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Nummer 83 - 25. Jahrgang «mal wSch. Vezug4h»rel4 für VPrtt 8 M. einschl. Bestellgeld. «NL»lg«»pr»tse: Dt« Igesp. Petit,««« «4. Stellengesuch« 2V 4. Dt« Prtttreklamezeile, 89 Milli- meter breit. 1 Offertengebithren für Selbstabholer LN 4. bet Uebersendung durch di« Post autzerdem Portozuschlag. Einzel-Nr. 1k 4. Sonntags-Nr. 18 4- Geschäft!. Teilt I. Htllebrand tn Dresden. SiickMve Donnerstag, 22. April 1926 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Derpflichtuaa auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenaufträgeu v. Leistung v. Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fen» ruf llbermttt. Anzeigen übernehmen wir keine Be» antwortung. Unverlangt eingesandt« u. m. Rückporti nicht versehene Dtanuskripte werd. nicht aufbewahrt Hauptschriftlett.: Dr.JofephAlhert, Dresdech ksÄi'i'äüsr piekt» billigst Agpl Dressen - V/el'inerstrsüs 43 volrsmiuna <Leicha>> siclle, Truü und L'>!>,« i Saionia- B»chdr»ckerei GmbH., Dresden-'1>. i, Poliorlirike 17. icrnrut LIVI2. PoMcheükonto Dresden INN ' nnttonto: Bassenae L tkrlosUie, Dresden. Für christliche Politik und Kultur «»daktt», der «««Ntchr» «oN»,e<t«»z. Dresden-«Iwad« 1, Pollerftratze 17. grrnru' «W und LI012. Amerika und die Abrüstung Der Abend „In Budapest würde man mich — den tapferen Vorkämpfer der Rechte des Volkes! — in die Donau ge worfen. in Rom erstochen haben. In Oesterreich hat man mich vor Gericht geschleppt!" So etwa suchte sich Dr. Alexander Weiß, der gewesene Chefredakteur des Wiener Sensationsblattes „Der Abend" vor den Schranken des Gerichtes mit dem Mäntelchen eines poli tischen Märtyrers zu umkleiden. Auch in dem Prozeß selbst noch praktizierte er die bewährten Methoden, die er sich bei der Nedaktionsführung des „Abends" angeeig net hatte, nämlich die Sensationslust der Masse als Vor spann für seine Sache zu benutzen. Die Sensations mache des Angeklagten und seiner Verteidiger ging so weit, daß das Gericht einen der Verteidiger aus dem Prozeß entfernen mußte, weil dieser seine Verteidigung auf den Nordpol verlegen zu müssen glaubte. Ohne jeden Zusammenhang mit dem Prozeßstoff richtete dieser Ver teidiger einen persönlichen Angriff gegen den Oberstaats anwalt angeblich, weil dieser das Verfahren gegen einen Arzt eingestellt habe, der beschuldigt wurde, durch Fahr lässigkeit den Tod von sechs Säuglingen in einem Kran kenhaus in Baden verschuldet zu haben. Um einen Arzt ging es in diesem Prozeß allerdings nicht. Dafür aber um ein Beispiel skandalösester Pressekorruption, das in seiner moralisä-en Hem mungslosigkeit trotz allem auf diesem Gebiete Vorher gegangenen seinesgleichen sucht. Der Wiener Abend skandal hat sogar dem sonst sehr abgebrühten, rein „ge- schäftsmännisch" orientierten Teil von Europa die Haare einigermaßen zu Berge stehen lassen. Wenn die Haupt fälle dieses Prozesses auch bis in die sagenhafte Wiener Inflationszeit zurückreichen, und Namen, wie Basel und Castiglioni — den man beinahe schon wieder vergessen hat — dabei eine sehr aktive Rolle spielten, so schreien doch die Zustände dieser Art „von öffentlicher Meinung" einfach zum Himmel. Sonst pflegt man kapi talistischen Einfluß immer auf der „anderen" Seite zu wittern. Daß es hier beim „Abend" umgekehrt war, gibt dem Fall nur ein um so grinsenderes Gesicht. Als Wien im kommunistischen Sumpf unterzugehen drohte, schrieb der „Abend" natürlich kommunistisch. Er kehrte aber sofort zu einer sozialistischen Einstellung zurück, als die Konjunktur in Wien sich auf die Seite der Sozia listen neigte Und er verstand es, mit zwei Bundesgenos sen zu arbeiten. Der eine war die blinde Anhänglichkeit der Massen an die sozialistische Idee. Sie machte den „Abend" ohne weiteres zum Freunde des Volkes. Der zweite, der sich hinzugesellte, war das traurige Wiener Inflationselend. Damals war die Verwirrung der kopf losen Massen genügend Hochgetrieben, damals fiel man auf die Sirenengesänge der lautesten Schreier am ehesten herein. Doch war dieses zweiseitige Geschäft den Männern vom „Abend" noch lange nicht einträglich genug. Darum kam der Chefredakteur Dr. Alexander Weih auf den sicherlich originellen Gedanken, den Kampf gegen den Kapitalismus sich von eben diesem Kapitalismus redlich bezahlen zu lassen. So absurd dieses Verfahren für den „von einem Gewissen belasteten" Geschäftsmann auch klingen mag, Weiß hat dieses eigenartige Geschäft zu einer fabelhaften Blüte entwickelt. Er „erwirtschaf tete" sich Monatseinkommen von nahezu 100 Millionen Kronen einfach dadurch, daß er angesehene Industrie unternehmungen, denen irgendeine Veröffentlichung nicht ganz angenehm sein konnte, zur Zahlung von Schweigegeldern veranlaßte. Dann erfuhr eben der gutgläubige Abendleser eine bescheidene Sensation weniger und pochte trotzdem stolz auf die Parole, die in schmucken Lettern über dem Blatte stand: „Wo es Stär kere gibt, immer auf der Seite des Schwächeren". Sein Leib- und Magenblatt schimpfte ja gleichwohl großspre cherisch genug auf die Korruption des kapitalistischen Systems und das genügte, um eine vortreffliche Maske für das eigentliche Geschäftsgebaren abzugeben. Die Schweigegelder fanden durch Zwangsinserate eine willkommene Ergänzung. Man spricht davon, daß der „Abend" gegen 30 Milliarden Kronen auf diese „redliche" Weise verdient habe. Ja, es kam sogar soweit, daß sich die beiden Finanzgewaltigsten der österreichischen Kriegs und Inflatlonsgewinnler Basel und Castiglioni um den Einfluß auf den „Abend" stritten. Basel hat dem Blatte in einem Falle 2 Milliarden Kronen gegeben, nur um zu verhindern, daß Castiglioni sich durch seine Erklärungen Kelloggs ^keuhork, 21. April. Bei einem Jahresessen der Associated Preß erklärte Staatssekretär Kellogg in einer Rede, in der er die amerikanische Politik über die im Mittelpunkt des Inter esses stehende internationale Fragen streifte, was die Frag« der Rüstungsbeschränkung betreffe, so würden die Vereinigten Staaten ein Abkommen begrüßen, daß das in Washington im Jahre 102t eingeleitere Werk ver vollständigen würde, besonders im Hinblick ans die Gefahr, daß der Banwettbcwerb, der früher hauptsächlich hinsicht lich der Grvßkampfschiffe stattgcfunden hätte, jetzt nicht bei Kricgsschisfthpen, mit denen sich die Washingtoner Ver träge nicht befaßt haben, weiter fortgesetzt wird. Kellogg gab in d.esem Zusammenhang das Versprechen, daß die Delegierten der Vereinigten Staaten bei der AbrMn.ags- vorkönscrenz in Genf ihren Einstuß zugunsten von Plänen ausüben würden, die greifbare Gestalt gewinnen könnten. Kellogg erklärte, daß die Vertreter der Vereinigten Staaten auf der Abrüstungskonferenz zur Erreichung dieses Zieles mit der äußersten Geschicklichkeit, deren sie fähig seien, dazu beitragen würden, den Weg für Vereinbarungen zu einer baldigen weiteren Beschränkung der Rü stungen zur See vorzubereiten. Die Fragen, die der vorbereitenden Kommission zur Erwägung unterbreitet wor den seien, seien von sehr allgemeinem und unbestimmtem Charakter und bevor eine Erörterung stattgefunden habe, sei es unmöglich, zu bestimmen, welche endgültigen Vor schläge mit dem größten Nutzen gefördert werden könnten. Wenn aber erst die am meisten Praktische Aktionslinie fest gelegt sei, könne bei allen ernsthaften Bemühungen zur weiteren Beschränkung der Rüstungslasten auf die Mitarbeit der Regierung der Vereinigten Staaten in den Grenzen ihrer traditionellen Politik gerechnet werden. — Jede um grenzte Bewegung zur Abrüstung hin, so klein sie sein mag, ist von größerem Werte für die Förderung des Welt friedens als ehrgeizige und allumfassende Pläne, die in der Schmiergelder das „abendliche" Schweigen zu seinen skrupellosen Inslationsmethoden sichere. Selbst einsichtige Sozialisten fanden scharfe Worte gegen diese Zustände, ohne freilich Widerhall zu wecken. Und wenn einer von ihnen vor Monaten in der „Fackel" von dem würdigen Wiener Bruderblatt des „Abends", von der „Stunde", schrieb: „Es begibt sich jetzt in Wien nichts geringeres, als daß ein durch Fahrlässigkeit oder durch Taktik eingebürgerter Vudapester Erpresser die Stadt in seine Tasche kriegt, nachdem er schon die Tasche der Stadt gekriegt hat", so gilt das in gleicher Weise vom „Abend", der seinen Einfluß — in diesem Falle wirklich von Polkes Gnaden — in schamlosester Weise mißbraucht hat. Auf der einen Seite hatte man so das Geld der Massen für sich, die über ihrer Sensationssucht den Ver stand verloren hatten, auf der anderen Seite aber auch die Kapitalisten, die für ihre sozialen Sünden an den „Abend" ihre „Bußen" zahlten. Trotz dieser Harmonie hatte man freilich auch Feinde. Denn diesem von „klei nen" Leuten gelesenen und von „großen" Leuten be stochenen Blatte blieb es in erster Linie Vorbehalten, einen Iaworek zum Attentat auf den Bundeskanzler Dr. S e i p e l zu Hetzen. Und das aus wohlberechneteu Grün den, weil nämlich die christliche Idee die einzige mar. die seinen: verbrecherischen Geschäftsgebaren ge fährlich werden konnte. Einen solchen Mann mit dem ganz alltäglichen Na men Weiß hat man also in Oesterreich „vor Gericht ge schleppt". Ja, man hat nicht einmal Verständnis aufge bracht für seine neue Preßmoral — die mau allerdings besser Er preß moral nennen sollte. Sie bestand doch „nur" darin, daß er es für ganz einwandfrei empfunden haben mochte, für unterlassene Angriffe oder für unrich tige Meldungen, also zur Täuschung und Irrefüh rung der Oeffentlichkeit, Geld zu nehmen. Ja, man hat Weiß wegen einer an Castiglioni begangenen Erpressung zu 7 Monaten schweren Kerkers (Zuchthaus) verurteilt. In einem Falle. Und die vielen Fälle von „einfacher" Bestechung, über die man wohl nicht restlose Klärung erhalten wird, werden ungesühnt bleiben, weil Strafparagraphen dafür nicht angezogen werden kön- Theorie ausgezeichnet sein mögen, aber sich über die de- bestehenden Weltproblcm« keine Rechenschaft oblegen. Zu der Frage der Landrast ungen erklärte Kellogg, Amerika habe schon von sich aus auf ein Mindestmaß abge« rüstet, und fügte hinzu: Wir haben allen Grund, uns zu freuen, daß unsere Lage dies gestattet hat. Aber wir haben nicht das Recht, die verschiedenen Probleme zu übersehen, denen andere Staaten gegenüberstehen. Wir würden selbst verständlich alle Maßnahmen begrüßen, die von anderen Staaten in Richtung auf eine Einschränkung der Rüstungen zu Land« getroffen werden sollten und wir werden jeder zeit gern bereit sein, in dieser Hinsicht helfend mitzuwirken. Beneschs Fragebogen Paris, 21. April. Wie die Information aus London berichtet, enthält der Fragebogen, den Benesch an die Signatarmächte von Lo carno über den bevorstehenden deutsch-russischen Vertrag ge richtet hat, folgende Fragen: 1. Ist der deutsche Minister des Auswärtigen verpflich tet, alle vertraulichen Verhandlungen Deutsch lands mit anderen Mächten und mit dem Völkerbund, so weit sie das Interesse der beiden Länder berühren, nach Moskau mitzuteilen? 2. Wenn im Falle eines Krieges mit Rußland dieses nicht der Angreifer ist, wird dann Deutschland oder der Völkerbund darüber entscheiden, wer der Angreifer ist? 3. Was muß Deutschland als Mitglied des Völkerbundes tun, wenn dieser den Boykott Ruß lands verlangt? 4. Ist die Klausel über die begrenzte Neutralität Deutschlands auf den Artikel 16 des Völkcrbuudsstatilts begründet, oder auf die für Deutsch land durch den Brief der Alliierten aus Locarno vom Oktober 1925 eingeräumte Einschränkung dieses Artikels, die Deutschland von gewissen Verpflichtungen befreit? 5. Wenn die Neutralität Deutschlands durch diese Zusatz erklärung bestimmt wird, welche Autorität wird dann je weils die maßgebende Auslegung dieser Erklärung geben? neu. Immerhin scheint der Skandal wenigstens insoweit Schule gemacht zu haben, als sich nachträglich das öster reichische Parlament anschickt, besondere Strafbestimmun gen für Bestechungen im Pressewesen zu verabschieden. „Wo es Geld gibt, immer auf der Seite des Gelde s!" so Hütte der „Abend" über seinen Titel schrei ben müssen, wenn er eine Spur von Ehrlichkeit empfun den hätte. So aber liegen die Dinge so. daß der einzige, der an das Wort dieser Publizistik nicht glaubt, der ist, der es schreibt. Darin liegt die ganze Gemeingefährlich keit einer solchen, durch keinen Moralbegriff gehemmten Presse. Was geschrieben wird, nehmen Tausende und Abertausende als pures Evangelium blindlings hin. Mit der Frage, wer es schreibt aber und von welchen Grund sätzen und von welcher Weltanschauung die Presse be stimmt wird, danach fragt man nicht. Die Presse ist heu tigentags zweifellos die öffentlichste Ange legenheit überhaupt. Und daß sie bereits so stark wie in diesem Falle, der übrigens nicht ganz allein steht, von dem Gift unserer Zeit, dem grenzenlosen Mammonis- mus infiziert ist. das ist eine der betrüblichsten Erschei nungen in den wahrlich sonst nicht kleinen Betrübnissen unserer Lage. Wenn auch in diesem Prozeß Alexander Weiß und sein „Abend" für schuldig befunden morden ist. ganz unschuldig ist an den skandalösen Porgängen auch nicht jene große Masse, die mit lautem Geschrei von ihrer Presse stets und in erster Linie Sensation ver langt. Die nicht weiß, daß gerade die Presse ohne feste weltanschauliche und sittliche Bin dungen zu der größten Gefahr des öffentlichen und sittlichen Lebens werden muß. Diese „Abendstimmung" ist ein trauriges Zeichen für das Abendland, ein Symbol für die immer weiter um sich greifende Materialisierung des Geisteslebens. Viel leicht daß die graße Oeffentlichkeit durch diese Wiener Vorgänge aufgeschreckt und zu einer kritischeren Einstel lung ihrer täglichen Zeitung gegenüber veranlaßt wird. Viel Hoffnung dafür besteht wohl kaum. Denn letzten Endes ist die Zeitung nur der Reflex jener Stimmungen, die in ihren Lesern lebendig sind und von dort wider klingen. Und „Abend" kann es schließlich dort nur wer den, wo die §onne der Wahrheit untergegangen ist. M. D.