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Nummer 107 — 25. Jahrgang kmal wöch. Bezugspreis für Mai 3— Mk. elnschl. Bestell gelo. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petitzeile »VF, Stellengesuche 2V F Dt« Petitreklamezeile, 8S Milli meter breit. 1 Öffertengebühren für Selbstabholer St) L. bet Uebersendung durch di« Post außerdem Portozuschlag Einzel-Nr 10 Snnnlacis-Nr IS F. weschäftl. Teilt I. Hlllebrand in Dresden. SMlWe Gonnlag, 16. Mai 1926 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung aus Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenaufträgen u. Leistung v. Schadenersatz, Für undeutl, u, d. Ferm, ruf übermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver antwortung, Unverlangt eingesanöte u. m, Rückporto nicht versehene Manuskripte werv nicht aufbemahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—3 Uhr nachmittags. Hauptschristlett.: Dr. Joseph Albert. Dre^i-e^ Leit l8Z0 lmi-lllm Orescls» /O volfsreLkuna fMi'riiiii' LrelZIo LrsslL!k!l8 billigst l«. LIM vresäen - AsNinsr,l,sS« 43 und Wrria,; «u»tt>a «uch»ruik«r,> «mvH„ Dretden^i. I, Polierllratze 17, tzernru- 2IVIL. PolULecktonio Drelde» I47V- "„iNoino^ Bagenac » 7>rl«t<be. Dre-i>e». Für christliche Politik und Aullur Utedaktt»n der LnNiiiiche» VslkSzeiiuu« Dresden-SUisiadt 1. Polierslrake 17 gerne»' AM» und 21VI2. k. 5c«aoe L co. Stul», Vlsi»vnksur8tr«Ns 10, leoitil-lliuler, ge-eiiSdik lülln lösig kW« O Sie Mtze W Schwächung -et internationalen Stellung Polens — Die Regierung Wuos aus Warschau geflohen Was Frankreich fürchtet / Paris. 15. Mai. Die Blätter bringen vic Befürchtung zum Ausdruck, der Bürgerkrieg könne eine ! Schmächung der internationalen Nolle Polens hcrbclführen. DaS „Echo de Paris" »veist erneut auf die angebliche De n t s ch se i n d l i ch ke i t Pilsndskis hin uns führt die Schuld daran darauf zurück, daß es Frank reich an der richtigen Unterstützung und Pesiiiuioriuiig der berechtigten Polnischen Forderungen habe fehlen lassen. 'Auch „Oeuvre" bsfürchtet, das; die französische Politik l>ei der Polnischen Krise ans dem Spiele stehe. Ein starkes und friedliches Polen sei zur Ansrechterhaltuug des Versailler Beitrags niitig. Ei» anderes Blatt meint, die Polnische Krise nehme einen Eharakter an. de. den europäischen Friede» In Frage stellen könne. Die Enttäuschung für Frankreich sei groß. Es besteh« di« Gefahr einer deutschen Fntcrventlon <?>, die Polen dem deutschen Einfluß ausliefcrn könne. „Petit Journal" schreibt, wie immer der Kampf ansgehen möge, für das Land werde er verhängnisvolle Fol ge» mit sich bringen. Wilos zurürkgelrelen? WarschauvonPilsudskibeherrscht Berlin. 15. Mai. Die Nachrichten von der polnischen Grenze über die Aktion des Marschalls Pilsudski in Warscimu geben immer noch kein klares Bild der Lage, In Warschau selbst scheint Pil sudski die Situation zu beherrschen. Er wird auf das leb hafteste von den Sozialisten unterstützt, die gelten, früh den Generalstreik ausgerufen haben. In der Hauptstadt ist der Generalstreik allgemein, in anderen Städten sind nur TeMreiks zustande gekommen. Die heute mittag eintreffenden Nachrichten geben ein wesentlich klareres Bild, — lieber Schneidemiihl wird aus Warschau gemeldet. Das Belvedere ist gestern abend von der Truppen Pilsndskis besetzt worden. Der Präsident der Republik Wojciechowskj «nd sämtliche Negierung s Mitglieder haben Schloss und Stadt kurz vorher mit Flugzeugen und Kraftwagen in unbekannter Richtung verlassen. Im östlichen «nd west lichen Grenzgebiet sowie im übrigen Lande herrscht voll kommene Ruhe. Nach dem „Kurier Porannq" haben der Staatspräsi dent und der Ministerpräsident, die nach einem Dorse bei Warschau geflüchtet waren, nach Verhandlungen, welch« die ganze Nacht andauerten, ihre Aemter nledergelegt. In Danzig liegt heute mittag folgende Darstellung der Lage in Warschau vor: Die Truppen der Regierung Witos haben Warschau geräumt, sie befinden sich in voller Auflösung. Aus allen Teilen des Landes laufen Kundgebungen für Pilsudski ein. Die Meldungen von Freiwilligen mehren sich fortgesetzt. Die Beendigung des Kampfes in Warschau hat allgemeine Zustimmung gefunden, die insbesondere durch die Demon stration einer vieltausendköpfigen Menge in Warschau zum Ausdruck kam. In den gestrigen späten Abendstunden wurden Ver handlungen zwischen dem Stoalspräsidenien Wojeiechowski, der Warschau, wie gemelder, im Automobil verließ, aber mit der Regierung in der Nähe der Hauptstadt blieb, und dem Marjchall Pilsudski eingeleitet. Ob diese Fühlung nahme ein Ergebnis zeitigte, ist noch nicht bekannt. Mar» schall Pilsndjki ist gegenwärtig mit der Rcgicrnngsbilsung beschäftigt. Zum Außenminister ist der bisherige Gesandt« in Angora, Roman Knoll, ernannt worden. Pilsuöfkis PerZönlichkei! und Pläne Joseph Pilsudski, der jetzt im Kampfe gegen die rechts, gerichtete Regierung Witos steht, ist innerhalb der polnischen sozialistischen Bewegung hochgekommcn. Er ist 1807 ge boren und entstammt einer Familie des polnisch-litauischen Hoch, adels. Schon als Student aber trat er mit sozialistischen Krei sen in Fühlung; in der russischen Revolution 1505 00 gründete er die „Polnische Sozialistische Partei", die es sich zur Auigabe liebte, die russische Negierung durch Terrorakte einzuschuchlern. 1914 kämpfte er mit den von ihm organisierten „polnischen Schützen" gegen Rußland, nahm aber 1916 seine Entlassung, als Oesterreich keine eigene polnische Armee aufstelle» wollte, — Bei Gründung des polnischen Staates durch die Mittelmächte wurde er 1917 in den ncugebildeten Staatsrat berufen. Als Urheber der Eidesverweigerung der polnischen Legionäre wurde er aber verhaftet und in Magdeburg interniert. Nach der Befreiung durch die Revolution von 1918 wurde Pilsudski Kriegsminister. Er war der Mann, der wah- rend des allgemeinen Umsturzes in Polen die Ordnung aufrecht erhielt. Nach dem Rücktritt der vorläufigen Regentschast wurde er der erste Staatspräsident Polenss Sein Wunsch, sich mit den Mittelmächten zu verständigen, wurde durch die in islaris wirkenden Ncitionaldemakraten vereitelt. Das nach dem Frieden von Versailles errichtete Kabinett Paöerewski war auf einem Kompromiß zwischen Sozialisten und Naiionaldemo- kraten aufgebaut. Zwischen diese» beide» Haupiparteien ist es seither nicht zur reibungslosen Zusammenarbeit gekommen. Nicht nur in außenpolitischer Beziehung Klassen die Gegensätze auseinander. Als 1922 ein Anhänger Pilsndskis. Naturowicz. Prä sident wurde, fiel er dem Anschlag eines Nationaldemokraten zum Opfer, Pilsudski wurde damals schon zum Staatsstreich gedrängt, zog sich aber auf sein Gut Sulejowek bei Warschau zurück. Erst die Bildung der rein auf natioiialdemokratischer Grundlage beruhenden Rechtsrcgierung Witos hat den Mar» sä)all zum Eingreifen bewogen. lieber seine Absichten erklärte der Marschall Pilsudski, er verlange den Rücktritt der N e ch t s r e g i c r u n g Witos und die Ausschreibung neuerWahlen zum Sejm »ach Aende- ru»g der Wahlordnung, Weiter erklärte der Marschall: „Ich habe mein Leben lang um die Bedeutung von alle dem gekämpft, was man Imponderabilien nennt, und ich warb um Ehre. Tu gend. Tapferkeit, mit einem Wort: um alle inneren Kräfte des Menschen, Es darf in einein Staate nicht zu viel Unge rechtigkeiten denen gegenüber geben, die ihre Arbeit für die anderen hingeben. Ebenso wie Ungerechtigkeiten nicht ge- duldet werden können, darf es nicht zu viel Mißbräuche in einem Staate geben." Gemäß seiner früheren, den Mittelmächten und den Ukrai nern freundlichen Politik l)at Pilsudski auch mit de» Deutschen und Rukhenen Verhandlungen ausgenommen. In Katiowitz sind am Freitag mehrere Pilsudskiostnierc cingetrofsen. die den führenden Kreisen der deutschen Minderheiten erklärten, daß sich die deutschen Minderheiten unter der Pilsudskiregierung voller staatsbürgerlicher Freiheit erfreuen würden. Es wird versichert, daß Pilsudski diese Erklärung auch den ukrainischen Minderheiten abgegeben habe. Enlgeistigmrg -er Macht Als der Weltkrieg schon jahrelang dauerte und noch immer kein Ende des Elends vorauszusehen war, fühlte jeder ganz instinktiv und ohne viel Berechnung, daß eine blinde, von höchstem Egoismus getragene Gewalt die Leiden der Völker verschulde. Eine an Vernunft und Moral gebundene Autorität konnte solche Qualen nicht über den halben Erdkreis bringen. In der Aufbietung der stärksten Machtmittel, die bis dahin möglich waren, überboten sich die Regierenden. In ihrem Denken und Trachten war schließlich nichts anderes mehr als die Vernichtung des Gegners, das Wachsen der eigenen Ge walt. Eine vernünftige Antwort auf die Frage zu gebe», weshalb die Ströme von Blut an allen Fron ten flössen, weshalb die Millionen Krüppel in allen La zaretten und die ungezählten Toten auf den Schlacht feldern lagen, fiel keinem Staatsmann ein. Und jener Einwand, daß jede Nation ihre Grenzen zu verteidigen und ihr Volk zu schützen habe, konnte bei der Bruta lität des Krieges und bei den allerorts genährten Ten denzen nach fremdem Ländererwerb nicht mehr als Entschuldigung dienen. Um so weniger, als sich mit Leichtigkeit im Lause der Jahre Gelegenheiten zum Frieden boten. Aber die Mächte waren blind: ihre Ge walthaber wüteten ohne Geist, nur noch dein Macht gedanken dienend. Und so war es erklärlich, daß eines Tages der große Zusammenbruch kam, und daß sich daran anschlie ßend in einzelnen Ländern die Massen gegen die eigene Regierung unter der sie viereinhalb Jahre das Elend des Krieges erdulden mußten, erhoben. Um die sinn lose Gewalt zu beseitigen. Rußland begann, und es folgten die anderen großen Staaten Mitteleuropas. Man wurf die Fesseln des Imperialismus und Militarismus von sich, um wieder frei zu sein, um einer Idee zu dienen. Dieser Vorgang innerhalb eines Volkes hat allerdings mit Recht einen argen Namen: Revolution Und was noch schlimmer ist: Es hat noch kaum eine große Revolution gegeben in der die neuen Herrscher an die Stelle der geistlosen brutalen Macht nun auch wirklich eine neue, von höheren Menschheitsidealen ge tragene Gewalt setzten. Im Gegenteil: wie häufig wand ten die neuen Machthaber jene Methoden, unter denen sie selbst geknechtet worden waren, nur in veränderter, aber vielleicht noch schlimmerer Form an. Nicht allein die erste große französische Revolution zu Ende des 18. Jahrhunderts oder die russische Erhebung von 1916 sind hierfür treffende Beispiele, sondern auch die deutsche Revolution von 1918 mit ihren anschließenden Bürger kriegen in vielen Teilen unseres Vaterlandes. Diese neue Gewalt wurde dadurch ebenso geistlos wie die krühere. Nur unter Aufbietung aller Kräfte ist es 1919 mu tigen Führern der verschiedensten deutschen Parteien gelungen, in Weimar endlich dem Volk eine neue demokratische Verfassung zu geben und dem gesetz losen Zustand ein Ende zu machen. Ein freies Volk sollte unter den Ideen der Wahrheit und des Rech tes erstehen. Es sollte keine blinde, dem Egoismus einzelner dienende Gewalt das Schicksal Deutschlands in Zukunft bestimmen. (Damit ist natürlich nicht gesagt, daß in einer Monarchie ein Volk nicht denselben Idealen dienen und ebenfalls nach demokratischen Prin zipien regiert werden könne.) Seit der Errichtung die ses neuen Staates aber datiert ein unaufhaltsamer Kampf egen ihn. Sobald wieder Ruhe und Ordnung im ande herrschte, tauchten neben jenen extremen und nach russischem Muster geführten Gruppen, all jene Organi sationen und Verbände auf, die sich immer noch von dem berückenden und gefährlichen Glanz einer zerfal lenen Epoche berauschen ließen. (Anstatt sich das wahr haft Gute aus aus dieser Epoche zum Vorbild zu neh- men.j Und weil ihnen dieser alte Glanz nur im Zeichen militärischer Paraden oder jenes auf momentane „Be geisterung" der Menge hinzielenden waffenklirrenden und uniformierten Beiwerkes möglich erschien, so be- kämvften sie die ganze neuzeitliche Demokratie. Weil ja die wahre Demokratie einfach in ihren Formen ist und kein, den geheimen Egoismus der Machthaber verdeckendes Beiwerk duldet. Es begann also — kaum noch Errichtung des neuen Staates — der neue Kampf jener, die die Macht um der Macht willen er streben, nicht um des Volkswohles willen. Dabei ist es natürlich wohl möglich, daß einzelne dieser nach der Führung Strebenden in Wahrheit dem Volke zu die nen glaubten, wenn sie es möglichst schnell wieder für kriegerische Dinge begeistern und dann eines Tages mit „neuer Waffengewalt" den „Vertrag von Versailles" zer reißen würden. Aber diese Ausnahmen bestätigen nur die Regel. In der Gesamtheit bedeutet der Kampf gegen die Verfassung von Weimar (die in manchenPunkten auch noch der Reform bedarf) nichts anderes als eine Neu auflage alter Machtgelüste, für die nicht das Volk, son dern das liebe eigene Ich das höchste Ziel ist. Nach dem Gesetze der Natur und der von moralischen Prinzipien getragenen Vernunft kann Macht nur zu dem Zwecke gegeben werden, um die Kraft und Fähigkeit von her vorragenden Einzelmenscken in den Dien st der armen und immer hilfsbedürftigen großen Masse zu stel len, nicht umgekehrt: um die tausendfachen, immer nach Führern verlangenden Kräfte der Masse durch irgendeine Leidenschaft aufzustacheln und sie dem Interesse eines einzelnen Despoten dienstbar zu machen. Nicht allein die seit 1919 ausgebrochenen Putsche oder Umsturzversuche, sondern auch die mannigfachen Regierungkrisen waren ein Ausdruck dafür, wie heiß umkämpft der goldene Weg der politischen Mitte ist. jener Weg, der allein eine Nation vor der geistlosen Gebärdung politischer Machthaber schützt. Bis in die letzten Tage hinein haben wir diese Krisen und Umsturz pläne verfolgen können. Wer die 30 Paragraphen der Verordnung der Putschisten gelesen hat. deren Pläne gerade jetzt entdeckt wurden, wird mit Leichtigkeit den Sinn der ganzen Bewegung erkennen. Ergreifung der Macht um der Macht willen. Wer im geringsten gegen diese Macht verstößt, verfällt der Todesstrafe. Mit lächer licher Kleinlichkeit kehrt immer diese Bestrafung mit dem Tode wieder. Es liest sich genau so, als ob der Tod das höchste Glück der Nation sei und nur zu diesem Zwecke der neue Staat errichtet werde. Nur der brutale Instinkt diktiert solche Pläne, von Vernunft und Geist kann keine Rede sein. Um den Gang der Weltgeschichte in diesem Sinne kennen zu lernen, brauchen wir uns aber nicht auf unser eigenes Land zu beschränken. Wir brauchen nur kurze