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Sächsische Volkszeitung : 23.03.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-192703232
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19270323
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19270323
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-03
- Tag 1927-03-23
-
Monat
1927-03
-
Jahr
1927
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 23.03.1927
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Kirchenauslrttlswoche! .r i r ch e n a „ s t r i t tS w o ch e 1 9 2 7! Man sollte es nicht für möglich halte», aber so etwas gibt es tatsächlich. Ma» kann darüber in der sozialistischen „Dresdner Volks- zeitung- folgendes lesen: „K i r ch e n a us t r i t tS w o ch e 1 9 2 7. Die R«ichS- arbci,Sgemei»schnfl freigeistiger Verbünde der deutschen Republik veranstaltet in der Zeit vom 19. bis 26. März 1927 eine Kirchenaustrittswoche, in deren Rahmen die auS dem Vereinskalender ersichtlichen öffentlichen Versammlungen stattfinden. Das Thema ist überall: Gegen die schwarze Gefahr! Der Einfluß der Kirche auf alles kulturelle Leben ist für die Arbeiter schaft bis zur Unerträglichkeit gestttg.n. Met der Ki.chemlus- lrittSwochcwird der Kampf gegen die Kulterreaktivn er- öffnet. Die Arbeiterschaft muß dafür sorgen, daß die Versammlungen zu machtvollen Kundgebungen gegen die Kirche für ein freies Proletariat werden." Man hat schon bisher verschiedene Wochen gekannt. So die „Weiße Woche", wo man sich billig neu einkleiiden konnte. Die „Grüne Woche", die vom Vorwärtsstrebsn der Landwirtschaft zeugte. Oder die Karitas-Opserwoche, die der Liebespflicht gegenüber dem Bruder in Not galt. Wie sie auch hießen, diese Wochen, helfen wollten sie alle. Entweder am Geschäft, am Beruf, oder aus Liebe zum Nächsten. Was aber will die KrrchenauStritts- Woche? Sie will auch helfen, nämlich vielen bedauerns werten Menschen den letzten inneren Halt, den letzten Fun ken Religion aus dem Herzen zu reihen. Organisierte KirchenauStritlShetze! So etwas wie ein moralischer Zwang der Freidenker auf die Genossen, die noa> nicht allen Glauben über Bord geworfen haben. Eine feine Firma, die sich ein doppelseitig beschriebenes Firmen schild leisten kann! Auf der Vorderseite steht mit fetten, aber bereits stark verwitterten Lettern geschrieben: „Reli gion ist Privatsache!" Und auf der Rückseite glänzt die neue Inschrift: „Gegen die schwarze Gefahr!" „KirchenauS- trittswoche 1927". So etwas widerspricht nicht nur dem Handelsgesetzbuch und de» guten Sitten, sondern mutz auch in den wirrsten Köpfen zu guter Letzt doch Klarheit dar-, über schaffen, wohin der Weg der Sozialdemokratie geht. Morsche Aesle wird dieser organisierte Verhetzungssturm ganz gewiß in Fülle vom Baume des Lebens brechen' können. Ter Lebenskraft dieses Baumes wird aber dieser Sturm nicht nur nicht schaden, sondern schließlich doch nur neuen Antrieb geben. Jeder 10»««. Mann Millionär Interessante Zihlc» ans Amerika. Lei. „World Almnnac", dessen 42. Jahrgang so- even in Neuhork erschienen ist, enthält eine Re he höchst interessanter Zahlen über amerikanische Verhältnisse. Sehr genaue Beachtung finde» vor allem die wirtschaftlichen Fragen. Auch den amerikanisch-n Millionäre n ist ein aus führlicher Artikel gewidmet. ES gibt deren 11 060 in Amerika, was so viel bedeutet, daß rund jeder 104.10. Amerikaner ein Millionär ist. Nach den Ver öffentlichungen des United Stares Bureau of Internal Revenue geben 74 Amerikaner an, daß ihr Reineinkommen 1 Million Dollar übersteigt. Das Gesamteinkommen die ser 74 Personen beträgt 154 822 709 Dollar, so daß im Durchschnitt aus jeden ein Entkomme» von 2 Milk- Dollar fällt. Von diesen 74 Personen erfreuen sich jedoch drei eines jährlichen Einkommens, das den Betrag von 4 Millionen Dollar überschreitet, aber den Betrag von 2 Millionen nicht erreicht, und abermals drei, denen selbst die Summe von 5 Millionen noch keine Schranke bedeutet. Diese letzteren drei reichsten Männer der Welt verdienen zusammen jährlich 27 955 319 Dollar, jeder e n- zelne also im Durchschnitt 9 318 000 Dollar. — Auch die Einkommensquellen sind angegeben. Danach er halten die erwähnten 74 Amerikaner zusammen jährlich 102 668 000 Dollar aus Dividenden und nur 4 023 000 Dollar aus Gehältern! Unter den „Big Problems vs 1926—27" steht an erster Stelle die Prohibition. Und hier stößt man Wohl auf die kleinste Zahl, die sich in diesem Buche findet. In der Auslegung des Gesetzeslextes heißt es nämlich: „Das Wort liquor, wie es das Gesetz gebraucht, umfaßt Alkohol, Branntwein, Whisky, Rum, Gut, Bier und Wein oder an dere Getränke, welche 0,5 Prozent oder mehr Alkohol enthalten". 0,5 Prozent! Oh, ihr Amerikaner! weder an diesem Getränk, noch an dieser Zahl werdet ihr euch be rauschen können! Sehr umfangreich sind auch die Tabellen über Re korde. Die sportlichen Rekorde füllen nicht weniger als 58 Seiten. Mr. Evans und Mr. Wells sind in 28 Tagen um die Erde gereist, steht da zu lesen. Daß die höchsten Gebä »de der Welt nicht fehlen, ist selbstverständlich. Be: den Wolkenkratzern kommt es Reichsarbettsminisker Dr. Brauns auf der Tagung -er Kandels- und Induslriebeirüke -er -rutschen Zenlrirmsparkei Im Rahmen der Verhandlungen der Handels- und Industrie-Beiräte der Deutschen Zentrumspareit sprach R e i ch s a r b e i tS m l n i st e r Dr. Brauns in überaus bemerkenswerter Form über die Entwicklungstendenzen der deutschen Sozialpolitik. Die Ausführungen, die sehr- große Beachtung sandcn und die verdienen, auch weiteren Kreisen zugängig gemacht zu werden, bewegten sich in folgen den Gcdankengängen. Gewiß besteht ejn I n te r e s s r n k o n f l i k t zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie erscheinen manchen als Gegensätze, die man sich nur in dauerndem Kampf miteinander denken kann. Tatsächlich ist gute Wirt schaftspolitik sozial, und gute Sozialpolitik ein unentbehr liches Glied einer gesunden Wirtschaftspolitik. Die Frage der sogenannten „Belastung" der Wirtschaft durch die Sozial politik ist kein neues Problem, auch kein Problem der Nachkriegszeit, sondern ist so alt wie die Sozialpolitik überhaupt. Schon bei dieser geschichtlichen Betrachtung er gibt sich, daß mau D'.nge, die ehedem als für die Wirtft schaft untragbar bezeichnet wurden, heute für Selbstverständ lichkeiten hält. Schon daraus folgt, daß man falsch handelt, wenn man bloß auf die gegensätzlichen Faktoren schaut. Ich darf woht feststellen, daß diese Betrachtungsweisel, soweit eS sich um die grundsätzliche Einstellung handelt, im allgemeinen der Vergangenheit angehört, wenigstens in unserem Kreise. Die Ausfassung, daß das Unternehmen um so besser fahre, je geringer dir Kosten des einzelnen Arbeiters seien, ist ein Standpunkt, den wir aus höheren Gesichtspunkten verwerfen, den wir aber auch als wirt schaftlich ungesund ansehen. Soweit D'-fferenzen zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik unter uns in Erschei nung treten, bewegen sie sich uni Fragen konkreter An wendung von Grundsätzen, über die inan sich heute viel einiger ist, als in der Porkriegszeit. Damit soll nicht! gesagt sein, daß diese Differenzen nicht noch recht scharfe Konflikte Hervorrufen und bedauerliche Formen annehmen können. Aber darüber, daß wir im Interesse einer gesunden Wirtschaft auch diese Schärfe und Uebelstände immer weite« einschränken müssen, dürfte kein Zweifel unter uns bestehen. Gewiß sind die Kosten der Sozialpolitik — um mit einem kurzen Wort nochmals auf diese viel umstrit tene Frage zurückzukommen — nicht gering. Die bisherige Sozialversicherung allein kostet drei Milliarden Mark im Jahr, dazu kommen die Ausgaben für die Er werbslosenfürsorge, zurzeit in einer Höhe von 120 bis 130 Millionen Mark im Monat, von denen rund 50 Millionen Mark durch Beiträge aufgebracht werden. Die Sorge für Kriegsbeschädigte und Kriegs hinterbliebene erfordert über eine Milliarde. Daraus fttgt aber keineswegs, daß der Grund dieser Kosten ein Ucbcrmaß von Sozialpolitik ist und daß die Wirtschaft au diesem Nebcrmaß von Sozialpolitik leidet, sondern tatsächlich leiden wir an einem Uebcrmaße von soziale» Schädigungen, die Krieg, Inflation und die da durch bedingten Veränderungen und Umschichtungen mit sich gebracht haben. Man sollte Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. Angesichts der gegen wärtigen Notlage ist die Sozialpolitik keine Frage des Wollen- oder NichtwollenS, sondern eine volkswirtschaft liche und staatspolitische Notwendigkeit. Unser nächstes konkretes Ziel der Sozialpolitik ist dis Verabschiedung des dem Reichstag vorliegenden Gesetzentwurf über die Arbeitslosenversicherung. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß dieses Gesetz die Kosten der Arbeitslosenunterstützung und -fürsorge ver ringern würde. Es kann gewisse Mißstände beseitigen, die sich anS dem Fürsorgeshstem ergeben haben. Sein Haupt vorteil aber liegt in dem Umstand, daß bei der Versiche rung eine geordnete Selbstverwaltung unter Verantwortung der Beteiligten eintritt. Die Beseitigung der Arbeitslosig keit muß erfolgen in der Hauptache durch die Entwicklung unserer Wirtschaft und soweit sozialpolitische Maßnahmen in Frage kommen, durch eine möglichst wirksame Beeinflussung des Arbeitsmarktes und eine, den neuzeitlichen Bedürfnissen angepatzte Arbeit-Vermittlung. Auf diesem Gebiete machen wir fortgesetzt grundlegende Fortschritte im Vergleich zu« Vorkriegszeit. Mit der Arbeitslosenversicherung findet das Gebäude uns er er Sozialversicherung als svlcheS feinen Ab schluß. ES kann si chdann nur noch um Einzelrefornr, insbesondere auch um Vereinfachung von Verfahren und Verwaltung, oder kleinere Ergänzungen, wie etwa Kranken versicherung der Seeleute handeln. Unsere sozialen Auslagen dieser Art erscheinen dem Ausländer vielfach als grundsätz lich falsch. Die Gläubigerländer Deutschlands erblicken in einschlägigen Etatspositionen sogar ein angebliches Sichvor« beidrttckeu an Kriegslasten und derartigen Dingen. Diese Be trachtung ist ebenso falsch wie das Gerede von der sozialen Überlastung, das man innerhalb der deutschen Grenzen hört. Tie Kosten, nm vic es sich hier Handel»» sind Ve» standteile de» Lohnes und beruhen auf einer Gestaltung »cs Lohnvcrhältnisscs, wie es sich nun einmal in Deutschland kn jahrzehntelanger Entwicklung heransgcbildet hat und schon allein auch deshalb nicht beseitigt weiden. Die Sozialpolitik hat aber nicht nur eingetretene Schä den zu beseitige», zu heilen oder zu entschädigen, londern sie hat auch ihren Blick in dieZukunstzu richten und der Entwicklung der Technik, der Wirtschaft und der Kultur aufmerksam zu folgen und sich dieser Entwicklung anzu passen. Dem trägt die A r b e j t e r s ch u tz g e se tz g e b u n g und das Arbeitsrecht Rechnung. Mit dem zweiten Halbjahr 1927 wird das Arbeitsgeräts) tsgesetz in, Kraft treten. Es bringt die lokale und berufliche Verall gemeinerung der Gewerbe- und KaufmannSgerichie. Das Neue ist hier rm wesentlichen die Ausdehnung und die Organisation der Arbeitsgerichte bis hinauf zum Reichs arbeitsgericht beim Reichsgericht in Leipzig, das insbesondere für die Erledigung grundsätzlicher Fragen in Betracht kommt. Die Organisation des einzelnen Arbeitsgerichts aber hat gegenüber dem bisherigen Gewerbegericht eine wesent liche Vereinfachung erfahren. Der Leitgedanke des neuen Arbeitsrechts ist die Geltendmachung der Persönlichkeit des Arbeiters und seines Mitbestimmuiigsrechtes in den An gelegenheiten des Arbeitsvertrages und seine Einflußnahme auf die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik überhaupt. Die allgemeine wirtschaftliche, soziale, politische und kul turelle Entwicklung macht das moderne Arbeitsrecht zu einer unabweisbaren Notwendigkeit. Der weitsichtige Unter nehmer tut in seinem eigenen Interesse gut, ihr zuzustimmen und ihr Rechnung zu tragen. Auch die Fo rtftthrung des Arbeiters ch n tz e S, insbesondere bei der Regelung der Arbeitszeit ist uner läßlich. Auch hierin werden wir in nächster Zeit Fortschritte machen müssen. Das Arbeitszeitgesetz von 1923 ist von der Regierung sowohl als von allen politische» Faktoren, die es schufen, als Notgcsetz betrachiet und bezeichnet worden und kann nicht als Daucrregelung gelten. Auch die Bedeutung einer internationale» Regelung dieser Dinge tritt von Jahr zu Jahr mehr in die Erscheinung. Deutschland hat kein Interesse daran, sich ihr zu versagen. Für die Wirtschaft ist keineswegs bloß die^Pentabilii- tät des Augenblickes maßgebend, sondern sie^mnß sich auf weite Sicht einstellen. Billige Arbeitskosten kön nen vielleicht augenblicklich rentabel sein, ans die Dauer ge sehen aber die Industrie rückständig machen oder gar zu grunde richten. Von diesem Standpunkt ans wird man auf der llnternehmerseite auch der neuzeitlichen Sozialpolitik und ihrem Hinauswachsen über die Sozialpolitik des ver gangenen Jahrhunderts und der Vorkriegszeit Interesse und Verständnis entgegenbringen müssen. darauf an, wieviel Dollar ihre Erbauung kostete. Der teuerste Wolkenkratzer Neuyorks ist der der Eqnitable-Lifc- Jnsurance-Cv. Er kostete 13 Millionen Dollar hat 37 Stockwerke und ist 486 Fuß hoch. Anders das Wooiworth- Gebände, das 60 Stockwerke enthält und eine Höhe von 792 Fuß erreicht. Nun möchte man aber gerne wissen, wieviel es wiegt, aber das erfährt man nicht. Hier fehlt also etwas. Aber sonst fehlt nichts. Oder ist es etwa eine land läufige Weisheit, daß dunkelhaarige Frauen rund 110 000 Haare, blonde Frauen jedoch 150 000, rothaarige yin- gegen nur 30 000 Haare aus ihrem Kopfe pflegen? Oder, daß 44 000 Gewitter täglich, im Jahre also ungefähp 16 Millionen, über die Erde niedergehen und daß in jeder Stunde 300 000 Blitze über nnjerer Erde zucken? Oder, daß mehr als 180 Millionen Englisch, 120 Millionen Deutsch und'nur 60 Millionen Französisch sprechen können? Und daß MrS. Sarah BoSworth Bradway vs Eaftford 109 Jahre alt wird und somit als die älteste Frau zu- mindestenS der Vereinigten Staaten dasteht? Romola Ein r»enaistancc-Stoman von George Eliot. Frei nach dem Englischen von H. Niesch. (Verlag Joseph Habbel, Regensburg) (66. Fortsetzung.) „Habt keine Angst mehr, Vater," beruhigte Romola in gebietendem Tone, „ich werde jetzt mit Euch gehen und sehen, wer noch am ^öeben ist. Die Pest ist sicher fast erloschen. Ich fürchte sie ohnehin gar nicht, monatelang lebte ich in einem Pestherde, ohne daß die schreckliche Gei ßel mir etwas anhaben konnte. Komm, Jacopo," rief sie dem Jungen, der sich mittlerweile in die Nähe geschlichen halte, „trage das Kind da an meiner Statt, ich bin »lüde." Das war ein furchtcrweckender Befehl für den Knaben. Zögernd, als hielten ihn tausend Stricke fest, nühene er sich und wagte gleichwohl nicht zu widerstreben. Zwar hielt er Romola nicht mehr für eine himmliche Erscheinung, aber immcrhin für eine Gesandte Gottes, der man univeigerlich gehorchen mußte. „Nun laßt uns noch ein Gesäß mit Milch mitnehincn,i um die Hungernden zu laben, und letzt voran zu den armen Kranken," sagte sie mild. Ohne Gegenrede folgten der Pfarrer wie Jacopo die- dem Geheiß, und einträchtig gingen die ungleichen Kame raden an das Liebeswerk. Es waren kaum mehr ein Dutzend Dorfbewohner am Leben, aber dank Romola-s Fürsorge wur den sie gerettet und die Toten begraben. Woche um Woche, Monat um Monat verging und noch iveilte Romola in dem einsamen Dorfe. S:e fühlte sich heimisch dort inmitten der schlichten Leute, die voll rühren der Dankbarkeit an ihr hingen und sie verehrten wie ein höheres Wesen. Aus dem Jndenwaislein war inzwischen «in Christenknabe geworden, VeneLetto nannte man ihn bei der Taufe. Romola zog ihn im Verein mit einer Bäuerin auf, »velche durch die Pest alle ihr« Kinder verloren hatte. Im Winter wurde Romola selbst leidend. Die An- nrcnounaen. die sie sich zugemutet hatte, waren zu groß, und nun lag sie tagelang auf einem dürftigen Bette, in einem Häuschen, nahe dem Mesrufer, zu müde, um zu arbeiten. Jeden Tag kamen Besucher zu ihr, der Pfarre«/ Jacopo und die wenigen Dörfler, welche die Pest überi- standen hatten, und alle brachten Liebesgaben, frische Eier, Honig, Brot. Die unfreiwillige Muße zwang Romola zum Nach denken. Ihr Geist schweifte zurück in vergangene Tage, nun aber sah sie alles in anderem Lichte und si« erkannte,! daß ihr kein Recht zustand, zu sagen: „Ich bin des Lebens überdrüssig, ich will sterben." Mit diesem Gedanken hatte sie sich den Wellen anheimgegeben, aber der Hilferuf des verlassenen Judenknaben weckte sie auf zu neuem Leben, neuen Liebeswerken, und jetzt gestand sie sich ein: „Es war unrecht und feig von mir, den Tod zu wünschen. Solange es Not und Leid auf Erden gibt, solange ich helfen kann, ist es meine Pflicht, zu helfen." Ihr Werk unrer den Dorfbewohnern war getan, sie bedurften ihrer nicht mehr, m:t doppelter Macht gewann deshalb die Erinnerung an ihren Pflichtkreis in der Heimat Raum in ihr. War es erlaubt, daß sie die Vaterstadt, den Gatten verließ? Die Gründe, die P. Hieronymus ihr einst angegeben hatte, schienen ihr in den Stunden ruhigen Sinnens und ernster Selbstprüfung triftiger, bindender als jene, mit denen sie ihre Flucht vor sich selbst gerechtfcrrigt hatte, und sie kam sich selbstisch, anspruchsvoll, tngendstolz vor. — Dann trat aber wieder eine Rückwirkung gegen solche Selbstvorwttrfe ein und die Verbindung mit Tito kam ihr zu unnatürlich vor, als daß sie wieder an seiner Seils leben könnte, ihr Empfinden sträubte sich dagegen. Und doch fühlte sie Unruhe, wenn sie an ihren Gatten dacht«, schrak sie gleich davor zurück, das Band, das s:e mit ihm einte, von neuem zu knüpfen. SavonarolaS Worte, sie werde nie aufhören, sein Weib zu sein, klangen in ihr nach, und die unbestimmte Furcht, Tito würde vielleicht leiden und ihrer bedürfen, bereitet« ihr bisweilen angstvolle Stunden. Der jftimmer um ihren Paten, die Entrüstung gegen seine Richter und gegen Savonarola milderten sich, ibrs Dankesschuld gegen den Prior kam ihr wieder lebhafte« ins Bewußtsein, sie erkannte an, daß er allein ehr dis Kraft gegeben harte, zn leben, es gab niemand aus der ganzen Welt, der ihr e„ie ähnliche Wohltat erwies. Romola fand keine Rast mehr, und an einem Märzmorgen nahm sie Abschied von den freundlichen Landlenten. Es fiel ihr nicht leicht, zu gehen, denn die treuen Seelen klagetn und baten: „O, warum geht Dhr? Bleibt bei uns." Aber sie blieb standhaft und erwiderter: „ES geht euch allen gut, Ihr bedürft meiner nicht mehr, ich muß jetzt nach meinem eigenen Volke sehen. Sorgt für den kleine,« Benedetto mir zu liebe und vergeht mich nicht." Am 14. April befand sich Romola wieder innerhalb der Mauern von Florenz. Sie war so rasch gereist, als si« konnte, denn in Pistoja hatte sie verworrene Gerüchie übev die Feuerprobe erfahren, und in Prato führte :hr de« Zufall jenen Mönch in den Weg, der ihren Paten zum Tode vorbereitet hatte. Von ihm erfuhr sie alle Einzev- heiten von SavonarolaS Verhüttung und seinen Geständnis sen und auch den Tod ihres Gattcm, soweit man davon in Florenz wußte. Tito war ziemlich bekannt in der Arno stadt, sein Tod hatte deshalb Aufsehen erregt, um sr> mehr, als allem Anschein nach ein Mord vorlag. Niemand' außer Romola konnie aber ahnen, welche Tragödie sich ds abgespielt hatte, sie allein erriet wer der unbekannte Greis war, der ihn, wie ihr erzählt wurde, umklammert hielt, und ihr Herz schauderte vor der rächenden Strafe, dis! den lebensfrischen Tido in der Blüte seiner Jahre eroill» hatte. Monna Brigida hieß ihre junge Verwandte unteg Lachen und Weinen herzlich willkommen und erklärt« ihr, sie müsje nunmehr für immer be: ihr wohnen. Ro»wla> war tief erregt durch die Nachricht von der Ermordung dessen, den sie einst liebte, übermächtiger fast noch NÄHlte es ihre Seele auf. daß Savonarola, ihr Führer, sich »nie« der Folter als Betrüger, als falschen Propheten bekannt hatte: sie war darum nicht n> der Stimmung, dieses freund liche Anerbieten, welches sie der kleinlichen Haushaltung»« sorgen enthob, abzulehnen. Fortsetzung folgt.)
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