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Sonntag, den 8. Oktober 1S2S Nr. L25; Sette IS In dev um K rischen Ebene Vs« Albert Lettisch Rings um die Hochebene zittern die Lichter der Illu mination auf. Der Dom, der finster großartige Dom von Assisi erdröhnt von Orgel und Gesang. Aber über allem singt die engelhafte Klarheit dieser Laute: Assisi, Assisi... Und Franziskus. Und voller, betörender, gefährlicher und beseligender noch der andere, tiefere, urtiefere Klang! Santa Chiara, Santa Chiara. Wahrhaftig, da ist der Himmel auf die Erde gestie gen, oder zum Spiegel des Himmels ist diese Erde ge worden: die Dörflein und die Burgen umher und in der Tiefe unter uns weisen mit ihren Lichtern alle Stern bilder auf und die Hütten und Kirchlein längs der die Hochebene durchquerenden, staubweißen Chaussee bilden die Milchstraße von Horizont zu Horizont. All diesS Lichtlein beben und flirren wie im Auge eines Menschen, der zur Nacht, wenn seine Augen vor Glück oder Ver zweiflung feucht wurden, ins Freie tritt. Ist diese Luft hier wirklich linder und beseligender? Ist in allen diesen Formen wirklich eine wundersame Harmonie? Ist diese Mitternacht über des lieben Hei ligen Geburtsort, die an den Tag vor siebenhundert Jah ren erinnert, als er hinüberging, ist sie wirklich blauer, sternseliger, tagbefreiter als alle Nächte, die wir bisher erlebten? Oder beginnt das Wunder der Wandlung be reits in uns? Hier wurde er geboren und dort unter uns, in der rohen Steinhlltte der Portiunkula starb er, der den Menschen den Frieden und die Güte gepredigt hatte, dem die Vögel Zuhörten und die Fische, dem ein Wolf zum Schwur die Pfote in die Hand legte, der sich in Dornenhecken wälzte, um das Fleisch abzutöten, der die Elemente, die Gestirne und den Tod, seine Geschwister nannte: einer, den unser Jahrhundert vielleicht inbrün stiger zu verstehen sehnt als jedes andere. Friede und Güte. Bruder Mond, Schwester Sonne, Bruder Tod. Nein nicht einmal die moderne Zeit vermag den Traum zu stören: denn wenn heute an Stelle langsamer Wagen oder müder Pferde über die tiefe Milchstraße rasend flinke Automobile dem Ziel zustreben, so blinken ihre Scheinwerfer wie himmlische Kometen dahin. Ein Zug in der Ebene schießt springende Feuergarben. Bruder Menschengeist, Schwester, Maschine ... Ja, du führst die Menschen hierher, Schwester Maschine, auf diesen fin ster von Häusern umdrängten Platz vor den heiligen Dom. Was einst eine Wanderung von vielen Tagen er forderte, rollt sich heute in wenigen Stunden unter den federnden, klirrenden Rädern ab. Aus der Tiberebene klimmt es durch schmales, wasserdurchrauschtes Tal steil, steiler hinan, die Weite rückt zusammen. Geht es mit ten durch den Fels? Er spaltete sich wohl, und das war das erste Wunder. Und wie Heilige auf Votivbildern in der flachen Hand das Bild der Städte der Madonna Hinhalten, damit sie es segne, so wird dem Reisenden diese Hochebene angeboten, ihn in Versuchung zu führen. Die Luft schwirrt von Zikaden im grüngebetteten Tal. Glasklar sprudeln unter Pappeln die Quellen des Klitumnus, die Virgil und Carducci heidnisch entzück ten. Links oben liegt Montesalko. In der Kathedrale hat Benozzo Gozzoli das Leben des heiligen Franziskus gemalt und niemand begreift den Heiligen, der ihn nicht dort gesehen hat. in der Tracht seiner Zeit und in den engen Gassen seiner Dörfer. Nun zurück in die Ebene. Foligno, Mittelpunkt der umbrischen Geschäftswelt, wo Kurchen und Kapellen im mer einsamer dastehen. Spello. Dann Assisi. Am Fuße der Stadt, wo wilder Forst einst war und jetzt Mais, Wein und Oel üppig reifen, die Portiunkula. Ein riesiger Dom ist über die winzige Steinhütte gebaut, die Märchenhütte des Heiligen, der sich vom Glanz, der ihn zu umgeben begann, hierher zurückzog und hier starb. Pilger, ja rechte und echte Pilger ans den nahen und fernsten Bergnestern, Frauen in ungeahnter Tracht schreiten durch die Zelle, umschreiten sie, singen schrill und tief, bekreuzigen sich, schreiten vor- und rückwärts, küssen jeden Stein und ruhen dann auf dem Marmor boden von Wanderung und Pilgergang müde aus, essen, blicken um sich mit Augen, die von Frömmigkeit und Fieber brennen. Aber auch die anderen sind da, die Rei senden in Staubmäntel und mit den Fremdenführern. Draußen Jahrmarkt. Buden mit Rosenkränzen und Heiligenbildern, Trinkbuden. Buden, aus denen das knusperig am Holzspieß gebratene Spanferkel duftet. Fahnen. Polizei. Omnibusse. Staub. Hinauf, hinauf nach Assisi. Mitten in der umbrischen Ebene liegt dieses Assisi, Wallfahrtsort der gläubigen Armen und der reumütigen Reichen; wer Lahingelangen will, muß über Berge klimmen, die an ihren Pässen plötzlich das Wunder dieser grünen, stillen Weite auftun. Der Abend kommt allgemach. Die Kathedrale des heiligen Franziskus hockt riesig am Abfall des Hügels, streckt sich mit ihren gewaltigen Unterbauten über den Hang hinaus, erinnert an die Cäsaren, die ihre Paläste dem Meer abtrotzten. Nun ist die Mitternacht vorüber. Zwei Stunden dauerte das Hochamt, Menschen in Frack und Seide, steif vor Würde und Müdigkeit, strömen in ihre Quartiere. Ader aus dem Portal, aus diesem mittelalterlichen Mund des Doines kommt die Prozession und vollzieht das letzte Wunder dieser einzigartigen Nacht. Alle Sprengel aller Kirchen Umbriens haben ihre Vertreter geschickt, ihre Bruderschaften von hartschreitenden Bauern und Weibern, mit bunten Umhängen, mit dem Gekreuzigten und den silbernen Keulen. Und die Or densbrüder mit weißen Gesichtern über den braunen Kut ten. Manch einer darunter bleich wie ein Linnen, mit schwarzen, wie verlöschende Kohlen glühenden Augen und mit dunklem, schmerzverhärtetem Zug um den Mund, der schien, als wäre er mit einem Messer in Holz geschnitten. Und die Kerzenträger. Und die Nonnen. Lärmend dazwischen die Dorfmusik. Und die Toten gräber. Und die Priester. Und Pagen in alter Tracht. Sind sie von den Wänden ihrer Kirchen und Kathedralen gestiegen? Aus den Fresken frisch zu uns gekommen? Die Glocken läuten dumpf und Helle Fackeln zucken von den Fenstern, lassen die Gassen eng und dunkel. Und wie sie hinabschreiten, nimmt sie das Dunkel auf und ihren Gesang und den Lärm der Dorfmusik. Frühlicht kommt grün und kühl über die schirmenden Berge. Stille. In der Luft bleibt, verwischt mit Weihrauch und Fackel- ruß. die engelhafte Klarheit des Lautes: Assisi . . , Assisi . . . Franziskus . . Der Lsnnerigesang des hl. Franz „Höchster, allmächtiger, guter Herr, dein ist Ruhm und Verherrlichung und Ehre und jeglicher Lobpreis! Dir allein, Höchster, gebühren sie, und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen. Gepriesen seist du. mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, vornehmlich mit der edlen Schwester So: die uns herrlich leuchtet durch ihr Licht; und schön ist sie und strahlend in großem Glanze; von dir, Höchster, ist sie das Abbild. Gepriesen seist du. mein Herr, für den Bruder Atond und die Sterne am Himmel hast du sie geformt: klar, kostbar und schön. Gepriesen seist du, mein Herr, für unfern Bruder, den Wind, und für die Luft und das Gewölk, und das Wetter, sei es heiter oder nichr, wodurch du deinen Geschöpfen Erhaltung gewährst. Gepriesen seist du. mein Herr, für unsere Schwester, die Quelle; sie ist sehr nützlich und demütig und köstlich und keusch. Gepriesen seist du. mein Herr, für unseren Bruder, den Brand, durch den die Nacht du erleuchtest; und er ist schön und freudig und gewaltig und stark. Gepriesen seist du, mein Herr, für unsere Schwester, die Mutter Erde, die uns ernährt und pflegt, und mancherlei Früchte uns spendet und bunte Blumen und Kräuter. Gepriesen seist du, mein Herr, um derentwillen, die verzeihen aus Liebe zu dir, und Schwachheit ertragen und Trübsal. Selig, die dulden in Frieden, denn du, o Höchster, wirst sie einst krönen. Gepriesen seist du, mein Herr, für unseren Bruder, den leiblichen Tod, dem kein lebender Mensch entrinnen mag. Wehe denen, die sterben in Todessünden! Selig, die ruhen in deinem allerheiligsten Willen, denn ihnen tut der zweite Tod kein Uebel. Lobt und preist meinen Herrn, und lagt ihm Dank, alle Geschöpf-' und dient ihm in großer Demut. Amen."') *1 Übersetzung nach dem prächtigen Büchlein von P. Wen- dclin Meyer O. F. M., Franz von Assisi Sonnengesang, Leipzig 1922. ... - - Lhristus und Franziskus Don P. Dr. Thaddeus Soiron, O. F. M. Heilige sind Menschen, in denen Gott zur Herrschaft gekommen ist. Gedanken Gottes bewegen ihr Denken und bestimmen ihr Urteil. Kräfte Gottes erfassen ihren Willen und gestalten ihn zum Mittelpunkt, aus dem ihr Leben zur Einheit zusammenwächst. Heilige sind um so vollkommenere Menschen, als die Gedanken und Kräfte Gottes ihren Lebensraum erfüllen und umschließen. Denn der Mensch ist in dem Maße Mensch, als er Gott angehört. Er verwirklicht in dem Maße seine Menschen idee, als die Idee Gottes in ihm lebendig ist. Denn der Mensch ist Gottes Ebenbild. Seine „Menschwerdung" ist eine Aufgabe, die er in dem Maße erfüllt, als er seine Gottebenbildlichkeit verwirklicht. Heilige sind also vollkommene Menschen, in die Ge danken und Kräfte Gottes eingeströmt sind, die ihnen den Sinn ihres Lebens offenbarten und ihnen die Kraft ver liehen, ihn zu erfassen und zu erfüllen. Darum steht an dem Anfang der Menschheitsgeschichte die Offenbarung, das Wort Gottes. Es begleitet die Menschheit auf dem Gang durch ihr Leben. Es spricht zu ihr Gottesgedan ken, damit sie das Urbild dessen erkenne, dessen Eben- und Nachbild sie ist und sein soll. Der Sinn der Mensch heitsgeschichte wird also im Worte Gottes offenbar. Darin liegt eine Konsequenz von ungeheurer Größe und Er habenheit. eine Konsequenz freilich, die nur die freie, un endliche Liebe Gottes zu ziehen vermochte. Der Sinn des Menschenlebens kann aber nur in dem Maße sichtbar werden, als das Wort Gottes sich offen bart. Er wird darum am vollkommensten deutlich, wenn das Wort Gottes, das ewige Wort des Vaters selbst, im Fleische erscheint und Mensch wird. In Christus leuchtet das Antlitz des Vaters, in ihm tragen die Gedanken und Kräfte der Ewigkeit ein Menschendasein und führen es seiner letzten und tiefsten Bestimmung zu. In ihm er reicht darum die Menschheitsgeschichte ihre Mitte, ihre wescnhafte. metaphysische Mitte, weil in ihm der Sinn des Menschenlebens vollkommen deutlich geworden und weil an ihm nun alle „Menschwerdung" Maß und Norm und Ziel gesunden hat. In ihm ist „die Fülle der Zeit" erschienen, weil sich in ihm Gottes Antlitz sichtbar der Menschheit zugewandt und weil in ihm der Sehnsucht ihres Sinnens und Strebens Erfüllung gegeben ist. Den Sinn des Menschenlebens erfassen, heißt darum, in diese Mitte der Menschheitsgeschichte eintreten, diese „Fülle der Zeit" in sich aufnehmen; heißt, von ihr aus in das Leben schauen, von ihr aus Aufgabe und Bestim mung des Lebens ergreifen. Christus tenens medium in omnibus, sagt St. Bonaventura. Wenn sich um ihn das Menschenleben beivegt, wenn um ihn des Mensä)en Ge danken und Kräfte schwingen und wenn sie in ihm ruhen, dann entfaltet es sich zu dem Kosmos, in dem das Leben zu einem Lied wird, das die Größe Gottes preist. Diesen Gedankengang galt es darzulegen, damit uns die Gestalt und die Bedeutung des Heiligen von Assisi verständlich wird. Es gibt wohl kaum noch einen Hei ligen, an dem die Wahrheit dessen, was wir betrachtet haben, so überzeugend und so ergreifend zu lebendiger Darstellung gekommen ist wie bei ihm. Man hat ihn, wie Papst Pius XI. in seiner Iubiläumsenzyklika be merkt, einen „zweiten Christu s" genannt. In die ser Benennung liegt der tiefste Sinn seines Lebens be schlossen. Seitdem Christus zu Franziskus in der Vision ge sprochen, seitdem er sich ihm in der Gestalt des Gekreu zigten gezeigt, ist ihm Sinn und Aufgabe seines Lebens klar geworden. Im Bilde Christi schaut er von nun an stets sein Leben. Aus den Worten, die Christus gespro chen und die er in den heiligen Evangelien an die Jahr hunderte weitergeben, hört er die Imperative, die sein Denken und Wollen bestimmen. In den Ereignissen sei nes Lebens, in der Lebensform, die Christus gewählt, erkennt er die Verpflichtung, sein Leben ihm gleichförmig zu gestalten? Mag man auf ihn einreden, er möge sich an eine Le bensform der alten Mönchsorden anschließen. Franzis kus antwortet mit dem Hinweis auf das Leben Christi. Mögen Zweifel in ihm aufsteigen oder Neigungen seines Herzens ihn schwankend machen, Christus, Christi Leben gibt die Lösung. In allen Fragen, die ihn bestürmen, in allen Lagen, in die er gedrängt wird, in allen Auf gaben, die sich ihm stellen, die Entscheidung heißt Chri stus. Der Standort, auf dem er steht, ist stets Christus. Die Perspektive, aus der er urteilt, ist immer Christus. Das Ziel, zu dem alle seine Gedanken und Wünsche und Anstrengungen hinstreben, ist wiederum Christus. Chri stus tenens medium in omnibus, ist die große Wahrheit, die in Franziskus lebendige und ergreifende Gestaltung gefunden hat. Darin besteht seine überragende weltgeschichtliche Bedeutung. Er ist gleichsam das große Para- digma d e s E v a n g e l i u m s; er ist der weltgeschicht liche Nachweis, daß das Evangelium Leben formen kann und will, daß er nicht ein Ideal ist. an dem sich eine süß liche schwärmerische Lyrik begeistert, auf das man Dithyramben singt, sondern ein Ideal, das zur Tat auf ruft, das den Willen spannt und ein Leben gestaltet, das die Züge Christi trägt. Dazu kommt noch ein anderes. Gottes Antlitz ist uns in Christus aufgeleuchtet. Indem wir ihn anschauen, erkennen wir die Menschenidee, die Gott von Ewigkeit geschaut hat und die er in uns verwirklicht sehen will. In Christus ist der gottebenbildliche Mensch mit seinem göttlichen Urbild, dem ewigen Logos, zu einer göttlichen Person verbunden. Die höchste Höhe des Menschentums ist also in Christus erreicht. Dos vollendetste Menschen tum ist uns in ihm vorgestellt. In Christus ist darum anck »ns der Weg gewiesen, auf dem wir unser Men schentum seiner Vollendung entgegenführen. In ihm ist somit auch die Einheit und Harmonie, die innere Ge schlossenheit und Schönheit des Menschen garantiert. In ihm erhebt und ordnet sich zum Kosmos, was ohne ihn Chaos. Zerfall. Disharmonie sein muß. In ihm schließen sich alle Gedanken und Kräfte der Menschen zu jener Einheit zusammen, die der tiefsten Idee des Menschseins entspricht. So wird in Christus und zwar ig vollendeter Christusähnlichkeit das Leben des Menschen zu einem Lied, das tiefstes Glück verkündet und Freude und Selig keit ausströmt. In diesem Zusammenhang offenbart sich uns wie derum die weltgeschichtliche Bedeutung des heiligen Fran ziskus. Er ist das große Paradigma des Evangeliums als der Frohbotschaft Christi. In ihm ist die Harmonie und Schönheit eines Menschentums sichtbar, das aus Christus, aus dem Evan gelium hervorwächst. Er ist der Troubadour der Freude, weil er aus Christus lebt. Er ist der Bruder „Immer- froh", weil der Geist Christi in ihm waltet. Er ist der „liebenswürdigste aller Mönche", wie man ihn genannt hat, weil sein Menschentum in und an Christus gebildet ist. Christus hat die Disharmonien, die in jedem Men schen aufschreien, in ihm aufgehoben; er hat die Kräfte seiner Seele und seines Körpers zu einem Lied gestimmt, das seine entzückenden Melodien durch die Jahrhunderte sendet. Heute, nach sieben Jahrhunderten, ist es noch nicht verklungen. Ja, es scheint, als ob es heute froher und schöner als je erklänge, als ob die Herzen und See len der Menschen ihm-aufgeschlossener als je zulauschten. Möge es nicht nur die Herzen erfreuen und die Seelen erheben, möge es vor allem die Erkenntnis vermitteln, daß das Geheimnis seines großen und seligen Lebens in dem Wortpaar beschlossen ist: Christus und Franziskus!