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Sächsische Volkszeitung : 24.02.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-02-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192602248
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19260224
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19260224
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1926
-
Monat
1926-02
- Tag 1926-02-24
-
Monat
1926-02
-
Jahr
1926
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 24.02.1926
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Siegerwatt» über soziale Ausgaben Bei der Besprechung des Etats des Reichsarbeitsministe- riums hat kürzlich im Reichstag der Ministerprasiöcnt a. D. Ltegerivald eine Rede gehalten, über die wir bereits kurz berichtet haben, aus der wir aber nachfolgende Stellen yervor- hebc»„^!o„ j„ einer ruhigere» Zeit ein wirklich ge rechtes Urteil über die ungeheure Arbeitsleistung dieses Mini steriums gewinnen können. Zurzeit ist das Neichsarbeitsminl- stermm von mehreren Seiten bestritten. Von links wird es vielfach als Arbeitgeberministerium hingeftellt, von anderer «eite wird sein Abbau lind seine Beseitigung gefordert. Ungeheuer sind die Auswendungen, die an Beitrügen als Arbeiterversicherung für die Kriegsbeschädigten und die auge meine Fürsorge, für Pensionen und für die öffentliche Arohl- sahrtspflege ausgewandt werden. Es handelt sich dabei jährlich um 6 Milliarden Mark. Davon bringt 2-X Milliarde» Mark durch Kranken-, Invaliden- und Unfallversicherung die Arbeit nehmerschaft auf. Im übrigen müssen Löhne ans Kosten der Arbeiter-Versicherung als eine Einheit angesehen werden. Wir können jedenfalls seststellen, das; von den kleinen nordischen, meist skandinavischen Staaten abgesehen, es kein zweites Land in Europa gibt, in dem bei guter Wirtschaftspolitik und guter Wirtschaftsorganisation. bei guter Pflege der Technik und bei psychologisch richtiger Behandlung der Menschen, soviel aus den Arbeitern herausgeholt werden kann, wie in Deutschland. Was sind die nächsten Aufgaben? Wir stehe» zunächst vor drei großen Gesetzgebungsinaterien. 1. Die Schaffung der gesetz lichen Arbeitslosenversicherung anstelle der Arbeits- iofenfürsorge, 2. die Ordnung der A r b e i t s ze i t s r a ge in Verbindung mit England. Belgien und Frankreich. 3. die Rege lung der Arbeitsgerichtsbarkeit. Demnächst sollen sich in London die Arbritsminister von England, Belgien, Frank reich und Deutschland versammeln, um sich über eins einheitliche Auslegung des Washingtoner Abkommens zu einigen. Ist eine Einigung erfolgt, dann sind manche Schwierigkeiten in Sachen der Arbeitszeit behoben. Sodann wird im Neichsarbeitsmini- sterium an der Kodifikation des Arbeitsschutzes und des Arbeits rechtes gearbeitet. Trotz aller Schwierigkeiten und Hemmungen verfügt auch schon heute und in absehbarer Zeit Deutschland einmal über die beste Arbeitsversicherungsgesetzgebung in allen Ländern der Welt, über den besten gesetzlichen Arbeiterschutz und über die besten Arbeiterrcchtsverhältnisse. » Das; den Arbeitslosen, so gut es geht, geholfen wer den mus;, ist eine Selbstverständlichkeit. Eine ähnliche Arbeits losigkeit wie jetzt hat Deutschland »och nicht gehabt. Früher war cs ein Leichtes, der Arbeitslosigkeit durch össentliche Auf träge und durch Noistandsarbeitcn zu begegnen. Heute haben zwar auch Eisenbahn, Post, Länder und Gemeinden einen gro ßen Bedarf an Nenanlagen, aber es fehlen di« Mittel. Dieser Kreditknappheit kann heute nicht begegnet werden mit öffent lichen Anleihen, auch nicht mit Zwangsanleihen. Wir brauchen entweder Ausländsanleihen oder eine sorgfältige Pflege des Sparverkehrs im Innern. Der letztere Weg führt natürlich auch nicht schnell zum Ziele. Und doch müssen Wege gesucht und gefunden werden, um resolut sowohl der Arbeitslosigkeit wie dem Wohnungselend zu steuern. Das Zentrum hat bereits vor längerer Zeit ausführliche Vorschläge nach dieser Richtung hin dem Reichstag unterbreitet. Der volkswirtschaftliche Ausschuß prüft augenblicklich den Kreditantrag des Zentrums. Weiter hat das Zentrum Anträge und «ine Denkschrift ausgcarbeitet, darüber, wie die Exportmittelindustrie gefördert werden kann. Von besonderer Bedeutung ist die Bau Politik. Die ausländischen Kapitalien, die dafür in Frage kommen, sollen nach unseren Vorschlägen mit 10 Prozent verzinst und amorti siert werden. Und zwar sollen Zinsen und Amortisation ent nommen werden aus Ser Hauszinsstcuer. Die ganze Hanszins- steuer für Wohnungsziveck« zu verivenden. würde bedenklich sein. Einmal würden dann die Länder und Gemeinden nicht wissen, wie sie die Mittel für die laufenden Bedürfnisse, stir Wohlsahrts- und Kulturzwecke beschaffen sollen, und zum an deren würde es bedeuten, daß auch hinsichtlich der Erstellung von Wohnungen die Gegenwart restlos belastet würde zugunsten der Zukunft, und das ist nicht angängig. Zur Verbilligung des Wohnungsbaues ist eine größere Normalisierung und Typisierung, ferner eine grö ßere Verwendung von Holzhäusern und dergleichen notwendig. Wenn die Wohnungsmietcn infolge der Hypothekenaufwertung und durch eine günstige Zinspolitik nicht übermäßig in die Höhe getrieben werden, so ist das für die künftige Lohn- und Gc- haltspolitik und für die internationalen deutschen Wettbewerbs fähigkeiten für unser gesamtes Wirtschafte- und soziales Leben überhaupt bedeutend. Für die Arbeiter ist nicht das Entschei dende, daß sie hol,« Löhne bekommen, sondern daß sie sich für den Lohn etwas Kausen können. Der Auftvand für Miete spielt bei Gestaltung der Lohnpolitik der Zukunst eine entscheidende Rolle. Das Entscheidende ist, daß das Baugeiverbe als eines der Hauptschlüsselgeiverbe für die Innenmirtscliast zur vollen Be schäftigung gebracht wird, und daß die Arbeitslosenmassen dort angebracht werden, wo sich für sie dauernde Beschäftigungsmög lichkeit bietet. Ganz falsch ist die Auffassung, daß infolge der Verzinsung lind Amortisation der Ausl«ndsanleil>cn aus Mitteln der Hauszinssteuer die Wohnungszwangswirtschast verweigert würde. So frei und ungebunden wie vor 1914 ivird die deutsche Wohnnngswirtschaft überhaupt kau», mehr möglich sein. Wir iverden an einer w e i t ge he nd e n U m s i e d l u n g des deut schen Volkes nicht vorübergehen können und bei dieser Umsied lung ivird weitgehend mit öffentliche» Mitteln eingegrissen wer den müssen." Das Reichsarbettsministerium Von Abg. Andre, Stuttgart Der Etat des Reichsarbeitsministeriums fürs Jahr 1928 schließt wie folgt ab: Die fortdauernden Ausgaben betragen 381695 448 Mark gegen 435 517 053 Mark im Jahre 1925: somit weniger: 53 821605 Mark. Die „Einmaligen Ausgaben" be trage» nach dem Entwurf nur 862 500 Mark, gegen 140 677 000 Mark 1925: also weniger 139 814 500 Mark. Der Gesaml- zu schuß des Reiches zum ordentlichen und außerordentlichen Haushalt des Reichsarbeitsminijteriums beträgt nach dem vor liegenden Entwurf für 1926 insgesamt 395 034 432 Mk. Das sind gegen 1925 insgesamt weniger: 191070 377 Mk. Da aber für die E r w e rb s l o s e n s ü r s o rg e verhältnismäßig wenig Nüttel in den Etat eingestellt sind, so wird die Ausgabenseite bei der großen Arbeitslosigkeit noch eine erhebliche Erhöhung erfahren. Das Aufgabengebiet des Neichsarbeitsministeriums selbst ist ein ebenso großes wie umstrittenes. Der Gedanke Ser Ausheb u n g dieses Ministeriums ist absurd. Mit der leider immer noch fortschreitenden Praletarisierung unseres Volkes und der Vertrustung unserer Wirtschaft kommt der sachgemäßen Wahrnehmung der sozialen Aufgaben in der Gegenwart und Zukunst eine erhöhte Bedeutung zu. Der ordentliche Haushalt setzt sich zusammen aus den Einnahmen beim Reichsarbeitsministeriuin und verschie dener ihm unterstellten Behörden in Höhe von insgesamt 2 522516 Mark. Bei der verhältnismäßigen Geringfügigkeit dieser Summe erübrigt es sich, hierüber weitere Einzelheiten an zuführen. Anders liegen die Verhältnisse hinsichtlich der im Haushalt vorgesehenen Ausgaben. — Beim Reichsarbeitsministerium selbst betragen die personellen und sächlichen Ausgaben im Rech nungsjahre 1926 2 730 633 Mark: die Pcrsonalausgaben allein belaufen sich auf 2437 933 Mark fGehülter und Löhne). — Unter „Allgemeine Bewilligungen" lKapitcl 2) fallen zu nächst die Leistungen des Reichs für Zwecke der Sozialver- sicher» n g. Die Reichs-Zuschüsse zu den Renten der Invaliden versicherung auf Grund des Paragraphen 1285 der Neichsversiche- rungsordnung betragen für 1926 192 095 000 Mark: das sind mehr gegen 1925: 78170 000 Mark. Für den Verkauf der Versiche rungsmarken durch die Reichspost sind 6 300 000 Mark, als Ver gütung für die Rentenauszahlung durch die Reichspost 8 700 000 zu zahlen. — Im Jahre 1928 werden voraussichtlich Reichs- zuschüssc zu zahlen sein für: 1766900 Invaliden- und 274 700 Witwen- und Witwer reuten mit je 72 Mark jährlich und für 126K400 Waisenrenten mit je 36 Mark jährlich. Der Mehrbetrag von 78 Millionen Mark hängt mit der Erhöhung des Reichszuschusses im vorigen Jahre von 48 Mark auf 72 und von 24 «ruf 36 Mark zusammen. Weitere 40 Millionen Mark sind für Zwecke der Invalidenversicherung im Hausbalt der allgemeinen Fi n a n z v e r wa l t u n g auf Grund des Paragraphen 2 des Gesetzes über Zolländerungen vom 17. August 1925 als Anteil an Reineinnahmen aus Zöllen aus gebracht. (Kap XVll, Titel 11.) Der Markenerlös (Invaliden- versicherungsmarken) wird auf monatlich 35 Millionen Mark ge schätzt. — Insgesamt sind also einschlieklich der Zahlungen an die Reichspost und dergleichen 208 851000 Mark für sozialeVer sicherungszwecke im Haushalt vorgesehen Kapitel 3 befaßt sich mit der Sozialpolitik und Volkswirtschaft im allgemeinen. Hierunter fallen: Teil nahme an den Beratungen des Internationalen Arbeitsamtes in Genf und der Anteil des Reiches an dessen Unterhaltungskosten in Höbe von 225 000 Mark. Die Arbeitsvermittlung und Erwerb slosen- fiirsorge wird im Kavitel 4 behandelt. Für die unter« stützende Erwerbslosenfürsorge ist ein Betrag von 40 Mil lionen, für die produktive ein solcher von 60 Millionen Mk. in den Haushalt eingesetzt. Die derzeitigen monatlichen Zu schüsse für die Erwerbslosenfürsorge betragen seitens des Rei ches 45 bis 50 Mil'ionen Mark. Die Einführung der Kuriarbei- ternnterstützung erhöht diesen Betrag um voraussichtlich 12 bis 15 Millionen Mark Für das Schlichtungswesen (Kapitel 5) sieht dei Voranschlag nur 500 000 Mark gegen 2000000 Mark im Jahre 1925 vor! Es handelt sich hierbei um die Bestreitung der Reise kosten für die Schlichter und Beamten des Reichsarbeitsministe- riunis, sofern sie hierin tätig sind. Kapitel 6 besaßt sich mit dem Wohnungs- und Cieü- lungswesen. Im außerordentlichen Haushalt. Kapitel 4, sind hierfür 15 Millionen Mark vorgesehen: im ordentlichen Haushalt 0 Mark! Kapitel 2 handelt von „Sonstigen sozialen M as; nah me n ".hierunter sind 400 000 Mtrk als „Fürsorge" für Reichs deutsche. — Kapitel 8 handelt vom R e i ch s v e r s i ch e r u n g s - amt, das dem Arbeitsministcrium unterstellt und zurzeit mit Arbeit überlastet ist. Die personellen Ausgaben betragen 1 063 286 Mark: die Gesamtausgaben 1 139 236 Mark. — Die Ausgaben für die N e i ch sa r b c i t s v e r w a I t u n g fallen zum Teil unter die Kapitel 3, 4 und 5 und Kapitel E 12: die personellen Ausgaben betragen 962 772 Mark Die Gesamtaus gaben betragen (personelle und sächliche) 1 091872 Mark. Kapitel 10 handelt von den V e r s o r g u n g sd i e n st st e l - len, Kriegstnvaliücnhäuser und der Neichsvcrsorgiinaskasse. Die personellen Ausgaben betragen nicht weniger als 38 398 538 Mk. Die Gesamtausgaben (personelle, sächliche und sonstige) betragen 63 605 093 Mark. Die „sächlichen" und „sonstigen" Ausgaben sind in der Hauptsache auch P e r s o n a l« u s ga b e n. Es sei nur erinnert an die Kosten der Zahlung d»r Versorgungsgebühr nisse durch die Deutsche Reichspost: 3146 000 Marli: die Unter haltung der Dienstgebäude 1500 000 Mark, wobei auch die Mit tel zum Umbau entbehrlicher Dicnsträume für Dienst- und Mietwohnungen wohnungsloser Beamter verwendet wer den dürfen: Reisekosten: 250 000 Mark: Umzuoskosten unk» Kostenbeihilfen 500 000 Mark: Beweiserhebung und Kostenerstat tung in Versorgiingsangclegenhciten 1708 000 Mark: Vermal, tungskosten der Hauptfürsorge- und Fürsorgestellen für die Fest stellung und Auszahlung der Zusatzrenten 3 500 000 Mark. — Das N e i chs v e r s o r g u n g sg e s e t; wird unter Kavitel 11 aufgeführt: es erfordert eine Gesamtbclastung von 1216 414 Mark. Die beiden letzten Kapitel stellen auch eine aui den Krieg ausschließlich zuriickzüsührende Belastung dar. Das G e sa m tr e su l ta t ist: Die Summe der fortlau fenden Ausgaben des ordentlichen Haushalts beträgt 381 695 448 Mark. Wenn nach dem Vorschlag der Regierung trotzdem rech nerisch eine Ersparnis von 53821605 Mark herauskommt. so gründet sich solches im wesentlichen nur darauf, daß rund 120 000 000 Mark weniger für die Erwerbslosenfürsorge in den Haushalt für 1926 eingestellt sind. Stellenverinehrungen linden im Entwurf des neuen Reichs- Haushalts ke'ne statt: die höheren Persanalausaaben sind auf eine anders gestaltete Aufstellung des Nelchshaushalts zurückzuführen. Das Reichs« rbeits Ministerium leistet sach lich c u n d g u t e A r b e i t. Windkhortt als unbrauchbarer Mkeler Im Jahre 1862 war im Königreich Hannover der damals schon hoch-angesehene Windthorst zum Minister ernannt morden. D<r die Familie erst in einigen Wochen übersiedeln lallt«, so beschloß Windthorst, inzwischen eine schöne Wohnung auszu kundschaften. Gute Wohnungen waren jedoch schon zu jener Zeit in Hannover meist in festen Händen. Nach langem Suchen fand endlich der neugebackene Minister ein ihm zusagendes Logis. * Nachdem er den Mietvertrag mit der Wirtin, einer nicht gerade auf den Mund gefallenen Dame, „paraphiert" hatte, nannte er zum Schluß noch seinen Namen. „Was?" ries voller Schrecken die dick-stabil-geformte Wir tin. „Sie sind doch nicht etwa der neue Minister Windthorst?" — „Doch, der bin ich!" wagte Windihorst zu gestehen mit der bescheidenen Haltung, in der etwa ein Schwerverbrecher sein Geständnis ablegt. — — — „So, so! Na. das tut mir dann recht leid, mein Herr Minister, daß ich Sie da nicht brauchen kann. Sie müssen sich dann schon wo anders umsehen. Ich kann nämlich als Haus frau von gutem Ruf nicht so oft meine Parteien wechseln. Ich reflektiere nur auf Dauermieter." Verlangt überall i« den (vast- nnd Kaffechnuern» beim Friseur, aui der Reste. eure Tageszeitung! Bildung Aus einem Aufsatz von Hermann Hesele im Februarheftr des „Gral" entnehmen wir die nach stehenden ausgezeichneten Betrachtungen über das Wesen wahrer Bildung. Was aber ist Bildung? Kein Wort wird soviel und so gern gebraucht, und kein Wort wird so wenig verstanden wie das Wort Bildung. Es ist zunächst leichter» zu sagen, was Bildung nicht ist. Bildung ist vor allem nichts Gesellschaftliches. Nichts ist lächerlicher, als etwa von Bildungsschichten, von einer Klasse der Gebildeten zu reden. Bildung ist nie Schicht und ist nie Klasse. Sie ist Sache der Persönlichkeiten, und wo sie ein Kollektives, eine Gemeinschaft der Gebil deten ist, ist es eine Gemeinschaft um einer Sache willen, nicht Kasten- und Klassenpemeinschaft. Namentlich aber ist Bildung nicht die Sache einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, etwa Sache jener Kreise, die sich gern die besseren Stünde nennen. Im Gegenteil, wir werden Gelegenheit haben, zu sehen, daß heute echte Bildung häufiger in Gesellschaftsklassen anzutreffen ist, wo man sie, der Lage der äußeren Dinge nach zu urteilen, weniger erwarten möchte. — Bildung hat auch nichts mit Belesenheit zu tun, mit Bielwisserei und der Fähigkeit, überall mitredcn zu können. Es gibt Menschen, schöpferische Menschen vor allem — ich selber kenne solche —, deren Bildung eine un- gemein hohe und reife ist, und die selber nur sehr wenig belesen sind, meist sogar eine gewisse Abneigung gegen das Lesen zeigen. Nnd manchmal ist es auch ein Zeichen echter Bildung, cingcstehen zu können, daß man eine Sache nicht kenne, wie es umgekehrt oft einen Mangel a» Bildung be weist, daß man sich unterrichtet zeigt. 'Der Unterrichtete ist noch lange kein Gebildeter. Und nicht die Masse der Erfahrung tut's, sondern nur die Intensität, die innere Verarbeitung. „Timeo Icctorem unius libri" — tst ein alter Spruch; wer nur ein «»ch gelesen hat. mit dem Menschen ist zu rechnen. Wir eignen Gedanken schwächte« Formeln, Bildung ist auch nichts Angeborenes, keine Eigenschaft im eigentlichen Sinn des Wortes, nichts wie etwa Geschmack, Takt, Gewandtheit, Sicherheit. So.che Eigen schaften sind eine köstliche Beigabe der Bildung, deren fruchtbarste Grundlage, und immer ein Hilssmiitcl von Wert. Sie sind aber bloße Anlage, bloße Natur, und Bil dung ist mehr als Anlage und Natur. Bildung ist ein Gewordenes, Anerzogenes, Erworbenes; Bildung ist Kul tur im eigentlichen Sinne des Wortes; sic ist Pflege, Zucht, Ausbau einer Anlage. Bildung ist nicht Zustand und ist nicht Besitz: Bildung ist Arbeit, unermüdliches Schaffen, Gestalte», Bilden. haben längst verlernt, die Worte in ihrer ur- Bedeutung zu nehmen, als Klangkörper der Ideen, »nd Dinge. Unser verdünntes, mattes, abgc- Sprachwesen nimmt die Worte nur mehr als als Zeichen und Bezeichnungen. Und es kostet eine wirkliche Anstrengung, ein altes gutes Wort einmal in semcin alten guten Sinn 'zu begreifen. Bildung im eigensten Sinn des Wortes ist Bildwerbung, Ge staltung. For m n ii g. Wo Bildung ist, da ist ein Mehr als bloße Natur, ein Mehr aucy als bloße Erfahrung und bloßes Wissen. Bildung ist gerundete, selbstbewußte per sönliche Existenz. Was in Dingen des Sittlichen der Cha rakter, in Dingen des Aesthetischen nnd der Anschauung di« Form, das ist in Dingen des Geistigen die Bildung. Bildung ist vor allem innere Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Sicherheit und Echtheit. Der Gebildete kennt in erster Linie sich selbst, seine innerste Gestalt und damit seinen innersten formalen Willen, feine Kräfte nnd Fähigkeiten und damit seine innersten Möglich keiten und Tendenzen. Von diesem seinem inneren Be stand aus setzt er sich in Beziehung zur Welt, zur Nm- gebimg. zur Tradition, zur Kultur. Was er tut, erfährt, arbeitet, liest ohne diese Beziehung zu sich selbst und seiner nreigenen Art, das hat mit Bildung nichts zu tun. Immer und überall ist Bildung Arbeit ait eigenen Selbst, aber Arbeit aus diesem eigenen Selbst heraus und mit dem einzigen Ziel, sein von der Natur gegebenes Wesen zu entwickeln, zu entfalten, zu pflegen und zur reinen Form zu führen. Darum ist «elbstkciintnis der Anfang, der Inhalt und das Ziel-,edcr Bildung. Wenn in den letzten Jahre» so un gezählte Deutsche Spcngier gelesen haben oder Schriften über Einsteins Relativitätspr.nzip, so blieben s.e damit nicht nicht nur so ungebildet wie sie immer waren, sondern st« haben sich eben damit wider die Bildung versündigr. Denn die geschichisphilosophischen Dinge waren ihnen ebenso wie die physikalischen Gesetze He^aba; sie haben sich ;e1bst und andere belogen, indem sie Interesse heuchelten und von sich selbst erzwangen sür Dinge, zu denen ihnen die Organe fehlen. Wo aber Unehelichkeit ist, ist keine Bildung, nicht etwa aus moralischen Gründen — die tun hier nichts zur Sache —, sondern aus Gründen der Methode: gebildet, das heißt geformt und gestaltet, kann nur das werden, was wirklich vorhanden ist. Bildung ist Ausbildung, nämlich Ausbildung, Durchdringung, Schulung der vorhandenen inneren Gestal tung, «»es vorhandenen inneren Angesichts des geistigen Menschen. Unser alter idealistischer Humanismus Herders, Schillers, Goethes, Humboldts, der noch immer die reinste und höchste BildungSsorm des deutschen Wesens ist. hat eine dreifache Bildung gewrdert! die Bildung zur Individuali tät, zur Totalität und zur Universalität hin. Das will sagen: der Mensch soll seinen individualen Bestand, seinen einmaligen und konkreten geistigen Körper, sein wahres inneres Gesicht zum höchstmöglichen Ausdruck bringen, zur wahren, ihm allein angemessenen Form, ohne Eigenbrötelei, aber auch ohne verlorene Anlehnung an ihm Wesens fremdes. Und er soll diesen seinen persönlichen Bestand zur Totalität feines Wesens bringen; er soll alles, was an Kräften und Möglichkeiten in ihm liegt, pflegen und zur gesunden Gestalt erheben; was der Grieche Pankration nannte, das ist Bildung, der vollkommene Ausgleich der Kräfte, das Ebenmaß der geistigen Erscheinung. Und er soll endlich diesen seinen persönlichen Bestand zur Uni versalität seines Wesens bringen, das heißt, er soll die Ge,nmtheit des Seins mit allen Fasern der Berührung, mit allen ihm gegebenen Organen der Aufnahme sich zu eigen machen. Er soll nicht im Subjektiven, Eigenwilligen ver strickt bleiben, sondern sich selbst zum Abbild und Spiegel des reinen, vielgestaltigen Seins formen; er soll in der reinen nnd wahren Form seines eigenen Wesens zum objektiven Weltbild werde», .zur Offenbarung seiner An schauung.
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