerLtr.S stut 4S477 SöcklWe Mittwoch, 17. Mär, 1926 gm Fast« höherer Dewalt erlischt lebe Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeiaenoufträgen u. Leistung o. Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fern, ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ber. antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückpoct« nicht versehene Manuskript« werd. nicht aulbemahrt Sprechstunde d. Redaktion 8 bi» S Uhr nachmittags Hauptschriftleit.: Dr. Joseph Ulhert, Dresden VMMuna <S«schSst«ft,0», Drnik »ob V«rl«g, Taronia- Buchkrulkec-t GmbH., Dre-d-n-it. ia, Holbeliislratze <a. Feninit W722. PsstschnNonto Dresden 11787 BanNoiilo: »vagen,e » Arl»sche, Dresden. Für christliche Politik und Kultur Stedaltta« der «ächfilchrn «o>l»,e!tn«, Dresden.AlM. l«. Holde!,,straf,« «K. Fenirns MSR »nd!MS8. WSHrungskrise in Belgien Vor dem Rücktritt -es Finanzministers — Ausscheiden Belgiens aus dem Dölkerbundsrake? Finanzminister verschiedene Finanzleute, die dem Finanzminister die Versicherung gaben, das; sie alle Maßnahmen ergreife» wllr- den, um eine weitere Entwertung des Franken zu verhindern. Die Finanzkommission der Kammer ist für heute vormittag einberusen worden. Nach Schluß des Ministerrates erklärte der Finanz minister, seine Stabilisierungspläne blieben auch weiterhin be stehen. In politischen Kreisen spricht man von einem voraus sichtlichen Rücktritt des Finanzministers, der aber keinen Rücktritt des Kabinetts zur Folge haben werde London, 16. März. „Times" berichtet ans Gen fl I» Böl- kerbnndskreisen werde der geplante Rücktritt Undens mit tiefem Bedauern angesehen Der Mann, der fast allein den Völker- bnndssinn während der ganzen augenblicklichen Krise gezeigl habe, iverde jetzt vielleicht geopfert werden. Aber weder die neu tralen Mächte, noch die deutsche Delegation sähen diese Lösung als günstig an und es sei möglich, daß Belgien der Staat sei, der seinen nichtständigen Natssitz dem Völkerbund .zur Benimmm stellt. lieber die unter diesem Gesetz tatsächlich übliche Arbeits zeit in Deutschland herrschen im Auslände falsche Bor ste llun gen. Vor mir liegt eine neue amtliche Statistik, die von der Reichsarbeitsvermaltung ausgestellr worden ist. Der Statistik unterliegen 7099 Tarifverträge, von denen 785 945 Betriebe mit rund 11,9 Millionen Arbeitnehmern erfaßt werden. 6506 von diesen Tarifverträgen, die rund 10,9 Millionen Arbeiter, also über 90 Prozent der Ver träge, erfassen, enthalten Angaben über die Arbeitszeit. Von diesen 10,9 Millionen Arbeitnehmern hatten I 295 067 eine regelmäßige Arbeitszeit von weniger als 48 Stunden Pro Woche. Die regelmäßige Wochenarbeit von 48 Stunden batten 8 492 421 Arbeitnehmer. Eine Arbeitszeit von mehr als 48 Stunde n hatten nur 1 190 635 Arbeiter, also nur ein Zehntel der von der Statistik erfaßten Arbeit nehmerschaft. An diesem Zehntel haben den größte» Anteil die landwirtschaftlichen Betriebe. Erst in weitem Abstande dahinter kommt die Metallindustrie. Die Tarifverträge lassen naturgemäß Ueberstundcn zu, die ja auch nach dem Washingtoner Abkommen grundsätzlich gestattet sind. Ans diesem Bilde ergibt sich, daß die Rückkehr z» einem Normalarbeitslag von acht Stunden für Deutschland keines wegs eine Unmöglichkeit darsicllt. Infolgedessen ist die deutsche Regierung insbesondere seit der Besprechung mit vier der auch hier vertretenen Staaten in Bern unausgesetzt an der Arbeit gewesen, um ein neues Arbeitszeilgesetz zu entwerfen, das wieder zu dem Nvrmalnrbcitstag von acht Stunden zurnckkehrt. Ein neuer Gesetzentwurf wird noch int Sommer dem Reichskabinett zngehen. Er ist so gestaltet, daß ans seiner Grundlage die Ratifizierung des Washing tonsr Abkommens durch Deutschland erfolgen kann. In Kreisen der deutschen Delegation glaubt man »ach dem Verlauf des gestrigen KoiiwrenztageS, daß, wenn auch eine absolute Einsormigkeit der Interpretation des Washing tvner Abkommens natürlich nicht zu erreichen sein werde, eine Einigkeit doch nicht außerhalb des Bereiches der Mög lichkeit liegt. Die Konferenz wird voraussichtlich bis Don- nerstag dauern. Der MaltevM-Prozetz Bon unserem römischen Korrespondenten. Die in Paris erscheinende italienische Zeitung „Car- riere degli Italiani" wußte letzthin zu melden, daß die Witwe des von den Faschisten ermordeten Abgeordneten Matteotti ihre Klage zurückgezogen habe, nachdem Mussolini bestimmt hatte, daß der Prozeß nicht vor den Assisen in Rom verhandelt werden darf, wo das Verbrechen geschehen war, sondern in dem weltabgele- genen Abruzzenstädtchen Chieti, wo der Prozeß sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor sich gehen kann und die politische Gesinnung der Geschworenen und der Bevölkerung eine Garantie dafür ist, daß der Prozeß nach den Wünschen Mussolinis und der herrschenden Partei ausfällt. Nachdem schon während der Voruntersuchung als unbestechlich und unparteiisch geltende Untersuchungs richter entfernt und avanciert worden waren, endete die Voruntersuchung bekanntlich damit, daß sämtliche faschi stische Auftraggeber des Mordes überlzaupt nicht unter Anklage gestellt wurden, sondern freigelassen wurden und nach wie vor ihre „Ehrenämter" in der Partei bekleiden. Das einfachste wäre nun gewesen, auch die materiellen Urheber des Mordes verschwinden zu lassen. Aber da die Beweise zu erdrückend waren und ihre Schuld von den faschistischen Organen in der Hitze der Pressefehde vor ungefähr eineinhalb Jahren zugegeben worden war, und da es sich auch um gedungene Mordgesellen handelte, die eben auch das Risiko tragen mutzten, so nahm man nicht Rücksicht auf dieselben, sondern ließ der „Justiz" ihren Lauf. Zwar haben einige mit „Enthüllungeil" gedroht, doch werden sie nach eineinhalb Jahren — so lange liegt der Mord jetzt schon zurück! — inzwischen so mürbe geworden sein, daß sie eine formelle Verur teilung vorziehen, auf welche dann in Kürze eine Am nestie und ein Verschwinden ins Ausland folgen wird. Es erübrigt sich nicht, in unserer kurzlebigen und vergeßlichen Zeit den Sachverhalt noch einmal kurz vor dem Abspielen des Prozesses ins Gedächtnis zurück zurufen. Im Juni 1924 hatte der Abgeordnete Matteotti, welcher dem gemäßigten Flügel der Sozialdemokratie angehörte, aber in seinen persönlichen Anschauungen fast christlich-sozial gerichtet war, im Parlament Musso lini mit Enthüllungen gedroht, für welche er in der nächsten Sitzung die Unterlagen bringen werde. Am fol genden Tage verschwand Matteotti, nachdem er sich von seinem Hause zu Fuß in die Parlamentssitzung be geben hatte. Seine Gattin, mit weiblichem Instinkte den Zu sammenhang ahnend, teilte am nächsten Tage den Be hörden das Verschwinden mit, in der Hoffnung, wenig stens das Leben ihres Mannes zu retten, wenn er wegen der Mussolini schwer kompromittierenden Doku mente das Opfer einer der alltäglichen faschistischen Ueberfälle geworden wäre. Auch an den Papst wandte sich Frau Matteotti. um durch seine Autorität bei den Faschisten die Herausgabe ihres Mannes zu erreichen. Der Heilige Vater lehnte damals ab, Frau Matteotti zu empfangen. Sie wurde jedoch von Kardinalstaats sekretär Gasparri empfangen, der sein Bestes tat. um die unglückliche und religiöse Frau zu trösten, ohne aller dings viel von seiner Intervention versprechen zu kön nen. (Bekanntlich ist Kardinal Gasparri den Faschi sten ein Dorn im Auge.) Matteotti — tot oder lebendig — blieb ver schwunden, Da offiziell Anzeige bei den Gerichtsbehör den erstattet worden war und diese sich vor eineinhalb Jahren noch eine gewisse Unabhängigkeit von der Politik und der regierenden Partei gewahrt hatte, und sich auch die öffentliche Meinung in Italien regte, die damals noch nicht ganz unterdrückt war, begannen die Gerichts behörden Nachforschungen anzustellen, fanden aber den einmütigen Widerstand der Polizeibehörden, welche ganz in faschistischen Händen waren. Infolgedessen nahmen die Oppositionsparteien die Nachforschungen privatim in ihre Hände und führten sie so weit, daß nicht mehr der geringste Zweifel über die Beiseiteräumung Matte- ottis durch die Faschisten möglich war. Die Justiz behörden konnten "nun nicht umhin, die Verhaftungs befehle gegen die von der ganzen Welt als materielle und moralische — oder besser gesagt unmoralische — Ur heber des Mordes ergehen zu lassen, und so wanderte so ziemlich die ganze faschistische Parteileitung ins Ge fängnis, die aus Individuen bestand, die vielfach vor bestraft. es durchaus saero egoismo zu den leitenden Stellen der faschistischen Partei gebracht hatten und eine Tscheka gegründet hatten, welche der Moskauer Tscheka nicht viel nachgab. Die öffentliche Meinung Eurovas. welche nicht durch Pressezensuren und Strafexpeditionen einzuschüchtern war, hatte inzwischen begreifliches Interesse an der Mordaffäre genommen, und Mussolini konnte nicht umhin, seine zu stark kompromittierten Helfershelfer London, 16. März An der gestrigen Börse sano ein völlig unerwarteter Sturz des belgischen Franken statt, der seit Monaten mit etwa 107 notierte und heute morgen auf 121,5 siel, um bis zum Schluß -er Börse leicht anzuziehen. Man bringt diese Verschlechterung mit der Entwicklung der Lage in Genf in Zusammenhang. Auch hält man es für möglich, daß sich bei den Verhandlungen über eine englisch-amerikanische Sanierungsanleihe an Belgien Schwie rigkeiten ergeben haben. Paris. 16. März. Wie Haoas ans Brüssel berichtet, sollen nach der „Nation Beige" Außenminister Bandcrvelde in Genf und Arbeitsminister Wauters, der sich gegenwärtig in London anshält, von der durch den plötzlichen Devisensturz verursachten Finanz- Krise benachrichtigt worden sein. Es sei möglich, daß beide Mi nister so schnell wie möglich nach Brüssel zurückkehre». Brüssel, 16. Mürz Ter Sturz des belgischen Franken hat in Belgien eine außer ordentliche Erregung heruorgerufe». Der Ministerrat hat den ganzen Tag Beratungen «gehalten. Am Nachmittag empfing der London, 16. März. Die Arbeitszeitkonfereiiz der fünf führenden Industrie staaten Europas ist gestern durch den englischen Premier minister Baldwin eröffnet worden. Baldwin erklärte in seiner Eröffnungsansprache, die Arbeiterschaft -ergänzen Welt habe nach den schrecklichen Kriegsjahren gefürchtet, sie werde wieder in einen Zustand verfallen, der ökonomisch weit unter dem früheren Zustand liegen würde. „Ich weiß", fuhr Baldwin fort, daß cs Leute gibt, die sagen, daß inter nationale Regelungen meist zum Nutzen des einen oder anderen Landes seien. Es kann in Europa nicht di« Rede davon sein, daß ein Land auf Kosten des anderen pro speriert. Ter rücksichtslose Wettbewerb ver Gegenwart ist eine ernste nationale Gefahr. Der französische Arbeitsminister Durasour erklärt« dar auf, daß die vor der Konferenz begonnene Arbeit notwendig und dringend gewesen sei und daß die Arbeiter der ganzen Welt ungeduldig auf das Ergebnis warteten. Mit größter Spannung wurden darauf die Erklärungen des deutschen RcjchSirbri sministerS Brauns entgegengenommen. Er machte über die Entwicklung und den Stand der Arbeitszeitfrage in Deutschland folgende Darlegungen: Nach dem Kriege war jn Deutschland der uneinge schränkte Acht-Stnndentag bis Ende 1923 in Geltung. Schon im Jahre 1922 hätte die deutsche Regierung einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung des Washingtoner Abkom mens den gesetzgebenden Körperschaften unterbreitet. Durch den völligen Ruin der Währung und den Zusammenbruch der Ernährung und Wirtschaft im Jahre 1923 mußte, um das Wirtschaftsleben einigermaßen in Fluß zu bringen, leider auch unter großen Opfern für die Sozialpolitik die noch heute geltende Verordnung über die Arbeitszeit vom Dezember 1923 erlassen werden.' Di« deutsche Regierung er blickt in dieser Verordnung nur eine N o t gesetzgebung, d-i« sie sobald wie möglich wieder abzuschaffen bestrebt ist. ciufzugcken, und er erklärte damals im Parlament, daß er das Opfer der Freimaurer geworden sei. denn nur diese hätten ihm den Streich spielen können, um Mat teotti, ihren schlimmsten Feind zu verderben. Merkwürdigerweise stellte es sich dann heraus, daß allerdings die pezzi grösst des Faschismus meistens Frei maurer gewesen, was aber durchaus nicht gehindert hat, daß sie heute noch Ehrenposten in der Partei bekleiden, nachdem sie vom Untersuchungsrichter freigelassen wor den waren. Die Leiche Matte ottis blieb jedoch verschwun den, trotz der Bemühungen der Verwandten, sie wieder zufinden und zu begraben. Eines schönen Sommertages verplapperte sich ein faschistisches Blatt und stellte das baldige Finden der Leiche in Aussicht. „Zufällig" wurde am nächsten Tage durch einen ollbeamten die Leiche auch gefunden, welcher auf der agd angeblich durch eines Jagdhunds Scharren auf merksam gemacht weitcrgrub und — einen halben Meter unter dem Boden ein Skelett vorfand. Leider war das Skelett zehn Zentimeter kleiner als der mittelgroße Matteotti; außerdem war es so gut verwest, daß alle Fachleute erstaunt waren, wie einen halben Meter unter dem Boden in wenigen Monaten eine so radikale Verwesung möglich sei. und wie der Leichengeruch an der, wenige Meter von einer frequentierten Straße ge legenen Stelle von niemanden je bemerkt worden sei. Nur der Schädel schien echt zu sein und wurde an einem goldenen Gebiß wiedererkannt, während die allgemeine Ueberzeugung vom Skelett diejenige war, daß es aus einer Anatomie dorthin gebracht worden war. Nach einer, unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefundenen Leichenbesichtigung mußte die Familie Matteotti der Beerdigung der Leiche als der wirklichen Leiche im Fa miliengrabe in Oberttalien zustimmen. Das gerichtliche Nachspiel — oder besser gesagt Komödie — soll am heutigen 16. März in Chieti statt- finden. Ueber dessen Ausgang sind Zweifel kaum mög lich, wie es die Geste der Witwe des Ermordeten klcu bezeugt.