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Sonnaveno, den 11. September 10W * Am Genfer See Der Sitz -es Völkerbundes Frem-enin-uftrie „Abteilung Völkerbund" — Der inleresfanlefle Mann — Charleflon und Baccarat — Weitz -er Monk Blanc Don unserem Genfer Sonderkorrespondenten Willkommen der Fremde!" so steht's in jedem Schweizer Führer, in jedem Genfer Prospekt. Tos Lo sungswort der Schweiz, das ins Wirtschaftliche übersetzt lautet: die Fremde» sind die rentabelste Industrie. steinen Deut mehr. Nirgends fühlt man das deutlicher als in Genf. Wer nicht mit und von der Fremdenindustrie lebt, der Gen- ser Bürger, in der typischen Enge seines Schweizer Hori zontes, der duldet den Fremden, aber er kennt und sieht chn nicht. Jahre wohnt nun schon der Völkerbund mit allem Drum und Dran, mit seinem ganzen Apparat an Generalsekretären, Sekretären, Beamten und Kommis saren, mit dem unübersehbaren Beamtenstab des Inter nationalen Arbeitsamtes in Genf, und ist doch „fremd" geblieben. Es gibt keine Brücke, wie etwa vom Grand Quai zum Quai des Bergues, von der Genfer Gesellscl>aft zu dem Stab der Kommissäre des Völkerbundes. Genfs Bürgertum lebt ein Leben für sich, in das kein Fremder eindringt, und sei er Generalsekretär der Liga der Na tionen. „Genf, Sitz des Völkerbundes", sg steht's in den Pro spekten für die Fremden, in denen dann noch die Adresse r>es Völkerbundssekretariats falsch angegeben ist. Eine Abteilung der Fremdenindustrie ist der Völkerbund für Genf. eine recht rentable Abteilung, die sich in Untergruppe», Hoteleinnahmen, Bar- und Kaffeezechen und Autospesen gliedert. Das aber ist auch alles, was den Genfer Bürger nn Völkerbunde interessiert. Umso grötzer das Interesse der Fremden. Selbst die Amerikaner, die politisch von ihm nichts wissen wollen, sind in Scharen herbcigeeilt. In den Ungetümen der sechsrädrigen Autocars rasen sie den Wilson-Quai ent lang, studieren durch Lorgnetten die Wilson-Gedenktafel an der Umfassungsmauer des Palais der Nationen, wer fen mit Dollarscheinen nach den Eintrittskarten zum Ple narsaal des Völkerbundes,, mit Dollarscheinen, die alle in den Taschen der Hotelpörtiers verschwinden. Man hat was für sein Geld in Genf zur Zeit der Völ- kerbundstagung. Alle Berühmtheiten Europas, Ameri kas, Asiens und Afrikas kan» man bewundern und sich davon überzeugen, das; sie genau wie andere Sterbliche auch morgens ihren Aperitif in den Kaffees trinken. Man steht und starrt Dort auf der Nousseau-Insel unterm Rousseau-Denkmal — ein Schweizer war dieser Jean Iaques Rousseau, Schriftsteller und Philosoph, geboren in Genf, Grande rue Nr. 40. (Es steht am Geburtshaus und es ist gut, das; die Franzosen es hier lernen können. Sie reklamieren allzu gern.) Dort auf der Rousseau-Insel — in der Ferne leuchtet weiß in der Sonne der Mont Blanc — spricht Vandervelde eifrig auf Vrou quere ein. Dort im Kasino trinkt Herr Stresemann, Deutsch lands Außenminister, heute der interessanteste Mann in Genf, seinen berühmten Mermuth, während vor ihm aus dem Genf«: See turmhoch die Fontäne — die höchste der Nintschitsch Jugoslawiens Außenminister Präsident der Völlrerbundsversammllung. Der Bohemien Briand. Er liebt keine Akten, sondern nur Ideen. Er fährt nicht Auto sondern schlendct gemütlich die Mont Blaue-Brücke entlang zum Palais des Bölkerbundcs Welt, sagt der Führer — aufspringt. Dort schlendert, Briand mit Europas berühmtesten Journalisten Jules^ Sauerwein über die Pont du Mont blanc und läßt sich die neuesten Konferenzwitze erzählen. Und abends tanzt im Saal des Hotel Beau Nivage Miß Chamberlain mit Lord Cecil, und der hagere Gatte kaut die Zigarette, daß sein Monokel in Gefahr ist zu zerbrechen. Wer ist eigentlich nicht da? Amerikas allgewaltiger Finanzmann Mellon, den der Völkerbund zwar nichts angeht, und der zusammen mit dem Reparationsagenten Parker Gilbert noch rechtzeitig wieder abreiste, um nicht in den Verdacht zu geraten, die Beteiligung Amerikas am Völkerbunde vorbereitend zu wollen. Der Reichstagspräsident Loebe, und Preußens Ministerpräsident Braun, die nur so zufällig zum Friedenskongreß der interparlamen«! tarischen Union gekommen sind, und Breitscheid na- türlicy, den, wenn nicht größten, so doch längstens Poli- tiker Deutschlands, und Baron Ishi aus Tokio und' Schwedens Minister Unden und der rebellische Frith- jof Nansen, der Apostel der kleinen Nationen. Man kann viel sehen für sein Geld, und wenn man nicht im Hotel de la Paix des Abends beim Charleston schwitzen muß, so kann man sogar des Abends auf der Maschinen brücke über den sechszehn rauschenden Wehren der Rho ne zum silberkalt im leuchtenden Blane hinüberträumen. Aber das rrauinl »icut. Wer nicht tanzt, findet in den Hotel-Bars uno ihren Ne-I benräumen — wir wollen milde verschweigen in welchen/ Hotels — Gelegenheit genug, beim Baccarat einige Tau send Schweizer Franks bis zum grauenden Morgen zu verspielen. Sitz des Völkerbundes, wie stolz all diese weltbe rühmten Politiker ihr Haupt heben und ahnen nicht, wie man lächelnd, in schnöder Anzüglichkeit auf ihre Bedeu tung, lästernd in den Kaffees sich eine reizende Anekdote erzählt. Fuhr da der Schweizer Bundesprüsident, Herr Haberlin, der höchste Beamte der Schweizer Repu blik, Politiker von Ruhm und Ruf, ein paar Tage nach St. Moritz. Gewaltige Menschenmenge erwartete am Bahnhof in St. Moritz zum nicht geringen Erstaunen des Präsidenten den Zug. Königlicher Empfang war bereits Staunend sah der Präsident der Schweizer Republik aus diesen unerklärlichen Vorgang, sammelte sich in der Fülle seines Ruhmes und suchte nach Warten. Da erfüllte ein einziger Schrei die Luft: „Suzanne Lenglen!" Die Tenniskönigiu entstieg dem Zuge, von Tausenden ju- belnd begrüßt. Einsam, unerkannt und nachdenklich» schritt Herr Haberlin, Präsident der freien Republik der Schweiz, in sein Hotel. Man lächelt boslfast, trinkt seinen Aperitif und geht, sc» man Journalist ist, seufzend den Wilson-Quai entlang zum Konferenzsaal im Palais der Nationen und — drü ben leuchtet in ewigem Weiß der Mont Blanc. Genf und seine Brücke«. Die Rousseau-Insel am Einfluß der Rhone in den Genfer See, die Mont Blanc-Brücke, die zu den beliebtesten Genfer Promenaden gehört, ganz im Hintergründe der weißleuch- tende Mont Blane. Zwei leere Stühle. Oefscntliche Sitzung des VölkerbundsabendS. Im Vorder gründe die beiden leeren Stühle des argentinischen und spanischen Delegierten. Den Kopf in die Hand gestützt Vandervelde, rechts neben ihm Italiens Delegierter Scia- loja, daneben Briand. kbsncls 6 Ukr lllkrung 5inci Ihre kilcler kertiA. rvenn 8ie mir Platten oder ?ilme bis morZsns 10 Obr bringen pkotoksur ^/ünsck« kel«« Xorlt»- unil