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Asien un- Europa Der verbotene Fez — Wo siehl man noch echte Türken? — Das neue Leben — Die wilden Kunde von KonftanlinvpeL — Tolenklage in der Nacht — Die Sehnsucht nach der Keimat Von Josef Laumen Seitdem in der Türkei der Fez offiziell verboten und der Schleier der Frauen verpönt ist, sieht man in Kon- st a n t i n o p e l wenig Türkisches noch. Als wir Sonn tags nachmittags mit dem Schnellzug aus Sofia auf dem Bahnhof von Stambul einliefen, geschah beim Aussteigen folgende 'kleine, heitere Szene: Ein Bauer, der etwas ungeschickt mit seinem Gepäck, dem selbstgewebten Hals sack. hantierte, sties; dein Nebenmann die Mütze vom Kopf, eine einfache, graue, gauz uupolitische Tuchmütze. Aber darunter kam ein Fez zum Vorschein, zwar auf die Hälfte seiner Höhe beschnitten, damit er sich unter der neutralen Mütze nicht verrate: aber immerhin war er ein richtiger, von der Regierung verbotener türkischer Fez mit schwarzem Zipfelchen. Der Bauer stand einen Augenblick verduzt, legte dann hastig beide Hände über den alten, abgeschabten beschnittenen Fez. Nun trug auch noch ein boshafter Windstos; die europäische Tuchmütze hoch in der Luft davon, und der Bauer rannte, immer noch den Fez mit den Händen verdeckend, dahinter her. Und zwischen den ängstlich über dem Kopf gelegten Fin gern leuchtete es verräterisch rot, zu deutlich, als das; nicht jedermann die Situation verstanden hätte. So lief denn auf dem Bahnsteig von Stambul ein Lachen die Reihen lang, ein lautes, übermütiges Lachen mit Hände klatschen und scherzenden Rusen. Und in Angora, der jetzigen Landeshauptstadt, waren erst wenige Tage vorher mehrere angesehene Türken eben wegen der Frage: ob Fez oder Mütze gehängt werden.— Morgens und mittags und abends rufen die Priester von den schmalen Moscheetüreu herab zum Gebet. Auch heute noch. Und ihr feines, melodisches Singen fällt so verloren in die Strotzen, in das Hasten und Hupen der Autos, in das Schreien und Lärmen dieses südlichen Vol kes. Vom Umgang des Turmes tönen die Verse aus dem Koran, ein leichtschwingendes, feines Klingen, das der Wind über die Stadt verweht. — » Wer noch Türken sehen will, waschechte Türken mit schmalem, braungebranntem Gesicht, kohlschwarzem Haar und Kinnbart, leichtgeschwungener Nase, in dunkelblauen Pumphosen, roter, wollener Leibbinde und brauner Weste: wer »och Türken sehen will, der mutz in den Ha fen von Ga lata hinuntersteigen, wo hundert Maste und rauchende Schlote in Reihen stehen. Hier hocken sie arbeitslos in den schmutzigen Gätzcheu- Da ist der eine, der verkauft ein paar Kilo Obst und verdient damit ein Stück Brot und ein paar Zigaretten, mehr braucht er nicht. Er ist anspruchslos, der Türke im Hafen von Ga- lata. Da ist der andere, der putzt dem Fremden, der sich in dieses düsterste Viertel verirrt, die Schuhe. Er tut es nicht gern, er lätzt den Fremden zu sich kommen, lätzt sich von ihm aufwecken und zur Eile ermuntern. Daun lächelt er; er versteht nicht, datz man eilig sein kann — und nickt nach dem letzten Bürstenstrich wieder ein. Sie alle, die im Hafen von Galata auf den Rinnsteinen und in den Türstiegen hocken, ernähren sich auf eine ähnliche Art. — * Aber wo das neue Leben flutet, so hohe Paläste, Boulevards, grotze elegante Warenhäuser, nächtliche schreiende Lichtreklame und endlose Autoreihen europäi sches Weltstadtbild geben, da ist alles Leben von neuem Tempo erfatzt. Da ist es womöglich noch über unsere Ausmatze hinausgesteigcrt. Da bestimmen südliches Tem perament, Freude an Lärm und Buntheit, an Schreien und gellenden Autohupcn mehr als Geschästseile das Tempo des Verkehrs. Und an der Stratzenkreuzung, auf seiuem Inselchen, in weitzer Uniform und rotem Tro penhut, schwingt der Verkehrsbeamte den Taktstock, wie ein Kapellmeister. In ganz gefährlichen Momenten nimmt er wohl den linken Zeigefinger oder auch ein Kopfnicken zu Hilfe. So leicht, so spielerisch geht hier alles Leben. » K o n st a n t i n o p e l ist seit Jahren von wilden H unde n überfallen wie ehedem Hameln von den Rat ten. Und kein Pfeifenbläser findet sich, der die Stadt von dieser Plage befreit. Man hat sie mit einem Gewalt streich nusrotten wollen, hat die Rudel, die nachts durch die stockdunklen Hafengätzchen schleichen und die Müll- Haufen zerwühlen, eingefangen — vielleicht zehntausend wilde Hunde! Man hat sie ins Meer hinausgefahren und auf einer öden Felseninsel ausgesetzt, auf daß sie verhun gern sollten. Mehrere Nächte schliefen die Konstantinope- ler ruhig, störte sie kein wildes Hundebellen. Aber dann kamen sie im Hafen von Galata an, zu Hunderten, schleppten sich aufs Land, schüttelten das nasse struppige Fell und fanden ihre Gäßchen und ihre Müllhaufen wieder. * Ein Bild vergesse ich nicht: Wir fuhren durch Land, hatten nachts auf irgendeinem Bahnhof mehrstündigen Aufenthalt. Aus dem Schlaf geweckt, trete ich ans Ab teilfenster. schaue in die schwarze Nacht, die hinter den flackernden, schwelenden Bahnsteiglampen steil auftürmt. Spitz stößt das Hämmern der Arbeiter an der defekten Lokomotive in die Stille. — Da hebt aus dem Neben- wagen ein leichtes Singen an, ein weinerliches, schauer liches Singen, eintönig, in gleicher Höhe. Und sie tragen — in Decken gehüllt — eine Tote aus dem Abteil. Für einen Augenblick huscht ein gelber Schein über das blasse, runzelige Gesicht. Sie starb auf der Fahrt zwischen der einen und der anderen Station. Alan bettet sie auf Decken und Kissen und Mäntel, drüben über dem Bahn steig ins freie Feld, kniet zur Seite und singt ihr die To tenklage. Ein Bahnarbeiter bringt ein Talglicht, wie man es im Abteil anzündet, wenn das Licht versagt. Dann flackert ein matter Schein über die Szene, spielt aus dem blassen Gesicht der Toten, auf dem gebeugten Rücken der Knienden. Als der Zug nach Stunden lang sam aus dem Bahnhöfe hinausdampfte, blieb das Sin gen, das Weinen hinter uns. Sie wachen bei der Toten und Klagen, bis es tagt. Auf den verschiedenen Polizeiämtern Konstantino- pels — man braucht wohl drei Tage, um alle verlangten Formalitäten zu erfüllen — auf den Polizeiämtern spielt tagtäglich eine Tragödie. In den Wartezimmern, auf dem Flur, auf den Treppensteigen kauern wohl an hun dert junge, von unmenschlichen Strapazen, von Hungern, Wüstensand und Sonnenbrand arg mitgenommene Ge stalten. Meist Deutsche, Oesterreicher und Ungarn, Hand werker, Kaufleute, die aus der spanischen oder französi schen Legion entflohen sind, nach monatelangen Fußwan derungen Konstantinopel erreichten, und von hier in die Heimat zurückwollen. Ein Achtzehnjähriger, der in sie ben Monaten, mutterseelenallllein, den Weg nach hier fand! Nlanche sind von Fieber und Malariafrösten ge schüttelt, können nicht allein stehen, werden von den Kameraden gestützt. Und täglich kommen ihrer neue an, schleppen sich — buchstäblich mit der letzten Kraft — auf ihr Konsulat. Dann warten sie auf dem Flur des Poli- zeiamtes — zwei, drei, auch wohl vier Wochen —, bis ihre Papiere zur Abreise in die Heimat fertig sind. Die Spannung Das Bombenattentat auf Mussolini hat zu einer ernsten ita lienisch-französischen Verstimmung geführt. Die italienische Presse hat die französische Regierung insofern für das Attentat verant wortlich gemacht, als sie angeblich den italienischen Anarchisten, aus deren Kreisen der Attentäter stammt. Asylrecht in Frank reich gewäh e. Der französische Geschäftsträger in Rom hat des halb und wegen der tätlichen Angriffe, die ans einzelne franzö sische Konsulate in Italien erfolgten, ernste Vorstellungen bei der italienischen Regierung erhoben. 'Rach Meldungen aus Paris soll Rom—Paris die italienische Regierung bereits beträchtliche Truppen nonzen» trationen an der französischen Grenze vorgenomme» uns 6 Divi sionen im Alpengebiet zusammengezogen haben. Auch die Ar mierung und die Artillcriebestünde der Grenzfestungen sollen we sentlich verstärkt worden sein. — UnserBild zeigt Mussolini als Heerführer bei den letzten italienischen Manövern in Be ratung mit den Stabsoffizieren ^er Manöverleitu'ng, im Hinter gründe die Filmoperateure. Me Musik des Monlmakre Die Glätte der Namenlosen — Im Kampf mit dem Schicksal — Mitternächtige Gestatten Don Kans Wolsgang Killers Die Strotzen sind eng und steil. Das Pflaster ist hol prig, und die Häuser stehen schief und vor Alter ge krümmt. Die meisten Dächer sind akgedeckt und tu breite Atelierfenstcr verwandelt. In der Rue Lepic, an deren Ende die Mauliu de la Galette aufragt, stehen vau morgens bis abends zu beiden Seiten die überladenen Gestelle der Stratzeuverkäufer in dichten Reihen. Fri sches, bluttriefendes Fleisch, Gemüse. Früchte, gebackene Kastanien und Mandel»: aber auch Schuhe, Anzüge, alte Bücher und Wäschestücke: — alles wird in gesungenen Warttiraden augepriesen. Dienstmädchen mit großen Körben schieben sich geschäftig an müßigen Montmntre- bummleru vorbei, feilschen um die Preise mit erhitzten Warten und spontanen Gesten. Die fliegenden Händler drücken ihre Karren im Zickzack vorwärts. Ihre Trau ben, Feigen und Auberginen propagieren sie in langge zogenem Singsang, der manchmal anznhören ist wie ein Klagelied über die Zerstörung Jerusalems. Vor jeder Tür hängt ein Käfig mit vielen Kanarienvögeln, und eine Unmenge schwarzer Katzen balgt auf den Dächern und in den Haustüren. Die Wände der Häuser sind rissig, aber in de» Farben von einer südlichen Heiterkeit. Wenn man mittags zur Basiligue du Sucre Coeur hiuaufstcigt, zu dem weißen Dom. der gegen die Bläue des Himmels anzuschaueu ist wie ein märchenhaf ter Palast aus dem Orient, so bleibt dieses Bild ewig auf der Netzhaut: In bleigrauen Wellenbergen liegt tief un ten Paris. Der Eiffelturm und die Säule der B a st i l l e ragen daraus empor wie ungeheure Masten. Die Seine mit ihren zahllosen Brücken, die von hier aus wie zierliche Zündhölzer aussehen, schlenkert wie ein Huntes Band einen Bogen. Und man erspäht die Tuillerien, NotreDame, das Palais Royale, den Are de Triomphe, und den Dom der Invaliden. Aus den Spalten der Straßen steigt ein breiiger Dunst auf, der sich über dem Dächermeer verteilt. In diesen Tagen war der Himmel über dem Mont- matre unerhört blau. Die Kreuze des Kalvarienberges standen auf ihrer Höhe in sonniger Klarheit. Hier oben hat jedes Haus eine Tradition. Dort in diesem verfallenen Bau, der auf Krücken steht, wohnte Mimi Pinson, „la muse de Alfred de Müsset. Und van Gogh? Wohnte er dort an der Ecke oder am Abhang? Irgendwo wird das Haus und der Garten von Ber« ltoz gezeigt. Und hier tauschte Richard Wagner, hungernd, frierend und obdachlos in Paris seinen Hund gegen ein ärmliches Quartier ein. Heinrich Heine erwählte sich diesen Ort zum Exil. Auch Oskar Wilde. Und unzählige namenlose Künstler, die im braunen Zwielicht der Boheme verdarben, geistern mit ihren Schicksalen spykhaft durch die Tradition des Moutmatre. Und heute? Würde einmal ein Sturm die Dächer dieser Häuser wegfegeu, so entdeckte mau ein Gewimmel gleich einem Ameisenhaufen. Hier Hausen junge Musiker, Maler, Anarchisten, Philosophen, Dichter und Deklassierte, ent laufene Modistinnen, radikale Studcutiuneu und braune Mädchen vau Bali oder Samoa. Aus allen Ländern ist diese merkwürdige Schar zusammengewürfelt. Sie hun gern und frieren gemeinsam und alles gehört allen. Sie sind Außenseiter durch Geburt oder Schicksal und vau einer bewundernswerten Zähigkeit im Kampf um dp' Eroberung ihrer Welt. Ihrer Welt! O Moutmatre! Au einem Tage waren einmal alle Ateliers und Mansarden von Moutmatre bis Moutparuasse leer. Da versammelten sich diese Piraten auf der Place de la Con corde, der historischen Bühne ungezählter Revolutious- wuuder. Es war am Tage des Begräbnisses von Ana- tote France. Abends bummeln alle über den Boulevard de Clichy. Daun schwirren auch die Apachen aus ihren Höhlen, her kulische Neger und kranke Matrosen und gepuderte La denmädchen tänzeln vor schlotternden Kavalieren. Der Niggerboy in feuerroter Livree vor dem Mouliu Rouge grinst. Aus irgendeinem Cafö knattert die zweite Rhapsodie von Liszt. Eine verrückte Zcituugsverkäufe- rin singt laut die neuesten Chansons und tanzt mit ihrem Paket Gazetten wie epileptisch. Der Boulevard ist taghell erleuchtet von einer phan tastischen Lichtreklame. Aus Tempo, Lärm und Rhyth mus, aus dieser verhaltenen Atmosphäre ahnt man etwas vom Schwung der gallischen Rasse. Das schicksalhafte Los dieser mitternächtigen Typen, das verbrecherische Genie dieser Piraten verwebt sich mit einem nervösen Fluidum um die Realität dieser Straßen und Menschen und steigert sie zu jener mystischen Un« Wirklichkeit, die Charles Louis Philipve in seinen Ro« manen ausdrückt mit den Worten: die Musik d-, Montmatrei