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Sonntag, den 12. vepirmver I02v Rr. L07>. M M-Mk Mitten in der Ratlosigkeit der großen Krisis, die über unsere gesamte Kultur hereingebrochen ist. rückt mehr und mehr der in vergangenen Tagen und viel fach auch heute noch so ungerecht beurteilte Katholizis mus in das Licht einer gerechteren und zutreffenderen Würdigung. Wenn andere Werte und Mächte der Kul tur in der Tragik des großen Weltgeschebens, das mit ehernem Schicksalsgeschick über die Menschheit dahinge gangen ist. in ihrer inneren Urkraft erkannt worden sind, hat der Katholizismus, den Aufklärungsdünkel und Fortschrittsfanatismus so gern mit dem mitleidigen Blicke selbstsicheren Ueberlegenheitsbewußtseins zu be trachten gewöhnt waren, die Feuerprobe der großen Menschheitskatastrophe bestanden. Die Wahrheit des Non praevalebunt beginnt allmählich auch denen aufzu- dümmern, die mit den Halb- und Scheinwerten, auf die sie geschworen, die Macht der katholischen Kirche glaubten erschüttern zu können. Heute geht nicht nur ein mäch tiges religiöses Sehnen, ein Verlangen nach Gütern und Werten von festem Bestand, nach Ueberzeitlichtem und Ewigem durch die Welt, sondern heute richtet sich dieser Blick der Sehnsucht gerade auf die religiöse Macht, die vor dem Aufgehen in das Irdische und Zeitliche sich am sorgsamsten gehütet hat, die nie mit Relativismen pak tiert, sondern das Absulote, das wahrhaft Göttliche jeder zeit am gewissenhaftest'' bewahrt hat. In der wissenschaftlichen Welt, die weithin im Bann kreise des Liberalismus steht und die gerade während der letzten Dezennien tief in Subjektivismus und Relativis mus verstrickt worden ist, beobachten wir, freilich keines wegs allgemein und überall, aber doch in zunehmendem Maße und an sehr bemerkenswerten Stellen, eine Ein schätzung der Kulturkrast des Katholizismus wie sie noch vor nicht allzu langer Zeit dem heitiaüen Wider spruch aus dem Lager der modernen Wissenlckaft begeg net wäre. Heute sind starke „katholisierende Tendenzen" in der Wissenschaft lebendig, während lange Zeit hindurch Katbolizismus und Wissenschaft als unversöhnliche Ge gensätze gegolten haben. Namentlich die Königin der Wissenschaften, die Philosophie, beginnt, wenn auch noch zögernd und unter mancherlei Vorbehalten, Wege eiinuschlanen, die. wenn sie konsequent weiterverfolgt werden, zu einer starken Annäherung an den Weltan- sckanungsstandpunkt des Katholizismus führen kön nen. Der moderne Subjektivismus scheint einer neuen Würdigung des Objektiven, wie dieses im katholischen Denken immer im Mittelpunkte gestanden hat, Platz ma chen zu wollen. Die „Auferstehung der Metaphysik", die Wilhelm Wundt schon im Jahre 1914 kommen sah sVgl.: „Sinnliche und übersinnliche Welt". Leipzig 1914, S. IV), bedeutet eine Rückkehr zu der letzten geistigen Grundeinstellung, die dem Katholizismus wesensgemäß ist. Aus dem Chaos, in das die moderne Philosovhie hineinaesteuert ist. vermag zuletzt nur ein Weg heraus- ,zuführen: die „Philosoph!« perennis", in der das katho lische Weltanschauungsdenken seine Gestaltung findet. Eine parallele Ersäteinung zu dieser beginnenden allmählichen Annäherung der Weltanschauungswissen schaft an die katholische Grundeinstellung ist die zu beo bachtende gerechtere und sachlichere Würdigung der ka tholischen Erziehunqsauffassung. Auch die wis senschaftliche Pädagogik hat ihre „katholisierenden Ten- oenzen", wenn auch gleichzeitig im lauten Tageslärm der gegenwärtigen schulpolitiscken Kämpfe noch unverfälschte Aufklärungsweisheit mit ihrer Ueberlegenbeit zu prah len weiß. Namentlich das reiche pädagogische Schrift tum Friedrich Wilhelm Foersters ist erfüllt und durchdrungen von der Ueberzeugung, daß, wenn etwas in der Welt, dann der Katholizismus die Kraft besitze, die Menschen aus der sittlichen Erniedrigung zu befreien, in die wir die Welt heute versunken sehen. Seine beiden Bücher, vor allem: „Christus und das menschliche Leben" (München 1993) und „Reli gion und Charakterbildung" (Leivllg und Zü rich o. I.) sind voll von Bekenntnissen des Glaubens an die überlegene pädagogische Kraft der katholischen Kirche. Diese Wertung der Kulturkraft des Katholizismus ist um so bemerkenswerter, als Foerster als früherer Anhänger der „Gesellschaft fiir ethische Kultur" und Verfechter einer religionsfreien Moralpädagogik erst auf dem Wege einer langen inneren Entwicklung sich zum positiven Christen tum zurüÄgefunden hat. Unter den führenden Pädagogen der Gegenwart zeigt vor allem auch Eduard Spranger, Professor der Philosophie und Pädagogik an der Universität Ber lin. eine gerechte und verständnisvolle Einstellung zur katholischen Religion und ihrer pädagogischen Wirksam keit. Als Schüler Friedrich PauIsens, der in sei ner großen Geschichte des gelehrten Unterrichts der Pä dagogik der Jesuiten eine ehrliche sachliche, von den fast unausrottbar scheinenden Vorurteilen unberührte Wür digung zuteil werden ließ, und aus vielseitiger persön licher Berührung mit dem katholischen Süden unseres deutschen Vaterlandes, vor allem aber dank einer gerade bei ihm hochentwickelten Gabe, andere zu „verstehen", hat Spranger dem Wesen des Katholizismus ein Ver ständnis entgegengebracht, wie es in den Kreisen des pro testantischen Nordens nicht allzu oft anzutreffen ist. Kuckucke. l_^esqamZ5ctieii s. LOUI/fitzi l-atiengi-aben 10 1073 Von «tudienrat Dr. Hermann Rolle, Bautzen. Schon in seiner Rede: „Schule und Lehrerschaft 1818/ 1913", die er zur Hundertjahrfeier der Leipziger Völker schlacht vor dem Leipziger Lehrerverein gehalten hat, hat er den bereits damals eine extrem links gerichtete Sckulpolitik verfechtenden Leipziger Lehrern offen und freimütig gesagt: „Der Irrtum der Simultansaiule er wächst aus der im protestantischen Norddeutschland fast allgemein herrschenden Unkenntnis des eigentlichen Ka tholizismus. Hier gilt es zu individualisieren: Individua lisieren aber heißt zunächst nach völligem Verständnis streben." (A. a. O. S. 29.) Die Mahnung, die Kunst der Duldsamkeit zu üben, die er daran schloß, ist allerdings von niemand weniger beherzigt worden, als von denen, welchen sie galt. Sie betätigten vielmehr das Gegenteil, auch an dem unbequemen Mahner und Warner, indem sie ihn in den Bann taten und ihn von Stund an mit einer Leidenschaftlichkeit verfolgten, die kaum hinter dem Maße von Unduldsamkeit zuriickblieb, das seit den Ta gen der Revolution in dem Kampf für das neue, noch ra dikalere Schulideal der weltlichen Schule ihr besonderes Vorrecht vor den Radikalen aller Schattierungen bilden sollte. Neuerdings hat Spranger in einer Aufsatzreihe: „Das deutsche Bildungsideal der Gegen wart in geschichtsphilosophischer Beleuch- t u n g", die er in der von ihm in Verbindung mit Aloys Fischer, Theodor Litt und Hermann Nohl herausgegebe nen neuen pädagogischen Monatsschrift: „Die Erzie- hun g" („Quelle und Meyer, Leipzig, 1. Jahrgang, Heft 1, 4, 10. 11) veröffentlicht hat. vom Standpunkte des Kul- turphilosovhen eine Würdigung des Katholizismus gege ben, die höchster Beachtung wert ist. Dort behandelt Spranger die Frage, in welchem Maße die einzelnen Re ligionen und Weltanschauungsgruppen die aus der ge genwärtigen Kulturkrisis heraus erwachte neue Sehn sucht nach dem Absuloten und Ewigen zu befriedigen im stande sind. Die Entscheidung, die hier getroffen wird, spricht ohne allen Vorbehalt der katholischen Religion die Vorrangstellung zu, während die protestan tischen Bekenntnisse in dieser Beurteilung erst in weitem Abstand folgen. Diese höchst bezeicbnenden Aeutzcrun- gen dieses protestantischen Kulturphilosovhen und Kul turpädagogen über den Katholizismus seien darum hier unverkürzt wiedergegeben. Spranger schreibt: „Die Lage der katholischen Religion und Kirche ist in Deutschland viel günstiger als die des Protestantismus, besonders des Luthertums. Noch aus Anlaß des Katho likentages von 1905 konnte der Freiherr von Hertling /Kölnische Volkszeitung. Beilage, 1905, Nr. 12) die Stel lung des deutschen Katholizismus im allgemeinen Gei stesleben dahin kennzeichnen: „Wir sind zurückgeblieben, wir haben uns überflügeln lassen": und gleichzeitig ließ der Freiburger Buchhändler Waibel eine Broschüre un ter dem vielsagenden Titel erscheinen: „Catholica sunt, non leguntur". Seitdem hat sich das Verhältnis beinahe umgekehrt. Die katholische Kirche konnte nach dem all gemeinen Zusammenbruch ihre Scharen am schnellsten wieder um sich sammeln: denn sie ruhte nicht nur auf dem Boden einer Jahrtausende alten, die Völker umspan nenden Tradition, sondern ihrem Prinzip nach auf dem Ewigen und Absoluten selber. Es ist kein Zufall, daß schon vor der politischen Katastrophe die der katholischen Weltanschauung nahestehende Philosophie, die sich mitten in den logischen Absolutismus hineinstellte, die stärkste Wirkung entfaltete. Und Scheler besonders verstand es, alle Relativismen der Gegenwart und alle psychologischen Spielarten, ohne sie ganz zu entwerten, mit dem Dom einer absoluten Wertokdnung zu überwölben. Ebenso erwies sich die katholische Geschichtsauffassung als weit genug, um die besonderen Aufgaben der historischen Ge genwartsloge anzuerkennen, sie zugleich aber mit dem Ueberzeitlichen in sinnvoller Verbindung zu halten. In der Praxis wurden die neue Sozialpolitik, die Methoden des Parlamentarismus und die Jugendbewegung dem alten ebrwürdigen Gebäude mühelos eingefügt. Die ganze Weitherzigkeit der Kirche gegenüber den Erschei nungsformen des natürlichen Lebens soweit sie nicht an das „Prinzip" rühren, ihre ganze Anpassungsfähigkeit gegenüber politischen Aufgaben und geistigen Situationen bewäbrte sich von neuem. So ging in vielen Beziehun gen die Führung des deutschen Geistes lebens in das katholische Lager über; der alte Besitzstand wurde nicht nur behauptet, sondern man nigfach erweitert. Gleichviel, ob sich damit der Anfang einer dauernden Kulturlinie andeutet oder nur die Tat sache, daß sich hier alte hohe Geistesformen über alle Stürme hinaus als lebensfähig erwiesen hatten: keine Religion und keine kirchliche Organisation steht heute fester da als der Katholizismus." (A. a. O-, Heft 10/11, S. 473.) Neben diese rückhaltlose Anerkennung des Katholi zismus aber stellt Spranger das Bild des gegenwärtigen Protestantismus, wie er es sieht, und zieht dann zwischen beide den Vergleich. Von dem inneren religiösen Leben des Protestantismus zeichnet er ein sehr trübes Bild. Es habe sich „schon seit langen Jahrzehnten weit aus der kirchlich gefaßten Form herausentwickelt, bis zu einem unkirchlichen, aufgeklärten Freidenkertum." „Mit einem Worte: Aus dem Protestantismus hat sich eine äußerst mannigfaltige Weltfrömmigkeit" herausdifferenziert." (A. a. O., S. 475.) Dem Katholizismus, der „durch die Festigkeit des Institutionellen, durch das Schlüsselamt der Kirche, durch das Wunder des Sakraments und nicht zu letzt durch seinen Willen zur historischen Kontinuität in der Auswirkung des Absoluten zusammengehalten wird", stehe beim Protestantismus „die Schwäche des Institutio nellen. die Freilassung des persönlichen Glaubens und das Geborensein aus dem Protest gegenüber." (A. a. O., S. 481.) Ja. Spranger geht soweit, zu sagen, es sei die Frage nicht unberechtigt, „ob es das Schicksal der prote stantischen Kirchen sein wird, in Sekten zu zerfallen." (S. 481.) Gegen diese Gefahr sei-auch durch bloße Me thoden der Kirchenverfassung, durch Organisation und Formgebung nicht anzukämpfen, sondern allein durch „die innere Vertiefung des religiösen Lebens selbst", wo für aber noch alles der Zukunft oorbel)alten sei. (S. 481.) Diese religiöse Krisis, wie sie der moderne Prote stantismus durchlebt, erfährt nun nach der Deutung Spranhers eine besondere Verschärfung dadurch, daß ge rade die religiösen Fragen als wesentliche Haupt probleme in der Erziehungsfrage wiederkehren: denn eben s i e seien ihrem Wesen nach nicht nur Seiten, sondern der Kern des Erziehungsproblems. Und so messen denn Katholizismus und Protestantismus heute ihre Kräfte vor allem auch auf dem Gebiete der Er ziehung, und in ihrer pädagogischen Bewäh rung spiegelt sich nichts anderes als die Macht der Idee, die sich in ihnen verkörpert. Das gilt freilich nur für den pädagogiscken Stand punkt, auf den sich der Pädagoge Spranger stellt und der kein anderer ist, als die innerhalb der katholischen Päda gogik noch nie ernsthaft angezweifelte pädagogische Grundüberzeugung, daß alle Erziehung zuletzt ruhe und ruhen müsse auf dem festen Grunde einer Weltanschauung. Es haben wenige nichtkatholi sche Pädagogen in den langen Jahren des Kampfes um die Schule diese pädagogische Grundeinsicht in so erfreu licher Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, wie dies Spranger bei den verschiedensten Gelegenheiten getan hat. Auch in dem vorliegenden Aufsätze vertritt er diese Ueberzeugung von der Unsrläßlichkeit einer weltanschau lichen Orientierung aller Pädagogik aufs neue mit stich haltigen Gründen. „Sinn der Erziehung", so bekennt er. „muß es sein, die Kräfte freizulegen, durch die der Mensch seinem Dasein den ihm erreichbaren höchsten Wertgehalt und Sinn zu geben vermag. Umsonst bemüht man sich, die Erziehung um den Zentralpunkt der Welt anschauung herumzuleiten. ... Man kann nicht ohne Weltanschauung erziehen. Wer die ent gegengesetzte Meinung vertritt, dankt dann entweder als Erzieher freiwillig ab oder versetzt sich in die Klasse der bloßen Unterrichter, die. wie Prötagoras, mit Kenntnis sen Handel treiben." (S. 4820 Aus dieser Tatsache der pädagogischen Unentbehrlichkeit einer weltanschaulichen Grundlegung fiir die Zwecke und Aufgaben wirklicher Erziehung zieht Spranger ohne den Versuch irgendwel cher Abschwächung die schulpolitische Folgerung: „Es ist also mit der weltanschaulichen Staatsschule nichts. Son dern hier gibt es nur folgende Möglichkeiten: Entweder ist die Staatsschule bloße Unterrichtsanstalt — und damit wird sich kaum ein Lehrer zufrieden geben —, oder sie ist Erziehungsanstal t." Um dies zu wer den, müsse sie „in geordnetem Zusammenwirken mit der staatlichen Erziehung noch jene tiefergreifende Bildung geben, die die im Volke lebendigen religiösen Ueberzeu- gungen zur Wirkung bringt." (S. 483.) Umgekehrt werde der Staat selbst „die historisch errungene Position der Staatsschule ernsthaft gefährden, wenn er den Fehler machen sollte, gegen die lebendigen religiösen Ueberzeu- gungen etwa gewaltsam Sturm zu laufen. Seiner gan- zen Tradition nach kann er als paritätischer Staat nur eine weitherzige Stellung zu den Kirchen und Welt anschauungsgruppen einnehmen. ... In allen Er- ziehungsfraAen wird der moderne Kulturstaat immer das Grundpr nzrp des Liberalismus befolgen müssen. Dies aber schließt ein. daß der besonderen Geistesstruktur der einzelnen Gegend Rechnung getragen und daß die Ent- scheidung unter individuellen Gesichtspunkten getroffen werde. Wir werden also in Zukunft mit den Grundfor men der Konfessionsschule, der Simultanschule und der freien Weltanschauungsschule in mannigfachen Spiel arten zu rechnen haben. . . . Eine absolut „richtige" Form, die zur gesetzlichen Normalform erhoben werden könnte, gibt es nicht." (S. 484 f.) Eine derartige Würdigung des Katholizismus und ein solches Verständnis für die Ansprüche, die er auf dem Gebiete der Erziehung erhebt, darf mit innerster Genug, tuung als ein hocherfreuliches Anzeichen dafür begrüßt werden, daß die wissenschaftliche Welt im Begriffe ist, eine andere Einstellung zu der Kulturmacht der katholi- scheu Kirche zu gewinnen, als sie ihr in der Vergangen heit zum großen Teil eigentümlich war. So wird all- mählich, so wagen wir zu hoffen, das „Catholica sunt, non leguntur" zum Zeichen einer versinkenden Zeit werden. Viel Unrecht ist hier gutzumachen. Möge die Zeit des „Verstehens" endlich anbrechen, das wäre ein tüch> tiger Schritt zur endlichen Ueberbrückung der Gegen, sätze und Spaltungen, die unserm deutscken Volke so viel Unheil gebracht haben: