Volltext Seite (XML)
Nummer 96 — 25. Jahrgang -mal wöch. Bezugspreis für Mal 8.— Mk. einschk Bestellgeld, Anzeigenpreis«: Die Igesp. Petitzelle »oA Stellengesuch« ro L Dir Petitreklamezeile. 89 Milli meter breit. 1 ^l, Offertengebühren für Selbstabholer LO L. bei Uebersenüung durch di« Post außerdem Portozuschlag. Einzel-Nr, 10 Sonntags-Rr 18 L. Geschäft!. Teilt I. Htüebrand ln Dresden. Sückslsctie Sonnabend, 1. Mai 1926 gm Fall« höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenaufträgen u. Leistung v. Schadenersatz Für undeutl. u. d. Fern ruf ÜLermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückporto nicht versehene Manuskripte wert» nicht aufbewahrft Hauptschriftlett.: Dr. Joseph Albert. Dresden. Leit 1830 imr-lliW Oresäon - -V. Mn«1ka«1en Qurte Leilervsren r> lledr. Iteuüi^ger Vr«8ltvn-L. 2»knsgss8e 10 ?>emmins8tr. 4 i«p.Illl-f,t°n,srL1ir W«Ich«tt»ft»a», Druck und Verl»», Saroiii». 'Buchdrnckerei EmbH.. Dresden-«. I, P-lterstratze 17. Kernrm 210IS. PoililLecktanto Dresden I47S7 d-nN-nl«: «afsrna» 4r grtaickie, Dresden. Für christliche Politik und Kullur Redaktion der Eitckifls»«» >voIkS,e«t«ng Dresden.Attkladt >. Polierslrafte 17 gernru' M» und 21012. /^benels 6 vkr """ pkotoksus Vivnseke Sskonnt gut« »uittikrung 0e«»«r«n, Leie« »4 «reit,- unci M»s»«r»ir« Der entscheidende Tag der Kohlenkrise London, 30. April. Mit dem heutigen Tage läuft der Termin ab, bis zu dem die Regierung an die Bergwerke Subventionen bewilligt hat, um Arbeiterentlassungen und Lohnsenkungen hintanzuhal ten. Die Verhandlungen, die zwischen Regierung, Berg werksbesitzern und Arbeitern geführt worden sind, haben bis lang kein Ergebnis gehabt. Es mutz sich daher h re ent- sclieiden, ob im Mai eine Stillegung sämtlicher englischen Gruben die von der weittragendsten Bedeutung nicht nur für die gesamle englische Wirtschaft, sondern auch für die Wirtscliaft des ganzen Kontinents wäre, eintreten soll. — Wie in politischen Kreisen ver lautet, soll Baldwin infolge des geringen Fortschreilens der Ver handlungen zwiscl>cn Bergarbeitern und Grubenbesitzern den Wunsch geäutzert haben, die Regierungszuschüsse einige Tage über den 30 April hinaus zu zahlen, um auf diese Weise eine Fortsetzung der Verhandlungen zu ermög lichen. Die Grubenbesitzer werden angeblich heute in der Lage sein, Baldwin bestimmte Vorschläge zu unterbreiten. Nach Schlutz der Beratungen zwischen dem industriellen Ausschutz oes Gewerkschaftskongresses und den Bergarbeiterführern unter dem Vorsitz Lloldwins erklärte der Führer der Eisenbahner, Tho mas, man könne mit 1000:1 darauf rechnen, datz es zu einer Stillegung der Kohlengruben kommen werde. Die gesamte Presse hebt den Ernst der Lage in den Kohlenverhandlungen hervor Laut „Daily News" habe gestern Baldwin den Bergorbetterführern gegenüber zum Ausdruck ge bracht, daß die Grlibenbesitzer wahrscheinlich bereit seien, auf der Grundlage des Achtstundentages einen nationalen Mindestpro- zentsatz von 21 über dem Standard vom Jahre 1014, statt der augenblicklichen 33, anzubieten. Nach Ansicht der Bergarbeiter führer sei dieser Vorschlag vollkommen unannehmbar. „Daily Chronicle" deutet an, daß möglicherweise die Staatsunter, stützung für die Kohlen Industrie fortgesetzt wird, um eine Einstellung der Arbeit heute um Mitternacht abzuwenden. Der 5 MillionenArbeiter umfassende Gewerkschaftskongreh. der gestern den Bergarbeitern vollste Unterstützung zusagte, werde heute wieder zusammentreten, um für den Fall des Schelterns der Kohlenverhandlungen einen Sympathiestreik zu er- wägen. Frankreich und SieEniwassnung Paris, 30. April Die französische Delegation für die Entwaffnungs- konfcrenz, die am 18. Mai in Genf beginnt, setzt sich ans dem Abg. Paul Boncour, dem Grafen Plauxel, Referent für Völkerbundsangelegenheiten tm Ministerium des Aeußeren, und dem Oberstleutnant Requiem zusammen. Die von der Delegation zu vertretenden Leitsätze sind nach dem „Matin": 1. Die Entwaffnung kann nur durchgesührt werden, wenn die Sicherheit gewährleistet ist. 2. Die für die Kriegsführung in Betracht kommenden Fak toren niüssen festgestcllt werden, b. h. die Art und Weise, wie ein Land abrüsten kann, ohne feine Sicherheit zu gefährden, muh von dem allgemeinen Koeffizienten seiner wirtschaft lichen, industriellen und militüriichen Kraft, die es im Falle eines Konflikts nutzbar machen kann, abhängen. 3. Die Auffassung über die für die Kriegsführung in Betracht kommenden Faktoren führte notwendigerweise zu dem allge meinen Gedanken, datz die Bewaffnung ein Ganzes bildet. Da keine Unterscheidung möglich ist zwischen der Bewaff nung zu Lande und zu Master, dürften beide Fragen nicht getrennt von einander behandelt werden. Die deutschen Delegierten Berlin, 30. April. Der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, Graf Bernstorfs, ist zum deutschen Delegierten bei der vorbereitenden Abrüstungskonferenz bestimmt worden. Graf Bernstorff wird sich voraussichtlich am 16. M a i 'nach Genf begeben. Der deutsche Botschafter in Paris, Dr. von Hü sch, wird Anfang der nächsten Woche in Berlin eintrefsen, um sich mit der Reichsregierung über die Frage der Studien- kommission des Völkerbundes, zu deren Mitglied er be kanntlich bestimmt worden ist, eingehend auszusprechen. Der t. Ma! lst kn Sachsen gesetzlicher Feiertag. Es ist daher nicht möglich, an diesem Tag« unsere Zeitung zum Druck zu bringen. Die nächste Nummer erscheint am Montag, den 3. Mai. Marx Fraktionsvvrsitzender Die Zentrumssraktion de» Reichstages hat am Donnerstagabend den Vorsitzenden der Deutschen Zen trumspartei. Reichsjustizminister Dr. Marx, einstim mig zum Vorsitzenden der Fraktion gewählt. Die Annahme der Wahl durch Dr. Marx ist sict>«r. Es steht jedoch »och nicht der Zeitpunkt fest, an dem er seinen Ministerposten zur Verfügung stellen wird. Als Nachfolger im Amt des Relchsjustizmiinisters wird von der Zentrums sraktion der Vizepräsident des Reichstages Dr. Bell vorgcschlagen werden. An die Stelle Bells als Vizepräsi dent soll dann der Abg. Esser treten. Einstimmig hat die Zentrumsfraktion ihren Führer gewählt, und bei den Anhängern im Lande wird diese Wahl einhelligen Beifall finden. So lebhaft die Aus einandersetzungen in manchen Kreisen des Zentrums während der letzten Monate gewesen sind, das Vertrauen zu dem Führer der Gesamtpartei ist niemals und nir gends, auch bei den kühnsten Zweiflern nicht, erschüttert worden. Marx galt und gilt als „der beste Mann des Zentrums", als der vornehmste Repräsentant der Eigenschaften, die von jeher die Stärke der Zen- trumspartei ausgemacht haben: Ethische Einstellung zur Politik. Klarheit des Urteils und ruhiges, aber ziel- bewußtes Wollen. An die Spitze der Reichstagsfraktion hat das Zen trum jetzt seinen besten Mann gestellt. Damit ist deutlich zum Ausdruck gebracht, daß dies Amt des Vorsitzenden der Reichstagsfraktion gegenwärtig das wichtigste ist, üb«.. das die Partei verfügen kann. Besonders klar wird dies dadurch, daß Marx ja einen Ministerposten aufgeben muß. um die Leitung der Fraktion übernehmen zu können. Der Reichsjustizminister hat eben nicht an nähernd den Einfluß auf die tägliche Gestaltung der poli- tischen Vorgänge, den der Vorsitzende der stärksten Mit telpartei im Reichstage ausüben kann. Daß Marx in das zweite Kabinett Luther als I u st i z m i n i st e r ein getreten war, hatte wohl in erster Linie seinen Grund darin, daß das Zentrum durch eine führende Persön lichkeit im Kabinett vertreten sein wollte, da es auf ein führendes Ministerium verzichtet hatte. Man erin nert sich an die Vorgänge bei der Bildung des Kabinetts Luther. Nur durch die Selbstverleugnung des Zen trums, das sich mit drei der „kleinen" Ministerien be gnügte, war damals überhaupt eine Regierungsbildung möglich. Marx als Reichsjustizminister hatte nun die Aufgabe, die Grundsätze und Wünsche des Zentrums in nerhalb des Kabinetts in geschickter Weise zu wahren. Die Art, wie er das getan hat, hat auf allen Seiten Beifall gefunden. Gerade der Iustizminister hatte in den letzten Monaten manche delikate Frage zu behandeln. Marx hat das in sehr glücklicher Weise getan, und noch gestern muhte die ritterliche Art, wie er während der Duell-Debatte gegenüber den kommunistischen Angriffen für den Reichspräsidenten v. Hindenburg (der doch ehe mals sein Gegenkandidat war) eintrat, ihm Sympathien bei den vernünftig urteilenden Politikern aller Richtun gen gewinnen. — Dr. Bell, der ehemalige Kolonial minister. der das Ressort Justiz nach Marx übernehmen soll, bringt für dieses Amt die Sachkenntnis des erfah renen Juristen und die Geschicklichkeit des alten Par lamentariers mit. Marx ist wieder Fraktionsvorsitzender. Er hatte dieses Amt niedergelegt, als er im Herbst 1023 Strese- mann im Reichskanzleramt ablöste. Damals wußte man von dem „beweglichen, smnpathischen Rheinländer" (wie damals ein englisches Blatt schrieb) nur, daß er ein geschickter Leiter parlamentarischer Unterhandlungen und ein eifriger Vertreter der christlichen Kulturpolitik war. Die Reichskanzlerschaft Marx' hat inzwischen Deutsch land und der Welt ein klares Bild dieses Charakters eingeprägt. Inmitten einer durch sittlichen Hochstand gerade nicht ausgezeichneten Zeit erlebte man stier einen Menschen, der sich in selbstloser Weise aus Pflichtgefühl in den Dienst des Staates stellte. Marx hat diesen Dienst geleistet in den schwersten Monaten, die das deutsche Volk bisher überhaupt zu überwinden hatte: im Winter der Stabilisierung, tm Sommer der Dawes-Verhand- lungen. Die Angriffe und Anwürfe, die damals in allen M NliWs W die MW« Greift die Regierung ein? Berlin, 30. April, Aus dem Reichstag wird uns geschrieben: Auch in der Donncrstagsihung setzte sich der schwere Kampf um die Fürstenabfindung fort. Wieder prallten die Geister auf das heftigste aufeinander. Im Mittelpunkt der Debatte am Donnerstag stand eine mit reichem ge schichtlichen Material über die Fürsten und ihr Verhältnis zum Volk ausgestattete Rede des sozialdemokratischen Ab geordneten Saeiiger, die eine starke Beachtung im Hause fand und namentlich gegen Schlutz bei den Deutschnatio nalen ungeheure Entrustungsstürme auslöste. Saenger be zeichnet« nach Schilderungen über die Tätigkeit des Kaisers diesen als einen Geächteten. Das gab wiederum den Anlatz zu stärkstem Tumult, bei dem die Worte Lümmel, feiger Ge sell! und andere mehr oder weniger parlamentarische Be zeichnungen hinüber und herüber flogen. Die Deutsch nationalen kannten sich nicht mehr vor Erregung, schlugen mit den Fäusten aus die Tische und sprachen in heftigster Empörung auf Redner und Präsidenten ein. Abgeordneter Schultz-Bromberg hatte die schwere Aufgabe, den auffallenderweise bei der Sitzung nicht an wesenden Grafen Westarp zu entschuldigen und die Ent rüstung über di« sozialdemokratische Rede zu äußern. Die leidenschaftliche Erregung, die ihn gepackt hatte, verleitete ihn zu einer monarchistischen Propagandarede, die im Haus«, auch bei den Kreisen der Rechtsparteien recht wenig Anklang fand. Bemerkenswert war altch, daß Schultze-Bromberg den neuen Zentrumsantrag als unannehmbar bezeichnet«, weil er mit den deutschnationalen Grundsätzen nicht vereinbar sei. Diese Grundsätze hat ja Graf Westarp in seiner gerade- unglaublichen Rede tagszuvor gekennzeichnet, indem ergänz offen di« Parole ansgab, gerade diese Frage der Fürstenab findung zum Ausgangspunkt für eine große monarchistische Propaganda zu machen. ^ Auch gestern kam der Reichstag zu keiner Entscheidung. Die Verhandlungen sind noch einmal vertagt. Heute soll aber die endgültige Entscheidung fallen. Die Reichsregierung hat bis jetzt immer noch nichts getan, um selbst führend in die Verhandlungen e:nzugreifen, sie hat auch zu dem Zen trumsantrag noch keine Stellung genommen. Der Fraktionsvorsitzende der Deutschen Volkspartei, der Abg. Scholz, begab sich gestern nachmittag nach dem Plenum zum Reichskanzler, um diesem den Wunsch vorzutragen, daß das Neichskabinett aktiv in den Abfindungsstreit eingreifen soll. Das Neichskabinett wird nunmehr heute abermals eine Sitzung abhalten, in der zu der Auseinandersetzung mit den Fürsten Stellung genommen werden soll. Es ist damit zu rechnen, daß die Regierung mit einer eigenen Borlage hervortritt, die das Problem der Fürstenabfindung unter Anlehnung an den Kompromitzentwurf zu lösen sucht. Dieser Entwurf wird noch vor dem Volksentscheid, vielleicht schon in verhältnismäßig kur zer Zeit, an den Reichstag gelangen. Es ist damit natürlich nicht gesagt, daß der Entwurf noch vor dein Volksentscheid auch ver abschiedet wird. Damit wird man erst rechnen können, wenn der Volksentscheid erledigt wird. Die Vorlage der Regierung wäre aber doch ein sichtbares Zeichen und eine moralische Rege lung in der Frage der Fürstenentsämdigung unter Führung der Regieung angestrebt und auch durchgesetzt werden wird und damit iväre eine Gegenparole gegen den Enteignungsantrag ausge geben. Bei den Koalitionsparteien gehen unterdessen die Versuche weiter, eine gemeinsame Basis zu finden, wofür man den Zen trumsantrag verschiedentlich für geeignet hält. Nur wenn eine solche Verständigung gelänge, würde zu dem Volksentscheid ein ergänzender Gesetzentwurf mit zur Abstimmung ge stellt. Jedenfalls ist auch seht eine Klärung der Situation noch keineswegs gegeben, da der Eindruck immer mehr bestätigt wird, daß die Fliigelparte-ien des Reichstages unter allen Umständen den Volksentscheid, freilich beide aus entgegengesetzten Motiven, herbeiführen wollen.